Donnerstag, 7. Oktober 2010

Hotelzimmer

Sie sinkt nicht wirklichAnja – wir wissen nicht, wie sie heißt, aber wir nennen sie so – Anja ist im Badezimmer verschwunden. Jürgen – auch ihn nennen wir einfach so, weil es uns beliebt – steht an der Balkontüre. Draußen sinkt die Sonne in das Wasser der Nordsee, möchte man meinen, doch leider ist bekannt, dass es nur so scheint. Abendrotes Licht verwandelt das Hotelzimmer in einen Ort, der nicht irdisch ist.

Das Bett, zwei ebene Flächen, belegt von bauschigen Kissen und Decken, ordentlich gefaltet. Das Weiß der Laken und Bezüge möchte ein Orange sein. Die Fuge, rotbraun vom sonderbaren Licht, die Fuge zwischen den Hälften könnte eine Grenze sein. Oder eine Kluft verschließen.

Jürgen lauscht dem Plätschern der Dusche, unter der Anja die Augen schließt. Die Tür zum Bad ist angelehnt. Eine Möwe ruft von draußen.

Dienstag, 5. Oktober 2010

Von (emergenten) Theoretikern und (missionalen) Praktikern

chessWir wollen mal ein wenig schwarz-weiß-Malerei betreiben:

Der Theoretiker stellt Fragen. Warum ist das so, wie es ist? Muss das so bleiben, wie es ist? Ist das zwingend so, wie es ist? Was wäre, wenn das nicht mehr so wäre, wie es ist?
Dabei ist es erst einmal gar nicht entscheidend, ob eine Veränderung möglich ist, ob eine Veränderung irgend eine Verbesserung bewirkt. Es geht um das Quer- Weiter- und Nachdenken. Der Theoretiker ist neugierig, hat keine Angst vor Sackgassen und Irrwegen; Erfolg ist für ihn nicht zwingend daran gebunden, ein Ergebnis vorzeigen zu können.

Der Praktiker orientiert sich am Machbaren. Er will etwas erreichen, zum Positiven verändern, seinen Auftrag erledigen; und wenn das bisher Machbare dazu nicht ausreicht, blickt er sich um: Was machen andere, erreichen sie ihre Ziele besser als ich, indem sie anders handeln? Wenn ja, welchen Rezepten, welchen Erfahrungen folgen sie? Kann ich aus ihrem Beispiel lernen und mit meinen Zielen vorankommen?
Erfolg ist für den Praktiker messbar an den Ergebnissen seines Handelns.

Genug schwarz-weiß? Jawohl. Also ab in die Grauzone, aber dalli!

Wahrlich gibt es kaum den Praktiker und den Theoretiker, sondern wir Menschen tendieren entweder in die eine oder in die andere Richtung, mehr oder weniger ausgeprägt. Das führt zu mehr oder weniger ausgeprägten Reibungen. Und das muss noch nicht einmal von vorne herein als missliche Situation verstanden werden.

Es mag sein, dass die »emerging church« in den USA aufgehört hat, zu existieren. Manche schreiben das so nieder. Ich weiß auch nicht, wie es regional in Deutschland aussieht, womöglich ganz anders, aber zumindest in meinem Umfeld ist die »emerging church« nicht des Todes gestorben. Es hat sie nämlich nie gegeben.
Statt dessen gab und gibt es ein »emergentes Gespräch« auf vielfältige Weise. Da wird auf Blogs und in Büchern geschrieben, bei Konferenzen und an Stammtischen diskutiert. Und mancher Mitmensch fragt sich oder die Allgemeinheit, wo denn die praktischen Auswirkungen, die sichtbaren Früchte wären. Jahrelange Diskussionen, gut und schön, aber was ist dabei herausgekommen?
Man könnte nun darauf verweisen, dass missionales Handeln mit emergentem Denken in vielen Aspekten sehr verwandt ist, man könnte darauf hinweisen, dass so manche Kirche und Gemeinde angefangen hat, dort zu sein, wo die Menschen sind, anstatt im sicheren Hort der eigenen vier Wände zu verharren und (vergeblich) darauf zu warten, dass die Ungläubigen hereinströmen. Man könnte auf so manche andere positive Entwicklung, positiv zumindest im Empfinden emergenter Theoretiker, verweisen.

Doch diese Reaktion bleibt weitgehend aus, weil es beim emergenten Dialog gar nicht darum ging und geht, ein neues Rezept, eine To-Do-List mit zehn Punkten vorzulegen. Es geht nicht darum, eine endgültige Wahrheit in Stein zu meißeln. Die Frage, wer Recht hat und wer sich irrt, ist nicht relevant. Und die Definitionen, was eigentlich emergent und was missional ist, sind Legion. Statt schwarz-weiß zu malen verharren emergente und missionale Christen ganz gerne in der Grauzone.

Ich meine, dass wir beide brauchen, die Theoretiker und die Praktiker, und all die Mischformen zwischen den Extremen sowieso. Es wird - wie gesagt, ich rede nur vom mir persönlich vertrauten Umfeld - keine emergente Vorzeigekirche geben. Wenn es eine gäbe, müsste man ihre Praktiken, Regeln, Hierarchien, Ämter und Lehrgebäude umgehend in Frage stellen.

Montag, 4. Oktober 2010

Vom verschobenen Blogbeitrag

Eigentlich wollte ich heute einen Beitrag bringen, der sich mit Theorie und Praxis beschäftigt, aber als ich ihn noch einmal durchlas, schien er mir auf einmal aus einem bestimmten Blickwinkel noch nicht richtig durchdacht.

