Rund 15 Minuten sollte die Bearbeitung des dritten Fragebogens im Rahmen einer Darmkrebs-Studie dauern, hatte die Forschungsgruppe der Charité geschrieben. Es dauert aber deutlich länger, weil ich die Antworten so genau und richtig wie möglich geben will. Sonst könnte ich es ja gleich sein lassen, die Teilnahme ist natürlich freiwillig. Statt schnell überfliegen heißt es für mich also gründlich lesen, überlegen und dann die am ehesten passende Möglichkeit auswählen. Manchmal will keine so recht in Frage kommen.
Und es dauert aus einem zweiten Grund länger: die Gedanken schweifen immer wieder ab, während ich von Seite zu Seite des Fragebogens vordringe. Natürlich schweifen sie ab, mit Vorliebe sogar, denn sie verweilen naturgemäß ungern beim Thema Krebs. Und doch will ich mich damit beschäftigen, denn ein im Sand versteckter Kopf ändert ja nicht die Realität.
Ob ich davon ausgehe, dass es mir gelingen wird, eine positive Einstellung zu bewahren, wird da beispielsweise gefragt. Ich würde gerne antworten: Das kommt darauf an, ob … - aber das ist nicht vorgesehen. Also kreuze ich Feld Nummer 8 an, weil ich ziemlich sicher bin. Denn wenn mir unter den gegenwärtigen Umständen die positive Einstellung verloren gehen möchte, dann versuche ich immer, mich und mein Ergehen in eine vernünftige Relation zur Lebenswirklichkeit auf dieser unserer Welt zu setzen. Dadurch wird mir in der Regel sehr schnell klar, wie gut es mir geht, relativ betrachtet.
- Ich muss nicht wegen meines Glaubens, wegen meiner Hautfarbe oder wegen meiner sexuellen Orientierung um mein Leben bangen oder gar alles zurücklassen und in ein hoffentlich besseres Land flüchten.
- Ich muss nicht ohne medizinische Versorgung und Behandlung leiden, darben und sterben.
- Ich muss nicht Durst oder Hunger leiden.
- Ich muss nicht Nacht für Nacht einen Schlafplatz suchen, der dann alles andere als bequem oder sicher ist.
- Ich muss nicht 24 Stunden am Tag, bei jeder Verrichtung vom Essen bis zum Stuhlgang auf Assistenz angewiesen sein.
Und so weiter. Die Liste ließe sich ergänzen.
Als ich dann endlich alle Fragen bearbeitet habe, hoffe ich, dass meine Mitarbeit zukünftigen Krebspatienten auf irgendeine Weise hilfreich werden kann. Und ich bin wieder einmal froh, dass es mir – relativ gesehen – so gut geht. Das ist mir Grund genug, ein dankbares Gebet gen Himmel zu schicken, als ich den Fragebogen abschicke.
Auch die Charité zeigt sich dankbar und schreibt mir:
Sehr geehrte/r Studienteilnehmer/-in,
wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen, dass Sie an unserer Studie teilnehmen und sich so viel Zeit für das Ausfüllen der Fragebögen genommen haben. Sie haben uns damit für unsere weitere Arbeit sehr geholfen …
So viel Dankbarkeit kann also ein schnöder Fragebogen auslösen.
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