Donnerstag, 12. November 2009

Markus Zusak: The Book Thief

Let’s go, Saukerl! … What do you bet, you little Saumensch? … She schmunzelled. … They returned to Frau Diller’s, Heil Hitlered and waited. - Dieses Buch sollte man, wenn man es denn vermag, unbedingt auf Englisch lesen. Der Sprachwitz, der durch die bajuwarischen Brocken entsteht, geht unweigerlich verloren, wenn eine Übersetzung ins Deutsche vorliegt. Und die Sprache, die Markus Zusak entwickelt, ist ganz hervorragend geeignet, den Leser nicht mehr von der Angel zu lassen, hat er erst einmal angebissen.
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Wir begleiten in The Book Thief Liesel Meminger durch fünf Jahre ihres Lebens im Hitlerdeutschland. Sie ist neun Jahre alt, als sie einer Pflegefamilie übergeben wird, die in der Himmelstraße in Molching wohnt, einem Vorort von München.
Der Tod selbst erzählt uns ihre Geschichte, auf eine Art und Weise, die mir in der Literatur noch nicht begegnet ist. Er ist nicht der grausame Sensenmann, sondern er tut einfach nur seine Arbeit, und die fällt ihm oft genug nicht leicht. Er weiß jedoch, dass alles Meckern oder Aufbegehren vergeblich wäre, also verrichtet er seinen Dienst so human - ist das Wort angebracht? - wie möglich.
Die Zeit, in der die Markus Zusak die Erzählung angesiedelt, ist alles andere als human. Manchem ist der Tod ein willkommener Besucher, mancher sucht ihn gar bewusst, weil das Leben unerträglich geworden ist. Viele holt der Tod auch ungefragt, weil The Führer nun einmal seine Wege geht.
Liesels kindliche, aber keineswegs kindische Perspektive auf das Leben wirkt von der ersten bis zur letzten Seite des Romans glaubhaft, es gelingt dem Autor, sich und den Leser in dieses Mädchen hineinzuversetzen. Das Kleinstadtleben unter den Nazis verändert sich langsam, jedoch unaufhaltsam. Misstrauen unter Nachbarn wächst, die Juden verschwinden aus der Stadt, um später in Ketten durch Molchings Straßen nach Dachau geführt zu werden, Hunger und Mangel nehmen zu. Und dennoch bleiben Kindheitsrituale wie Fußballspiele auf der Straße unverändert, hat das Leben auch heitere Facetten.
Markus Zusak hat für dieses Buch zwar keine herausragend neue Handlung ersonnen, aber er erzählt die Geschichte auf fesselnde Weise. Sein handwerklich makelloser Umgang mit der Sprache (wobei mitunter für den deutschen Leser die bayerischen Schnipsel in den Sätzen ziemlich amüsant sein können) ist das eine, die liebevolle Gestaltung des Buches mit kleinen Skizzen und Bildern, optisch herausgehobenen Anmerkungen des Todes zum Geschehen und die gelegentlichen Zeitsprünge das andere, was dieses Werk so einzigartig macht. Ich neige nicht zu Superlativen, aber hier ist ein klares Wort am Platz: The Book Thief ist eines der besten Bücher, die ich in den vergangenen Jahren gelesen habe.

Mein Fazit: Wer sich auf die Lektüre mit ihren überraschenden Eigenarten einlässt, beschenkt sich mit einem Leseerlebnis der unvergesslichen Art. Das Buch ist manchmal dramatisch, es ist zeitweise komisch, es ist stellenweise tragisch. Das Buch ist eben wie das Leben selbst.

Den Roman gibt es für 5,95 Euro (Taschenbuchausgabe) beispielsweise bei Amazon: The Book Thief

Mittwoch, 11. November 2009

Vermehrte Anzahl unbekannter Nebenwirkungen

Ich bin alt genug, um mich an die Contergan-Katastrophe zu erinnern. Meine Mutter nahm 1965 eines der geschädigten (und von den Eltern nicht erwünschten) Kinder in unsere Familie auf, ungefähr ein Jahr lang lebte die kleine armlose Sabine mit uns, bis sie dann von einer Familie in der Nähe adoptiert werden konnte. Damals war ein Medikament, das Contergan, nicht ausreichend und umfassen getestet worden, mit fatalen Folgen.

Und nun werden Millionen Menschen gegen die sogenannte Schweinegrippe geimpft, mit einem Wirkstoff, der laut EMA (Europäische Arzneimittelagentur) unter »außergewöhnlichen Umständen« zugelassen wurde.
Im Klartext heißt das, dass es bisher nicht möglich war, umfassende Informationen über den Pandemie-Impfstoff zu erlangen. Niemand kann wirklich sagen, ob oder welche Spätfolgen die Impfung anrichten wird. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte spricht von »einer möglicherweise vermehrten Anzahl unbekannter Nebenwirkungen.« Das ist fein formuliert. Es heißt nichts anderes, als dass die Mediziner nicht wissen, was der Impfstoff anrichten könnte.

Sicher: Es schien - falls die Horrormeldungen über die Gefährlichkeit von H1N1 stimmen - Eile geboten. Doch schon an den angeblichen Gefahren der Erkrankung haben etliche Fachleute Zweifel: Die Krankheitsverläufe seien bisher sogar milder als bei einer normalen Grippewelle gewesen.

Laut Hersteller GlaxoSmithKline aus Dresden reichen die konkreten Nebenwirkungen des Impfstoffs Pandemrix von »Hautrötung« bis hin zu »allergischen Reaktionen, die zu einem gefährlichen Blutdruckabfall führen, der unbehandelt zu einem Schock führen könne«. Klartext: Ist kein Arzt in der Nähe, stirbt eventuell der Geimpfte an den Folgen der Impfung.

Besonders fatal nennen Fachleute die Tatsache, dass sich viele Menschen bereits gegen die »normale Grippe« haben impfen lassen, bevor der H1N1-Impfstoff zur Verfügung stand. Dadurch steige das Infektionsrisiko ganz erheblich.
Unbestritten gibt es Todesfälle durch H1N1. Aber jede Saisongrippe hat bisher zu weit mehr Todesfällen geführt, als die angeblich so gefährliche H1N1-Infektion.

Haben wir es lediglich mit einem Riesengeschäft für die Pharmaindustrie zu tun? Oder sind wir Versuchskaninchen in einem Massentest von neuen Wirkstoffen? Manche Zeitgenossen wittern gar eine Verschwörung. Oder soll die Panikmache in den Medien von anderen - wirklichen - Problemen ablenken?

Ich werde mich nicht impfen lassen. Weder gegen die normale, noch gegen die sogenannte Schweinegrippe.