Also kommt er später. Sobald ich ihn noch einmal überarbeitet haben werde.

Also gibt es heute hier nichts.

Nanu? Da weint jemand?

Huch? Noch jemand weint?

Na gut. Dann gibt es wenigstens den Anfang des verschobenen Beitrages:

Wir wollen mal ein wenig schwarz-weiß-Malerei betreiben:

Der Theoretiker stellt Fragen. Warum ist das so, wie es ist? Muss das so bleiben, wie es ist? Ist das zwingend so, wie es ist? Was wäre, wenn das nicht mehr so wäre, wie es ist?

So. Aus. Mehr dann, wenn es so weit ist. Schluss jetzt.

Sonntag, 3. Oktober 2010

Von Rillen und Nadeln

Eine gewisse Zeit vor dem jährlichen Geburtstag wird man in der Regel von Freunden und Verwandten bezüglich eines Wunsches befragt, denn die schöne Sitte, zum Wiegenfeste etwas zu schenken, hat bis heute alle Wirren der Zeit überdauert. Ich wurde allerdings in diesem Jahr so gut wie gar nicht nach meinen Wünschen gefragt, denn ich hatte bei der Einladung zur 55er Feier den lieben Gästen gleich mit auf den Weg gegeben, dass ich mich über schnöden Mammon in eine Sammlung hineingelegt am meisten freuen würde, da ich mir einen größeren Wunsch erfüllen wollte: Zu meinen mehreren Hundert Schallplatten ein Gerät erwerben, mit Hilfe dessen dem überwiegend schwarzen Vinyl Musik zu entlocken ist.

Erstes Lied, Seite 1

Gestern war ich nun mit der besten aller Ehefrauen einkaufen und kann – nach viele Jahren Zwangspause mangels Plattenspieler -  seit dem späten Nachmittag nun wieder meine Schallplatten genießen. Vielen Dank, ihr lieben Geburtstagsgäste, für eure großzügigen Gaben, die nun langjährige Freude schenken werden. Bei aller Liebe zu Technik und Elektronik ist es doch etwas ganz besonderes und irgendwie unvergleichliches, wenn sich die Nadel senkt und der Genuss beginnt…

Ach ja, noch eine Frage an die ganz schlauen Blogbesucher: Wie viele Rillen muss die Nadel bei einer durchschnittlichen Langspielplatte (ca. 25 Minuten pro Seite) abtasten?

Samstag, 2. Oktober 2010

Verbalinkompetenz

Das verbale Ausdrucksvermögen bezüglich ihrer Emotionen ist bei manchen Zeitgenossen erschreckend eingeschränkt. Wenn die Reporter des Berliner Regionalfernsehens beispielsweise nach einem gelungenen Konzert oder einem Sieg des heimischen Fußballvereins den Besuchern das Mikrophon entgegenhalten, beschränken sich die Äußerungen auf einige wenige Variationen, die überwiegend aus »voll«, »Hammer« und »geil« zusammengesetzt werden, gelegentlich ergänzt mit lautmalenden Spracheskapaden, die niederzuschreiben schwer fällt. Wie buchstabiert man denn »boaaah« oder »wau/wow/woahu/ohwau« und ähnliche Stöhn- oder Heullaute?

Das war voll geil. Es war hammermäßig. Voll der Hammer. Hammergeil.

Der eine und die andere schafft es sogar, mit erweitertem Wortschatz zu glänzen, indem der Begriff »genial« hinzugefügt wird. Die größtmögliche Begeisterung hört sich dann so an:

Echt voll geil, genial der Hammer!

Ähnliche Einschränkungen scheinen beim Ausdruck von negativen Empfindungen zu herrschen.

Ey, voll krass. Hammerkrass. Ey boah ey. Ich bin total daun. Hammermäßig krass.

Manchmal frage ich mich, ob die Gefühle dieser Menschen genauso eingeschränkt sind wie ihre Fähigkeit, Empfingungen auszudrücken.
Dann wären sie ja doppelt zu bedauern, mit doppelter Behinderung. Oder: Das wäre voll der Hammer krass. Boah ey!

P.S.: Ich musste einfach mal wieder losmeckern über den Verfall der Sprache, obwohl ich weiß, dass es gar nichts nützt.
P.P.S.: Ohne die solchermaßen losgewordene Trübsal geht es mir nun besser. Noch nicht voll genial geil, aber auch nicht mehr so hammerkrass.

Donnerstag, 30. September 2010

Neuland – Das Ende

Bevor ich mich verbal und virtuell verprügeln lasse, gebe ich dem Drängeln nach und präsentiere das Ende der Geschichte. Nicht allen wird er schmecken, der letzte Gang. Neu hinzustoßenden Lesern würde ich allerdings empfehlen, zunächst – auch wenn es eine Weile dauert – die vorangegangenen Teile zu lesen. Sonst ist der Schluss gar kein Schluss.

Die Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]

So. Und nun – auf eigene Gefahr der verehrten Leser – der Schluss.

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Bitteres Erwachen

»Herr Wegemann! Können Sie mich hören, Herr Wegmann?«

Er grub sich durch den Tunnel der lähmenden Finsternis und versuchte, zu begreifen, was vor sich ging.

»Herr Wegemann! Kommen Sie zu sich. Sind Sie da?«

Wer war dieser Herr Wegmann? Es war Asthanthes Stimme, die da rief. Er konnte nicht gemeint sein, aber irgendwie hatte es doch mit ihm zu tun.

