Donnerstag, 20. März 2008

Ninni Holmqvist: Die Entbehrlichen

»Ja, es gibt ziemlich viele Intellektuelle hier. Leute, die Bücher lesen.« »Aha«, sagte ich. »Leute, die Bücher lesen«, fuhr er fort, »tendieren dazu, entbehrlich zu werden. In hohem Maße.« »Ach so«, sagte ich. »Ja«, sagte er.
Die schwedische Autorin Ninni Holmqvist war mir bis vor kurzem unbekannt. Durch einen Artikel in der »Welt am Sonntag« wurde die beste aller Ehefrauen aufmerksam und neugierig – so fand das Buch »Die Entbehrlichen« schnell den Weg zu uns. Da die beste aller Ehefrauen noch auf der Insel Duma Key beschäftigt ist, konnte ich den Roman als erster gelesen.

Dorrit Wegner, die Ich-Erzählerin, lebt in nicht allzu ferner Zukunft. Sie gehört zu den »Entbehrlichen«, denjenigen, die weder ein Kind zur Welt gebracht haben noch den Behörden auch nur einen einzigen Menschen vorweisen können, der bezeugen würde, dass er sie wirklich liebt. Und so wird sie an ihrem 50. Geburtstag in die »Einheit« eingewiesen, eine Luxusanlage, die nur einem Zweck dient: Die Bewohner stehen für psychologische Tests, Medizinversuche und Organentnahmen zur Verfügung. Am Ende steht für alle nach ein paar Jahren die »Endspende«, bei der dann lebenswichtige Organe entnommen werden.
Dorrit schließt Freundschaften und findet bald in dem Mitbewohner Johannes die große Liebe ihres Lebens - und wird schwanger. Man stellt sie vor die Alternative, das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freizugeben oder bereits den Fötus per Transplantation einer Frau zu spenden, die jünger und vor allem nicht entbehrlich ist. Jemand vom Personal öffnet ihr eine dritte Möglichkeit: Flucht aus der Anlage…

Die Autorin schreibt so packend und überzeugend, dass es schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. Es gelingt ihr, den Wahnsinn der (schwedischen) Gesellschaft, in der das Wegsperren und Ausschlachten der »Entbehrlichen« durch Volksabstimmung – selbstverständlich unter Berücksichtigung aller erdenklichen humanistischen Gesichtspunkte - legalisiert wurde, so »normal« erscheinen zu lassen, dass man sich als Leser mehr und mehr vorstellen kann, wie eine solche Entwicklung in einem demokratischen Staat, wenn die Rahmenbedingungen passen, möglich wäre.
Ich selbst interessierte mich nicht besonders für Politik und war viel zu jung, um mich mit Begriffen wie »mittleres Alter« identifizieren zu können. Jedes Mal, wenn die Sache zur Sprache kam, in den Massenmedien wie in der Wirklichkeit, seufzte ich gelangweilt und blätterte weiter oder wechselte den Kanal oder das Gesprächsthema. Diese Art von gesellschaftlichen Fragen hatte mit mir einfach nichts zu tun, fand ich...
Bei welchen Themen schalten wir den Fernsehkanal um, weil sie »einfach nichts mit uns zu tun« haben?
Genau betrachtet vermittelt dieser Roman eine ähnliche Botschaft wie der Film »Die Welle«, über den ich kürzlich geschrieben habe: Wir sollten nicht davon ausgehen, dass unsere moderne und aufgeklärte Zivilisation vor Machtmissbrauch und faschistischer Autokratie sicher geschützt wäre.

Mein Fazit: Ein ganz hervorragender Roman einer Autorin, die mit diesem Werk auf ihre anderen Bücher neugierig macht. Spannende Lektüre, die keinen Moment langweilt. Ein brisantes Thema, das aber ohne Pathos oder den belehrend erhobenen Zeigefinger präsentiert wird - und gerade deshalb so tief ins Herz trifft. Stilistisch und sprachlich (ein großes Lob gebührt sicher der Übersetzerin Angelika Grundlach!) ragt der Roman aus der Masse heraus. Ich kann »Die Entbehrlichen« uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen.

Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Euro 19,90
Verlag: Pendo Verlag;
Auflage: 1 (6. Februar 2008)
ISBN-10: 3940813001
ISBN-13: 978-3940813008
Zum Beispiel zu finden bei Amazon: Die Entbehrlichen: Roman

Mittwoch, 19. März 2008

Wie man Deutschland segnet

Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet. Diese historische Verantwortung ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.
So Angela Merkel gestern vor der Knesset, dem Parlament in Israel. Mehr zur Rede: Die Welt
Und ich will segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den werde ich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.
So Gott zu Abraham, als er ihm versprach, ihn zum Vater einer Nation zu machen. Mehr zur Verheißung: Die Bibel

Nachtrag aus dem Land der Pinguine

Bevor es hier wieder um andere Dinge geht, noch ein Nachtrag zum Eee PC, auch »der Kleine« genannt. Über diese Seite habe ich die Java-Webstart-Version geladen und - das wurde natürlich sofort ausprobiert - auch offline ist alles da. Die einzige Nuss, die ich knacken musste: Mit welchem Befehl startet man den Bible-Desktop? Nach ein paar vergeblichen Versuchen fand ich dann via Google schließlich das gesuchte »javaws« und nun habe ich fünf Bibelübersetzungen mit allem Drum (Suchen) und Dran (Querverweise) auf dem Rechner.


Übrigens: Auch für die Pausen und zur Entspannung ist natürlich vorgesorgt, ob nun ein Pinguin eine Eisrinne heruntersausen und dabei Fische fangen muss, oder das von Windows gemopste Minesweeper zum Einsatz kommt. Oder, was ich gerne habe, hin und wieder ein paar Zahlen in solche Kästchen eintragen:


Schließlich: Witzig finde ich, dass der Kleine zu Hause auf alle Rechner und Dateien der großen PCs zugreifen kann, aber umgekehrt geht nix. Wenn ich vom erwachsenen Windows-Rechner aus ins Netzwerk schaue, dann sehe ich zwar den Eee, aber keine Verzeichnisse oder gar Daten. Macht ja nix, der Kleine holt und liefert frech den beiden Großen, was er braucht und soll.


So, nun reicht es eine Weile mit der Computerei. Und ich muss sowieso losfahren. Die Arbeit ruft und ich bin ja nicht taub.

Dienstag, 18. März 2008

Die Eigenarten von Pinguinen...

...muss ich als Neuling im Linux-Land so nach und nach erkunden. Immerhin hat der Kleine inzwischen so einiges gelernt, was ich von ihm erwarte. Er kann jetzt auf meine Unterwegs-Mails zugreifen und ich kann auch offline nicht nur an Hinz, sondern auch an Kunz schreiben.

Er kann unterhaltsame Videos zu Gehör und Gesicht bringen, sowohl online als auch - was aber für mich uninteressant ist - im Gerät gespeicherte.


Eine vernünftige Linux-Bibel-Software, die ich auch zu installieren im Stande wäre, habe ich bisher nicht gefunden. Statt dessen habe ich mir einstweilen alle biblischen Bücher im HTML-Format auf den Kleinen gepackt. So vermisse ich zwar die gewohnte Suchfunktion und die Querverweise, aber ich kann auch offline auf die Elberfelder zugreifen. (Wenn der Kleine online ist, bevorzuge ich die Online-Bibel.)
P.S. um 19:06 Uhr: Eine Java-Bibelsoftware läuft seit eben (Schlachter Übersetzung)! Siehe Kommentar...)


Natürlich kann er inzwischen meine abonnierten Feeds lesen und mich dann bei Bedarf direkt zu den interessanten Artikeln und Beiträgen bringen.


Für mich mit am wichtigsten war natürlich die Frage: Kann ich den Kleinen als Schreibwerkzeug benutzen, ohne Augen- oder Fingerkrämpfe zu bekommen? Ich kann. Mit Lesebrille zwar, aber die habe ich ja sowieso. Die Tastatur ist für meine Finger gerade noch okay, kleiner dürfte sie allerdings nicht sein.