Mehr dazu in diesem unaufgeregten Artikel: Risiken und Nebenwirkungen

Dienstag, 10. November 2009

Gemeinsam geht es besser

Gestern in Berlin war wieder mal Gemeinsamkeit Trumpf. Der katholische König Robert und der evangelische König Wolfgang gestalteten gemeinsam einen Gottesdienst.

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Schön, dass so was möglich ist, sollte eigentlich viel öfter der Fall sein, nicht nur zu besonderen Anlässen. Die Gottesdienstbesucher waren Legion, und in der ersten Reihe saßen Königin Angela und Kaiser Horst, zwei Regenten, die sich auch sonst zu ihrem Glauben bekennen.

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Auch anschließend außerhalb der Kirche war Gemeinsamkeit zu sehen und zu hören. Und tatsächlich auch zu spüren. Sogar im staatsgastbedingten Megastau waren die Verkehrsteilnehmer geduldig, freundlich und zuvorkommend. Warum geht das eigentlich nicht jeden Tag?

Montag, 9. November 2009

Der Stern – 50 Pfennig.

In einem alten Album fand ich dieses leider nicht datierte Foto. Der Stern kostete offensichtlich 50 Pfennige. Ein ähnliches Modellauto besaß ich auch, mit Fernbedienung an der Strippe, die durch das Dach ging. Auch an einen Kran mit echten Ketten, aus robustem Blech, meine ich mich zu erinnern.

Das Album stammt nicht aus meiner Familie, daher kann es nicht Originalbestandteile meiner Kindheit abbilden, aber die Epoche dürfte in etwa die gleiche sein.

oldtimes

Ach, wie viele Geschichten stecken wohl in einem solchen Foto? Fünf? Zehn? Oder gar unendlich viele, die man nur zu erzählen anfangen muss?

Samstag, 7. November 2009

Die Entblößung - Teil 6

Der heroische und dramatische Dichter machen die Erregung der Leidenschaften zu ihrem vornehmsten Endzwecke. Er kann sie aber nicht anders erregen, als durch nachgeahmte Leidenschaften; und nachahmen kann er die Leidenschaften nicht anders, als wenn er ihnen gewisse Ziele setzet, welchen sie sich zu nähern, oder von welchen sie sich zu entfernen streben. Er muß also in die Handlung selbst Absichten legen, und diese Absichten unter eine Hauptabsicht so zu bringen wissen, daß verschiedene Leidenschaften neben einander bestehen können.
Weise Worte von Gotthold Ephraim Lessing in »Abhandlungen über die Fabel«. Ich würde mich nun nicht als »heroischen« oder »dramatischen Dichter« verstehen oder bezeichnen, aber zugestanden sei immerhin, dass bei manchen Texten »die Erregung der Leidenschaften« durchaus »mein vornehmster Endzweck« ist.
Offenbar sind diejenigen Leser der Entblößung, die sich an den Abstimmungen beteiligen, mehrheitlich leidenschaftlich erregt. Erst legen sie Wert darauf, dass Stephan Haberling schnellstmöglich seines Beinkleides beraubt wird, dann wollen sie ihn unbedingt im Adamskostüm vor Augen gemalt bekommen.
Nun gut. Spielregel ist Spielregel, und wie Loriot sagte: Wenn man sich nicht an die Regeln hält, macht es keinen Spaß. So sei es denn heute so weit. Allerdings bleibt es, was meinen Freund Stephan betrifft, bei der verbalen Entblößung, die zugehörigen Fotos möge sich jeder selbst ausmalen. Statt dessen sehen wir Michelangelos David, herzlichen Dank an Wikicommons.
Ach ja. Beinahe hätte ich es vergessen. Falls jemand mentale Auffrischung bezüglich der vorhergegangenen Teile benötigt: Teil 1 /// Teil 2 /// Teil 3 // Teil 4 // Teil 5

So. Nun aber wirklich Teil 6.


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Nun ja. Wenn etwas nicht aufzuhalten ist, dann muss man das Beste daraus machen, dachte Stephan Haberling, als er wieder zu Hause war. Eigentlich war er müde, aber doch so aufgewühlt, dass an Schlaf einstweilen noch nicht zu denken war.

Lisa, die tot geglaubte Schwester seiner wirklich toten Frau, hatte ihm eine Kopie des Briefes mitgegeben, den Isis am 30. August 2001 geschrieben hatte. Vieles in den Zeilen war verschlüsselt, aus Gründen, die er jetzt nach dem Abend mit Lisa besser verstand. Selbst wenn die Briefe durch vertrauenswürdige Menschen persönlich transportiert und abgeliefert wurden, bestand immer die Gefahr, dass sie in Hände gerieten, in denen sie nichts zu suchen hatten. In diesem letzten Schreiben hatte Isis allerdings die Vorsicht ziemlich außer Acht gelassen, vermutlich wegen der zunehmenden Verzweiflung über die fehlenden Puzzleteile. Stephan Haberling nahm den Brief zur Hand und las ihn noch einmal.

Geliebte A.,

ich fliege nächste Woche nach New York, vielleicht finde ich dort die fehlenden Briefmarken zu meiner Sammlung? Ich habe in den letzten Wochen das aktuelle Albumblatt bis auf zwei Exemplare gefüllt. Mir fehlen nur noch die Marke mit dem Bild der Piloten und die Marke mit der Landkarte. Falls Du inzwischen bei Deiner Suche eine der Briefmarken gefunden hast, lass es mich bitte wissen. Der Kunde muss das komplette Album so schnell wie möglich bekommen.

Ich trenne mich ungern schon wieder von S., aber in diesem Fall muss ich reisen, es ist zu wichtig, um es anderen zu überlassen.

Erinnerst du dich, als wir ungefähr 12 oder 13 Jahre alt waren und über unsere zukünftigen Männer gesprochen haben? Damals haben wir einander kindlich naiv versprochen, dass wir, falls eine von uns stirbt, den Mann heiratet, der als Witwer zurückbleibt. Nun sind wir keine Kinder mehr, aber je länger ich mit S. zusammen bin, desto mehr wünsche ich mir, dass er im Fall der Fälle nicht sein restliches Leben lang in seiner Trauer zurückbleibt. Er würde sich zurückziehen, eingraben, in ein Schneckenhaus verkriechen. Äußerlich würde alles normal aussehen, aber innerlich würde er zugrunde gehen.

Ich habe dir ja schon viel über S. erzählt, du weißt, was er mir bedeutet. Wir sind keine 12- oder 13jährigen Mädchen mehr, und ein Kindheitsversprechen von solcher Kurzsichtigkeit ist natürlich hinfällig. Aber, meine geliebte A., falls mir etwas zustoßen sollte und du noch keinen Mann gefunden hast, würdest du mir dann den Gefallen tun, S. kennen zu lernen? Nur einfach kennen lernen. Und dann folge deinem Herzen.

