Freitag, 6. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 2

Vorab wieder Aktuelles: Gestern (Gründonnerstag) gab es einen gehörigen Schrecken. Von der Hausarztpraxis, wo sicherheitshalber vor den Feiertagen die Operationswunde/narbe in Augenschein genommen wurde, durfte ich direkt in die Notaufnahme des Krankenhauses zurück. Eva und ich waren zunächst ziemlich geschockt, wie man sich vorstellen kann, noch nicht einmal eine ganze Woche zu Hause und schon wieder in die Klinik?

In der Notaufnahme kümmerte sich dann eine Chirurgin, die mich bereits recht gut von meinem Aufenthalt kannte, um uns und meine Narbe. Es war alles im grünen Bereich, die Verhärtung darf so sein, wie sie ist, wird auch noch über Monate so bleiben, und dass wieder Wundsekret abgesondert wird, ist auch kein Grund zur Besorgnis. Vorsichtshalber schnitt die Chirurgin ca. einen Zentimeter der Narbe wieder auf – es kam kein Eiter zum Vorschein, und das ist auch gut so.

Also durfte ich, Gott sei es gedankt, wieder nach Hause fahren.

Ansonsten: Es geht weiter in kleinen Schritten täglich bergauf, meine Kraft nimmt zu, ich kann Tag für Tag ein wenig länger aufstehen statt liegen, die Entwöhnung vom Morphin funktioniert in ebenfalls kleinen Schritten bisher reibungslos (in ca. 4 Wochen sollte ich dann, wenn alles weiter so klappt, clean sein).

So. Nun zur Fortsetzung des Berichtes. Wir erinnern uns, der letzte Teil hörte so auf:

Das nahm ich aber eher am Rande zur Kenntnis, es schien mir nicht weiter besorgniserregend, die – wie ich inzwischen wusste – zwei Tumore belasteten meine Gedanken und Gefühle mehr.

Woher nimmt er bloß diesen Lebenswillen?

image Es dauerte ja, bis die Wahrheit ans Licht kam und bis ich sie nach und nach erfuhr. Eingeliefert worden war ich noch mit dem Verdacht auf eine akute Divertikulitis. Dann wurde klar, dass es sich um einen Ileus, also Darmverschluss, handelte. Es war die Rede von Zysten, die sich entzündet hatten. Es wurde versucht, auf konventionelle Weise die Darmtätigkeit in Gang zu bringen, als sich das als untauglich erwies folgten dann CT und Kolonoskopie (Darmspiegelung). Erst danach hörte ich von einem Tumor, dann von zwei Tumoren, und dann erst fiel endlich das insgeheim längst befürchtete Wort Darmkrebs.

Vom Hören zum Begreifen und schließlich Akzeptieren – für mich war das eine mentale Anstrengung. Ich wollte nicht akzeptieren, wollte wegschieben, Ausflüchte für meine Ängste suchen, beschwichtigen: Kann ja sein, dass es doch nur eine Zyste ist. Zwei, von mir aus. Kann ja sein, dass es auch einen Tumor gibt, der kein Krebs ist.

Aber schließlich schaffte ich es, zu sagen: Krebs. Ich habe Krebs.

Und damit war es mir dann auch möglich, weiter zu denken, zu fühlen. Die Tatsache war akzeptiert, und nun musste ich herausfinden, wie ich damit umgehen wollte. Natürlich war da Angst, große Angst. Schwiegervater und Schwiegermutter waren vor wenigen Jahren an Krebs gestorben, kurz nacheinander. Ich hatte in meinem Leben genug über Krebs gelesen, gehört und gesehen, um zu wissen, dass ich es mit einer ernsten, einer tödlichen Krankheit zu tun hatte. Einer heimtückischen noch dazu. Mehr als einmal hatte meine Schwiegermutter von Ärzten gehört: „Es ist jetzt sämtliches vom Tumor befallenes Gewebe aus dem Körper entfernt.“ An anderer Stelle trat relativ kurz danach dann jeweils ein neuer Tumor in Erscheinung.

Ich will mich, da ich diese Dinge jetzt einigermaßen chronologisch zur eigenen Erinnerung in späteren Jahren notiere, erst einmal auf das beschränken, was ich zur jeweiligen Zeit empfunden und erlebt habe. In diesen Tagen vor der Operation war es eindeutig sehr viel Angst, aber auch immer wieder Trost durch das Wissen, dass sehr viele Menschen mir alles Gute wünschten, an mich dachten, für mich beteten, sogar Freunde, die nicht gläubig sind, schickten Gebete für mich „ans Universum“ oder wohin auch immer. Am Anfang dieser Reihe von Texten hatte ich ja bereits davon berichtet.

Trotz all der Angst, obwohl mir jegliches Vermögen abhanden gekommen war, selbst an ein heilendes Eingreifen Gottes zu glauben, wollte ich leben. Ich wollte nicht resignieren, mich bemitleiden, als armes, unschuldiges Opfer bejammern. Nein. Wenn ich untergehen würde, dann aber nicht als Häufchen Elend, solange ich es irgendwie vermochte, wollte ich ein einziges Ziel im Auge behalten: Gesund werden. Auf die Beine kommen. Für meine Frau, meine Familie, und auch für Freunde und Bekannte da sein. Im Vordergrund stand aber eindeutig Eva, unsere Liebe, unsere gemeinsame Zukunft. Daran wollte ich mich festhalten.

Nach einer der besonders schlimmen Abführ-Erbrechen-Zusammenklappen-Aktionen hörte ich den Arzt zur Schwester sagen: „Woher nimmt er bloß diesen Lebenswillen, diese Kraft? So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die Schwester: „Ich auch nicht, ich staune genau wie Sie.“

Heute, im Nachhinein, beim Aufschreiben der Ereignisse, würde ich als Antwort anbieten, dass in mir Gottes Kraft wirkte, die über menschliche Möglichkeiten nun einmal erhaben ist. Ich habe damit im Krankenhaus nicht gerechnet, habe es nicht bewusst wahrgenommen, nicht darum gebetet oder auch nur geglaubt, aber woher ich die Kraft sonst gehabt haben soll, wäre mir noch rätselhafter als die Erklärung, dass Gott bei mir war, auch wenn ich damit nicht rechnete.

 

In den Tagen und Nächten auf der Intensivstation war aufgrund der ständigen Geräuschkulisse und des auch nachts häufig notwendigen hellen Lichtes von ungestörtem Schlaf über längere Zeiträume nicht die Rede. Das war auch meinen Ärzten klar. „Wir wissen, dass Schlafentzug eine anerkannte Foltermethode ist“, sagte mein Chirurg eines morgens zu mir, „aber einstweilen ist das nun einmal das kleinere Übel für Sie. Versuchen Sie, zwischendurch so oft wie möglich zu schlummern, zehn Minuten, eine halbe Stunde ... was immer möglich ist. Sobald wir es verantworten können, verlegen wir Sie zurück auf die Chirurgie.“

Am 19. März war es dann so weit, ich durfte die Intensivstation verlassen. Die Operation war für den 20. März vorgesehen. Dass sie dann auf den 21. verschoben wurde und welches Wunder sich in der Nacht vor der Operation ereignete, davon berichte ich im nächsten Kapitel.

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