»Hören Sie mich? Können Sie die Augen aufmachen?«

Er versuchte es, und tatsächlich hoben sich die Augenlider und gaben einen kleinen Spalt frei. Das Licht blendete ihn und er erkannte nichts. Er blinzelte, schaute, blinzelte.

»So ist es gut! Wachen Sie auf, Herr Wegemann!«

Er wollte Asthante mitteilen, dass es keinen Herrn Wegemann mehr gab, dass sein Name Anron sei, aber dazu war er noch nicht fähig. Er konnte nur verständnislos die merkwürdige Umgebung mustern, in der er die Augen geöffnet hatte.

»Er wacht tatsächlich auf«, sagte eine Männerstimme. War der Besuch gekommen, während er schlief? Warum hatte Astanthe, ihn nicht rechtzeitig geweckt? Nein. Er schlief und träumte. Doch was sollte das für ein merkwürdiger Traum sein, in dem er geweckt wurde und sofort wusste, dass er schlief? Er musste träumen, denn das was er sah, gab es schon seit Hunderten, nein, seit Tausenden von Jahren nicht mehr.

Eine Infusionsflasche, elektrisches Licht, Männer und Frauen in weißen Kitteln, Monitore. Er hörte, dass Lautsprecher vor sich hin summten und piepsten, aber das alles war doch längst Vergangenheit?

»Können Sie mich verstehen, Herr Wegemann?«

Seine Augen suchten nach der Quelle dieser freundlichen Stimme und fanden sie.

»Asthanthe, wo sind wir hier?«, flüsterte er so kraftlos und leise, dass er nicht sicher war, ob sie ihn verstanden hatte.

»Sie sind im Krankenhaus, Herr Wegemann. Es gab einen Unfall, aber jetzt sind Sie gut aufgehoben. Ich bin Dr. Neumeier.«

»Wo sind Bjora und Bersan?« brachte er mühsam hervor. »Wo ist unser Kind?«

Einer der Männer benetzte ihm die Lippen mit ein paar Tropfen Wasser und schaute fragend zu Asthanthe? Frau Dr. Neumeier? hinüber. »Bisoprolol?«, fragte der Mann.

Asthante? Dr. Neumeier? sagte »später« und sah ihm weiter in die Augen, der Blick auf vertraute Weise beruhigend. Sie erklärte: »Sie hatten einen Unfall, Herr Wegemann. Sie waren lange im Koma, aber jetzt sind Sie wieder bei uns und werden gesund. Versuchen Sie, wach zu bleiben, eine kleine Weile. Haben Sie Schmerzen?«

Ein Unfall? Koma? Er wollte sich dagegen wehren, die andere, neue Welt war so viel schöner gewesen. Mochte dies hier unter Umständen doch kein Traum sein? Halt, nein. Das konnte nicht stimmen, schließlich stand Asthanthe an seinem Bett. Zwar nicht nackt wie gewohnt, sondern in einem weißen Kittel, aber er erkannte sie ohne jeden Zweifel, schließlich hatte er fast ein Jahr mit ihr gelebt.

»Haben Sie Schmerzen, Herr Wegmann?«, wiederholte sie ihre Frage.

Es war seine Asthanthe, obwohl sie eine Brille trug. Sie nahm seine Hände – vorsichtig, damit die Nadel nicht verrutschte -  in ihre und hielt sie fest, eine vertraute und liebgewonnene Geste, sah ihm weiter in die Augen und fragte: »Können Sie mich verstehen?«

»Ja, ich verstehe dich«, flüsterte er, dann schlief er wieder ein.

 

Healthcare upcloseAls er Stunden später aufwachte, stand sie wieder an seinem Bett und nahm sofort seine Hände.

»Wie viel Zeit ist vergangen?«, fragte er.

»Sie waren drei Monate und vier Tage ohne Bewusstsein, Herr Wegemann.«

»Was ist geschehen?«

»Wie fühlen Sie sich? Haben Sie Schmerzen?«

Er prüfte seine Empfindungen. »Nein, ich habe keine Schmerzen, ich bin nur sehr müde. Was ist mit mir passiert?«

»Gleich, Herr Wegemann, ich erzähle es Ihnen. Versuchen Sie jetzt bitte, Ihre Arme und Beine zu bewegen, geht das?«

Er gab sich Mühe, konnte aber nicht feststellen, ob er Erfolg hatte. Die Ärztin nickte jedoch zufrieden und lächelte.

»Sie sind noch sehr geschwächt, aber das bringen wir schon in Ordnung. Sie müssen Geduld haben, dann wird es gehen.«

»Wo bin ich und warum?«

»Sie sind in München, man hat Sie eingeflogen, nachdem man Sie gefunden hatte. Woran können Sie sich als letztes erinnern?«

Er dachte angestrengt nach, aber er wusste nicht, welchen Zeitpunkt er suchte. Es konnte nicht das Tor in jener Nacht des Krieges gewesen sein, dann gäbe es dieses Krankenhaus nicht mehr. Vorher. Irgendwo vorher? Er war aufgewacht und hatte im Morgengrauen die Säulen? gesehen. Noch weiter zurück? Was war vorher gewesen? Geräusche in der Nacht. Krachen und Knarzen, vor dem Grauen des Morgens.