Ich muss schließen, es gibt noch einiges zu planen für die Reise. Ich hoffe, dass ich gesund zurückkehre, nachdem ich das Briefmarkenalbum vervollständigt und übergeben habe.

Sei lieb gegrüßt und geküsst, Deine I.

Er wusste nicht so recht, ob ihm die ganze Geschichte geheuer war. Er kannte Lisa nüchtern betrachtet überhaupt nicht, so vertraut und geliebt sie auch in seinen Empfindungen bereits sein mochte. Sein Verstand und seine Gefühle stritten erbittert um die Regierungsgewalt in seinem Leben. Wer letztendlich gewinnen würde, war nicht abzusehen. Und was die öffentliche Entblößung betraf, da war er vollends ratlos. Stephan Haberling schloss die Augen und schlief auf seinem Sofa ein.

Als er aufwachte, war er einen Moment lang versucht, alles als skurrilen Traum abzutun. Doch auf dem Boden vor dem Sofa lag der Brief, und als er seinen PC hochgefahren und die Picasagalerie geöffnet hatte, gab es nichts mehr zu mutmaßen. Auf dem neuen Bild trug er nur noch das T-Shirt, und das war kurz genug, um nichts zu verbergen.

Sein Sportlehrer hatte ihm, er mochte damals 12 Jahre alt gewesen sein, einmal gesagt: »Daran ist doch nichts peinlich, meinst du, du wärest der einzige Junge, der sich normal entwickelt?« Nach dem Schwimmunterricht pflegte der Lehrer zusammen mit den Schülern zu duschen, und der Duschraum hatte keinerlei Abtrennungen, sondern jeder konnte jeden sehen. Stephan Haberling hatte sich zur Wand gedreht und wollte nicht aufhören zu duschen, weil sein Penis steil nach oben zeigte, statt brav herab zu hängen. Mit hochrotem Kopf versuchte er krampfhaft, an irgend etwas zu denken, was die Erregung hätte verscheuchen können, aber es war ein vergebliches Unterfangen.

Der Lehrer bemerkte die Situation und reichte ihm mit seinen Worten ein Handtuch. Stephan nahm es dankbar und wickelte es um die Hüften. »Man kann nicht keine Erektion bekommen«, meinte der Lehrer, »zumindest nicht in deinem Alter. Später im Leben wird das manchmal anders herum ein Problem.«

Im Jahr 2001 war er längst nicht mehr in jenem Alter, in dem der Strudel der Hormone dafür sorgt, dass ein Junge niemals und nirgends vor dem Eigenleben unter der Gürtellinie sicher sein kann. Er war allerdings auch noch nicht in jenem problematischen Alter, von dem sein Sportlehrer damals gesprochen hatte.

Isis und er hatten eines Tages darüber gesprochen, warum es so viele Aktfotos von Frauen und so wenige von Männern gab.

»Frauen sind einfach ansehnlicher«, mutmaßte Stephan. »Männer sind grundsätzlich nicht hübsch.«

»Nein, das stimmt nicht«, widersprach Isis. »Es liegt an der Nachfrage. Männer wollen solche Fotos sehen, Frauen eher nicht.«

»Warum gibt es dann in der Antike genauso viele Statuen und Gemälde von unbekleideten Männern wie Frauen?«

Isis meinte: »Die Antike war nicht so verklemmt, vielleicht? Aber warum gibt es heute mehr weibliche Aktfotos als männliche?«

»Weil man bei Statuen und Gemälden die unschöne Wahrheit etwas aufhübschen kann. Ein Foto zeigt immer die grausame Wirklichkeit.«

»Also ich würde ein Foto von dir nicht grausam finden,« grinste Isis unternehmungslustig.

»So so.«

»Jawohl.«

»Aha.«

»Nun zieh dich schon aus. Ich hole die Kamera.«

Schon bei dem Gedanken, dass er seiner Frau Modell stehen sollte, hatte sich the exitement eingestellt, nicht weiter verwunderlich, und das war überhaupt nicht peinlich, da die beiden keine Gesellschaft hatten. Als Hintergrund wählten sie die hellgrün getünchte Gartenmauer, innerhalb des Gartens und abgeschieden von neugierigen Blicken. Er stand im Adamskostüm auf den warmen Terrassenfliesen, Isis schoss fröhlich kichernd Foto auf Foto.

»Streck dich mal nach oben, als wollest du nach den Wolken greifen.«

Er streckte sich und fragte: »Wieso das denn?«

»Um das Foto aufzuhübschen wie ein Gemälde. Dann hast du einen Waschbrettbauch und überhaupt...«

Später begutachteten sie am Bildschirm die Ausbeute des nachmittäglichen Fotovergnügens. Isis fand eines der Greif-mal-nach-den-Wolken-Bilder am schönsten, im Halbprofil, den Blick und die Arme erhoben, als wolle er etwas im Bild nicht Sichtbares erreichen. Nicht nur die Arme und der Blick richteten sich gen Himmel.

»Lass die bloß niemanden sehen«, meinte Stephan, während Isis vergnügt schmunzelnd das Dateiverzeichnis »Wolkengreifer« nannte und schloss.

Stephan Haberling war überzeugt gewesen, dass das Notebook zusammen mit Isis von dieser Welt verschwunden war. Nun hatte ihn die Entblößung im Internet eines Besseren belehrt. Irgendwie musste Lisa in den Besitz der Fotos gekommen sein, er glaubte nicht, dass Isis die Dateien kopiert und ausgerechnet ihrer Schwester gegeben hatte. Eigentlich konnte sie nur – auf welchen Wegen auch immer – den Computer bekommen haben.

Wie es Lisa gelungen sein mochte, aus den Fotos eine schrittweise Entblößung zu zaubern, war ihm allerdings schleierhaft. Er verstand kaum etwas von Bildbearbeitung am PC, er wusste nur, dass damals alle Bilder textilfrei waren, abgesehen davon, dass er die etwas zu großen Jockey-Briefs noch gar nicht besessen hatte. Auch das Freizeithemd war nicht so alt. Woher konnte Lisa wissen, was in seinem Kleiderschrank lag, und wie konnte sie ihn mit den Kleidungsstücken ausstatten und vor den Hintergrund ihres eigenen Wohnzimmers stellen? Und was, vor allem, bezweckte sie überhaupt?

Man könnte das ja noch aufhalten. Irgendwie. - Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andren zu. Kryptische E-Mails einer kryptischen Ägypterin, die jetzt als Deutsche mit italienerischer Abstammung in sein Leben getreten war. Getreten? Nein, eingebrochen, auf denkbar unerhörte Weise. Er hatte keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte.

Als er in die Küche gehen wollte, um seiner De Longhi eine Tasse Kaffee zu entlocken, klingelte das Telefon.