Ansonsten weiß ich inzwischen, dass »sudo bash« kein japanisches Menü ist und dass »apt-get« sich gerne von weiteren Kürzeln begleiten lässt. Und dass es ganz famose Foren gibt, die Neulingen wie mir weiterhelfen, mit Pinguinen etwas vertrauter zu werden.

Montag, 17. März 2008

Die Welle - sehenswert.

Am Wochenende waren wir, was selten genug geschieht, im Kino. Man sagt ja, dass ein gebranntes Kind das Feuer scheut, aber wir haben trotz des Keinohrhasen-Erlebnisses wieder einen deutschen Film gesehen. Einen Film, der eine wahre Begenebheit nacherzählt und der rundum sehenswert ist.

Im April 1967 führte der Geschichtslehrer Ron Jones zusammen mit Schülern und Lehrern an der Cubberley High School in Palo Alto ein Experiment durch. Auslöser waren Aussagen in der Klasse, dass Verhaltensformen des Nationalsozialismus »bei uns (in Amerika) nicht vorkommen könnten«. Die Schüler wurden in dem Experiment als »The Third Wave« (Die Dritte Welle) organisiert, bekamen Rollen zugeteilt und wurden Einschränkungen unterworfen; Verhaltensnormen wurden aufgestellt und streng durchgesetzt. Ursprünglich für einen Tag vorgesehen, lief das Experiment über fünf Tage. Aufgeschreckt durch die Leichtigkeit, mit der die Schüler sich vereinnahmen und manipulieren ließen, brach Ron Jones das Experiment abrupt ab, indem er in einer Schulversammlung den begeisterten Anhängern der »Dritten Welle« einen direkten Vergleich mit Jugendorganisationen im »Dritten Reich« vorführte.

1981 entstand für das US-Fernsehen der Film »Die Welle«. Im gleichen Jahr verarbeitete Morton Rhue das Drehbuch des Films zum gleichnamigen Roman.

Nun ist eine Neuverfilmung in den Kinos, die auf der Kurzgeschichte von Ron Jones basiert, die Handlung aber in das moderne Deutschland verlegt.

Rainer Wenger (Jürgen Vogel) lebt mit seiner Frau Anke (Christiane Paul) alternativ-rustikal auf einem Hausboot. Er ist Gymnasiallehrer und muss statt des von ihm gewünschten Kurses »Anarchie« das Thema »Autokratie« in einer Projektwoche behandeln. Als ehemaliger Hausbesetzer und Maidemonstrant wäre ihm das andere Projekt lieber gewesen, aber Wenger lässt sich etwas einfallen.
Er wird zum Führer einer Bewegung, die sich am dritten Tag den Namen »Die Welle« gibt. Befehlsverweigerer werden vor die Tür gesetzt, jeder Kurstag bekommt eine eigene Losung: »Macht durch Disziplin«, »Macht durch Gemeinschaft«, »Macht durch Handeln«... Schnell hat die Bewegung auch eine Uniform, weißes Hemd zu blauen Jeans.

Der Film hat mich beeindruckt, denn es gelingt, die Geschichte glaubhaft zu machen. heute und hier, in Deutschland. Am ersten Projekttag behaupten die Schüler noch, dass eine Diktatur hierzulande nicht mehr möglich wäre, und binnen einer Woche beweisen sie selbst, wie falsch diese Annahme ist.

Das Ende des Films ist keine Überraschung, eine tragische Entwicklung voraussehbar, und natürlich gibt es einige plakative Figuren, deren Verhalten ein wenig zu einschichtig ist. Aber an keiner Stelle wirkte der Film auf mich unglaubwürdig und die Spannung reißt nicht ab.

Mein Fazit: Anschauen. Auch und vor allem mit Kindern und Jugendlichen.

Foto © Constantin/Cinetext
Mehr zum tatsächlichen Experiment in Amerika: The Third Wave

Sonntag, 16. März 2008

Amerikanischer Humor

Manches, was die Amis lustig finden, kann mich kaum erheitern. Aber dieses Video über Achmed, den toten Terroristen, fand ich soooo lustig, dass ich es den Blogbesuchern, die des Englischen mächtig sind, unbedingt empfehlen möchte:


Viel Spaß!

