Frauen... wie könnte ein Mann Frauen nicht lieben! Frauen sind großartig, wunderbar, ein Trost in einer Welt, die in einen grauenhaften Zustand geraten ist. Sie sind eine Wohltat für die Augen, Balsam für die Seele. Ein Leben ohne Frauen wäre ein Alptraum, des Weiterlebens nicht wert.
»Muss das sein?«, fragte Frank halblaut niemanden im Besonderen, wohl eher sich selbst. Der Pirelli-Kalender 2008 war mit pompösem Gehabe in Berlin vorgestellt worden, und die Bilder hatten promt ihren Weg in die Nachrichtensendung gefunden. Die Bilder der blitzlichtumflammten Ehrengäste, aber auch die Bilder des Kalenders. Vor dem Fernseher saß nicht nur Frank und seine Frau, sondern auch die Kinder sahen zu. Timmy, neun Jahre alt, guckte aufmerksam, mit leicht gerunzelter Stirn, Judith, zwei Jahre älter als ihr Bruder, rümpfte die Nase. "Iiiiih, ein Riesenkäfer«, quietschte sie, »den würde ich mir nicht auf die Backe setzen lassen.«
Timmy meinte: »Angsthase! Ist doch nichts dabei.«
Judith gab zurück: »Du isst ja auch Regenwürmer. Du bist sowieso ein Barbar.«
Timmy wusste nicht, ob dies ein Lob oder eine Beleidigung war. »Papa, was ist ein Barbar?«
Frank war froh, dass die Bilder auf dem Fernsehschirm nun wieder familientauglich waren und gab die Frage weiter: »Das kann Judith sicher erklären, sie hat dich ja so genannt.«
»Ein Barbar rennt nackig durch den Urwald und frisst Käfer, Würmer und Schlangen.«
»Ich renne überhaupt nicht nackig durch den Urwald! Und der Regenwurm war eine Mutprobe. Die hast du nicht bestanden, aber ich!«
»Mädchen müssen nicht mutig sein.«
Michelle war, wie so oft, um Ausgleich bemüht: »Niemand muss etwas, was ihm zuwider ist. Ob Mädchen oder Junge.«
»Dann muss ich ja«, schloss Timmy sofort messerscharf, »die doofen Tomaten nicht essen.« Er wies auf seinen ansonsten geleerten Teller, auf dem noch vier rote Scheiben darauf warteten, verspeist zu werden.
Später, die Kinder waren in ihren Betten, fragte Frank seine Frau: »Meinst du, dass sie zu jung sind, um die erotische Komponente dieses Kalenders zu bemerken?«
»Hast du denn mit neun Jahren schon ein Auge dafür gehabt?«
Frank überlegte. Wann hatte er eigentlich entdeckt, welchen Reichtum Frauen in die Welt bringen? Dass sie nicht nur Mütter oder doofe Mädchen sind, sondern dass Frauen Regungen hervorrufen, die zu erstaunlichen Ergebnissen am eigenen Leib führen konnten?
Mit neun Jahren bestimmt noch nicht. War es damals, mit 13 Jahren, als er die Magazine seines älteren Bruders durchblätterte, mit großen Augen, mit Staunen, mit beginnender Erkenntnis? Die Zimmertüre verriegelt, und doch ständig mit der Furcht, erwischt zu werden, die Zeitschrift offen auf dem Bett, die linke Hand im Schoß, ein feuchtes Handtuch bereitgelegt, um Spuren zu tilgen, wenn der Rausch verflogen war.
Was solche Fotos zeigten, war natürlich unerreichbar, kein Mädchen nahm Notiz von einem pickeligen Buben in kurzen Hosen, dem der Radiergummi in der Schule zu Boden fiel, damit er beim Aufheben womöglich einen Blick aus geeigneter Perspektive auf kurzberockte Mädchen werfen konnte.
Die Bilder waren auch - verglichen mit dem, was heute in den Medien gezeigt wurde - harmlos, fast verschämt. Es gab kein Internet mit Seiten ab 18, die ohne jegliche Kontrolle auch von Kindern geöffnet werden konnten. Ein Klick auf »Enter« nach dem Warnhinweis genügte, um jegliches anatomische Detail und alle Spielarten der geschlechtlichen Betätigung in allen Einzelheiten zu betrachten.
Michelle schmiegte sich an ihn. »Als ich in Judiths Alter war, habe ich jedes Mal gekichert, wenn wir an dem Lilienthal-Denkmal im Park vorbeikamen. Von hinten betrachtet ging es ja noch, aber von vorne, auf dem Weg von der Schule nach Hause immer im Blick, habe ich mich regelmäßig amüsiert. Dieses komische Anhängsel da unten am Bauch...«
»Immerhin hängt es brav nach unten.«
Michelles Hand überprüfte den Zustand von Franks Anhängsel. Sie gluckste vergnügt, fuhr aber fort: »Aber dass das etwas mit der Frage zu tun hatte, woher eigentlich die Kinder kommen, so weit habe ich damals nicht gedacht.«
»Das wissen wir ja nun. Der dopelte Beweis schläft nebenan und träumt womöglich von ekligen Käfern.«
»Ich bin ja auch nicht mehr elf.«
»Aber du bleibst meine Elfe.«
Sie rückte noch näher. »Als mir meine Cousine, ich war wohl 14 oder so, erzählte, wie das wirklich vor sich geht mit dem Kindermachen, wollte ich ihr das nicht glauben. Nie und nimmer konnte ich mir vorstellen, dass ich mit einem Jungen beziehungsweise meinem Mann nackt in einem Bett liegen würde. Ich war sehr darauf bedacht, dass mich niemand beim Umziehen im Schwimmbad sehen konnte, noch nicht einmal meine Freundinnen.«
»Ich hatte auch keine Vorstellung, wie das eigentlich technisch gesehen funktionieren soll. Im Biologiebuch waren schematische Zeichnungen zu finden, und wie mein kleiner Freund seine Gestalt verändern konnte, war mir ja nicht unbekannt. Aber für den Rest fehlte mir die Phantasie.«
»Wie wäre es mit ein wenig Praxis?«, fragte Michelle.