»Haberling.«

»Lisa.«

»Das ist gemein. Nun stehe ich so gut wie nackt im Internet. Und das, was noch verhüllt ist, ist unerheblich, während sich Unverhülltes erhebt.«

»Treffen wir uns heute zum Mittagessen? Hast du Zeit?«

»Lisa, bitte! Was soll das?«

»Zwölf Uhr im Tomasa? In Zehlendorf?«

Er antwortete nicht gleich. Wieder rang der Verstand mit den Gefühlen. Es war vollkommen unsinnig, mit der Urheberin der Galerie gemütlich zu speisen, statt dessen sollte er eigentlich Anzeige erstatten und die Polizei konnte dafür sorgen, dass die Fotos schnellstens verschwanden. Andererseits sehnte sich alles in ihm nach jeder Minute, die er mit Lisa verbringen konnte. Einfach in ihrer Nähe sein war schon eine Wohltat für seine Seele. Trotz aller Unverständlichkeiten und Fragwürdigkeiten.

Lisa wartete schweigend am Telefon.

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Und wie geht es nun weiter? Diesbezüglich haben wieder die Leser die Qual der Wahl.

Nachtrag 11.11.: Wer mag, kann natürlich noch klicken - aber die Entscheidung von heute früh gilt. Lisa und Stephan sind inzwischen bei Tomasa eingetroffen und essen Zanderfilet bzw. Rumpsteak.

Lecker Mittagessen mit Lisa?
Nee, nie und nimmer! Kommt nicht in Frage.
Na klar doch! Guten Appetit.
Auswertung

Fortsetzung, der regelmäßige Blogbesucher ahnt es schon, folgt.

Freitag, 6. November 2009

Ein Wort zu einigen gelöschten Beiträgen

Wo ist denn die Reihe »Das Ende der charismatischen Bewegung« geblieben, fragen sich und mich einige Leser. Die Antwort ist ganz einfach: Ich habe sie von meinen Seiten entfernt.

Der Grund ist folgender: Offensichtlich haben (hier mit Bedacht nicht näher bezeichnete) »nationale Agenturen« aus meinem Gesamttext einige Ausschnitte herausgenommen und daraus etwas konstruiert, was überhaupt nicht meiner Absicht mit dem Beitrag entsprach.
Fakt ist, dass nicht zuletzt aufgrund Ihrer Veröffentlichung, nationale Agenturen das Ende der charismatischen Bewegung in Deutschland vermelden, was so ganz sicher nicht stimmt. Das ist eine absolute Falschmeldung, die dazu geeignet ist die bestehenden Gemeinden der Bewegung unter Druck zu setzen und sie der Orientierungslosigkeit preis zu geben. … Das würde heissen, dass die Gemeinden sich quasi auflösen und ihre Inhalte preisgeben für die sie gestanden haben und es die Bewegung so nicht mehr gibt. Das kann so nicht gemeint sein.
Dies schrieb mir (unter anderem) jemand aus einer großen Gemeinde im Süden Deutschlands, deren Pastor ich außerordentlich schätze. Ich mag in manchen Punkten nicht mit dem übereinstimmen, was dieser oder andere Pastoren lehren, aber es war nie meine Intention, irgend einer Gemeinde, sei sie nun charismatisch oder nicht, Schaden zuzufügen.

Mir geht es, ob nun katholische, evangelische, methodistische, charismatische, baptistische oder sonstige Prägung vorliegt, darum, dass die Gemeinde (als Ganzes verstanden) ihrer Bestimmung näher kommt: Die Hölle zu plündern und den Himmel zu bevölkern, um es mit den Worten des von mir ebenfalls hoch geschätzten Reinhard Bonnke zu sagen.

Wenn ich also meinen als Diskussionsanstoß gedachten Beitrag hier entfernt habe, dann nicht deshalb, weil ich in den darin angesprochenen Punkten meine Meinung geändert hätte, sondern darum, weil er von gewissen Seiten her missbraucht wurde.
Ich bleibe dabei, dass aus meiner (sicherlich beschränkten) Sicht die emergente Bewegung die momentan einzig erkennbare Chance ist, als Gemeinde wieder relevant zu werden für unsere Gesellschaft. Dabei werden Fehler passieren, Irrtümer unterlaufen, Korrekturen notwendig werden.
Und ich bleibe dabei, dass die charismatische Bewegung ein wichtiger und unverzichtbarer Teil der Gemeindelandschaft ist – in dem genauso Fehler passieren und Irrtümer unterlaufen und Korrekturen notwendig sind.

Ich hoffe, dass dies dazu beitragen kann, Missverständnisse - zumindest soweit sie mich betreffen - aus dem Weg zu räumen.

Wenn das Brandenburger Tor zur Leinwand wird...


...dann heißt das, dass U2 auf der Bühne steht und ein kostenloses Mini-Konzert gibt. Mit 30 Minuten Verspätung ging es gestern Abend los, und es gab 30 statt der angekündigten 20 Minuten Musik. Da kann man ja nicht meckern.

Der Auftritt begann mit One, gefolgt von Magnificent und Sunday Bloody Sunday. Bei diesem Song war Jay-Z dabei, ein mir unbekannter Künstler, den aber der überwiegende Rest des Publikums zu kennen schien. Es folgte Beautiful Day, dann ein furioses Vertigo und zum Abschluß gab es eine wunderschöne Version von Moment of Surrender.

»Happy Birthday, Berlin!«, gratulierte Bono und verabschiedete sich mit einem Segen: »God bless you, and keep you save!« Was soll man da noch hinzufügen außer: Danke U2, für dieses nette Geburtstagsgeschenk.


Wer nicht dabei sein konnte, oder dabei war und die 30 Minuten noch mal erleben will: Bei u2tour.de gibt es Links zu den Videos und zum MP3-Download des kompletten Konzertes. Die MP3-Datei hat allerdings leider eine hundsmiserable Tonqualität. Hier klicken: U2 für die MTV EMA am Brandenburger Tor.

Donnerstag, 5. November 2009

Gastbeitrag Steve Turner: Das Beispiel U2

Anlässlich des heutigen kostenlosen Mini-Konzertes von U2 am Brandenburger Tor in Berlin, dem beizuwohnen ich die große Freude haben werde, präsentiere ich der geschätzten Leserschaft einen Auszug aus dem Buch »Imagine« von Steve Turner, das ich vor einiger Zeit für den Verlag ins Deutsche übersetzt habe.

