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Mittwoch, 22. August 2018

Herr K. soll sich übergeben

Wer bei der Lesung zur Nacht der offenen Kirchen 2018 dabei war, mein Buch »Salbe, Segen, Sammeleimer« gelesen oder meine Blogeinträge in Augenschein genommen hat, ist Herrn K. bereits begegnet. Falls das bei Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, nicht der Fall sein sollte, wird diese Geschichte jedoch nicht weniger verständlich oder unverständlich sein.

Beim Stadtbummel durch Amsterdam kamen die beste aller Ehefrauen und ich an einer Dame vorüber, die sich ein Schild umgehängt hatte, auf dem zu lesen war: Jesus is my savior, not my religion John 3:17. Auf der Mütze, die sie gegen den gelegentlichen Regen oder aus anderen SON04349Gründen trug, stand Real women love Jesus. Die Dame sang und rief abwechselnd mit lauter Stimme allerlei Parolen, den Passanten schien das weitgehend gleichgültig zu sein, jedenfalls blieb niemand stehen, um zuzuhören. Außer einem Herrn, den ich zuerst nur von hinten sah, aber dennoch ziemlich schnell erkannte. Es war Herr K.

Er sprach nach einer Weile des Zuhörens ein paar Sätze mit der Dame, verabschiedete sich dann höflich mit Handschlag und ging in Richtung Dam davon. Da wir die gleiche Richtung einschlugen, lag es nahe, sich bemerkbar zu machen. Ich rief: »Hallo, Herr K.!« und er drehte sich um. Erfreut strahlte er uns an: »Na so ein Zufall, da trifft man sich mitten in Amsterdam! Guten Tag Frau Miller-Matthia, guten Tag Herr Matthia. Sind Sie« – dabei lächelte er mich direkt an – »auf den Spuren der Vergangenheit unterwegs, um Schauplätze Ihres ersten Buches in Augenschein zu nehmen?«

»Auch das«, erklärte ich, »aber Amsterdam besuchen wir nur heute. Wir genießen zwei Wochen Urlaub, unser Ferienhaus liegt im Gelderland«.

Es begann zu nieseln. Herr K. deutete auf einen Coffeeschop ein paar Schritte entfernt und fragte: »Zeit für ein paar Worte und einen schönen Kaffee?«

Wir hatten Zeit und so saßen wir kurz darauf gemütlich am Fenster. Die beste aller Ehefrauen bestellte Tee aus frischer Minze, Herr K. und ich den »großen« Kaffee, der in den Niederlanden ungefähr die Größe eines heimischen klitzekleinen Kaffees hat. Aber dafür ist er deutlich stärker.

Ich war neugierig: »Was haben Sie denn die Dame mit dem Schild gefragt?«

»Ich habe um eine Erklärung des unverständlichen Kürzels am Schluss des Plakates gebeten. John 3:17 – das kann ja alle möglichen und unmöglichen Bedeutungen haben. John Lennon könnte den vorausgehenden Satz um drei Uhr siebzehn gesagt haben. 3:17 ist aber auch eine passende Zeitangabe für eine Single, die könnte von Dr. John oder Elton John stammen, dann wäre der Satz ein Zitat aus dem Lied. Oder John Newton wollte, dass man dann 3 durch 17 teilt, was 0,1764705 ergibt. Das wiederum könnte eine Telefonnummer sein, oder ein Code für ein Bankschließfach, in dem Werweißschonwasalles liegt.«

Die beste aller Ehefrauen lachte vergnügt und fragte: »Hat die Dame denn das Geheimnis gelüftet?«

Herr K. nickte. »Sie meinte, das sei doch klar, dass es sich um einen Verweis auf einen Vers aus der Bibel handelt. Was sie dann zitiert hat, war allerdings kein Vers, jedenfalls kein Vers aus einem Gedicht oder Lied, denn es hat sich nicht gereimt.«

»Verse nennt man die nummerierten Sätze, in die man vor ein paar hundert Jahren die biblischen Texte zerstückelt hat«, erklärte ich. »Aber das, was auf dem Schild der Dame stand, war jedenfalls nicht der biblische Vers.«

Herr K. fuhr fort: »Sie hat den sogenannten Vers auswendig zitiert, in etwa ging das so: Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richten soll, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werden kann. Ungefähr so, jedenfalls. Ich habe sie dann gefragt, warum der Satz mit denn beginnt und worauf sich das bezieht. Ich meine, kein Mensch fängt doch einen Satz mit denn an, wenn er nicht vorher etwas gesagt hat, was er nun mit dem denn begründen oder erläutern will, oder?«

Ich musste kichern, weil mir diese Unsitte im Rahmen frommer Verlautbarungen auch schon oft aufgefallen war. Da wird ein Satz ohne jeden Zusammenhang und ohne grammatikalische Anpassung zitiert, und alle, die es lesen oder hören, sollen das selbstverständlich verstehen und zum Anlass nehmen, sofort ein christliches Leben zu beginnen.

