Montag, 15. Juni 2009

Das Schloss - Franz Kafka

Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schloßberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloß an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.
Dann ging er, ein Nachtlager suchen; im Wirtshaus war man noch wach, der Wirt hatte zwar kein Zimmer zu vermieten, aber er wollte, von dem späten Gast äußerst überrascht und verwirrt, K. in der Wirtsstube auf einem Strohsack schlafen lassen.
Als K. erwachte, glaubte er zuerst, kaum geschlafen zu haben; das Zimmer war unverändert leer und warm, alle Wände in Finsternis, die eine Glühlampe über den Bierhähnen erloschen, auch vor den Fenstern Nacht.
Da öffnete sich die Tür. Es war die Wirtin. Sie tat erstaunt, K. noch hier zu finden. K. entschuldigte sich damit, daß er auf die Wirtin gewartet habe, gleichzeitig dankte er dafür, daß es ihm erlaubt worden war, hier zu übernachten. Die Wirtin verstand nicht, warum K. auf sie gewartet habe. K. sagte, er hätte den Eindruck gehabt, daß die Wirtin noch mit ihm sprechen wolle, er bitte um Entschuldigung, wenn das ein Irrtum gewesen sei, übrigens müsse er nun allerdings gehen, allzulange habe er die Schule, wo er Diener sei, sich selbst überlassen, an allem sei die gestrige Vorladung schuld, er habe noch zu wenig Erfahrung in diesen Dingen, es werde gewiß nicht wieder geschehen, daß er der Frau Wirtin solche Unannehmlichkeiten mache wie gestern. Und er verbeugte sich, um zu gehen. Die Wirtin sah ihn an, mit einem Blick, als träume sie.
»Ich ziele nur darauf ab, mich schön zu kleiden, und du bist entweder ein Narr oder ein Kind oder ein sehr böser, gefährlicher Mensch. Geh, nun geh schon!« So sprach die Wirtin.
K. war schon im Flur, als die Wirtin ihm nachrief: »Ich bekomme morgen ein neues Kleid, vielleicht lasse ich dich holen.«
Soweit Franz Kafkas Roman »Das Schloss«. Und nun, lieber Blogbesucher:
  • Alles verstanden?
  • Lehren daraus gezogen?
  • Geistig gewachsen?
  • Bildung vervollständigt?
Nein? Merkwürdig. Sehr merkwürdig. Dabei sind doch alle Sätze, die ich oben aufgeschrieben habe, Originalsätze. Und gestern im Gottesdienst hat es doch der Pastor in tausenden Kirchen und Gemeinden genauso gemacht: Er nahm aus einem längeren Text einige Sätze heraus und alle Besucher nickten, zufrieden mit der erbaulichen, gesalbten Predigt, die daraus wurde...

P.S.: Mir ist schon klar, dass einem Pastor nicht viel anderes übrig bleibt. Er muss wohl darauf hoffen, dass die Gemeinde den Zusammenhang kennt?

6 Kommentare:

Huge hat gesagt…

Kafka verstehe ich auch nicht, wenn ich ihn komplett von vorn bis hinten lese. Leider ...

Günter J. Matthia hat gesagt…

Hallo Huge,

meiner bescheidenen Meinung nach versteht man Kafka dann nicht, wenn man ständig auf der Suche nach dem »tieferen Sinn« ist.
Als junger Mensch habe ich gerne Kafka gelesen, das war unterhaltsam, oft genug lustig, nie langweilig. Eine groteske Situation reiht sich an die andere, seine Figuren stoplern durch so viele unglaubliche Begebenheiten, dass man ständig gespannt ist, welcher Unfug nun als nächster folgen mag.

Dann hat mir der Deutschlehrer im Gymnasium den Spaß verdorben, als Kafka auf dem Lehrplan stand. Auf einmal war alles tiefgründig, bedeutungsschwer und undurchschaubar...

Später habe ich dann Kafka wiederentdeckt: Als unterhaltsamen und schlitzohrigen Erzähler, der alles mögliche fertigbringt, nur eines nicht: Mich zu langweilen.

Verstehe ich seine Erzählungen? Nein. Aber sie unterhalten mich ganz vortrefflich.

juppi in der ferne hat gesagt…

geht es dann in der Kirche um Unterhaltung?

Günter J. Matthia hat gesagt…

Liest Dein Pastor Kafka vor?

;-)

die Vorgärtnerin hat gesagt…

ich weiß nicht...
kann durchaus sein, dass er ihn gelegentlich zitiert.

Günter J. Matthia hat gesagt…

Na ja... was ich eigentlich sagen wollte, wurde wohl nicht so ganz deutlich.
Macht nix. Vielleicht ein andermal? Man wird sehen...