Gestern fiel mir, als ich bei Haso über emergente Heilungen las, dieser Text wieder ein, den ich im September 2001 für Glaube.de geschrieben habe. Eigentlich schon ziemlich alt, mancher kennt ihn sicher, aber da ist er, leicht überarbeitet:
Was wäre das Leben ohne Schubladen: Unordentlich, unübersichtlich, unangenehm. Wir brauchen Schubladen, um Arrangements zu schaffen. Die Wäsche in diese Schublade, die Tischdecken in jene, Schal und Handschuhe für den Winter in die nächste. Am Arbeitsplatz sortieren wir Material gesondert von Schriftwechseln und Arbeitsunterlagen, Akten alphabetisch oder nach Datum. In der Werkstatt haben Schrauben einen anderen Ort als Nägel. Das ist gut so, sonst würden wir die Übersicht verlieren und erhebliche Zeit für das Suchen aufwenden müssen.
Auch sonst sind wir schnell mit Schubladen zur Hand. Das eine legen wir unter „fundamentalistisch“ ab, das nächste bekommt den Stempel „charismatisch“ aufgedrückt und manches stufen wir gar als „gefährliche Spinnerei“ oder „hoffnungslos von Gestern“ ein. So schaffen wir Ordnung für unsere Sicht der Dinge – und berauben uns selbst.
Schauen wir uns einmal an, auf welche Art und Weise in der Bibel Heilungen geschehen sind.
Da rührt Jesus aus Speichel und Erde Lehm an, um ihn auf blinde Augen zu streichen. Da wird jemand aufgefordert, sich mehrmals in das Flußwasser zu tauchen. Da fällt der Schatten der Apostel auf Menschen, die fortan gesund sind. Da verzweifeln die Jünger an einem epileptischen Knaben, weil das, was ihnen Jesus selbst beigebracht hat, auf einmal nicht mehr funktioniert. Da wird bei einem Kranken eine Hand aufgelegt, ein anderer mit Öl gesalbt. In einem Fall genügt ein Wort zur sofortigen Gesundung, bei anderer Gelegenheit müssen Aussätzige krank losgehen, um sich den Priestern zu zeigen – im Vertrauen darauf, daß die Heilung zur rechten Zeit sichtbar sein wird. Eine Frau berührt heimlich und verstohlen das Gewand des Herrn, ein Blinder schreit und lärmt, um auf sich aufmerksam zu machen. Timotheus wird angeraten, Wein zu trinken, anstatt eine Heilung für seinen schwächelnden Magen zu erwarten...
Gottes Wirken ist so vielfältig wie die Menschen, an denen er wirkt. Wir dürfen nicht sagen: „Zur Heilung eines Kranken ist es notwendig, Schema A anzuwenden. Falls das nicht funktioniert, versuchen wir es mit Schema B. Als letzte Lösung haben wir dann Schema C in der Schublade.“ Wir werden zwangsläufig scheitern.
Vielleicht sind wir deshalb dazu übergegangen, gar nicht mehr ernsthaft mit übernatürlichem Eingreifen Gottes zu rechnen. So berauben wir uns der Möglichkeit, staunend und voller Freude Zeuge dessen zu sein, was ein Gott, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist, tun kann und möchte.
Wenn wir zunächst in Schubladen sortieren - aussortieren - was wir von vorne herein nicht sehen, erleben und wissen wollen, alles, was nicht unserer Tradition und Vorstellung entspricht, als inakzeptabel abgestempeln, wie können wir dann Gottes Überraschungen erleben?
Wenn Christen aus unterschiedlichen Gemeinden, Kirchen und Konfessionen anerkennen könnten, daß die Gläubigen aus den anderen Gemeinschaften das gleiche Ziel, wenn auch mit unterschiedlichen äußeren Formen, verfolgen, was wäre dann nicht alles möglich. Zum Beispiel: Die Menschen, die Gott nicht kennen, mit seiner Liebe und Vergebung bekannt zu machen...
Stilfragen und Äußerlichkeiten sind wichtiger geworden als die verlorenen Menschen, die nichts von Sünde, Vergebung und neuem Leben wissen. Wir wollen allen Ernstes darüber streiten, ob diese oder jene Form der Taufe angemessen ist, ob das Reden in Sprachen eine Wirkung des Heiligen Geistes oder ein Ausbruch menschlicher Hysterie ist. Manche etablierten Christen beäugen misstrauisch jeglichen Aufbruch, einige aufbrechende Christen verteufeln das Traditionelle...
Ich meine, daß wir die Schubladen schließen und uns dem zuwenden sollten, was uns Jesus aufgetragen hat: Geht hin und macht die Menschen mit Gottes Liebe bekannt. Das ist keine Missionsbitte oder ein Missionsvorschlag, sondern Jesus hat das ernst gemeint. Er hat für uns, charismatisch oder fundamentalistisch, evangelikal oder katholisch, freikirchlich oder konfessionell, einen hohen, bitteren und teuren Preis bezahlt. Wir sollten uns schämen, wenn wir einander be- und verurteilen, anstatt alles daran zu setzen, auch unsere Mitmenschen dem Verderben zu entreißen. Aber vielleicht glauben wir ja gar nicht mehr, dass ein Mensch ohne Jesus Christus verloren geht...
Machen wir doch die Schubladen zu, ziehen wir an einem Strang, bis alle Menschen in unseren Städten und Ländern gerettet sind. Wenn das der Fall ist, können wir ja beruhigt sortieren, wer in welches Fach gehört. Wenn uns dann noch danach ist...