»Davor geht es um Mose, eine Schlange und die Wüste«, erklärte ich Herrn K., »vermutlich ist das aber auch nicht gerade hilfreich beim Verständnis. Man sollte schon den gesamten Text im Zusammenhang lesen.«

Herr K. zuckte mit den Schultern. »Meinetwegen, ich habe überhaupt nichts gegen Wüstenschlangen. Aber anschließend meinte die Dame, ich solle mich an Ort und Stelle übergeben, um nicht in der Hölle zu landen. Oder so ähnlich.«

Die beste aller Ehefrauen fragte: »Übergeben? Sie sollten sich da auf der Straße übergeben?«

»Ja. Vielleicht habe ich es falsch verstanden, das Deutsch der Dame war kein muttersprachliches. Sie sagte – übrigens hat sie mich von Anfang an geduzt, aber Schwamm drüber – sie sagte: Sprich mir jetzt das Gebet nach, um dich zu übergeben, dann landest du nicht in der Hölle.«

»Ach so!« rief ich. »Sie wollte ein Übergabegebet mit Ihnen sprechen.«

»Ein was?«

»Es gibt unter den Christen einige Gruppierungen, die der Meinung sind, man müsse bestimmte formelhafte Sätze aussprechen, sonst könne man nicht gläubig sein oder werden. Das nennt man dann Übergabegebet, ein Gebet zur förmlichen Übergabe des Lebens an Jesus Christus.«
»Aha. So so. Herr Matthia, ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten oder aufdringlich sein, aber darf ich fragen, ob Sie sich jemals übergeben haben?«

IMG_20180813_133649Vom Nebentisch drang würzig-süßer Rauch zu uns herüber, ein Joint machte dort die Runde. Ich erinnerte mich zurück an meine Hippiezeit und an manches Erbrechen nach dem Genuss gewisser Substanzen … aber darauf wollte Herr K. ja wohl eher nicht hinaus. Ich antwortete: »Ja, aber das würde ich nicht als notwendigen oder entscheidenden Punkt bezeichnen, was meinen Entschluss betrifft, an Gott und Christus zu glauben. Geschadet hat das Übergabegebet damals zwar auch nichts, aber der Abend, an dem das Übergabegebet stattfand, war kein dauerhafter Wendepunkt in meinem Leben.«

Herr K. sah auf die Armbanduhr und meinte: »Schade, dass ich aufbrechen muss, aber mein Zug fährt in 25 Minuten. Vielleicht können wir, sollten wir uns wieder einmal treffen, das Gespräch fortsetzen. Ich würde mich freuen.«

Wir verabschiedeten uns herzlich voneinander und brachen auf. Er in Richtung Bahnhof, wir schlenderten zum Dam.

»Die Dame mit dem Plakat meint es sicher gut und aufrichtig und ehrlich«, meinte die beste aller Ehefrauen, »aber ob jemand davon wirklich angesprochen wird?«

»Man möchte es ihr wünschen«, antwortete ich. »Gut gemeint ist leider nicht immer gut gemacht.«

Dann zeigte ich auf die Stufen um das Nationalmonument und erzählte: »Hier saßen damals jede Menge Hippies mit ihren Instrumenten und haben gemeinsam musiziert. Da war ich oft dabei.«

Donnerstag, 15. Februar 2018

Salbe, Segen, Sammeleimer

Unterhaltsames, Spannendes und Ernsthaftes vom Heimatkrimi bis zur Begegnung mit biblischen Personen aus ganz und gar ungewohnter Perspektive.

Salbe, Segen, Sammeleimer - Umschlagbild»Schön für den einen Geheilten, aber was haben die vielen Menschen empfunden, die krank zurückgeblieben sind?« fragte ich mich schon im Kindesalter, als ich die Geschichte von der Heilung eines Gelähmten am Teich Bethesda hörte. »Und was ist das überhaupt für eine merkwürdige Heilungslotterie, bei der die Kranken darauf warten müssen, dass ab und zu ein Engel das Wasser bewegt – und nur der erste, der dann reinspringt, wird gesund?«
Die Bibel enthält (unter anderem) eine ganze Menge von spannenden, unterhaltsamen und oft genug rätselhaften Erzählungen. Viele Fragen bleiben bei der Lektüre der Texte offen. Zum Beispiel:
  • Warum versteckt sich Gott so hartnäckig vor den Menschen, dass daraus derart viele Religionen und Gottesbilder entstanden sind?
  • Hatte Judas I. S. eigentlich eine Wahl? Wer sonst hätte denn den Menschensohn dem göttlichen Plan gemäß in die Hände der Vollstrecker überliefern sollen oder wollen? Freiwillige vor! Und ist Judas I. S. wirklich zu Tode gekommen?
  • Konnten Bileams Esel und die damals noch mit Beinen ausgestattete Schlange im Paradies tatsächlich sprechen? Wenn ja, warum dann nicht auch heutzutage ein grüner Käfer auf dem Balkongeländer ?
In 18 Erzählungen lasse ich solchen und ähnlichen Fragen und den möglichen oder unmöglichen Antworten freien Lauf. Ich erzähle Geschichten aus der Sicht von Menschen, die dabei gewesen sind und womöglich das Geschehen ganz anders erlebt haben, als es uns in den Schriften überliefert ist. Ich werfe auch einen amüsierten oder entsetzten Blick auf manche Erscheinungsformen der Frömmigkeit in unseren Tagen, und zwar meist in Gestalt des Herrn K., der sich fragt, mit welcher Salbe die zum Altar strömenden Besucher eines Gottesdienstes eigentlich behandelt werden, als er vernimmt, dass »die Salbung vorne stärker« sei.
Einige Texte wurden bereits in Zeitschriften oder in Büchern veröffentlicht, einige auf meinem Blog. Ich habe alle für diese Zusammenstellung überarbeitet, so dass die Leser auch bei älteren Geschichten, die sie bereits einmal gelesen haben, neue Facetten entdecken können. Etwa so, wie bei einem neu abgemischten und mit ein paar Bonustiteln ergänzten Album der Beatles.
Ich hoffe, dass ich mit diesen Erzählungen den Lesern nicht nur ein paar unterhaltsame Stunden ermöglichen kann, sondern dass sie auch zum Hinterfragen, Querdenken und Weiterspinnen der Ideen, Vorstellungen und Interpretationen angeregt werden – ob sie nun an einen Gott glauben oder nicht.
Das Buch gibt es
18 Erzählungen rund um das Christentum und die oft skurrilen Erscheinungsformen von Glaubensgemeinschaften und Kirchen in unserer Zeit für den Preis einer Schachtel Zigaretten. Das Buch hält deutlich länger als die Tabakwaren und ist darüber hinaus absolut nicht gesundheitsschädlich.