»Ich glaube, ich habe irgendwelche Geräusche gehört, und bin davon aufgewacht. Kann das sein?«

»Das ist möglich. Wissen Sie noch, wo Sie waren?«

»Ich lebe in einer kleinen Hütte im Wald, nahe der polnischen Grenze. Oder nicht?«

»Doch, das ist richtig. Man hat Sie dort aus den Trümmern ausgegraben. Ein Sportflugzeug ist abgestürzt, und hat ausgerechnet sie Lichtung erwischt, auf der die Hütte stand.«

»Mitten in der Nacht?«

»Es flog ohne Erlaubnis, vermutlich eine zwielichtige Geschichte. Zigarettenschmuggel in großem Stil haben die Zeitungen geschrieben. Sie haben heute Mittag, als Sie zum ersten Mal kurz aufwachten, etwas von einem Kind gesagt. Gab es ein Kind bei Ihnen? Andere Personen?«

»Nein, es gab wohl kein Kind. Noch nicht. Er ist ein wunderschöner Junge. Wollen Sie mich heiraten, Frau Dr. Neumeier? Dann wäre es möglich, dass wir einen ganz entzückenden Sohn haben.«

Sie lachte fröhlich. »Das ist der originellste Heiratsantrag, den ich jemals bekommen habe. Aber ich muss Sie leider enttäuschen, einstweilen sind Sie ans Bett gefesselt und können keinen Traualtar aufsuchen.«

»Schade. Verraten Sie mir trotzdem Ihren Vornamen? Ich heiße Fritz und vermute, dass Sie nicht Asthanthe heißen.«

»Ist das polnisch?«

»Nein, das ist ein Name aus einer anderen Welt.«

»Meiner ist sehr irdisch. Ich heiße Eva. Jetzt sollten Sie wieder schlafen, Fritz, damit Sie zu Kräften kommen. Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Eva. Vielleicht möchten Sie ja in ein paar Wochen einen alten Waldschrat heiraten?«

Sie ließ wieder ihr ansteckendes, fröhliches Lachen hören. »Ach Herr Wegemann, ich meine Fritz, schlafen Sie gut. Vielleicht träumen Sie ja von unserer Hochzeit und können mir dann morgen erzählen, wie mein Brautkleid aussieht.«

»Das werde ich. Oder ich träume von jener Welt, die Sie leider nicht kennen und in der Sie bereits meine Frau sind. Es ist übrigens schade, dass ich jetzt aufgewacht bin, denn eigentlich wollte Gott zu Besuch kommen.«

»Wenn es der Genesung dient, habe ich nichts dagegen, dass er Sie heute Nacht besucht«, versicherte sie. »Falls Sie noch nicht gleich einschlafen können, kann ich Ihnen den Fernseher anmachen. Das Programm ist normalerweise das beste Schlafmittel. Den Ton lasse ich ganz leise, damit er Sie nicht wachhält.«

Fritz nickte. Sie richtete die Fernbedienung, die auf seinem Nachttisch lag, auf einen flachen Bildschirm an der gegenüberliegenden Wand.

Fritz hatte seit mehr als sieben Jahren kein Fernsehgerät gesehen und das flache Ding nicht als solches identifiziert. Erstaunt beobachtete er die Uhr vor dem Beginn der Tagesschau. Das Piepsen war kaum zu hören, so leise hatte die Ärztin das Gerät eingestellt.

Er war sehr müde und schloss die Augen. Er hörte die Fanfare und dann die Stimme des Sprechers. Guten Abend, meine Damen und Herren. Bei den Wahlen in Russland bahnt sich eine Sensation an. Nach den ersten Hochrechnungen hat der ultrakonservative…

Fritz Wegemann schlief ein.

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Ende.

Dienstag, 28. September 2010

Neuland – Teil 11

Zunächst die Pflichtübung, der Verweis auf die vorangegangenen Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10]

Nun die gute Nachricht für zappelige Leser: Gleicht geht es mit Teil 11 weiter.

Hier eine Nachricht zur Folge 10: Die Überschrift hätte da nicht hingehört. Sondern eher über das Kapitel 11.

Und nun die schlechte Nachricht für die Nimmersatten: Dies ist die vorletzte Folge. Teil 12 wird der Schluss der Geschichte sein. Tja.

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Kommt Besuch?

Sie hatten Angst gehabt, alle vier. Keiner von ihnen verfügte über eine medizinische Ausbildung, und es gab nichts, was früher, in jener vergangenen Welt, selbstverständlich gewesen war. Keine Hebamme, keinen Kreißsaal, keine ärztliche Begleitung. Aber die Angst war unbegründet, wie sich herausstellte. Die Geburt der beiden ersten Kinder im Neuland verlief ohne jegliche Komplikationen, fast beiläufig. Der Fluch des Kindergebärens unter Schmerzen schien seiner Wirksamkeit verlustig gegangen zu sein.

Ein kalter Winter lag hinter ihnen. Sie hatten ihn ohne Mangel überstanden, da sie rechtzeitig eine reiche Ernte eingebracht und genügend Vorräte eingelagert hatten. Während der Wochen, in denen der Schnee hoch lag, hatten sie einander nicht besuchen können, da sie es nicht riskieren wollten, dass jemand auf einem vereisten Hang stürzte, abgesehen davon, dass ein Durchkommen durch die Schneemassen ausgesprochen mühsam gewesen wäre. Ihre Wohnungen lagen einen halben Tagesmarsch auseinander, an den entgegengesetzten Enden eines Tales, das von Bergspitzen eingerahmt geradezu ideale Lebensbedingungen bot. Bersan und Bjora hatten eine Höhle mit zwei Räumen bezogen, während Asthante und Anron sich ein Blockhaus gebaut hatten, eine Unternehmung, die ihnen erst gelang, nachdem sie taugliche Werkzeuge aus Stein hergestellt hatten.