7 Kommentare:
super Vergleich mit den Schubladen !
... mit Sicherheit in das Sortieren
danach, dann glücklicherweise auch
nicht mehr wichtig... ;-)
Wir werden all an der Schubladitis eingehen. Wenn man heute Nachrichten hört oder liest, findet man täglich neue Schubladen, die aufgemacht werden. Dicke und dünne, Vielesser und -trinker, Raucher, Oberklasse, Unterschicht etc. pp. Das erste, was Politikern, Publizisten, Journalisten einfällt, wenn es ein problem zu lösen gilt, ist, alles in Schubladen zu stecken, danach Schuld an den Zuständen in die jeweiligen Schubladen hinterher zu schieben und weiterhin nichts zu tun. Unter den Glaubenden ist es wie Du, Günter, schon oft beschrieben hast, leider genauso und natürlich bin ich selbst auch nicht frei davon, da gibt es ganz konkrete Personen, Gemeinden, Sachverhalte usw., an denen ich das bei mir selbst bemerken kann.
Aber der Auftrag, Gottes Liebe allen kundzutun und damit auch Heilungen zu bewirken, jenseits von festgelegten Verhaltensregeln und Protokollen, ist sehr ermunternd.
Ich versuche das gegenwärtig bei meinem schwer erkrankten Vater, der kein gläubiger Mensch ist. Rituale würden bei ihm sicher auf keine Resonanz stoßen. Die Verkündung von Gottes Liebe, der Rat an ihn, den Herrn anzurufen und um Wegnahme seiner Last zu bitten, weil ER derjenige ist, an den sich die Mühseligen und Beladenen wenden sollen und vor allem, dass es im irdischen Leben nie zu spät sein kann, das zeitigt vorsichtige Resonanz bei ihm. Um soweit zu kommen, musste ich mich aus Schubladen befreien und auch sein Denken aus Schubladen herausholen.
@Günna: haste nich ma' ne' Paste aus Spucke, Sand und zermahlenen Bibelversen, die man auf meine Depresschion auftun könnte?
Wenns nur helfen täte, wäre ich zu allem Unfug bereit. Muss ich vielleicht die Wort und Geist - Welle jetzt doch noch mitnehmen?
Bin nach Toronto und der Welle der Apostel und Propheten aus dem "Gemeinde-Wellenbad" ausgetreten.
Jetzt bin ich sogar wieder evangelisch-lutherisch geworden. Habe kein Interesse an Schubladen. Nur an Heilung.
@Ralfo the Don: So eine Paste habe ich leider nicht, sonst würde ich ein Päckchen rüberbeamen.
Ich habe - man sagte mir mal, das sei typisch für kreative Menschen wie Autoren und Musiker - einen Hang zur Sadness, seit der Kindheit. Früher nannte man das Wehmut, heute benennt man es Depression. Ich kenne die tiefen dunklen Löcher sehr gut, in die man gemütsmäßig sinken kann, bis keine Sonne mehr zu scheinen scheint.
Ich habe gelernt, damit zu leben, solche Gemütszustände zuzulassen, aber dann auch wieder aufzutauchen. Dabei helfen mir die Psalmen des oft genug depressiven David, der seine Seele fragt, warum sie so betrübt sei, der sich von Gott und Menschen verlassen fühlt und - wie sein Sohn Salomon - oft genug ausdrückt, dass alles hundsmiserabel ist. Aber, und das hilft mir persönlich, es gelingt ihm dann mit einem Willensentschluss, trotz aller Umstände und Gefühle und gegen jegliches Empfinden das auszusprechen, was jenseits der Dunkelheit vorhanden ist: Gottes Liebe, Hoffnung, sogar Freude und Glück.
Ich weiß nicht, wie verständlich das ist, es ist schwierig auszudrücken. Aber es war für mich erlernbar, mühsam zwar und langwierig, aber es gelang und gelingt wieder, wenn es notwendig ist...
@Günter
Was Du beschreibst, sind depressive Stimmungen, aus Depressionen taucht man im allgemeinen nicht von selbst wieder auf. Der eigene Willensentschluss, den Herrn um Hilfe zu bitten, kann auch bei Christen blockiert sein. Da ist Fürbitte nötig.
Bei einer Depression gibt es nichts mehr als die Gewissheit von eigener (vermeintlicher) Schuld, Verfolgung und Bestrafung. Nicht dunkel ist es, sondern pechschwarz.
@thomas-bdd:
Das es nie zu spät sein kann,
beschreibst Du sehr einfühlsam
über Deinen schwer erkrankten Vater.
Dein letzter Satz ist sehr hoffnungsvoll !
Ich finde es sehr berührend, dass Ihr Euch
neu begegnet (ohne alte Schubladen)
und Du Deinem Vater eine allmähliche Gottes-Begegnung eröffnest...
Da passiert Großartiges in kleinen Schritten - im Verborgenen !
Ich wünsche Dir viel Geduld und Kraft dafür.-
@Thomas: Ich bin ja nun weder Mediziner noch psychologisch fachlich bewandert, es ist durchaus nachvollziehbar, dass es Abstufungen oder Unterschiede gibt.
Meine Erfahrung ist halt die, dass mich irgendwann - wie beschrieben meist durch die Psalmenlektüre - ein erster Lichtstrahl erreicht. Und zum lesen der Psalmen brauche ich eine Willensentscheidung.
Dass die bei schwereren oder "echten" Fällen vom Betroffenen allein nicht bewältigt werden kann, ist mir durchaus nachvollziehbar.
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