Zum Anhören aus dem Buch:
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Dienstag, 6. Dezember 2016

Das Weihnachtsgeschenk

Für viele Menschen hat Weihnachten keine Bedeutung außer ein paar freie Tage zu genießen und Geschenke auszutauschen. Das sei jeder und jedem von Herzen gegönnt. Dass ich an dieser Stelle einmal daran erinnern möchte, was es mit dem Fest eigentlich auf sich hat, wird man mir hoffentlich ebenso gerne gönnen:

iphone_PNG5740Ein mobiles, womöglich auch noch schlaues Telefon ist ja weit mehr als ein Telefon. Man kann mit einem Smartphone Bilder aufnehmen, durch fremde Städte navigieren, soziale Netzwerke heimsuchen, sich die Zeit damit vertreiben, auf dem Bildschirm virtuelle Ameisen zu zerquetschen, Musik hören, Konzerte, Diskussionen oder Ansprachen aufnehmen, Bücher einkaufen, Nachrichten lesen oder sehen, und man kann sogar – kaum zu glauben! – telefonieren.

Nun stell dir, liebe Blogbesucherin oder lieber Blogbesucher, einmal vor, jemand bekommt ein solches Gerät zu Weihnachten geschenkt. Wenn das der Fall ist, dann gibt es drei Möglichkeiten, wie man darauf reagieren kann:

  1. Man nimmt es zur Kenntnis – aha, Tante Erna oder Onkel Paul hat mir ein Mobiltelefon geschenkt. Feine Sache. Und dabei belässt man es dann.
  2. Man packt das Gerät aus, nimmt es in Betrieb, freut sich daran, dass der Bildschirm so schön bunt aufleuchtet und legt es dann beiseite, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
  3. Man macht sich mit dem Geschenk vertraut, beschäftigst sich mit der Anleitung, lernt das Smartphone kennen und verwendet es fortan als hilfreichen und Freude machenden Begleiter im Alltag.

Inzwischen mag sich mancher Leser frage, ob das hier eine Werberede für ein Mobiltelefon werden soll … nein, das sei ferne! Es ist eine Allegorie: Zu Weihnachten wird ursprünglich und eigentlich gefeiert, dass Gott uns ein Geschenk gemacht hat. Er hat seinen Sohn Mensch werden und unter uns Menschen leben lassen.

Natürlich hinkt der Vergleich wie alle Vergleiche hinken, aber man kann auch auf dieses Geschenk, nicht von Tante Erna oder Onkel Paul, sondern von Gott, auf dreierlei Weise reagieren:

  1. Man nimmt es zur Kenntnis – aha, Gott hat seinen Sohn gesandt. Feine Sache. Hat aber nichts mit meinem Leben und mir zu tun.
  2. Man nimmt das Geschenk an, freut sich daran, dass Jesus Mensch geworden ist und legt diese Erkenntnis dann gedanklich beiseite, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
  3. Oder man macht sich mit dem Geschenk vertraut, lernt Jesus ein wenig kennen (was seine Zeit dauert und auch nicht so ganz einfach gelingt). Aber dadurch wird Jesus zu unserer Hilfe und Freude, zu unserem Begleiter im Alltag.

