Also. Nun. Na ja, also…
Eigentlich hätte ich noch so manches veränder wollen, können und müssen. Aber andererseits habe ich zur Zeit wenig Muße dazu, und dies ist ja, wie schon geschrieben, sowieso eher Rohmaterial als eine fertige Geschichte. Daher folgt nun ohne weitere Vorreden nach dem Hinweis auf die bereits erschienenen Teile das nächste Kapitel. Der Hinweis: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7]
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Vor den Bergen
Die Landschaft wurde hügeliger, gelegentlich gerieten die beiden Wanderer außer Atem, wenn sie eine Höhe erklommen.
»Warum beeilen wir uns eigentlich so«, keuchte Bersan, nachdem sie einen ziemlich steilen Abhang erklommen hatten. »Es hetzt uns ja niemand.«
Anron ließ sich ins Gras fallen. »Du hast vollkommen recht. Hier liege ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir.«
Bersan lachte. »Ich glaube, Herr Luther hat das etwas anders gesagt, und in einer nicht ganz vergleichbaren Situation.«
»Niemand war jemals in einer vergleichbaren Situation.«
»Das stimmt. Aber es kann ja alles nur ein Traum sein, ein sehr unterhaltsamer Traum allerdings. Der verrückteste Traum, den ich in meinen 24 Lebensjahren jemals hatte. Hoffentlich wache ich nicht allzu bald auf. Ich würde doch gerne noch meine Frau kennen lernen.«
»Ich fürchte«, meinte Anron, »das ist doch kein Traum. Oder kann man im Traum träumen, dass man träumt?«
»Keine Ahnung. Ich habe letzte Nacht jedenfalls von meiner Frau geträumt.«
»Ach. Und, gefiel sie dir?«
»Ja, durchaus. Zierlich, pechschwarze Haare, kaffeebraune Augen…«
»Kanntest du in jenem anderen Leben eine solche Frau?«
»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
Anron betrachtete die Schäfchenwolken am Himmel und überlegte, ob er von seinem Traum, von der Wüste, von dem Cowboy und der Eiseskälte erzählen sollte. Doch Bersan fuhr bereits fort: »Ich bin übrigens – wie sagt man das – äh, also ich bin Jungfrau.«
»Ich habe nie etwas von Sternzeichen und Horoskopen gehalten«, antwortete Anron.
»Nein, das meine ich nicht, solchen Quatsch habe ich nie mitgemacht, auch nicht zum Spaß. Jungfrau heißt: ich habe noch nie mit einer Frau geschlafen. Was übrigens ein blöder Ausdruck ist, denn um den Schlaf geht es dabei ja wohl eher nicht.«
»Ach. Ach so.« Anron war einen Moment sprachlos. Sie hatten sich über private Details jenes vergangenen Lebens unterhalten, über Frauen und Liebe und Sex allerdings überhaupt nicht gesprochen.
»Du glaubst mir vermutlich nicht«, meinte Bersan.
»Doch, durchaus. Aber du wirst mir kaum glauben, dass ich, obwohl ich 35 Jahre alt bin, auch noch nie mit einer Frau im Bett war. Und ich bin nicht schwul, falls du das jetzt vermutest.«
»Zwei männliche Jungfrauen in einer unberührten Welt auf dem Weg zu ihren Frauen«, lachte Bersan, »der Traum wird immer ulkiger.«
Anson grinste. Bersans Fröhlichkeit war ansteckend. »Adam und Eva im Doppelpack. Falls eine der Damen uns einen Apfel bringt, sollten wir vermutlich vorsichtig sein.«
»Vielleicht war es ja eine Birne oder Banane, oder eine schöne Kirsche. Der Apfel steht nicht in den Büchern Mose. Den haben die mittelalterlichen Künstler irgendwann gewählt, als sie den Sündenfall darstellen wollten.«
»Also essen wir einfach keinen Obstsalat, falls er uns von den Damen serviert wird.«
Anron und Bersan machten sich, nunmehr ausgeruht, wieder auf den Weg. Sie waren jetzt eine Woche gewandert, seit Yondil sie verlassen hatte. Anron ahnte inzwischen, wer der neue Führer sein sollte, sagte aber nichts. Unterwegs waren sie bei Bedarf von hilfsbereiten Wächtern mit Mahlzeiten versorgt worden; sie suchten aber immer häufiger selbst nach Nahrung. Inzwischen hatten sie eines der Prinzipien verstanden: Keine Vorräte sammeln, nur das nehmen, was gerade notwendig ist, ob nun Fisch, Obst, oder Gemüse. An manchen Orten fanden sie jedoch nichts Essbares, dann tauchte auf ihren Ruf eines der freundlichen Wesen, auf und half ihnen. Immer wieder hatten sie bei diesen Gelegenheiten nach ihrem nächsten Führer gefragt. Eine klare Antwort erhielten sie nicht.