Ob das Tal von den Hütern und Hirten für sie vorbereitet worden war oder ob das Klima ganz natürlich für die vielfältigen Früchte, Korn, Kartoffeln und sogar Weinreben an einem Abhang gesorgt hatte, blieb ihnen verborgen. Sie ernährten sich überwiegend vegetarisch, aber gelegentlich gab es auch Hasen- oder Rehbraten. Nachdem sie in den ersten Wochen noch versucht hatten, mit Hütern oder Hirten Kontakt aufzunehmen, hatten sie irgendwann begriffen, dass sie selbst diese Funktionen bekommen hatten.

Sie hatten nie den Versuch unternommen, eine Zeitrechnung wieder einzuführen, es spielte keinerlei Rolle, ob nun Montag oder Mittwoch war. Es war ebenso unerheblich, ob es 10 Uhr oder 14 Uhr sein mochte.

Basthera Die beiden Kinder kamen im Abstand von zwei Tagen zur Welt, ein paar Wochen bevor der Frühling den Schnee aus dem Tal vertrieb. Asthante und Anron nannten ihren Sohn Airos. Der Klang des Namens gefiel ihnen, sie wussten nicht, ob er eine Bedeutung hatte, aber das spielte keine Rolle, fanden sie. Airos war kräftig und vollkommen gesund, soweit sie das beurteilen konnten.

Bjora und Bersan war das Geschrei ihrer kleinen Basthera eine Erlösung. Sie hatten befürchtet, das Kind könnte wie seine Mutter ohne Stimme geboren werden, aber auch diese Angst erwies sich als unbegründet.

Bjora hatte immer wieder versucht, einigermaßen verständliche Laute hervorzubringen, seit sie in der Höhle dem finsteren Zorgas begegnet waren und Bjora zum ersten Mal im Leben ihre eigene Stimme gehört hatte. Es waren verzweifelte Schreie gewesen, aber es war eine Stimme. Geduldig beobachtete sie, wie Bersan beim Sprechen die Lippen bewegte, legte ihre Hände auf seinen Hals und seine Brust, um die Vibrationen seiner Stimme zu spüren. Sie konnte stumme Worte mit den Lippen formen, die er ablas, aber die Stimmbänder gehorchten ihr nicht.

Basthera dagegen äußerte mit zufriedenem Glucksen, kräftigem Gebrüll oder fröhlichem Quietschen ihre jeweilige Stimmungslage.

 

»Wie gefällt euch euer Schwiegersohn?«, fragte der stolze Anron, als die beiden Familien sich sechs Wochen nach den Geburten, nachdem die Schneeschmelze vorüber war, in der Höhle der B-Familie trafen.

Bersan war nicht weniger stolz als Anron. Er hob seine Tochter in die Höhe und sagte: »Sehr gut, einen kräftigen Buschen habt ihr da. Ich hoffe, er wird mit seiner Frau zufrieden sein. Ich gebe mein Einverständnis zur Hochzeit!«

Asthante nahm die kleine Basthera in die Arme, Bjora kuschelte mit Airos.

Sie saßen in der wärmenden Sonne vor der Höhle, wo seit dem Herbst ein großer Tisch und zwei Bänke standen. Es hätten bequem acht Menschen Platz finden können. So weit war die Bevölkerung noch nicht gewachsen, aber Bersan hatte gemeint, wenn sie schon einen Essplatz im Freien schufen, dann gleich für die nächste Generation mit.

Beide Wohnungen waren mittlerweile ausgestattet mit Möbeln und allerlei Gefäßen, aus Ton geformt und gebrannt. Sogar das Teppichknüpfen hatten sie gelernt. Bjora hatte als kleines Kind gelegentlich einem Handwerker aus ihrem Dorf zuschauen dürfen, der Textilien herstellte, und sich verschiedene Techniken so gut gemerkt, dass sie ihre Gefährten unterrichten konnte.

Die Höhle und das Blockhaus waren leicht zu beheizen. Für den Winter hatten sich beide Paare Kleidung angefertigt, sogar einigermaßen bequeme Stiefel waren ihnen nach etlichen Fehlversuchen gelungen. Die Kleidung wurde jedoch nicht zur Gewohnheit, sondern nur dann angelegt, wenn es die Kälte draußen unbedingt verlangte. Es war allen vier Gefährten peinlich, sich angezogen zu begegnen, als seien die Hosen und Jacken etwas Unanständiges, Verwerfliches; Relikte aus einer anderen Welt, mit der sie nichts mehr zu tun haben wollten.

Zufrieden und gut gesättigt saßen sie nach dem Mahl auf den Bänken vor der Höhle, die Säuglinge schlummerten im Schatten auf einem weichen Fell. Asthante blickte hinüber zu dem munteren kleinen Bach und beobachtete zwei Vögel, die an einer flachen Stelle im Wasser badeten. Bald würde das Wasser der kleinen Seen im Tal wieder eine Temperatur haben, die zum Baden und Schwimmen einlud.