Ich wünsche meinen geschätzten Blogbesuchern, dass Gottes Geschenk ihnen wieder neu oder zum ersten Mal bewusst und wertvoll wird. Dann wird es nämlich möglich, sich tatsächlich über Weihnachten als Erinnerung an die Geburt Jesu zu freuen, völlig losgelöst von mehr oder weniger kitschigen Liedern, pausbäckigen Engeln oder rot gekleideten weißbärtigen, dicken Männern, die alle behaupten, der Weihnachtsmann zu sein, den es – die Kinder lesen bitte diesen Satz nicht – ja gar nicht gibt.

»Freuet euch« – das wird auf einmal ganz leicht, wenn wir Gottes Geschenk der Menschwerdung in unseren Alltag hineinnehmen, und diese Freude ist dann sogar unabhängig von irdischen Geschenken unter dem Tannenbaum.

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P.S.: Bild von pngimg.

Dienstag, 9. Februar 2016

»Unten durch sein - das kenne ich zur Genüge.« - Ein Gespräch mit Herrn Judas S.


Während ich kürzlich im Fitnesstudio auf dem Laufband, Bruce Springsteen live in Chicago via Kopfhörer in den Ohren, den vierten von zehn Kilometern lief, schweiften meine Gedanken ab und mein Blick umher. Auf einem Ergometer ein paar Schritte links von mir trainierte ein Herr, dessen Name vielen geläufig ist, obwohl sie ihn nie persönlich getroffen haben. Es wurde und wird viel über ihn geredet, aber wer redet mit ihm? Ich beschloss, wenn möglich ins Gespräch zu kommen.

Ob etwas daraus geworden ist, können meine geschätzten Blogbesucher nebenan auf dem Wordpress-Blog erfahren: [https://gjmberlin.wordpress.com/]

P.S.: Das Bild ist ein eigenes Kunstwerk
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Freitag, 20. November 2015

Ist Religion die Wurzel allen Übels?

Unbestritten sind nicht alle Mohammedaner Terroristen. Aber genauso unstrittig ist es, dass Terrorakte in unserer Zeit so gut wie ausschließlich von Menschen verübt werden, die den Islam als Religion haben. Das war einmal anders, da waren es diejenigen, die sich als Christen bezeichneten, die mit Mord und Raub und Zerstörung fremde Länder heimsuchten, während sie in ihrer eigenen Heimat sogenannte Hexen verbrannte, sogenannte Teufel austrieben und das Volk im Namen Gottes knechteten und ausquetschten bis zum letzten Blutstropfen. Genau so, wie der Islam sich heute präsentiert, als Eroberungsreligion die über Leichen geht, hat sich über Jahrhunderte das Christentum aufgeführt.

Aufklärung und Reformation haben nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass sich diese Zustände geändert haben. Es gibt auch unter Mohammedanern aufgeklärte Köpfe und Reformer, das ist unstrittig, aber bisher hat eine Reformation nicht stattgefunden. Der Koran, ich habe ihn auszugsweise gelesen, ist eine recht sperrige Lektüre. Also wird er überwiegend von »Schriftgelehrten« ausgelegt und gepredigt. Das normale Volk liest sein heiliges Buch nicht, schon gar nicht mit kritischem und aufgeklärtem Blick. Es gibt immer noch viel zu viele, die den Koran wörtlich nehmen, wobei sie sich natürlich nur die jeweils passenden Verse - Pardon, Suren - herauspicken. Genauso, wie es unter Christen noch immer hier und da solche gibt, die jede auch noch so abstruse Idee und Lehre mit ein paar Sätzen aus der Bibel untermauern können: Das steht so geschrieben, also ist es das, was Gott/Allah will und befiehlt.

COEXIST-FinalIch verstehe alle, die angesichts des Zustandes unserer Welt Religionen für die Wurzel allen Übels halten, sehr gut. Vielleicht ist Religion nicht die Wurzel allen Übels, da gibt es schließlich auch noch Habsucht, Machtstreben, Neid, Missgunst und allerlei andere Wurzeln, aber das Leid und Unrecht, das im Namen dieses oder jenes Gottes angerichtet wird, schreit wahrlich zum Himmel. Aus dem ist allerdings in der Regel keine Antwort zu erwarten. Die Antworten müssen schon wir selbst finden und geben. Ich habe keineswegs alle Antworten parat, aber ich bin sicher, dass sie nicht im Hass liegen, nicht in politischen Extremen und wüsten Beschimpfungen von Menschen, die anders denken und empfinden als man selbst. Man sollte als zivilisierter Mensch schon in der Lage sein, eine andere Meinung stehen zu lassen, und die Person, die sie hat, dennoch zu akzeptieren und zu achten.

Im Gegensatz zu manchen meiner (auch sehr guten!) Freunde bin ich Christ aus Überzeugung. Ich habe Menschen kennen gelernt und schätze sie, die Nachfolger Allahs sind oder an einen Gott, wie man ihn auch nennt, überhaupt nicht glauben können. Wäre ich nun einer von jenen, die ihre Bibel (beziehungsweise die jeweils zum Anlass passend herausgepickten Passagen) wörtlich nehmen, dann dürfte ich mit solchen Menschen gar keine freundschaftliche Gemeinschaft genießen. Ich müsste sie missionieren, bis sie endlich ihre Meinung ändern beziehungsweise meinen Glauben annehmen, weil ich sonst Schuld daran trüge, dass sie auf ewig in einem feurigen Pfuhl gequält werden. Diese Schuld würde selbstverständlich ausreichen, um auch mich in den feurigen Pfuhl zu bringen.

