Donnerstag, 19. Juni 2014

Von Angstabbau und Schuldabweisung

Vom Patienten (passiven Empfänger medizinischer Dienstleistungen) zum Agenten (aktiv Mitwirkenden am Gesundungsprozess) zu werden, das ist für jemanden wie mich, der vom Krebs heimgesucht wurde, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um den Kampf zu gewinnen. Natürlich gilt das nicht nur für mich oder an Krebs erkrankte Menschen - sondern für jedermann. Auch gesunde Menschen sollten und dürften daran interessiert sein, wie sie ihren Körper dabei unterstützen können, das Immunsystem weiterhin wirksam zu erhalten.

Das Wissen um die Immunfunktion des Darms beispielsweise ist durch solide wissenschaftliche Studien belegt - wenn nun (wie in meinem Fall) ein erheblicher Teil des Darms operativ entfernt werden musste, ist es um so wichtiger, diese dauerhafte Schwächung des Immunsystems auszugleichen. Die Medizin geht heute davon aus, dass der Darm rund 70 Prozent unseres Immunsystems ausmacht.

Ich berichte hier regelmäßig von Erkenntnissen, Einsichten, Versuchen und Erfolgen sowie Misserfolgen im Kampf gegen den Krebs. Zahlreiche Zuschriften zeigen mir immer wieder, dass andere Menschen davon profitieren, und das macht mich froh. Krebs ist rundherum und absolut nichts Gutes. Aber wenn aus meinem Erleben und Berichten Gutes für andere erwächst, dann freue ich mich einfach mit. In diesem Sinne möchte ich heute ein paar Gedanken über Angst und Schuld mit meinen Lesern teilen.

Ein großer Teil der Sorgen besteht aus unbegründeter Furcht. -Jean Paul Sartre

Dass Ängste krank machen, ist mittlerweile ein alter Hut. Angst ist ein wesentlicher Stressfaktor, der das Immunsystem empfindlich stören kann, speziell durch die Produktion von Interleukin und anderen Eiweißen. Sich von Ängsten wirklich und dauerhaft zu lösen, bleibt dennoch oft eine schwierige Aufgabe, denn nicht immer fällt es leicht, die Ursachen zu erkennen. Und wer die Ursachen nicht kennt, wird deren Auswirkungen nicht los.

Es gibt die durchaus begründeten und für unser Leben und Überleben wichtigen und richtigen Ängste. Vielleicht ist Ängste hier auch nicht der richtige Begriff - ich sollte womöglich von Einsichten oder Erkenntnissen sprechen. Dass man sich an einer Flamme verbrennen kann und dass dies Schmerzen verursacht, haben wir wohl alle in der Kindheit irgendwann festgestellt. Dass wir uns daher hüten, in eine Flamme zu greifen, ist eine gute und wertvolle Einsicht. »Angst« vor dem Feuer - eine prima Sache, die dazu beiträgt, unverletzt durch das Leben zu gehen.

Zwischen solcher, absolut gesunder Vorsicht und krankmachender Angst zu unterscheiden ist (im wahrsten Wortsinn) notwendig.

Ängste, die keine Not abwenden, schaden unserer Gesundheit nachhaltig. Oft werden sie uns schon in jungen Jahren beigebracht und eingeimpft, ohne dass wir uns in der Kindheit dagegen zu wehren wüssten. Doch auch im Erwachsenenleben hört das nicht auf. Eine der Hauptverursacherinnen von solchen Ängsten ist die eingeredete Schuld. Vorreiter dabei ist unter anderem die institutionalisierte Religion.

Auf den ersten Blick mag das paradox anmuten, denn dass ein solides Glaubensgefüge und Gebet (für andere Menschen genauso wie für sich selbst) messbare positive Einflüsse auf den Krankheits- oder besser gesagt Genesungsverlauf haben, ist unter Wissenschaftlern längst als gesicherte Erkenntnis etabliert.

Dass andererseits krank machende Schuldgefühle (und dadurch ausgelöste Ängste vor Strafe) von Religionsgemeinschaften (ob nun christlich oder andersgläubig) bewusst als Mittel eingesetzt werden, um die Schäfchen im eigenen Stall einzusperren, ist genauso unstrittig. Das geht sogar so weit, dass Krankheit beziehungsweise ausbleibende Heilung als Strafe Gottes für ein angebliches Fehlverhalten des Menschen gepredigt wird. In manchen Kreisen auch heute noch.

Wie wird man solche Ängste los? Ich will und kann nur für mich sprechen: Zur Befreiung waren einige Schritte notwendig.