In diesem Kapitel macht der Autor am Beispiel der Band U2 deutlich, wie Christen Kunst und Kultur durch ein lebendiges Zeugnis ihres Glaubens prägen können. Am Ende gibt es einen Link zum sehr lesenswerten Buch. Doch zunächst hat Steve Turner das Wort:

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Können wir uns Christen vorstellen, die eher zum Künstler berufen sind als zum Prediger? Die nicht nur in der Kunstrichtung ihrer Wahl Eindruck hinterlassen, sondern dies auch noch so tun, dass sie Aufmerksamkeit für eine Weltanschauung erregen, die anders ist als die ihrer Zeitgenossen, eine Weltanschauung, die zum Gespräch anregt? Könnte es sein, dass Christen tatsächlich etwas zu den großen Debatten dieser Welt beizutragen haben?

Es ist nicht nur möglich, sondern es geschieht sogar. Ich habe ein Beispiel aus der Rockmusik gewählt, zum Teil wegen meiner Kenntnisse im Bereich der Musik, zum Teil, weil ich die beteiligten Personen kenne und ihre Geschichte mit besonderem Interesse verfolgt habe.

Als ich 1970 anfing, über Musik zu schreiben, wusste ich von keinem Christen, der in den höheren Ebenen des Rock gearbeitet hätte, niemand glich einem John Lennon, Jerry Garcia oder Jim Morrison. Es kursierten Gerüchte, Eric Clapton sei zum Herrn gekommen, Keith Richards wäre ein wiedergeborener Gläubiger. Keines der Gerüchte erwies sich als wahr.

U2 1980 Dann änderten sich die Dinge. 1980 erzählte man mir von »dieser Punk-Gruppe aus Dublin«, in der drei der vier Mitglieder Gläubige seien. Bald gab mir jemand die Bandaufnahme einer Session, bei der Bono, der Sänger und Edge, der Gitarrist, einer kleinen Gruppe von Christen ihre Vision für die Rockmusik mitteilten. Es war ziemlich außergewöhnlich. Bono las aus Jesaja 40, 3: »Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN! Ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!« Er empfand, dass dieser Vers das zusammenfasste, wozu er berufen war.

Obwohl auch jeder Fehler, den die Band in den letzten zwanzig Jahren gemacht hat, öffentlich bekannt wurde, hat U2 sachkundig ein Gesamtwerk geschaffen, das aus den besten Traditionen der modernen Musik genährt wurde, etwas Einmaliges hinzutat und das eine Vision in sich trägt, die eindeutig in der Bibel verwurzelt ist. Mehr als jede andere Formation in der Geschichte der Rockmusik haben sie Gott, Jesus, die Bibel und eine christliche Weltanschauung auf die Tagesordnung gezwungen. Rockkritiker konnten in den 1970ern den Jesusrock ignorieren (was sie auch taten), aber sie konnten U2 nicht ignorieren; sie mussten eine Stellungnahme über die Werte, für die U2 stand, abgeben.

Was U2 tat, funktionierte, weil sie sowohl Respekt vor der Kunstform des Rock hatten als auch vor den Inhalten des Christentums. Ihre sich entwickelnde Weltanschauung war in ihre Kunst integriert, weil sie instinktiv wussten, wie zeitlose geistliche Wahrheiten mit jugendlichen Ängsten, Ekstasen und Idealen zusammentreffen können.

Es hatte schon viele große Rocksongs über die Sprachlosigkeit gegeben, aber vor »Gloria« (1981) gab es keinen, der das Thema auf das Gefühl, nicht zu wissen, wie man beten soll, ausgeweitet hatte, auf das »unaussprechliche Seufzen«, von dem Paulus im Römerbrief spricht.

Es hatte auch schon viele Lieder über den Wunsch nach Veränderung der Welt gegeben, aber kein Song vor »New Year’s Day« (1983) kam als Schlussfolgerung auf Bilder aus dem Matthäusevangelium und der Offenbarung.

In der Frühzeit der Band gab es einen Eifer, der darauf hinwies, dass sie meinten, nur mit einer großen Anzahl von spezifischen Statements über den Glauben in ihren Texten in der Rockwelt tätig sein zu dürfen. Im Hintergrund gab es die Menschen in ihrer charismatischen Gemeinde, die der Meinung waren, dass das Leben eines Rockstars im Widerspruch zum Ruf Christi, demütige Diener zu sein, stand, weil es von seiner Natur her darauf abgelegt ist, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Band hat das nicht von vorne herein von sich gewiesen, sondern sie forschten, was Gott von ihnen wollte, während sie Songs für das Album October (1981) schrieben. Das erklärt den Schrei nach Leitung und das Versprechen der Unterordnung in Liedern wie »Gloria« und »Rejoyce«.

LP Cover: October Selbst zu dieser Zeit hatte Bono den Hang, Lieder zu schreiben, als wären zwei Gehirne am Werk. Vielleicht war es auch der eine Verstand, der mit zwei Ebenen der Realität beschäftigt war. Er konnte über etwas schreiben, was er im Fernsehen gesehen hatte und plötzlich war er vor dem Grab Christi; oder er schrieb über polnische Arbeiter und sein Geist landete bei der Wiederkunft Christi. In »Surrender« auf dem Album War (1983) scheint er über ein Mädchen auf der Straße zu schreiben, aber dann wird er abgelenkt von einem Stück Theologie des Paulus. »If I want to live, I’ve got to die to myself someday.« (Wenn ich leben möchte, muss ich eines Tages mir selbst sterben) schreibt er.

Diese Schichten haben den Effekt, als blicke man auf eine von diesen Hologrammpostkarten. Mit der normalen Wahrnehmung erkennen wir die glatte Oberfläche, die wir Realität nennen. Wenn wir die Karte drehen, entdecken wir eine andere Dimension, die zwar die ganze Zeit vorhanden, aber für uns unsichtbar war. Bono schaut das Alltägliche an und landet bald in den Bereichen, die nur ein Christ sehen kann. Und dann kehrt er wieder zurück.

Die drei christlichen Mitglieder von U2 (Bono, Edge und Larry Mullen jr.) wussten, dass im Rock Gefahren lauerten, aber sie beschlossen, lieber mit den Widersprüchlichkeiten zu leben, als aufzugeben. Sie entschieden auch, dass ihre Existenz nicht durch die Menge von Evangelium gerechtfertigt war, die sie austeilen konnten. Das Resultat war, dass U2 intensiver wurde und der Glaube natürlicher das Liederschreiben Bonos durchflutete.

Einige Lieder sind Übungen im Sound, oder sie experimentieren mit Worten. Bono nimmt eine Zufallsphrase wie »Hawkmoon 269« »Unforgettable Fire« oder »Shadows and Tall Trees« als Sprungbrett in eine Übung der Selbsterforschung. Der Text zu »Is That All« wurde im Studio improvisiert, nachdem die musikalische Atmosphäre geschaffen worden war.