Daher, aus der Angst vor göttlicher Strafe, wenn man nicht die eigene Religion – koste es was es wolle – verbreitet, rührt die verbiesterte Penetranz mancher Zeitgenossen, die ihre Mitmenschen unbedingt bekehren wollen – zum Christentum, zum Islam, zum Hinduismus … der Buddhismus scheint mir noch die friedlichste Religion zu sein, vielleicht aus dem Grund, dass man als Buddhist an jeden oder auch gar keinen Gott glauben darf.

Ich bin Christ. Wenn es den gnädigen und guten Schöpfer gibt, an den ich glaube, dann ist es für mich undenkbar, dass er Milliarden seiner Geschöpfe, nur weil sie in nicht christianisierten Gegenden (oder bereits vor Christus) gelebt haben, einer ewigen Qual ausliefert. Da halte ich mich lieber, um hier ausnahmsweise einmal die Bibel zu zitieren, an das, was der Überlieferung zufolge Jesus von Nazareth auf die Frage eines Theologen geantwortet hat.

Eines Tages kam ein Schriftgelehrter auf Jesus zu und fragte: »Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu bekommen?«
Jesus antwortete mit einer Gegenfrage: »Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du da?«
»Du sollst Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt lieben und deinen Nächsten wie dich selbst.«
Jesus bestätigte den Mann: »Du hast richtig geantwortet; tu das, so wirst du ewig leben.«

Anschließend wird im Lukasevangelium noch eine illustrierende Geschichte eingeflochten, die weithin bekannt ist. Ich habe sie einmal unter dem Titel [Herr K. reist nach Greifswald] in die heutige Zeit transportiert. Darin geht es darum, dass einer von mehreren Passanten über alle religiösen und gesellschaftlichen Barrieren hinwegsieht und einem in Not geratenen Menschen ganz praktisch hilft.

Zum Schluss der Erzählung fragt dann Jesus den Theologen:

»Was meinst du, welcher von diesen drei Passanten dem Opfer des Überfalls der Nächste war?«
Der Mann antwortete: »Der ihm geholfen hat.«
Da sagte Jesus zu ihm: »Dann geh hin und handle genau so.«

Ich glaube, wenn wir uns als Atheisten, Christen, Buddhisten, Mohammedaner oder was auch immer dazu durchringen könnten, religiöse und gesellschaftliche Barrieren aus dem Weg zu räumen, dann wäre die Menschheit einem friedlichen Miteinander deutlich näher. Es blieben immer noch Habsucht, Machtstreben, Neid, Missgunst als Wurzeln des Übels übrig, aber ein riesiges Problem wäre beseitigt.

You may say I’m a dreamer
but I’m not the only one.
-John Lennon

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P.S.: Das Bild stammt von [Openclipart] /// Die Textpassagen aus dem Lukasevangelium stammen aus einer bisher unveröffentlichten Fassung aus meiner eigenen Feder /// Der aus der Mode gekommene Begriff Mohammedaner wird hier erklärt: [Wikipedia – Mohammedaner]

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Donnerstag, 4. Dezember 2014

Buddha und Jesus: »Deine Feinde solltest du lieben.« Ach du kriegst die Tür nicht zu!

Feinde … Todfeinde dürften die wenigsten meiner geschätzten Blogbesucher haben. Ich muss mich jedenfalls nicht verstecken, um am Leben zu bleiben. Wenn hier heute von Feinden die Rede ist, dann sind auch nicht Terroristen und Islamisten oder sonstige –isten gemeint. Sondern eher der tückische Nachbar, der missgünstige Kollege, der hinterlistige Chef und ähnliche Zeitgenossen.

Warum sollte nun jemand eigentlich auf die abwegige Idee kommen, seine Feinde zu lieben, ihnen Gutes zu wünschen und ihnen sogar womöglich auch noch wohlzutun? Der Gedanke liegt wohl den meisten Menschen zunächst fern. Dennoch taucht er in verschiedenen Kulturkreisen auf. Zum Beispiel bei Buddha und bei Jesus.

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.*

Das soll Jesus, dem Evangelisten Matthäus zufolge, gelehrt haben. Im Buddhismus wird das etwas greifbarer und praktischer. So wird nachdrücklich empfohlen, sich auf eine Meditation unter anderem mit diesen Worten einzustimmen und vorzubereiten:

Mögen meine Feinde gesund, froh und friedevoll sein. Möge ihnen kein Unheil zustoßen, mögen ihnen keine Schwierigkeiten begegnen. Mögen ihnen keine Probleme erwachsen. Möge ihr Tun immer erfolgreich sein.
Mögen sie auch Geduld haben, Mut, Verständnis und den festen Willen, unvermeidliche Schwierigkeiten, Probleme und Rückschläge zu überwinden.**

Da kann man schon mit Fug und Recht rufen: Ach du kriegst die Tür nicht zu! Wozu soll das denn gut sein?