Samstag, 15. März 2008

Liebe ändert Menschen

In Matthäus 5 fordert Jesus seine Zuhörer auf:
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! (Matthäus 5, 43-44)
Beten für Menschen, die uns verfolgen.... Den Feind nicht hassen... Eine ganz schöne Zumutung.

Das „Hassen der Feinde“, von dem Jesus hier redet, finden wir zum Beispiel in 5. Mose 23, 7:
Du sollst ihren Frieden und ihr Wohl nicht suchen alle deine Tage, für ewig.
Es ging an dieser Stelle des Alten Testamentes um die Nachkommen von Menschen, die Israel beim Auszug aus Ägypten behindert und verfolgt hatten. Diese sollten ausdrücklich aus der Fürbitte ausgeschlossen werden. Jesus macht hier deutlich, dass diese Regel des Alten Bundes mit seinem Kommen (wie so viele andere Vorschriften und Regeln) außer Kraft gesetzt wurde.

Aber er geht noch weiter: Fürbitte für die Feinde bezeichnet er in diesen Sätzen sogar als Ursache oder Bedingung für die Gotteskindschaft: Wir sollen unsere Feinde lieben und für sie beten, damit wir Kinder unseres himmlischen Vaters sind. Im Umkehrschluss heißt das, dass wir keine Kinder Gottes sein können, wenn wir – dem Alten Testament oder einfach den Gefühlen Folge leistend - unsere Feinde hassen.
Wenn wir einen Feind nicht hassen, dann schließt das ein, dass wir ihm seine Feindlichkeit nicht nachtragen. Das Thema Vergebung zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel, vor allem bei Stellen, die mit dem Gebet zu tun haben.

Ich musste Fürbitte für „Feinde“ mühsam lernen. Es gelang mir nicht auf Anhieb, als ich Christ wurde. Es gab Menschen, die mir absichtlich und bewusst wehtaten, mit Spott und kleinen Gemeinheiten. Meine natürliche Reaktion war: „Denen zahle ich das heim. Ich kann ebenfalls gemein sein, wartet nur ab!“ Das tat ich dann anfangs noch oft und wurde dabei nicht selten bösartiger als mein Widersacher es gewesen war.
Immer wieder erinnerte mich Gott daran, dass sein Wort eine andere Richtlinie enthält, immer wieder bat ich um Vergebung für meine menschliche Reaktion und entschloss mich bewusst, gegen meinen Rachedurst zu handeln. Ich wollte das tun, was Gott gefällt: Solchen Menschen vergeben, ihnen Gutes tun, für sie beten, sie womöglich sogar mit kleinen Geschenken der Liebe versorgen. Je länger ich das praktizierte, desto erstaunter war ich: Je mehr ich für Menschen betete, die mir übel gesonnen waren, desto schwerer wurde es mir, zu hassen oder zu vergelten, was mir jemand antat.
Es ging nicht von heute auf morgen, aber mein Charakter änderte sich. Die Umstände änderten sich übrigens ebenfalls – manch einer von meinen Quälgeistern wurde Christ. Fast immer erlebte ich aber, dass solche Menschen ihr Verhalten änderten, selbst wenn sie nicht gläubig wurden. Wenn ich nicht zurückgiftete, zurückschlug, Böses mit Bösem vergalt, wirkte sich das ganz offensichtlich auf das Verhalten der „Feinde“ aus.

Ich empfehle dies unbedingt zur Nachahmung, denn es macht auch das eigene Dasein um vieles angenehmer. Kaum jemand von uns hat Feinde, die ihm nach dem Leben trachten würden. Daher habe ich das Wort oben auch in Anführungszeichen gesetzt. Um so leichter wird es uns fallen, uns das Verhalten anzueignen, das Jesus hier lehrt. Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen.


P.S.: Dies ist ein Ausschnitt aus dem Buch »Ich aber habe für dich gebetet«

Freitag, 14. März 2008

Ich bin klein...

Ich bin klein,
mein Speicher ist rein,
soll niemand drin wohnen
als Linux allein.