Besonders der Produzent Brian Eno ermutigte die Band, nichtlineare Methoden der Kreativität auszuprobieren, anstatt vorbereitete Statements zu Songs zu verwandeln. Soundchecks und Jam Sessions wurden aufgenommen, damit neue musikalische Themen erkennbar wurden. Fehler wurden als Hinweise auf unentdeckte Ideen verwendet, anstatt sie wegzuwerfen. Ein Motto von Eno war: Ehre den Fehler als eine versteckte Absicht.

Es gibt eine zweite Gruppe von Liedern, die bewusster konstruiert sind und sich mit gemeinsamen menschlichen Erfahrungen beschäftigen. Es sind Liebeslieder wie »With Or Without You«, Lieder über den Tod wie »One Tree Hill« oder Lieder über Zweifel wie »The First Time«. Sie zeigen nicht immer eine offensichtlich christliche Lösung auf, weil das nicht notwendig ist. Es genügt, dem Publikum mitzuteilen, dass du genau wie die Zuhörer geliebt, Verlust erlitten, gefeiert und getrauert hast.

Im dritten Bereich sind die Songs, die ein biblisch erwecktes Bewusstsein zeigen. Christus zeigte sich besonders besorgt um die Schwachen, Armen, Beraubten, Entfremdeten, Ausgebeuteten und den an den Rand Gedrängten. Man kann erwarten, dass sich diese Sorge auch in der Kunst seiner Nachfolger widerspiegelt.

Die Auswirkungen dessen, was U2 über den persönlichen Glauben gesagt hat, wäre empfindlich gemindert worden, wenn sie nicht diese Gebote ausgelebt hätten. Ich bin überzeugt, dass ein großer Teil des Respekts, der ihnen jetzt entgegengebracht wird, dadurch entstanden ist, dass sie als Menschen angesehen werden, die zu ihrem Wort stehen. Das Evangelium erscheint den Menschen sinnvoller, wenn sie es gelebt sehen anstatt es nur als Worte zu hören.

U2 war Vorreiter der Einbindung von Rockmusik in globale Themen seit 1985, als sie bei Live Aid auftraten, ein Benefizkonzert für die Menschen in Äthiopien. Neben Bonos persönlichen Besuchen an Brennpunkten der Not und der Beteiligung der gesamten Band an Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace und Jubilee 2000 hat U2 zahlreiche kraftvolle Songs veröffentlicht, die darauf abzielen, die traurige Lage der Unterdrückten und Zerbrochenen auf dieser Welt zu verstehen.

»Silver and Gold« war eine Reflektion über die Apartheid, »Red Hill Mining Town« trat in die Gedankenwelt einer Britischen Bergbaubevölkerung ein, deren Gruben geschlossen wurden. »Mothers of the Disappeared« erhob die Stimme für die Argentinier, die ihre Kinder während der Herrschaft der Militärjunta verloren hatten. Natürlich hätte jedes dieser Lieder von einem Ungläubigen geschrieben werden können. Aber obwohl Mitleid nicht exklusiv dem Christentum gehört, hat U2 richtig gehandelt, indem die Band diese Sorgen zu einem integralen Teil ihres Werkes gemacht hat.

Dann kommen wir zum Bereich, in dem wir Lieder vorfinden, die eine klare christliche Ausprägung haben, aber nicht alle losen Fäden verknüpfen. Manchmal benutzt Bono, wie schon erklärt, eine sich verschiebende Perspektive, so dass der aufmerksame Zuhörer mit etwas sehr irdischem angesprochen und dann plötzlich in etwas viel größeres hineingezogen wird. U2 zur Zeit, als How to dismantle an atomic bomb entstand

Der Song »Mysterious Ways« zum Beispiel beginnt damit, dass Johnny spazieren geht. Johnny ist seit Chuck Berry der Rock-Jedermann. In diesem Song ist aber seine Schwester der Mond. (Anmerkung des Übersetzers: Im Deutschen ist der Mond männlich, im Englischen funktioniert das besser: His sister, the moon.) Dies mag uns an Franz von Assisi erinnern und sein Gebet »An den Bruder Sohn und die Schwester Mond«. Wir wissen aber auf jeden Fall, dass es nicht um Johnny B. Goode geht, und dass sein Ziel nicht die Erfüllung in Hollywood ist. Dann kommen die Zeilen: »If you want to kiss the sky / you better learn how to kneel« (Wenn du den Himmel küssen willst / dann lernst zu besser, zu knien). In »Purple Haze« hatte Jimi Hendrix die Zeile »Excuse me, while I kiss the sky!« (Entschuldige mich, solange ich den Himmel küsse.) - was als wilde psychedelische Phantasie interpretiert worden war. Könnte Bono andeuten, dass man für das ultimative transzendentale Erlebnis tatsächlich in Buße und Gebet auf die Knie gehen muss?

Dann kommt der Chorus, »She moves in mysterious ways« (Sie bewegt sich auf geheimnisvolle Weise), was sich auf die »Schwester Mond« zu beziehen scheint. Der Ausdruck »mysterious ways« ist jedoch ein Bezug auf die Hymne des calvinistischen Poeten aus dem 18ten Jahrhundert William Cowper: »God moves in mysterious ways / His wonders to perform« (Gott bewegt sich auf geheimnisvolle Weise, um Seine Wunder zu tun). Diese Anspielung scheint durch den Schlußchorus bestätigt zu werden: »We move through miracle days / Spirit moves in mysterious ways« (Wir bewegen uns durch Tage der Wunder / der Geist bewegt sich auf geheimnisvolle Weise).

In einem Interview bestätigte Bono, dass der Song mehr als eine Ebene hat. »Es ist ein Lied über Frauen oder eine Frau«, sagte er einerseits. An anderer Stelle sagte er, dass das Lied etwas mit seinem Glauben zu tun hat, »der Heilige Geist habe feminine Eigenschaften«. In der Vorstellungskraft eines Christen deutet das Sichtbare auf das Unsichtbare.

Manchmal scheint Bono in einem bestimmten Kapitel oder Buch der Bibel förmlich zu baden, um dann ein Rock-Update zu schreiben. Das Lied »40« ist beinahe wörtlich aus dem Psalm 40 übernommen, »Fire« nimmt seine Bildersprache aus der Offenbarung. »With a Shout« lässt die Schlacht um Jericho wieder auferstehen und »The Wanderer«, gesungen von Johnny Cash (einem angemessen vom Leben gesättigten Gläubigen) auf dem Album Zooropa (1993) war Bonos Fünf-Minuten-Version des Buches Prediger, ursprünglich unter dem Titel »The Preacher« geschrieben.

Nicht alles biblisch inspirierte Material ist erbaulich. Eine der Lektionen, die Bono aus den Psalmen gelernt hat, ist die, dass es zulässig ist, mit Gott zu streiten. Es gibt Zeiten, in denen sich der Christ genauso niedergeschlagen fühlt wie jeder andere Mensch, aber anstatt sich umzubringen oder zu betrinken, schreit er zu Gott, in dem Bewusstsein, dass Gott die Angewohnheit hat, zurück zu schreien.