Es gibt mehrere ganz handfeste Gründe:

Zunächst, ohne überhaupt an die Feinde zu denken, ist es so, dass derjenige, der ganz bewusst Liebenswürdigkeit und Güte praktiziert, unweigerlich sich selbst beschenkt: Geist und Seele entspannen sich, es kehrt Friede ein. Dadurch werden körperliche Spannungen abgebaut, Schmerzen gemindert und allgemein die Gesundheit gestärkt. Das ist ein alter Hut, den auch die Schulmedizin längst begriffen hat. Was wir denken, wie wir handeln und was wir aussprechen hat Einfluss auf unser Befinden, ob wir es wissen und wollen oder nicht. Mit negativen Gedanken - auch anderen gegenüber - schaden wir uns letztendlich selbst.

Ganz praktisch betrachtet erschließt sich außerdem folgende Logik: Wenn unsere Feinde gesund, froh und friedevoll sind, dann werden sie meist kaum noch unsere Feinde bleiben. Wenn sie keine Probleme haben, keine Schmerzen leiden, keine Neurosen oder Psychosen haben, wenn sie frei von Angstzuständen, Paranoia und Anspannungen sind ... wären sie uns dann immer noch feindlich gesinnt? Es ist also eine ganz praktische Lösung für uns selbst, unseren Feinden dabei zu helfen, ihre Probleme zu lösen, denn dann können wir endlich in Frieden und Ruhe leben. Wer den Geist seines Feindes mit Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit und Friedfertigkeit füllen könnte, wäre doch selbst am besten dran.

Auch das ist übrigens keine moderne Erkenntnis. Dieses Prinzip hat Karl May, man mag von ihm halten was man will, am Beispiel von Old Shatterhand und Winnetou sehr eindrücklich dargestellt.

mq2yYOKWenn du jemanden hasst, dann denkst du doch ungefähr so: Der soll hässlich sein! Es soll ihm schlecht gehen! Schmerzen soll er haben! Ihm soll alles misslingen! Die Menschen sollen ihn ablehnen und hassen!

Was durch solche Gedanken tatsächlich geschieht, ist folgendes: Unser eigener Körper produziert eine so schädliche Chemie, dass wir selbst Schmerzen bekommen, unser Herzschlag beschleunigt sich, Muskelverspannungen treten auf, unsere Gesichtszüge ändern sich, es kommt zu Appetitlosigkeit oder regelrechten Fressanfällen, zu Schlaflosigkeit und infolge all dieser (nicht eingebildeten, sondern echten) Phänomene werden wir mehr und mehr unleidlich, zänkisch und verlieren nach und nach jeglichen inneren Frieden. Uns geschieht letztendlich genau das, was wir unserem Feind wünschen. Dadurch werden wir noch missmutiger, ärgerlicher, unversöhnlicher ... was zur weiteren Verschlechterung des eigenen Zustandes führt. Unserem Feind geht es womöglich deutlich besser als uns. Die Folge: Neid und noch mehr Hass stauen sich auf.

Um einer solchen Spirale zu entkommen (oder gar nicht erst hineinzugeraten), kann man eins tun, nämlich das was Jesus gelehrt, was Buddha empfohlen hat: Die Feinde lieben, indem man ihnen ganz bewusst und aufmerksam Gutes wünscht und zuspricht und - soweit das möglich ist - sogar auch praktische Probleme aus dem Weg räumen hilft. Dazu muss man übrigens weder Christ noch Buddhist sein. Oder sonst was. Es reicht völlig, ein Mensch zu sein.

Wenn du nicht weißt, wie du damit anfangen sollst - wie wäre es, ob du nun meditierst oder nicht, bewusst und aufmerksam jeden Tag so an deine Feinde zu denken:

Mögen meine Feinde gesund, froh und friedevoll sein. Möge ihnen kein Unheil zustoßen, mögen ihnen keine Schwierigkeiten begegnen. Mögen ihnen keine Probleme erwachsen. Möge ihr Tun immer erfolgreich sein.
Mögen sie auch Geduld haben, Mut, Verständnis und den festen Willen, unvermeidliche Schwierigkeiten, Probleme und Rückschläge zu überwinden.

Das sind natürlich keine magischen Formeln. Da gibt es keinerlei mystische Wirkung, nur weil du das aufsagst. Wenn du aber mit deinen Gedanken, mit Geist und Seele dabei bist, wenn du dich zumindest darum bemühst, das auch so zu meinen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass du mit der Zeit beobachten wirst, wie es dir selbst besser und besser geht.

Ob mir selbst das denn gelingt, fragt sich bestimmt der eine oder andere Leser. Oder manche Leserin. Das verdient eine ehrliche und klare Antwort: Nicht immer, schon gar nicht sofort, wenn mir Feindseligkeit entgegenschlägt. Aber immer öfter und immer zügiger. Und ich bin fest entschlossen, in meinem Bemühen nicht müde zu werden, die Worte des Mannes aus Nazareth mit dem Herzen zu beherzigen:

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen, auf dass ihr Kinder seid eures Vater im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.

