… »es sei denn, du willst wirklich wissen, was Johannes geschrieben und verworfen hat. Ob dir die Lektüre bekömmlich ist«, fährt sie mit besorgtem Blick fort, »vermag ich nicht zu sagen.«
Na denn: Für die (bisher) 66,7 Prozent der geschätzten Blogbesucher, hier die alternative Version des letzten Kapitels. Ach so – noch ein Blick zurück zuvor? Bitteschön: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]
Und nun Teil 12 in der verworfenen Variante:
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Ich hatte keine Ahnung von Waffen. Im Fernsehkrimi jemanden anlegen und schießen sehen – das ist das eine, aber selbst dieses Metallgerät in der Hand zu halten, aus dem auf Wunsch tödliche Projektile in die angepeilte Richtung entwichen, war etwas ganz anderes.
»Ist das Ding entsichert oder so?«, fragte ich.
Jessika nickte. »Nur abdrücken.«
Die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, aufzuschreiben (und zu lesen, was die geschätzten Empfänger dieser Zeilen betrifft) dauert wesentlich länger als die Momente vor der Tür zur Toilette lang waren. Es war eine Art Wirbelwind in meinem Kopf, da waren Satzfetzen und einzelne Worte, die sich gegenseitig verfolgten, überlagerten eliminierten, verstärkten …
Jetzt bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück – Illusionen bis zum Ende - wir sind nicht einschätzbar, nicht von euch Menschen und auch nicht von unseresgleichen- liebst du mich? – it ain’t why why why - du träumst also, dass du geträumt hast – ich bin nicht hier, es gibt keine Jessika - Ur Local is protected by all applicable Paradox Laws. Do you agree?- warum sitzt hier ein Mädchen im roten Kleid? Das habe ich nicht gewollt – nicht einschätzbar – how does it feel? – mein Leben zurück haben - Ich. Habe. Den. Verstand. Verloren. – nasse Badehose, dreizehn Jahre alt, heftige Erektion – das ist kein Buch hier, das ist dein leben - Jessifranziska, Fanjekakaka – jetzt drehst du wirklich durch – ich werde mein Leben wieder bekommen – viele Thriller gelesen, und nun? - nicht einschätzbar – wie viele Schüsse sind in dem Ding eigentlich drin? – in diesen Büchern sind auch Opfer, und vielleicht suche ich einen Weg, von ihnen zu lernen – wir sind nicht einschätzbar - das traust du dich nicht! – kann sie Gedanken lesen? - liebst du mich?
Die Tür ging auf, ein beleibter Herr in Jeans und T-Shirt kam auf uns zu. Auf mich zu. Jessika war hinter mich getreten. Der Mann sah die Waffe und zögerte.
»Ich kann nichts dafür«, sagte ich, »andere haben entschieden. Anonym abgestimmt. Es tut mir leid.«
Dann drückte ich ab. Der Fernfahrer – ich ging davon aus, dass es sich um diesen handelte – taumelte einen halben Schritt zurück und starrte mich überrascht an. Fühlt er Schmerz? Irgend etwas? Denkt er etwas? Auf dem T-Shirt, dort wo sich der Bauch wölbte, entstand rund um das nagelneue Loch, das es Sekunden zuvor noch nicht gegeben hatte, ein roter Fleck, der ungefähr die Form des Bodensees annahm.
Zu tief gezielt. Der Mann ist nicht tot. Du musst ihn erlösen, damit es schnell vorüber ist.
Ich wollte noch einmal schießen, aber keine Zeit, ich muss erst frei werden von diesem Albtraum. Ich fuhr herum und schoss Jessika drei Kugeln in den Kopf, bevor sie begreifen konnte, was ich vorhatte. Liebst du mich?
Während sie zu Boden sank, drehte ich mich wieder zu dem Mann am Boden und schoss ihn zwei mal in den Kopf. Dann klickte die Waffe nur noch, es waren also sechs Kugeln im Magazin gewesen.
Du hättest ihn auch noch retten können, oder? Zum Tunnel gefahren wäre er ja nun nicht mehr.
Ich hätte … ich hatte sogar gewollt … mein Plan hatte anders ausgesehen. Aber es war wiederum etwas mit mir geschehen, was ich nicht geplant und nicht gewollt hatte. In den Sekunden, bevor der Mann aus der Toilette gekommen war, war ich mir sicher, dass ich ihn nur verletzen wollte, ins Bein schießen meinetwegen, und dann Jessika töten und verschwinden.
Töten? Man kann doch niemanden töten, der gar nicht existiert.
Doch dann war alles so schnell passiert, dass ich keinen klaren Gedanken mehr hatte fassen können. Ich zweifelte, dass ich jemals wieder zu klaren Gedanken fähig sein würde. Ich, der Wehrdienstverweigerer, der Freund des Friedens, hatte zwei Menschen erschossen.
Einen. Einen Menschen und eine Nephilim.
Ich schloss die Augen, mir war übel und schwindelig. Ich wollte die Leichen nicht mehr betrachten, ich wollte nicht mehr hinter dieser Tankstelle stehen, ich wollte aufwachen in einer Welt, in der es keine Jessika gab, keine Jana Nováková, keine Alesia und keinen Luca. Von Nitzrek ganz zu schweigen.