Bjora berührte sie am Arm, um ihren Blick auf sich zu lenken. Sie formte mit den Lippen langsam und deutlich die Worte: »Wir bekommen morgen Besuch.«

Die Gefährten hatten sich längst daran gewöhnt, dass Bjora – womöglich anstelle ihrer Stimme – eine besondere Gabe besaß, für die sie keinen rechten Namen fanden. Auch Anron hatte so manches empfunden, gespürt, ohne sagen zu können, warum oder woher, Asthante und Bersan hatten gelegentlich ähnliche Eindrücke der innerlichen Gewissheit, aber bei Bjora war die Fähigkeit viel ausgeprägter. Asthante hatte mit dem Begriff Prophetie versucht, der Gabe einen Namen zu geben, Anron war Hellsehen eingefallen, aber kein Wort beschrieb richtig das Phänomen. Bjora wusste nicht in erster Linie über Zukünftiges bescheid, obwohl das gelegentlich vorkam, wie damals, als sie auf dem Weg zur Begegnung mit Zorgas gewesen waren. Bjora wusste einfach manches, was sie nicht wissen konnte, wenn man ausschließen wollte, was in der früheren Welt nicht normal gewesen war. Sie wusste, welches Gestein zur Herstellung von Äxten und Messern taugte, führte die Gruppe zielstrebig zum ausgedehnten Kartoffelfeld, genauso zielstrebig, ohne zu suchen, zum Weinberg und zur einzigen Stelle im Tal, an der Feuerstein zu finden war. Als sie ihre Wohnungen einrichteten, war es immer Bjora, die eine Lösung für auftretende Schwierigkeiten wusste. Auch bei Problemen, die nicht – wie das Teppichknüpfen – mit ihrem vorherigen Leben in Zusammenhang gebracht werden konnten. Bjora wusste. Sie ahnte nicht, sie mutmaßte nicht, sie wusste. Woher, konnte sie allerdings selbst nicht erklären, sie versuchte es auch gar nicht.

Nun wusste sie offenbar, dass Besuch zu erwarten war.

Anron fragte: »Ein Wächter, ein Hüter?«

Bjora schüttelte den Kopf.

Bersan war besorgt: »Doch nicht etwa der widerliche Cowboy?«

Wieder ein Kopfschütteln.

»Menschen?«, versuchte es Asthante.

Bjora griff nach ihrer Schiefertafel und ihrer Kreide und schrieb: Gott.

Anron sagte sofort: »Ich glaube nicht an Gott. Wenn es einen Gott gegeben hätte, dann wäre so manches nicht passiert.«

Asthante meinte: »Ich bin nicht so sicher wie du. An den Gott, den man mir in jener anderen Welt gepredigt hat, glaube ich allerdings auch nicht. Aber vielleicht haben ja die Prediger Unfug geredet?«

»Eine Menge Unfug, so viel ist sicher«, antwortete Anron. »Der eine Gott hat seinen Leuten Sprengstoffgürtel umgebunden, damit sie möglichst viele Menschen umbringen oder sie gleich in Flugzeuge gesetzt, die man prima in Gebäude steuern kann. Der andere hat sich erst ein Lieblingsvolk ausgesucht, um dann dessen Nachbarn mit Mann und Maus bei Bedarf ausrotten zu können. Der nächste hat seinen Sohn sterben lassen bei dem vergeblichen Versuch, die Menschen zu retten. Soweit ich weiß, sind nur vier Exemplare übrig geblieben…«

Bjora lächelte und notierte auf ihrer Tafel: Er ist anders.

Bersan zuckte mit den Schultern. »Ich habe nie an Übernatürliches geglaubt, damals, aber seit ich hier angekommen bin, hat sich das geändert. Doch wohl bei uns allen, oder?«

»Ja, das stimmt schon«, gab Anron zu, »zumindest soweit es unsere Trennung von Natürlich und Übernatürlich aus der vergangenen Welt betrifft. Die Wächter, die Hirten, auch der beängstigende Zorgas, sie haben alle Fähigkeiten, die unsere übersteigen. Du übrigens auch, liebe Bjora. Aber das kann doch trotzdem natürlich sein, hier gelten eben erweiterte oder andere Naturgesetze, die ich nicht durchschaue. Die wir nicht durchschauen. Aber niemanden von diesen Wesen würde ich als Gott bezeichnen, es sei denn, wir kehren zu einem altertümlichen Götterbild zurück: Ein Gott für die Sonne, einen für das Gewitter, einen für die Tiere, einen für die Fruchtbarkeit …«

Beim Stichwort Fruchtbarkeit begannen Arios und Basthera gleichzeitig, sich zum Zwecke der Nahrungsaufnahme bemerkbar zu machen.

 

Als die Sonne hinter den Gipfeln verschwunden war, zogen sich die Familien in die Höhle zurück. In beiden Wohnungen gab es Platz genug für alle und genügend Lagerstätten, denn aufgrund des weiten Weges, der ihre Wohnorte trennte, war es üblich, dass sie stets über Nacht blieben, meist sogar mehrere Tage verweilten, wenn sie einander besuchten.

Anron schlief schon fast, als Asthante flüsterte: »Was würdest du Gott fragen wollen, wenn er tatsächlich zu Besuch käme?«

»Er kommt nicht«, brummte Anron. »Dieses Mal irrt sich Bjora.«

Asthante kuschelte sich an ihn und sagte: »Wir werden es ja sehen. Schlaf gut, ich liebe dich!«

»Vielleicht frage ich ihn, womit ich eine so wunderbare Frau verdient habe«, meinte Anron.

Bis sie dann wirklich einschliefen, verging noch eine ganze Weile.

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Fortsetzung, die letzte, folgt. Oder sollte ich schreiben: Ende folgt?

Montag, 27. September 2010

Neuland – Teil 10

[Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9]

In einem Kommentar zum vorigen Beitrag hatte ich ein längeres Kapitel angekündigt. Das war ein Irrtum. Diese Fortsetzung ist eine von den übersichtlicheren… Na so was.

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Eine Heimat

Sie stiegen weiter in die Berge empor.