Nun waren sie abends am Fuß der Berge angekommen und hatten sich einen kleinen Wald, durch den ein Bach floss, als Nachtquartier ausgesucht. Bersan sprach aus, was Anron innerlich schon zur Gewissheit geworden war, als sie nebeneinander auf dem weichen Moosteppich in der Abendsonne saßen: »Du bist der Führer, Anron.«
»Meinst du wirklich? Ich weiß doch gar nicht, wohin ich führen soll. Und wen soll ich führen, uns beide? Das ist Unfug. Wir wandern gemeinsam, wohin auch immer. Wir brauchen keinen Chef.«
»Keinen Chef, aber jemanden, der die Richtung erkennt, zwischen Alternativen die richtige Wahl trifft. Ein Führer muss ja kein Diktator sein, schließlich bist du nicht
der Führer. Bald sind wir sowieso zu viert, wenn mich meine Ahnung nicht trügt.«
»Ja, ich vermute, dass du recht hast, die Frauen sind nicht weit. Aber wie soll ich jemanden führen, wenn ich so wenig Ahnung vom Ziel habe wie du? Keinen blassen Schimmer habe ich. Außerdem tauge ich eher zum Einsiedler als zum Gruppenleiter.«
»Die Gesellenprüfung hast du bestanden, indem du mich zum Tor gebracht hast.«
»Ich wusste doch nicht einmal, ob die zwei Bäume das gesuchte Tor waren. Vielleicht habe ich es geahnt … das scheint mir so lange her, ich kann mich immer weniger an die frühere Welt erinnern. Geht es dir auch so, dass alles verblasst, entschwindet?«
»Ja. Es ist so ungefähr drei Wochen her, dass wir durch das Tor gekommen sind, aber es fühlt sich an wie Jahrzehnte.«
»Eben. Und ich tauge nicht zum Führer. Ich weiß so wenig. Vielleicht spüre, fühle ich manches. Es kann natürlich sein, dass in dieser Welt Wissen nicht unbedingt zählt«, sagte Anron. Nach einer Pause fügte er hinzu: »Aber ich werde jedenfalls mein Bestes geben, falls deine und meine Ahnung stimmt. König Anron der Ahnungslose geht voran.«
Bersan schlug vor: »Dann fang gleich an, Majestät, und besorg uns ein Abendbrot.«
Ringsum war die Landschaft karg. Es wuchsen allerlei Büsche und Bäume, aber nichts schien für den Verzehr geeignet. Beide wollten nach und nach unabhängig von den Wächtern werden – das war auch so ein Empfinden, ein Gefühl, dass dies geboten sei – aber hier sahen sie keine Möglichkeit, selbst für eine Mahlzeit zu sorgen. Anron rief in gewohnter Weise den Wächter des Ortes und sie erschraken, als ein Riese von über vier Metern vor ihnen auftauchte. Yondil war schon groß gewesen, aber dieser Kerl war ungeheuerlich. Sein Gesicht jedoch strahlte so freundlich wie das aller anderen sonderbaren Wesen, die sie kennengelernt hatten.
Auch er hieß sie zunächst so umständlich herzlich willkommen, wie es die Höflichkeit in dieser Welt offenbar erforderte, sie erwiderten den Gruß. Dann baten sie um Nahrung und erhielten Früchte und Gebäck. Frisches, duftendes Gebäck. Anron fragte sich zum wiederholten Mal, wo wohl die Bäckereien versteckt lagen. Vermutlich wurden jedoch solche Leckereien genau wie das Feuer bei Bedarf mit einem kurzen Kopfnicken zum Vorschein gebracht.
»Wohin führt euer Weg?« fragte Yestro, der riesige Wächter der Berge.