Beim Einschlafen dachte Frank darüber nach, wie gut sie es doch hatten. Sie kamen ohne Pirelli-Kalender aus, ohne schmuddelige Hefte oder Internetseiten. Ihre Liebe war nicht reduziert auf körperliche Höchstleistung nach zweifelhaften Vorlagen, durfte fließen wie und wohin sie wollte, das ganze Leben durchdringen. Es gab jede Menge Phantasie, und immer wieder neue Entdeckungen. In guten, wie in schlechten Tagen - wie es der uralte Spruch beschrieb. Die Liebe seiner Michelle hob ihn empor, wenn er am Boden war, inspirierte ihn, war viele Jahre alt und doch noch immer jung.
Frauen... wie könnte ein Mann Frauen nicht lieben! Frauen sind großartig, wunderbar, ein Trost in einer Welt, die in einen grauenhaften Zustand geraten ist. Sie sind eine Wohltat für die Augen, Balsam für die Seele. Ein Leben ohne Frauen wäre ein Alptraum, des Weiterlebens nicht wert.
4 Kommentare:
Ein dreifaches Hoch auf den Pirelli-Kalender - wenn er zu solchen herzerwärmenden Geschichten inspiriert!
Liäbi Grüess!
B.
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Stimmt, gefällt mir, deine Geschichte, der Stil und vor allem die Einstellung dahinter. Allerdings bin ich ja auch Frau und so feinfühlige, nachdenkliche Exemplare der männlichen Gattung sind doch eher selten. Oder gibt es für die nächste Generation noch Hoffnung???
Liebe Grüße, M.
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Hallo M.,
mit 53 gehöre ich wohl eher zur vorigen Generation... - aber es gibt wohl in jeder Generation solche und solche Männer. Und Frauen.
Hallo B.,
fein, dass sie auch Dir gefallen hat, die kleine Episode. Frauen sind schon grundsätzlich was ganz tolles...
:-)
Mit Grüßen, Günter
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Hallo Günter,
„Frauen“ ist natürlich keine Kurzgeschichte, eher ein Essay? Der mahnende Zeigefinger ist jedenfalls nicht zu übersehen.
Auftakt und Schluss erinnern an eine Ode. Sehr schmeichelhaft für Frauen...
Hast du vor, eine Kurzgeschichte draus zu machen, wenn ja, bin ich schon mal sehr gespannt.
Herzliche Grüße
Ursula
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Gefällt mir, muss nicht ausgebaut werden. Für mich ist das eine Kurzgeschichte der eben anderen Art. Erzählt wird doch. Erinnert mich an Jan Weiler, der im Stern seine Kolumne "Mein Leben als Mensch" hat. Lebensepisoden. Eben. Locker und gut rüber gebracht.
Mit herzlichem Gruß, K.
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Lieber GJM,
eine wirklich gut geschriebene Heileweltgeschichte. Angesichts der Familienmiseren, die mir jeden Tag um die Ohren schlagen, erscheint sie mir schon fast utopisch.
Unschuldige Kinder, unschuldige, saubere Eltern. Selbst der Sex erscheint rein.
Ach, wie schön wenn es doch so wäre.
Liebe Grüße
A.
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So, schön der Reihe nach:
Liebe U., es passiert tatsächlich nicht sonderlich viel in dieser Erzählung, aber ich habe nicht vor, mehr daraus zu machen. Meinetwegen ist es eine Sandwich-Ode, oder ein Oden-Burger.
Liebe K., danke für das Lob aus solch berufenem Mund. Da ich kein Stern-Leser bin, sondern die F.A.Z. beziehe, ist mir die Kolumne fremd. Ich werde mal beim Stern online nach Jan Weiler Ausschau halten.
Liebe A., ja, das ist utopisch, gar keine Frange! Wir Autoren dürfen - müssen sogar unbedingt - von der schnöden Berichterstattung über die tatsächlichen Gegebenheiten Abstand nehmen.
Übrigens fällt mir auf, dass sich bisher ausschließlich FRAUEN zu dieser Geschichte / diesem Oden-Whopper geäußert haben. »Balsam für die Seele« - Frauen!
Mit Grüßen, Günter
Was soll da noch geäußert werden?
Sind ja bereits zahlreiche Kommentare abgegeben worden... ;-)
Allerdings kann ich das Kompliment hinsichtlich uns Frauen nur zurückgeben, denn was täten wir ohne Euch Männer... :-)
Sehr schön Günter!
..ich wusste doch, du hast Talent ;-)
Immerhin lässt dein "grundsätzlich" in der Antwort an B. hoffen, dass du nicht unter Realitätsverlust leidest..
... an den Reaktionen kann man ja deutlich erkennen:
Ergebnislos bleibt es nicht, wenn man eine Hymne singt!
Daher gehe ich davon aus, dass nicht Röm.16,18 zutrifft, sondern wir hier ein schönes Beispiel für Jak.3,2 haben! ;-)
Gruß + Segen
@barbara: irgendwie sind schon männer UND frauen vonnöten, stimmt.
@bento: ENDLICH äußert sich ein Mann... :-)
ich dachte eher an das hohelied, kapitel 1, vers 2.
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