Asthanthe und Anron hatten auf ihrer Wanderung viel geredet, konnten einander manche offene Frage beantworten und stießen dabei auf immer neue und größere Rätsel. Sie hatte ihm erzählt, durch welches Tor sie in diese neue Welt gekommen war. »Ich lebte in England, in der Nähe von Leeds. Mein Vater war ein arbeitsloser Trinker, meine Mutter eine verzweifelte Frau, die versuchte, ihre Tochter vor ihrem eigenen Ehemann zu schützen. Das klingt nicht sehr nett, und es war auch nicht nett zu Hause. Als ich zwölf war, fing er an, sich für mich zu interessieren auf eine Art und Weise, in der Väter sich niemals für ihre Töchter interessieren dürfen. Ich war ein ahnungsloses Kind, und nur den offenen Augen meiner Mutter habe ich es wohl zu verdanken, dass er mich nicht missbraucht hat, na ja, also zumindest hat er mich nicht vergewaltigt. Sie verließ ihn, als ich 14 war und zog mit mir nach Schottland. Wir lebten sehr einsam und in Armut, aber wir waren meinen Vater los, was uns beiden das Leben erträglicher machte.

Banff, ScotlandIch wuchs in einem kleinen Ort an der Küste auf, der Banff hieß. Nach der Schule fand ich keine Ausbildungsstelle, wir waren für die Schotten so etwas wie die Schwarzen in Amerika. Wir waren auf dem Papier gleichberechtigt, anerkannt, nicht diskriminiert, aber in der Praxis sah es oft anders aus.

Ich bekam Kontakt zu einer Gruppe von Jugendlichen, die einer ziemlich emotionalen wilden Freikirche angehörten, ich konnte mit dem ganzen Gejauchze und Gehüpfe nichts anfangen, aber sie waren die ersten in Schottland, bei denen ich mich angenommen fühlte. Auch meine Mutter fand Freunde zu der Gemeinde und wir fühlten uns zum ersten Mal wirklich wohl und zu Hause in Schottland. Es war eine schöne Zeit, trotz unserer Armut. Die Gläubigen halfen und unterstützten uns nach Kräften, wobei niemand dort wirklich reich war.

Kurz bevor unsere Welt in Schutt und Asche versank, hatte die Gemeinde einen Gastredner aus Argentinien, der eine Woche lang Abendversammlungen durchführte. Seine Predigten waren einfach und direkt. Er warnte vor einer nahen Katastrophe und forderte die Menschen auf, sich zu Gott zu bekehren.

Einige folgten den Aufrufen, die meisten aber nahmen seine schlichten, wenig intellektuellen Worte nicht sonderlich ernst. Immerhin hatten schon vor 2000 Jahren die Apostel das nahe Ende der Welt verkündet. Am letzten Abend der Woche gab es die Möglichkeit, sich von den Pastoren und dem Gastredner segnen zu lassen, und meine Mutter und ich gingen nach vorne zum Podium. Schaden konnte das ja nichts, dachte ich.

Der Argentinier sah mich an, schloss die Augen und flüsterte: »Nein, Herr, das kann nicht sein.«

Ich wartete einfach ab und verstand nichts. Mich konnte er ja mit Herr kaum gemeint haben. Vermutlich unterhielt er sich mit Gott. Schließlich machte er die Augen wieder auf und sagte: »Widersteht dem Bösen, so weicht er von euch. Sag ihnen, dass sie widerstehen müssen und hilf deinem Mann. Du wirst wissen, was zu tun ist.«

Du musst dir vorstellen, dass ich keinen Mann hatte, nicht einmal einen Freund, und nicht die geringste Ahnung, was kommen würde. Ich hielt den Prediger für etwas durchgeknallt, auf eine sympathische Art allerdings. Dann segnete er mich und meine Mutter und bat Gott um Kraft und Mut für unsere Zukunft.

Das geschah drei Tage, bevor ich das Tor fand. Wir wachten in jener Nacht auf, weil die Sirenen unaufhörlich heulten. Wir schalteten das Radio ein und erfuhren, dass die Welt in einen Krieg geraten war. Meine Mutter war sehr still, schließlich sagte sie: »Geh hinaus an das Meer, ich werde in Frieden zu meinem Erretter gehen.«

Ich wollte sie nicht verlassen, aber sie bestand darauf, dass dies Gottes Wille sei und so fügte ich mich, als sie schließlich fast handgreiflich wurde, damit ich endlich ging. Das sah ihr so gar nicht ähnlich. Ich kannte weder Gottes Willen noch Gott, hatte manches gehört in der kleinen Kirche, aber das war größtenteils so widersprüchlich und jenseits von jeglicher Vernunft, dass ich nichts damit anzufangen wusste. Meine Mutter bestand jedenfalls darauf, dass ich zum Strand hinunterging. Dort traf ich ein Wesen, das so unwirklich war, dass ich dachte, ich hätte alles nur geträumt, sei noch immer in einem Traum gefangen. Es wies mir den Weg zu einer abgelegenen Stelle, und als ich dort ankam, sah ich etwas, das wie ein Tor wirkte. Ich ging hindurch und landete in dieser Welt hier.«

Anron fragte: »Wie sah das Wesen am Strand aus?«

Sie beschrieb es als Zylinder, als silbrig schimmernde Säule.

»Und das Tor, waren da Bäume oder so etwas?«

»Nein, es war wie ein schimmernder Bogen in der Dunkelheit über dem Wasser. Ich habe ihn nicht berührt, ich weiß nicht, was es wirklich war. Ich kannte den Strand seit Jahren, auch bei Nacht, weil ich gerne dort schwimmen ging, wenn niemand sonst in der Nähe war. Eine solche Lichterscheinung hatte ich nie gesehen. Aber ich wusste irgendwie in jener Nacht, was zu tun war. Ich zog mich aus und watete in das Wasser. Dann fand ich mich in einem See wieder, der Tag brach an. Da bin ich nun.«

Sie erzählte weiter, wie sie zuerst von einem Begleiter geführt wurde, der ihr diese neue Welt ein wenig vertrauter machte und sie schließlich auf den Weg zu den Bergen schickte. Später, als sie alleine wanderte, traf sie immer wieder Wächter und Hüter, die ihr halfen.