Manchmal scheint dieses Streitgespräch in Bonos eigener Stimme aufzutauchen - der Christ, der nach einer Erklärung ruft - manchmal erscheint es mit der Stimme verschiedener desillusionierter und verletzter Menschen. Lieder wie »If God Will Send His Angel« (Wenn Gott seinen Engel schicken wird), in dem es heißt »God has got his phone off the hook babe / Would he pick it up if he could?« (Gott hat seinen Telefonhörer nicht aufgelegt / würde er den Anruf entgegennehmen, wenn er könnte?) und »mofo«, in dem es heißt »Lookin’ for to fill that God shaped hole« (Ich versuche, dass gottförmige Loch zu füllen) sind wie Psalmen der Straße, Gebete von Menschen, die kaum wissen, wie man betet.

»Drowning Man«, ein Lied aus dem Album War, dreht den Prozess um. Es schreit kein Mensch nach Gott, sondern Gott ruft nach dem Menschen, bietet eine Hand der Freundschaft an.

Die überzeugendste Anziehungskraft des Christentums war für Bono als Teenager die Vorstellung, dass Gott an ihm interessiert war. Nicht ein Gott, sondern Gott. »Worauf sollen wir diese Beziehung gründen?«, fragte er. »Die Beziehung muss mit dem Vater anfangen und dann mit Christus bestehen, dem Sohn des Vaters.«

CD Cover: All that you can't leave behindDurch das Album All That You Can’t Leave Behind zieht sich ein Thema, das den Ewigkeitstest besteht: Was bleibt zurück, wenn wir sterben, und was können wir mit uns nehmen? Das Albumcover zeigt die vier Mitglieder der Gruppe stehend im Flughafengebäude. Es wird ein Gefühl erweckt, das uns überkommt, wenn wir fliegen und - wie flüchtig auch immer - mit dem Gedanken spielen: Was wäre, wenn dies unser letzter Flug ist? Auf die CD ist ein Bild von einer Frau und einem Kind gedruckt, auf dem Cover aus der Entfernung zu sehen, verwischt und eine Reminiszenz an Kinobilder von todesnahen Erfahrungen, von Menschen, die in eine unbekannte Zukunft gehen.

Das Lied »Walk On«, aus dem der Albumtitel stammt, scheint sich auf 1. Korinther 13 und die Lehre, dass von allen Gaben, die wir besitzen, nur die Liebe über den Tod hinaus bestehen wird, zu beziehen. »The only baggage you can bring is all that you can’t leave behind.« (Das einzige Gepäck, das du mitnehmen kannst ist all das, was zu nicht zurücklassen kannst.)

Auf dem gleichen Album dreht sich der Song »Grace« um das, was der Titel (Gnade) vermuten lässt: Ein »Gedanke, der die Welt verändert hat«, wie der Text erklärt. Bono malt ein Bild der Gnade als eine weibliche Person, die »Schönheit aus hässlichen Dingen macht«. »Grace, she takes the blame, she covers the shame, removes the stain. It could be her name.« (Gnade, sie nimmt die Schuld, sie bedeckt die Schande, entfernt den Fleck. Es könnte ihr Name sein.)

Das bringt uns zu dem Bereich der Lieder, die eine offensichtliche Botschaft haben. Wie geht eine Rockband mit dem völlig unmodernen Thema des Kreuzes um? Es scheint, dass U2 wegen der aufregenden Musik und der Stärke ihrer Vision in der Lage war, Dinge zu erreichen, die schwächere, weniger phantasievolle Künstler niemals hätten schaffen können.

»Sunday Bloody Sunday« (der Titel »Sonntag, blutiger Sonntag« bezieht sich auf den Tod von Irischen Demonstranten durch britische Truppen im Jahr 1972) bewegt sich von einigen generellen Grübeleien über gewalttätige Konflikte zu den Ursachen (the trenches dug within our hearts - die Schützengräben, die in unseren Herzen ausgehoben wurden) und dann zur letztendlichen Lösung (The real battle just begun to claim the victory Jesus won on Sunday bloody Sunday - Der wahre Kampf hat erst begonnen, den Sieg in Anspruch zu nehmen, den Jesus gewonnen hat am Sonntag, blutigen Sonntag). So wird in diesem Lied aus dem Blut das Blut Christi und der Sonntag wird zum Ostersonntag.

»Pride (In the Name of Love)« endet mit der Ermordung von Martin Luther King jr., aber der Anfang dreht sich um Jesus Christus. Wen sonst kennen wir, der im Namen der Liebe kam, der kam, um gerecht zu machen, der sich der Gewalt entgegenstellte und mit einem Kuss betrogen wurde? Die Verbindung mit King illustriert die Kontinuität der friedlichen Revolution und den mächtigen Schatten, den Christus über die Geschichte geworfen hat.

Die Kompositionen der Gruppe sind reifer geworden und die Anknüpfungspunkte wurden feiner. »Until the End of the World« könnte in einer Bar handeln, wenn man nicht aufmerksam zuhört; tatsächlich spielt die Handlung in Gethsemane. Es ist ein Lied, das in der Stimme des Judas Ischariot geschrieben ist, irgendwo zwischen seinem Verrat und seinem Selbstmord.

»When Love Comes to Town«, ein Experiment mit dem Blues, fängt konventionell genug an, aber am Schluss wissen wir, dass die Liebe, die da in die Stadt kommt (oder gekommen ist) die Liebe Christi ist. Der Erzähler im letzten Vers ist ein Römischer Soldat, der um die Kleider Christi gewürfelt hat und der »gesehen hat, wie die Liebe den tiefen Spalt überwunden hat«.

»I Still Haven’t Found What I’m Looking For« ist ein bewusstes Gegengift gegen die Sorte selbstzufriedener Kunst, die behauptet, alles in unserem Leben könne durch ein schnelles Gebet des Glaubens in Ordnung gebracht werden. Wir leben zwischen zwei großen Ereignissen - dem Kreuz und dem Kommen des Reiches Gottes - und als solche leben wir in einem Spannungsfeld. Wir sind nicht mehr so kaputt wie wir vorher waren, aber wir sind noch nicht so in Ordnung, wie wir sein werden. Das Lied ist kompromisslos über das, was Christus bereits bewirkt hat:

»You broke the bonds, loosed the chains, carried the cross, of my shame, you know I believe it.« (Du hast die Fesseln zerbrochen, die Ketten gelöst, das Kreuz meiner Schande getragen, du weißt, dass ich es glaube.)

Über das, was Christus eines Tages bewirken wird, ist das Lied auch eindeutig: »I believe in the kingdom come, when all the colours will bleed into one.« (Ich glaube an das Kommen des Königreiches, wenn alle Farben in eine zusammenlaufen werden.)