Anron sah ihn ratlos an. »Ich weiß es nicht. Die Berge schienen das Ziel zu sein. Jetzt sind wir hier. Vermutlich fangen wir morgen an, hinaufzusteigen.«
Yestro nickte und sagte: »Asthanthe und Bjora werden das nächste Ziel benennen.«
»Wie bitte? Wer?«
Eine Antwort bekamen sie nicht, aber den guten Rat, dass sie für den weiteren Weg, der steil bergauf führen würde, Kraft sammeln sollten. Yestro empfahl ihnen Fleisch. Sie fragten, woher sie es nehmen durften.
»Die Hüter der Herden wissen solche Dinge.«
»Und wo finden wir Hüter der Herden?«
»Hier, Anron, Freund des Waldes und Bersan, Freund der Höhen. Herzlich willkommen«, sagte eine helle Stimme hinter ihnen.
Sahen die Wächter, die sie bisher getroffen hatten, eher männlich aus, so mochte dieses Wesen als weiblich durchgehen. In einen braunen Umhang gehüllt trat eine schmale Gestalt aus den Zweigen, ihr feingezeichnetes Gesicht und die hohe Stimmlage passten zu der grazilen Erscheinung.
»Wie dürfen wir dich nennen, Wächter der Herden?« fragte Bersan. Er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, die Namen der Wesen zu erfragen, damit sie sie einfacher anreden konnten.
»Nicht Wächter der Herden, Bersan, sondern Hüter. Mein Name ist Wernsah.«
»Also nicht Asthanthe oder Bjora, sondern Wernsah. Entschuldige meine Ungeschicklichkeit bei der Anrede.«
»Das macht nichts. Die Hüter wachen über die Tiere, die Wächter hüten die Pflanzen. Aber wir sind nicht beleidigt, wenn ihr uns anders ansprecht.«
Das war so schwer zu merken nicht, die Männer beschlossen, in Zukunft auf die richtigen Titel zu achten. Anron kam auf das Essen zurück: »Wir bitten dich um Fleisch, Wernsah.«
»Ihr müsst lernen, zu finden was ihr braucht. Nimm eine Waffe und töte ein Kaninchen.«
»Ich dachte, wir bekämen das Fleisch? So ähnlich wie das Gebäck hier.«
»Wenn du Fleisch willst, Anron, musst du töten. Wenn du nicht töten willst, wirst du kein Fleisch essen.«
Anron ließ den Braten in der Bank unerwähnt. Den hatten sie einfach so bekommen, vielleicht als Gewitterbonus. Er fragte: »Darf ich denn nach Belieben auf die Jagd gehen, wie damals, als ich in meiner Hütte lebte?«
»Wenn du einstweilen die Hüter um Rat bittest, ja. Ihr werdet euch einleben und bald selbst wissen, wie viel ihr nehmen dürft und wo ihr es findet. Bis dahin sind wir für euch da.«
Anron zögerte. Zwei Fische aus dem seichten Wasser zu greifen war vor ein paar Tagen etwas anderes gewesen als jetzt ein Kaninchen zu jagen. Irgendwie widerstrebte es ihm, das zu tun. Er hatte gejagt in den sieben Jahren in den Wäldern, meist jedoch war er mit Fischen und dem Ertrag des Bodens zufrieden gewesen. Irgendetwas in ihm sträubte sich jetzt gegen den Gedanken der Jagd. »Ich will kein Kaninchen töten, Wernsah, wir essen das, was Yestro uns gegeben hat«, antwortete er schließlich.
Bersan nickte zustimmend, auch er hatte keine Lust auf eine Jagd.
Falls es bei diesen Wesen so etwas wie ein Mienenspiel gab, dann ging ein Schimmer der Erleichterung über die Gesichter von Wernsah und Yestro. Die Hüterin der Herden verneigte sich und erklärte: »Morgen schicke ich euch ein Tier, Anron und Bersan. Ihr sollt das Fleisch zubereiten und als Vorrat mit euch nehmen, was ihr nicht esst. Euer Weg wird schwer sein, und die Herden spärlich. Für heute wünsche ich euch eine gute Nacht, Anron, Freund des Waldes und Bersan, Freund der Höhen.«
Wernsah verschwand. Yestro sagte. »Du hast weise entschieden, Führer Anron. Ihr werdet morgen auch Taschen herstellen.«
»Wenn ich das Material habe, gerne.« Das traute Anrion sich zu, immerhin hatte er sich in einem Leben, das lange vergangen schien, Kleidung und Vorratsbeutel aus Fellen genäht.