Anron sagte: »Eins verstehe ich nicht. Du bist in England und Schottland aufgewachsen, warum sprichst du so perfekt Deutsch, als sei es deine Muttersprache?«

»Spreche ich Deutsch? Ich habe nie Deutsch gelernt. Ich glaube, wir reden in einer Sprache, die keinem Land gehört, ohne es zu merken. Bjora kam aus Spanien, hatte ihr Land nie verlassen, und doch versteht sie jedes Wort von dir oder mir, ganz zu schweigen von Bersan, den sie inzwischen auch ohne Worte gut versteht.«

»Du meinst, die babylonische Sprachverwirrung ist aufgehoben?«

»Ich kann es mir nicht anders erklären. Ich denke und rede wie früher, und doch verstehen wir uns. Du redest und denkst wie früher und merkst auch nicht, dass sich etwas geändert hat.«

Er nahm es hin, ohne es zu begreifen. Daran hatte er sich längst gewöhnt, dass manches nicht zu begreifen und dennoch eine Tatsache war. Sie erzählte weiter, wie sie zunächst Bjora und dann ihn und Bersan getroffen hatte.

»Bjora hat mir zu verstehen gegeben, woher sie kam, mit viel Raten und nach unendlichen Fehlversuchen bin ich endlich auf Spanien gekommen. Sie ist dort auf dem Land in einem kleinen Kaff aufgewachsen, ohne Schulbesuch, man hielt sie wohl für geistig zurückgeblieben, weil sie nicht sprechen konnte.«

Bjora und Bersan hatten ihre eigene Art entwickelt, sich auszutauschen. Oft, wenn es zur Verständigung ausreichte, begnügte sie sich nach wie vor mit Gesten und Zeichen, sie sprach mit ihrer Mimik und ihren Augen, aber sie lernte gleichzeitig das Alphabet, Worte aus Buchstaben zusammenzusetzen. Es gab immer wieder geeignetes Material wie eine helle Felswand und einen angekohlten Ast oder weiche weiße Steinsplitter, mit denen man auf dunkleres Gestein schreiben konnte.

Sie tauschten ihre Erlebnisse aus und ihre Gedanken und Hoffnungen für die Zukunft. Viele Fragen fanden keine Antworten, die Zeit würde offenbaren, was richtig war. Eine der Überlegungen, die kein Ergebnis fand, war die Gesundheit.

»Ich weiß nicht, ob wir vor Krankheiten sicher sind.« sagte Bersan. »Bjora kann nicht sprechen, aber das ist momentan das einzige, was an uns nicht vollkommen scheint. Keine Erkältungen, keine Magenprobleme, obwohl wir zum Teil Nahrung zu uns nehmen, die für unsere Körper ungewohnt ist. Viele Früchte habe ich hier zum ersten Mal gesehen.«

Anron dachte noch weiter. »Es ist sowieso unklar, ob wir älter werden oder nicht, wenn ja, wie schnell. Die Zeit läuft hier anders, oder wir sind anders in die Zeit eingebunden. Ich denke immer wieder darüber nach, ob dies tatsächlich ein neuer Anfang für die Menschheit sein soll, ob unsere Kinder und Enkel eine neue Bevölkerung darstellen werden. Und darüber, ob das genetisch gut gehen kann.«

»Wie meinst du das?« fragte Asthanthe.

»Wir sind zwei Paare, die voraussichtlich Kinder haben können. Angenommen wir haben jeweils einen Sohn und eine Tochter. Dann wird unser Sohn eure Tochter zur Frau nehmen und umgekehrt. Wenn sie dann wiederum Kinder haben werden, sind es doch immer noch nahe Verwandte, die dabei entstehen? Ich weiß nicht, ob das gut geht, ob es nicht genetische Schäden geben wird.«

Bjora schüttelte verneinend den Kopf und Bersan fragte: »Du meinst, sie werden gesund sein?«

Sie nickte.

»Ich habe mich manchmal gefragt, ob wir wirklich die einzigen Menschen sind und warum ausgerechnet wir«, meinte Asthanthe. »Wer hat uns ausgewählt, wer hat gesagt: Diese vier Menschen sollen es sein? Ein Soldat, ein Einsiedler aus dem Wald, eine arbeitslose junge Britin und eine Spanierin aus einem kleinen Dorf. Keine hochgestellten Leute, keine herausragenden Persönlichkeiten. Warum wir?«

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Fortsetzung folgt.

Sonntag, 26. September 2010

Danke! Thank you!

Allen Freunden, die meine Geburtstagsfeier zu einem wunderbaren Erlebnis gemacht haben ein herzliches Dankeschön, dass Ihr mit mir gefeiert und mich noch dazu so reichlich beschenkt habt.

To all my friends who made my birthday party such a wonderful event: Thank you for celebrating with me and all the generous gifts!

thankyou


Thank you all, including those who couldn’t come to the party.

Ich danke euch allen, auch denen, die nicht zur Feier kommen konnten.

I feel very honoured to know you as my friends!

Ich fühle mich sehr geehrt, Euch als Freunde zu haben!

 

(Klick on the picture if you wanna study any details)