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Quellen: *Bibelzitat aus Matthäus 5, 43-45, Luther-Übersetzung /// **Vorbereitung zur Meditation aus dem Buch »Mindfulness« von Venerable Henepola Gunaratana (eigene Übersetzung) /// Foto: [RGB-Stock]
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Mittwoch, 3. Dezember 2014

Paulus: Wir sind wandelnde Tote

Zu den Schriften des Paulus beziehungsweise den Texten, die ihm zugeschrieben werden, habe ich auf diesem Blog schon gelegentlich kritische Anmerkungen gemacht. Heute soll einer seiner Sätze aber mal als nachdrückliches Ausrufezeichen dienen. Das kam so: Ich las einen Artikel meines irischen Freundes und Autorenkollegen Dylan Morrison, dessen Texte ich schon öfter übersetzt habe. Dieser aktuelle Beitrag malt ein deutliches Bild dessen, was der Satz in Römer 6, 11 eigentlich für unser Leben bedeutet, wenn wir ihn mal durchdenken. Wir sind wandelnde Tote. Und das ist auch gut so. Warum? Das schildert der folgende Beitrag, der in großen Teilen eine Übersetzung (mit freundlicher Genehmigung natürlich) seines Artikels Dead Folk Walking ist; einige ergänzende Einschübe stammen von mir.

Der Apostel Paulus, auch als Saulus von Tarsus bekannt, war für seine jüdischen Freunde so etwas wie ein Psychologe. Da er gleichzeitig Mystiker und ein sehr selbstbewusster Lehrer in religiösen Dingen war, geben so manche seiner Schriften oder ihm zugeschriebene Briefe Stoff für »christliche« Lehren her, die beim zweiten Blick auf falschen Schlüssen aus dem Inhalt basieren.

Wenn jemand dir rät, dass du »verantwortliche Beziehungen« innerhalb der christlichen Kreise pflegen und dir von anderen Menschen »in dein Leben hineinsprechen lassen« solltest, dann mag das gut gemeint sein, vielleicht weil du mit deiner Spiritualität nicht so ganz in die gängigen frommen Vorstellungen passt. Und du willst ja alles richtig machen - also bist du gehorsam und fügst dich, obwohl du ein ungutes Bauchgefühl dabei hast. Innerlich sträubst du dich, aber der Druck der Gruppe oder Gemeinschaft ist stärker …

Es fällt jedoch gar nicht schwer, auf die Anwendung solcher Vorschläge zu verzichten - nicht aufgrund von eingebildeter Perfektion, sondern anhand des Herangehens von Paulus an das Thema psycho-spirituelle Gesundheit.

»Geht von der Tatsache aus, dass ihr für die Sünde tot seid, aber in Jesus Christus für Gott lebt«

Das ist einer der befreiendsten Sätze, die unser mystischer Therapeut jemals geäußert hat. Alles hängt von dem kleinen Begriff »von der Tatsache ausgehen« beziehungsweise in anderen Übersetzungen »etwas annehmen und damit kalkulieren« ab.

Eine Tatsache braucht man nicht zu diskutieren, damit kann man fest rechnen. Das heißt für dieses Zitat, dass wir uns nicht in einem gestörten Zustand Gott gegenüber befinden, sondern ohne jegliche Furcht eins mit der göttlichen Liebe sind. Der gute alte Paulus scheint also den Schluss zu ziehen, dass wir wandelnde Tote sind: Das frühere fragmentierte und ängstliche Ego können wir getrost für gestorben und beerdigt halten. Der mystische Paulus erkannte die vergängliche Natur unserer eigenen psychisch-spirituellen Sinnestäuschung, nämlich irgendwie von der göttlichen Quelle getrennt zu sein.

Der menschliche Geist hat sich nie auf die maßlose Reise des »verlorenen Sohnes« bei seiner Jagd nach dem Glück gemacht. Unser Geist war und blieb vielmehr immer ein Funke des göttlichen Feuers, obschon er unter dem Gezeter und den rudernden Armen des Egos außer Sicht geriet. Unser Seelenleben hat sich die Lüge einer göttlichen Missbilligung einreden lassen und folglich eine Sammlung von allerlei Waffen für den Kampf dagegen zugelegt.

Doch Paulus behauptet hier, dass die alte Natur des Ego bereits tot und begraben sei. Wir müssen uns nicht mehr um die Fehlfunktionen des Ego, oder um ein tief religiöses Wort zu benutzen, die Sünde, kümmern. Nein, statt dessen gibt es und gab es schon immer eine alternative Lebensweise, nämlich Gott gegenüber lebendig zu sein.

Das klingt alles noch sehr theoretisch. Wie sieht das in der Praxis aus?

Zunächst ist das Kreisen um die Schuldgefühle unseres Egos nicht mehr notwendig. Das ist eine schlechte Nachricht für bestimmte Ausprägungen der evangelikalen Kirchen: Das alte Gedankenmuster, nie gut genug zu sein, kann nämlich endgültig entsorgt werden. Es war ja auch noch nie zutreffend.