Es wurde dunkler, noch dunkler, bemerkte ich durch die geschlossenen Augenlider, als sei die kleine Lampe über der Toilettentür erloschen. Ich riss die Augen auf und sah nichts. Völlige Finsternis hüllte mich ein. Ich fühlte etwas, was ich nicht benennen konnte. Eine Anwesenheit, von irgend etwas bösem. Etwas sehr bösem. So etwas wie ein Stromschlag traf mich, allerdings wie von innen heraus, ich starrte in die Finsternis und erkannte eine Gestalt, nein, ich erkannte die Ahnung einer Gestalt.
»No man sees my face and lives«, sagte Nitzrek.
»Ich liebe Jessika«, hörte ich mich sagen, »ohne sie will ich nicht leben.«
»Du törichter Mensch.«
Die Gestalt kam mir näher. Etwas berührte mein Bein, tastend.
Dann wurde ich meines Bewusstseins beraubt.
Der Rest meiner Geschichte ist schnell erzählt. Der Angestellte hatte im Verkaufsraum der Tankstelle die Schüsse gehört und die Polizei alarmiert, seine Tür verriegelt und hinter dem Tresen versteckt gewartet, auf Anraten des Beamten, mit dem er am Telefon sprach. Auch als die Streifenwagen eintrafen, blieb er noch in seinem Versteck, erst als zwei Polizisten an die Glastüren klopften, machte er auf.
Als Zeuge taugte er nicht, da er nichts gesehen hatte. Es gab zwar Videokameras, aber keine Aufzeichnungen, da die Anlage seit Wochen defekt und noch immer nicht repariert war. Weitere Kunden hatten im fraglichen Zeitraum nicht an der Tankstelle gehalten.
Die Beamten fanden die Leiche des Fernfahrers, mich und eine Menge Blutspuren, die nicht von dem Toten stammten. Ich war äußerlich unverletzt, im Krankenhaus wurde dann wenig später ein Herzinfarkt diagnostiziert. Eine Waffe wurde genauso wenig gefunden wie die Person – die Leiche! – deren Blut hier so reichlich geflossen war.
Die Ermittlungen blieben letztendlich ergebnislos. Als ich wieder vernehmungsfähig war, wurde ich als Zeuge befragt und erklärte, dass ich angehalten hatte, um die Toilette aufzusuchen, dort sah ich die Leiche und wurde ohnmächtig. Ich hatte keine weiteren Kunden gesehen, auch war mir weder ein wegfahrendes Auto noch ein verletzter, blutender Mensch aufgefallen.
Das Blut am Tatort, das nicht von dem toten Fahrer stammte, wurde vermutlich untersucht und analysiert, davon würde ich zumindest ausgehen. Falls dabei eine Abweichung von normalem menschlichen Blut aufgefallen war, wurde dies nicht öffentlich bekannt gegeben – was mich nicht sonderlich erstaunte. Ich wusste ja, falls alles wirklich so geschehen war, wie ich es hier aufgeschrieben habe, um das weitverzweigte Netz der Nephilim. Warum sollten sie nicht auch im kriminaltechnischen Labor in Prag ihre Leute haben. Andernfalls war es eben nur menschliches Blut von dem selbst verletzten Täter gewesen, der rechtzeitig mit seiner Waffe entkommen war, oder von einem weiteren Opfer, das der Täter mitgenommen hatte.
Niemand war auf die Idee gekommen, meine Haut auf Schmauchspuren zu untersuchen. Ich war nur ein – allerdings nicht sehr ergiebiger – Zeuge.
Als ich, nach für die Ärzte erstaunlich schneller Genesung, aus dem Krankenhaus entlassen wurde, brachte man mich zu meinem Auto, das von der Polizei in Verwahrung genommen worden war. Im Kofferraum lag mein Gepäck, keine Spur von Jessikas Reisetasche. Da war ich mir sicher, dass ich wieder bei Sinnen und im echten Leben angekommen war. Was mit mir passiert war, seit ich beim Spaziergang im Park von Budweis eine junge Frau gesehen hatte, bei der mir meine erdachte Jessika einfiel, konnte ich und wollte ich nicht analysieren. Jetzt jedenfalls war ich – um die Erfahrung eines Herzinfarktes reicher – wieder ich und Herr meines Lebens. Die nächtlichen Träume lassen wir mal beiseite, da bin ich ja nicht der einzige, der hin und wieder schweißgebadet aufwacht und ein paar Momente braucht, um sich wieder zurecht zu finden.
Nun bin ich seit etlichen Wochen wieder in Berlin und habe meine Geschichte aufgeschrieben. Als Versicherung. Nur für den Fall der Fälle. Falls mir etwas zustoßen sollte, wird die Welt erfahren, was wirklich geschehen ist vor dem Mord an der Tankstelle. No man sees my face and lives. Man weiß ja nicht, was solche Worte letztendlich bedeuten.
Allerdings rechne ich eher damit, dass ich noch sehr lange und sehr gesund leben werde. Schließlich sehe ich jeden Morgen nach dem Duschen im Badezimmerspiegel das sternförmige Muttermal direkt über meinem Penis. Ich habe überlegt, ob ich meine Haare da unten wieder wachsen lassen sollte, um den Leberfleck zu verbergen, aber mich dann doch für die gewohnte tägliche Rasur entschieden. Eine kleine Hautverfärbung ist ja nichts, wofür man sich schämen müsste.
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Da manche Menschen und viele Nephilim so gerne auf etwas klicken und sich die Frage ja förmlich aufdrängt, darf nun zum Schluss noch einmal abgestimmt werden.
Besser gefiel mir ... |
... diese verworfene Version, die hier steht. |
... jene gültige Version vom vergangenen Freitag. |
... dieses und jenes. |
Auswertung |
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