Aber gleichzeitig ist sich Bono der Widersprüche und Kompromisse bewusst. Er kann mit der Zunge eines Engels reden und trotzdem noch die Hand eines Teufels ergreifen. Er ist am Gipfel angekommen, aber er rennt immer noch.

Bono: »Die Leute erwarten, dass du als Gläubiger alle Antworten hast, wenn du in Wirklichkeit nichts hast außer einer neuen Menge Fragen... Ich glaube, dass der Erfolg von »I Still Haven’t Found What I’m Looking For« daran liegt, dass es nicht bejahend im traditionellen Sinne eines Gospelsongs ist. Es ist ruhelos, aber dennoch ist da irgendwo reine Freude enthalten.«

U2 2009 - The Edge und Bono U2s Einfluss war und ist beachtlich. Die Band hat nicht nur Einfluss auf die Entwicklung der Rockmusik gehabt, sondern sie war auch eine führende Kraft in der jungen Renaissance der Irischen Kultur. Bonos persönliche Kraft, die für einen Rockstar ungewöhnlich ist, erstreckt sich weit über die Grenzen des Rock hinaus. Als der frisch bekehrte 20jährige im Jahr 1980 der kleinen charismatischen Gemeinde seine Vision mitteilte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass man ihn eines Tages bitten würde, das Vorwort für eine Taschenbuchausgabe der Psalmen zu schreiben, und dass man ihn rufen würde, den Papst zu überreden, eine Rolle beim Schuldenerlass für die Dritte Welt zu übernehmen, oder dass er den Jahreswechsel mit dem amerikanischen Präsidenten feiern würde.

Die ursprüngliche Vision der Band war, »einen Weg für den Herrn zu bereiten«, und ich glaube, dass ihnen das gelungen ist, indem sie wichtige Anliegen des Christentums auf die Tagesordnung der Welt gesetzt haben. Sie sind nicht nur zu einem Vorbild für christliche Künstler, die sich nicht auf den engen Markt der christlichen Musiklandschaft beschränken wollen, geworden, sondern sie haben es für jedermann in der Rockmusik akzeptabel gemacht, über Gott, Jesus und die Erlösung zu reden und zu singen.

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Buch Imagine - Steve Turner

Im Buch »Imagine« geht es nicht nur um Musiker, sondern Steve Turner erlaubt Einblicke in viele Bereiche der Kunst, von Malerei über Schriftstellerei, Tanz und andere bis zur Filmkunst. Mehr zum Buch und Bestellmöglichkeit hier: Steve Turner – Imagine, Verlag Down to Earth

P.S.: Bilder von U2.com

Mittwoch, 4. November 2009

Wo sind eigentlich die Quelle-Schnäppchen?

Achtung: Dies ist nicht die Fortsetzung der Entblößung, obwohl das letzte Schnäppchen dieses Beitrages für manchen (oder manche?) etwas risqué sein mag. Dies ist einfach nur ein Einkaufsbummel bei Quelle Online mit Lisa und Stephan. Es hätten auch Hänsel und Gretel sein können, oder Romeo und Julia...

Stephan Haberling und Lisa del Giocondo erfahren in den Nachrichten, dass man bei Quelle jede Menge Super-Sonder-Extra-Billig-Preise finden könne. Der große Internet-Ausverkauf hat begonnen. Flugs setzen sie sich an den Computer, um nichts zu verpassen.
Stephan Haberling braucht einen neuen Wecker, da der alte ihn oft genug im Stich - im Schlaf - lässt.
Das Sony Uhrenradio gibt es im Quelle-Ausverkauf für sagenhafte 75,99 Euro. Lisa meint: Schau doch mal einen Preisvergleich an. Stephan tut es, und siehe da, 65,50 Euro reichen auch:
Lisa braucht keinen neuen Wecker, aber eine neue Tastatur. Am liebsten ohne Kabel. Bei Quelle für den Schnäppchenpreis von 70,99 Euro im Angebot.
Mal sehen, meint Stephan, wie viel so eine famose Maus-Tastatur-Kombination bei Amazon kostet. Aha. Aber hallo! Na so was. 59,95 Euro.
Angesichts seines Bauchansatzes und der Lisa-Aussichten hat Stephan beschlossen, durch mehr Fitness weniger Fettansatz zu erreichen. Er ist allerdings nicht geneigt, im Adamskostüm um den Schlachtensee zu joggen. Quelle hat die passende Bekleidung im Angebot.
Aber mittlerweile sind die beiden skeptisch. Ist das wirklich ein vernünftiger Preis? Eine schnelle Googelei bringt die echten Angebote zum Vorschein. Na ja. So so. Aha.
Lisa findet, eine USB-Festplatte wäre notwendig, da die Datensicherung ihrer vielen Fotos nicht mehr auf die bisherige passt. Vor allem die Entblößung muss doppelt gesichert werden. Quelle hat auf 61,99 Euro reduziert, immerhin 1 Cent unter 62 Euro.
Das kann Amazon bestimmt nicht unterbieten? Stephan, der sich in Sachen Entblößung nicht so sicher ist, tippt trotzdem Platinum MyDrive in das Suchfeld bei Amazon. Whooopsidaisy. 60,45 Euro - und das ohne Ausverkaufsrausch? Do legst di nieder und stehst nimmer auf.
Ach, à propos Niederlegen: Lisa sehnt sich, als Stephan nach Hause gegangen ist, bei so viel Einkaufsstress nach etwas Entspannung. Quelle bietet Handliches zum Sonderpreis.
Doch inzwischen ist sie überzeugt, dass bei den Ausverkaufspreisen wirklich nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Also flugs die Suchmaschine fragen. Und siehe da: Selbst recht simples Spielzeug gibt es nur anderswo zum wirklich zum günstigen Preis.
Stephan schreibt derweil vor dem Schlafengehen noch einen Artikel für Focus: Quelle oft teurer als die Konkurrenz.

Und was lernen die beiden daraus, Stephan und Lisa? Nicht alles, was sich Schnäppchen nennt, ist wirklich eins. Die Quelle-Pleite, so bedauerlich sie wegen der verlorenen Arbeitsplätze ist, mag auch etwas damit zu tun haben, dass ein Geschäft mit dubiosen Preisen in der Marktwirtschaft nicht auf Dauer überlebensfähig ist. Der Kunde ist nämlich, von Ausnahmen abgesehen, in der Lage, die Preise vor dem Kauf zu vergleichen.

Dienstag, 3. November 2009

Jon Birch: Die unsichtbare Brücke

Bild 1: Es ist einfach eine Frage des Glaubens. Du musst nur darauf vertrauen, dass die unsichtbare Brücke existiert.

Hier gefunden: The Ongoing Adventures of ASBO Jesus 801