Na ja, also das mit dem Linux bleibt abzuwarten. Vielleicht bekehrt er sich irgendwann zu Windows, aber andererseits habe ich schon Lust, mal den Pinguin kennen zu lernen.

Donnerstag, 13. März 2008

Gestern im Hausbibelkreis

Gestern im Hausbibelkreis fragte die Leiterin: »Welche Bibelstelle hat euch begleitet, so lange ihr Christen seid? Gibt es einen Vers oder Verse, die euch über die Jahre hinweg immer wieder wichtig und lebendig sind?«

Mir fiel die Antwort leicht, denn Epheser 2, 8-9 hat mich am Beginn meines Glaubenslebens tief angesprochen und berührt und ist noch heute, 35 Jahre später, eine der Schlüsselstellen in der Bibel für mich. Wie das damals geschah, habe ich in einem Buch geschildert. Hier die entsprechenden Absätze:
Mit dem 1. Januar 1973 begann ein langer harter Weg für Johnny. Diesmal sagte er niemandem, dass er sich für den Weg mit Jesus entschieden hatte. Er begann noch in der Nacht in seinem Bett, in der Bibel zu lesen, kam mit zum Neujahrsgottesdienst, saß in der letzten Reihe und verschwand gleich nach dem Ende, bevor ihn jemand ansprechen konnte. Er war nicht sicher, ob Gott ihn gehört und angenommen hatte. Er war nicht sicher, ob er es schaffen würde, diesen Weg zu gehen. Nichts war sicher, außer, dass er schon mehr als einmal versagt und alles hingeworfen hatte.
Das Drogenproblem war gar keines. Er hatte keinerlei Verlangen, weder nach Trips noch nach den sogenannten weichen Drogen. Am 3. Januar spülte er vier Trips, die er noch im Schubfach hatte, im Klo hinunter. Kein Entzug, keine Probleme. Von heute auf morgen.
Sein zynischer Charakter, der bis zur Brutalität boshaft sein konnte, seine Ausbrüche von Jähzorn, seine Verschlossenheit veränderten sich dagegen sehr langsam.
Sein Schweigen über das, was tief in ihm vorging, blieb. Er wehrte sich noch lange gegen jegliche Gefühle. Das Eis in seinem Herzen war so hart geworden, dass es Monate und Jahre dauerte, bis es zu schmelzen begann.

Er besuchte die Jugendmeetings und die Gottesdienste, vermied aber einsilbig jeden näheren Kontakt. Er sträubte sich hartnäckig dagegen, Zuneigung und Liebe zu empfangen.
Bis Anfang Februar zweifelte er daran, dass Gott ihn so ohne weiteres akzeptiert hatte, er ging davon aus, dass er sich erst einmal gehörig ändern und bewähren müsste. Wenn er irgendwann ein einigermaßen normaler, netter Junge geworden war, konnte er damit rechnen, dass Gott sich näher mit ihm beschäftigen würde.

Im Jugendmeeting stand eine Bibelarbeit über den Epheserbrief auf dem Programm. Robin hatte sich vorbereitet und leitete das Gespräch. Reihum las man jeweils ein paar Verse und sprach über den Inhalt. Den achten und neunten Vers aus dem zweiten Kapitel sollte Johnny vorlesen.
Sie trafen ihn wie eine direkte Ansprache von ganz oben, als Antwort auf seine nie ausgesprochene, aber in ihm bohrende Frage, was er tun müsse, um Gott zu gefallen.
Laut und deutlich las er vor: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden, durch den Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.”
Johnny überlegte gar nicht, was er tat. Er las die beiden Verse drei Mal hintereinander laut vor. Die anderen warteten geduldig, ob eine vierte Lesung folgen würde.
Johnny blickte auf, sah Robin an und fragte: „Stimmt das? Stimmt das wirklich?”
Robin erklärte es. Johnny begriff: er brauchte nichts tun, war bereits Gottes Kind, aus Gnade, ohne eigenes Zutun. Mehr behielt er nicht von diesem Abend im Kopf, aber an das Geschehnis erinnerte er sich sein ganzes Leben, weil es alle Zweifel, ob Gott ihn wirklich lieben konnte, beseitigen half. Gott konnte, stand hier in seiner Bibel.