»Du wirst wissen, was du brauchst und wo du es findest«, erklärte Yestro und wünschte ihnen ebenfalls eine gute Nacht.
Sie aßen schweigsam und stillten ihren Durst aus dem Bach. Als es dunkel wurde, legten sie sich in das weiche Moos und schliefen bald ein.
Im Morgengrauen weckte sie ein dumpfer Aufprall in ihrer Nähe. Vorsichtig forschten sie nach der Ursache und fanden unter einem steilen Felsabhang ein Reh, dessen vordere Beine gebrochen waren. Es musste abgestürzt sein. Anron zögerte, doch dann sah er sich nach einer Waffe um. Das Tier litt offensichtlich Schmerzen, er musste es töten. Er fand einen geeigneten spitzen Ast und tat das Notwendige.
»Und nun?«, fragte Bersan.
»Ein scharfes Messer wäre vorteilhaft, aber das werden wir kaum finden.«
Anron ließ den Blick schweifen. Er erinnerte sich an die primitiven Steinwerkzeuge, die in den Museen der einstigen Welt ausgestellt worden waren und machte sich auf die Suche. Bald fand er einen handlichen Felssplitter, den er dann an anderen Steinen schärfte. Die Arbeit war mühsam, aber schließlich doch erfolgreich. Sein Steinmesser war primitiv und keine Schönheit, aber scharf genug.
Bersan half beim Zerlegen des Wildes, anders als Anron hatte er keine Ahnuhng davon, aber er stellte sich sehr geschickt an, während er den Weisungen des Freundes bei der Arbeit folgte. Als die Sonne hoch am Himmel stand, waren sie fertig.
»Ich wünschte, ich könnte uns ein Feuer machen«, murmelte Anron, »ohne wieder einen Wächter zu bemühen.«
»Das wollte der Affe im Dschungelbuch auch können«, grinste Bersan.
»Danke für das Kompliment. Kannst du es denn?«
»Ich kann es«, sagte eine leise Stimme.
Sie drehten sich um und starrten die beiden Frauen an, die am Rand der Lichtung unter den Bäumen standen. Sie waren beide so nackt wie Anron und Bersan, hatten nur je einen Beutel aus Fell bei sich, den sie an einem Riemen um die Schulter trugen.
Die Sprecherin lächelte schüchtern und stellte sich vor: »Ich bin Asthanthe, und das ist Bjora. Ihr seid Anron und Bersan?«
Anron nickte nervös. »Anron, ja, das bin ich. Das bedeutet Freund des Waldes, wie man mir gesagt hat.«
Asthanthe neigte offensichtlich nicht zu ausschweifenden Formulierungen und langen Vorreden. Sie sagte schlicht: »Ich bin deine Frau, Anron. Bjora ist Bersans Frau.«
Sie musterten sich immer noch aus sicherer Entfernung von etwa fünf Metern. Schließlich kamen die beiden Frauen mit zögernden Schritten näher.
Anron wollte Asthanthe nicht unhöflich anstarren, konnte aber den Blick nicht von ihr lösen. Sie hatte ungefähr sein Alter, dunkelblonde lange Haare und eine schlanke Figur. Ihr Blick war forschend, sie musterte ihn so interessiert und offen, wie er sie betrachtete. Fast hätte Anron losgeprustet, als er bemerkte, dass er unwillkürlich seinen nicht vorhandenen Bauch eingezogen hatte. Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Asthante schien mit ihrem Mann zufrieden zu sein, kam die restlichen Schritte zu ihm und reichte ihm lächelnd die Hand. »Du wirst uns führen, Anron.«
Bersan bekam nichts davon mit. Er starrte Bjora überrascht an. Sie mochte etwa 19 Jahre alt sein, war zierlich gebaut und hatte ein wundervolle braunen Augen. Ihre fast schwarzen Haare zeigten ein rötliches Schimmern, wenn die Sonne darauf fiel. Er stand der Frau gegenüber, von der er geträumt hatte. Sie war nicht ähnlich, sondern die gleiche Person. Schweigend, wohl abwartend sah sie ihm in die Augen; er meinte, so etwas wie Furcht in ihrem Blick zu sehen. Das war ihm nun gar nicht recht. »Guten Tag Bjora«, sagte er mit leicht unsicherer Stimme, »ich freue mich, dich kennenzulernen.«
Sie kam nicht näher, sah ihm in die Augen und machte eine Geste, die Bersan nicht verstand.
»Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten«, sagte er.
Bjora wiederholte die Bewegungen.
»Sie kann nicht sprechen«, erklärte Asthanthe, die inzwischen Anrons Hände hielt und drückte, als wolle sie ihn nie wieder loslassen. »Aber sie hört besser als ich.«
Bjora wiederholte ihre Gesten. Sie nickte und deutete auf ihre Ohren. Dann schüttelte sie den Kopf und zeigte auf ihren Mund. Nun verstand Bersan. Er trat auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen. Die Furcht wich aus ihren Augen und sie strahlte, während sie seine Hände fest in ihre nahm.
Die beiden Paare standen so einige Minuten auf der Lichtung, als läge ein Zauber in der Luft, den jede kleinste Bewegung, jedes Wort verscheuchen konnte. Dann, wie auf ein Zeichen, ließen sie einander los.
Asthanthe blickte sich um, betrachtete die bereitgelegten Fleischstücke, das zum Trocknen aufgehängte Fell und sagte: »Wenn du Feuer machen willst, lieber Mann, brauchst du erst einmal Holz.«
Sie sammelten zu viert passende Stücke und Anron war gespannt, ob seine Frau wirklich ein Feuer entzünden konnte.
Sie konnte. Allerdings nickte sie nicht wie die Wächter kurz mit dem Kopf, sondern nahm aus ihrem Beutel einen Feuerstein und zeigte, dass sie damit umgehen konnte. Kurz darauf brannte der Holzstoß.
Am Nachmittag hatten sie alles Fleisch zubereitet und zum Trocknen auf die Felsen gelegt. Aus ihrer Felltasche hatte Bjora einen kleinen Lederbeutel zum Vorschein gebracht, der Salz enthielt. Woher sie diesen Schatz hatte, blieb ihr Geheimnis. Auch Asthante wusste es nicht, als die Frauen sich getroffen hatten, besaß sie den kleinen Beutel mit dem kostbaren Gut bereits. Bjora versuchte, die Herkunft mit Gesten zu erklären, aber sie wurde nicht verstanden.
»Eigentlich spielt es auch keine Rolle, woher du es hast«, meinte Bersan schließlich, »und Frauen dürfen grundsätzlich immer ein kleines Geheimnis haben, hat man mir beigebracht. Jedenfalls wird das Fleisch so haltbarer. Wer weiß, wie lange wir uns davon ernähren müssen.«
Anron benutzte einen spitzen Knochen als Ahle und verdrillte Gräser als Faden, um zwei Umhängebeutel für Bersan und sich aus dem Fell herzustellen. Es schien die Zeit gekommen, in der Vorräte transportieren werden und womöglich Gegenstände gesammelt werden mussten.
Während er damit beschäftigt war, ging Bersan mit den beiden Frauen auf die Suche nach Beeren und Pilzen. Es konnte nichts schaden, neben den Fleischvorräten auch ein paar andere Nahrungsmittel mit auf die Berge zu nehmen, hatte Anron entschieden, nachdem sie eine Weile vergeblich versucht hatten, Yestro, Wernsah oder sonst eines der inzwischen schon vertrauten Wesen herbeizurufen. Offenbar waren sie – zumindest im Moment – auf sich gestellt. Es fiel Anron schwer, diese Entscheidung zu treffen, da sie nicht zu der bisherigen Regel passte, dass der morgige Tag für sich selber sorgen würde. Andererseits hatten sie den Fleischvorrat auf Anraten von Wernsah und Yestro angelegt. Anron hoffte sehr, dass sein Entschluss kein Fehler war.
Abends saßen sie um ihr kleines Lagerfeuer, sie hatten es seit dem Morgen nicht ausgehen lassen. Als Anron den Frauen erzählte, dass der Wächter dieses Ortes gesagt hatte, sie wüssten den weiteren Weg, nickte Bjora und deutete hinauf in die Berge.