  1. Am Anfang stand die bittere und schmerzhafte Erkenntnis, dass von der Kanzel (der charismatischen Gemeinde, die wir besuchten) nicht die Wahrheit, sondern Lüge gepredigt wurde. Der zu frühe Tod beider Schwiegereltern hätte gemäß der Lehre, die wir hörten und befolgten, gar nicht stattfinden können.
  2. Anstatt das Kind mit dem Bade auszuschütten, also jeglichen Glauben an einen Gott über Bord zu werfen, musste ich mich aktiv erinnern, dass es in meinem Leben Ereignisse gegeben hat, die jenseits der menschlich erklärbaren Möglichkeiten gelegen hatten. Einige davon sind in meinem Buch »Es gibt kein Unmöglich!« aufgezeichnet.
  3. Anstatt weiter irgendwelchen frommen Leitern blind zu folgen oder das Christsein an und für sich zu verwerfen begann ich nach dem Motto de omnibus dubitandum, zu hinterfragen, zu recherchieren und den Verstand zu gebrauchen, was dann relativ zügig zu einigen befreienden Erkenntnissen führte. Zum Beispiel, dass die Bibel (für den Koran oder andere Schriften wird ähnliches gelten) natürlich nicht »Wort Gottes« sein kann, sondern widerspiegelt, wie im Verlauf von Jahrhunderten Menschen sich Gott vorgestellt haben, in ihrer jeweiligen individuellen Situation.
  4. Anstelle der Buchstaben von »heiligen Schriften« den Geist zu erkennen, der aus ihnen sprechen will, ermöglicht dann eine ganz andere und befreiende und im Sinne des Wortes erlösende Beziehung zu Gott.
  5. Als ich die Bibel (als kulturelles Zeugnis) schließlich ernst nahm, statt sie wörtlich (als buchstäbliches Wort Gottes) zu nehmen, waren die in Kindheit und Jugend eingepflanzten religiösen Ängste erledigt – eine ungeheure Entlastung für Seele, Geist und Körper.

Weiter will ich das hier nicht ausführen, das würde den Rahmen sprengen. Dies soll nur als ein Beispiel dienen, wie man sich von Ängsten lösen kann.

Dieser Prozess fand bei mir statt, bevor ich die Krebsdiagnose erfuhr. Hätte ich im März 2012 noch an den »alten« Gott aus meiner Kindheit und Jugend geglaubt, wäre ich mit Schuldgefühlen (Was hast du falsch gemacht? Warum straft dich Gott so? Welche schlimme Sünde hat Gott dir nicht vergeben?) zusätzlich belastet gewesen, anstatt das befreiende und Kraft spendende Wissen zu erleben: Gott ist bei mir, mitten in dieser Katastrophe.

Mancher hat keine derartigen religiösen Ängste – Gott sei Dank! – und sollte sich trotzdem fragen, ob und wo vergleichbares in seiner Seele lauert. Schuldgefühle können aus der Kindheit stammen (oft genug unabsichtlich von den Eltern verursacht) oder später im Leben durch traumatische Ereignisse ausgelöst werden.

Ich musste mir beispielsweise sagen und mich überzeugen, dass ich nicht am Selbstmord eines Mitschülers Schuld war (indem ich ihn hätte kommen sehen und verhindern müssen). Tief in mir lauerte und nagte dieses Erlebnis und ich musste mich aktiv damit auseinandersetzen, um das Nagen zu beenden. Vermutlich wird so ziemlich jeder Leser hier und da in der eigenen Historie auf Ereignisse stoßen, die Schuldgefühle und Ängste eingepflanzt haben.

Wenn es gelingt, sich von bewussten und unbewussten Lasten zu befreien – Ängste sind nichts weiter als Lasten – dann ist ein großer Schritt zur Gesundung (beziehungsweise zum gesund bleiben) gelungen.

Um trotz einer Krebserkrankung gesund zu werden und dauerhaft gesund zu bleiben, genügt es nicht, sich auf die Schulmedizin zu verlassen. Die deckt nur einen relativ kleinen Bereich dessen ab, was zur Gesundheit notwendig ist – das anerkennen inzwischen auch die Schulmediziner selbst.

Die Befreiung von unbegründeten und schädlichen Ängsten gehört unbedingt auch dazu. Das erfordert Aufmerksamkeit und Wollen, es geschieht nicht irgendwie automatisch.

Vielleicht kann der eine oder andere Leser aus diesen Zeilen positive Impulse für das eigene Ergehen entnehmen. Ich würde mich freuen!

Foto von rgbstock

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