Johnny wollte hundertprozentige Gewissheit, zu Hause betete er um ein Zeichen, wollte sich etwas Schwieriges wünschen, damit er sicher sein konnte, dass es wirklich Gottes Antwort war. Dass er, Johnny, gemeint war, und nicht nur irgendwelche Gläubigen vor 2000 Jahren in Ephesus.
Eins war ihm aufgefallen, seit Monaten: Kinder, kleine Kinder vor allem, hatten Angst vor ihm, ob sie ihn kannten oder nicht. Es war mehr als die natürliche Scheu vor Fremden. Sie verbargen sich hinter ihren Eltern, flohen vor ihm, wenn er zufällig in ihre Nähe kam. Es mochte sein, dass er eine so finstere Ausstrahlung bekommen hatte, dass die Kinder es spürten.
Nun bat er Gott: „Wenn es nicht zu unverschämt ist, würde ich sehr gerne eine Bestätigung haben. Lass mich Sonntag früh bitte irgendwie bemerken, dass ein Kind keine Angst vor mir hat. Ein fremdes, möglichst. Ja? Tust du das bitte für mich, Herr?“
Vermutlich lächelte Gott und beschloss, es so klar wie möglich zu machen.

Im Sonntagsgottesdienst saß Johnny auf seinem gewohnten Platz in der hintersten Reihe. Ein Krabbelkind rutschte während der Predigt drei Reihen weiter vorne vom Schoß seiner Mutter, kroch unter den Stühlen durch und kletterte auf Johnnys Schoß. Dort kuschelte es sich zufrieden in seinen Arm und döste ein.
Die Mutter sah sich ein paar Mal nach ihrem Kind um, aber Johnny bedeutete ihr mit einem glücklichen Lächeln, dass er ganz zufrieden damit war, das inzwischen tief und friedlich schlafende Kind zu halten.
Die Predigt war wieder sehr lang, es schloss sich noch eine Gebetszeit an. Die Kinderstunde war bereits zu Ende, während die Erwachsenen und Jugendlichen noch im Saal saßen.
Vier Kinder, zwischen 4 und 7 Jahren, dachten gar nicht daran, nach ihren Eltern zu suchen, sie machten es sich bei Johnny bequem. Ein Mädchen lehnte sich an seinen rechten Arm, ein Junge ließ sich zu seinen Füßen nieder, ein Zwillingspärchen rangelte darum, sich an Johnnys linke Seite zu lehnen. Alle wollten so nah wie möglich bei ihm sein.
Dass ihm die Tränen über die Wangen liefen, bemerkte er kaum.
Die Kleine an seiner rechten Seite holte ein ziemlich verdrecktes Taschentuch aus ihrer Hosentasche und wischte ihm sorgfältig die Wangen ab.
„Willst du einen Bonbon?” flüsterte sie in sein Ohr, weil die Erwachsenen ja noch beteten.
„Nein, danke”, flüsterte er zurück.
„Dann brauchst du auch nicht mehr zu weinen”, stellte sie mit ihrer unschlagbaren Logik fest. „Wenn ich wirklich traurig bin, gibt mir Mama einen Bonbon, und dann freue ich mich wieder. Wenn Du keinen Bonbon willst, bist du also nicht traurig.”
„Ich bin nicht traurig. Ich weine, weil ich mich freue.”
Damit war die Kleine ganz und gar zufrieden. Umringt von Kindern, ein friedlich schlummerndes Exemplar auf dem Schoß, verfolgte Johnny den Rest des Gottesdienstes.
Gott ist gut. Punkt.

Der Kleine...


...ist auf der Reise. Hat eine Nachtfahrt hinter sich. Ist seit 6:12 Uhr in Berlin. Dürfte heute sein Ziel in Berlin Lichterfelde erreichen.

Warum bin ich im Büro und nicht zu Hause? Warum ist noch nicht Feierabend? Haso hat seinen schon längst. Ooooooh, wann kommst Du?