»Sie weiß den Weg. Sie hat mich gefunden und hierher gebracht, sie scheint bereits mehr über unsere Zukunft – oder über diese Welt – zu wissen als ich«, erklärte Asthanthe.
Bersan sah seine Frau an und fragte: »Weißt du ein Ziel oder nur einen Weg?«
Sie zeichnete mit dem Finger einen gewundenen Weg in das weiche Moos, an dessen Ende sie einen Stein legte. Sie deutete auf Anron und Asthanthe. Dann legte sie einen weiteren Stein auf einen Punkt ein Stück entfernt vom Ende der Linie und zeigte auf Bersan und sich.
»Wir werden uns trennen?«
Sie nickte.
»Anron und Asthante erreichen ihr Ziel zuerst?«
Wieder nickte sie.
Bersan fragte: »Und woher weißt du das?«
Bjora lächelte und wies mit dem Finger nach oben in den Himmel.
Anron schaute hinauf zu den Wolken. Sie verrieten ihm nichts. Er zuckte mit den Schultern und meinte: »Morgen brechen wir auf.«
Bjora schüttelte den Kopf und hielt drei Finger in die Höhe.
»In drei Tagen?«
Sie nickte.
Anron widersprach nicht. Wenn sie noch blieben, konnten die Fleischvorräte in der Sonne richtig trocknen, und überhaupt war ihm war eine Pause vor dem voraussichtlich anstrengenden Aufstieg zu einem unbekannten Ziel willkommen. Er bemerkte, dass die drei Gefährten ihn aufmerksam ansahen, als warteten sie auf irgend etwas.
Dann begriff er und sagte: »König Anron der Unwissende verkündet: Wir bleiben drei Tage hier.«
Wenn es so etwas wie Liebe auf den ersten Blick geben sollte, dann war sie hier am Fuß der Berge nicht zu finden. Die beiden von den Wesen dieser Welt einander zugeordneten Paare wurden nicht automatisch und auf Anhieb zu Liebenden. Kameradschaft, Freundschaft gar, empfanden sie gleich für einander. Doch war der sprichwörtliche Funke, der die Liebe entflammen lässt, nicht vom Himmel gefallen.
Anron und Asthante verbrachten genau wie Bersan und Bjora Zeit mit Spaziergängen, tauschten Gedanken und Empfindungen aus. Für Bersan war es naturgemäß nicht so leicht, etwas von Bjora zu erfahren, aber vielleicht war es gerade die schwierige Kommunikation, die schneller zu Vertrautheit und zärtlicher Zuneigung führte als beim anderen Paar. Bersan las in ihren Augen, was Bjora nicht zu sagen vermochte, konzentrierte sich auf ihr Mienenspiel, ihre Gesten. Vielleicht lag es aber auch am Charakter der beiden, sie suchten die Nähe, taten alles gemeinsam.
Anron war – da war seine Selbsteinschätzung kein Irrtum – ein Eigenbrötler, ein Einsiedler. Es hatte mehrere Gründe gegeben, dass er einst Zuflucht in der Hütte im Wald gesucht hatte; Zuflucht vor den Menschen. Sein Drang zur Einsamkeit war wohl das stärkste Motiv. Er liebte die Stille, die Ruhe. Nun hatte ihm das Schicksal oder eine unbekannte Macht eine Frau zur Seite gestellt. Nichts an ihr stieß ihn ab, im Gegenteil, aber er achtete darauf, dass eine gewisse Distanz zunächst gewahrt blieb. Asthante schien das zu respektieren oder gar gleichermaßen zu wollen.
So blieben sie drei Tage und Nächte am Fuß der Berge, lernten einander kennen, spekulierten über die Zukunft und teilten die Freude an dieser Welt, die nur für sie geschaffen schien und in der es keinen Mangel, keine Angst, keine Schmerzen und keine Feindschaft gab.
In der Nacht vor ihrem Aufbruch nahm Asthante Anron sanft in ihre Arme, um ihn zu wecken. Er wurde offenbar von einen Alptraum heimgesucht, stöhnte im Schlaf und war schweißgebadet. Sie hielt ihn fest umschlungen, bis er wach war.
»Der Cowboy…«, sagte er mit Entsetzen in der Stimme.
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Fortsetzung folgt.