Wir brauchen keine Fleißpunkte vor Gott mehr sammeln - oder, was vielleicht noch schlimmer ist, vor unseren Zeitgenossen. Wir sind nämlich endlich wach geworden und erkennen die von Paulus beschriebene Tatsache: Wir leben bereits für Gott und sind bereits für die Sünde gestorben. Das heißt im Umkehrschluss, dass wir nicht von ihm getrennt existieren können. Wir leben und bewegen uns und sind in unserer ganzen Existenz mitten in der göttlichen Liebe. Kann ein Fisch seine Heimat im Ozean aus Versehen verlieren? Wohl kaum.

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Wir haben nichts weiter zu tun als so bewusst wie möglich von der Tatsache auszugehen, dass wir der göttlichen Liebe ganz nah sind, denn das ist die wirkliche Wirklichkeit. Paulus schlägt also eine radikal andere Sicht auf uns selbst vor, auf andere Menschen gleichermaßen. Die göttliche Quelle ist der Schlüssel zu Freude und authentischer Freiheit - Freiheit von der verwirrten und angsteinflößenden Welt des Ego.

Nun kommen wir zurück zum einleitenden Gedanken, »verantwortliche Beziehungen« innerhalb der christlichen Kreise pflegen zu müssen und sich von anderen in die Lebensgestaltung hineinreden zu lassen: Natürlich ist nichts daran verkehrt, mit anderen gläubigen Menschen Zeit zu verbringen, Freunde zu haben, die eine spirituelle Sicht auf das Leben besitzen. Überhaupt nicht. Aber sind solche Ein- und Verbindungen lebensnotwendig? Das kann man auch nicht einfach so bejahen. Schauen wir die beiden Punkte einmal genauer an.

1. Verantwortliche Beziehungen

Ich habe diese sogenannten verantwortlichen Beziehungsgeflechte in religiösen Kreisen über die Jahre in verschiedenen Ausprägungen zur Genüge kennen gelernt. Ich betrachte solche Zwangsverantwortlichkeiten heute als unvereinbar mit dem eingangs zitierten Gedanken beziehungsweise Postulat des Paulus. Denn wenn wir bezüglich der Fehlfunktionen des Egos tot sind, wozu sollen wir dann andere Menschen brauchen, die wie Zuchtmeister oder Aufseher über unser Seelenheil wachen? Wenn das neue Leben, das Leben für Gott, das Paulus so selbstsicher als Realität bezeichnet, tatsächlich wahr ist, warum sind viele Christen dann dermaßen damit beschäftigt, Angst vor einer Überrumpelung durch die für tot erklärte alte Lebensweise zu haben?

Sie sind oft so voller Unsicherheit und Angst, dass sie religiöse Gemeinschaften brauchen, in denen es »Wächter« über ihren Lebenswandel gibt. Und wenn solchermaßen geschundene Menschen dann irgendwann unter all dem Druck zusammenbrechen und aus den Zwängen ausbrechen, werfen Sie meist leider gleich den gesamten Glauben über Bord.

Entweder, dieses »neue Leben in Christus für Gott« ist real, oder es handelt sich um ein Märchen, das sich im Lauf der Jahrhunderte als solches entpuppt haben sollte. Ich tendiere zu ersterem.

2. Menschen, die dir ins Leben reden

Eine Menge Menschen reden uns Tag für Tag ins Leben hinein, so gut wie jeder, der uns im Alltag begegnet. Manches übergehen wir, und das ist auch gut so. Manches beherzigen wir, und auch das ist gut so. Aber um solches, meist eher belangloses Reden geht es ja hier nicht.

In einigen christlichen Zirkeln hält man es für notwendig, dass ein »geistlich reifer« Bruder oder eine ebensolche Schwester dir Korrektur und Anweisungen für dein Leben erteilt. Diese Person kennt natürlich Gottes Gedanken und Wege viel besser als du selbst, vor allem bezüglich deines eigenen Lebens. Auch so etwas habe ich zur Genüge kennen gelernt. Oft zeigte sich später, dass solch ein »weiser seelsorgerlicher Ratgeber« mindestens so viel Mist bauen konnte wie ich selbst. Mancher vielgepriesener Mann Gottes, der anderen bezüglich ihrer Lebens- und Eheführung »göttliche Worte« mitzuteilen wusste, hat schon seine Ehefrau gegen die Sekretärin eingetauscht. Woher sollst du wissen, wie es in demjenigen aussieht, der dir da ins Leben reden soll und darf?

Falls der Mystiker Paulus also mit seinem Satz recht gehabt hat, dann sind wir durchaus in der Lage, die göttliche Stimme der Weisheit in uns selbst wahrzunehmen. Frei von Voreingenommenheit und verzerrten Sichtweisen sind die Gedanken des Geistes in uns jederzeit verfügbar. Mal ist es ein »Bauchgefühl«, manchmal ein präziser Gedanke oder eine klare Einsicht ... die göttliche Liebe weiß schon, wie sie jeden einzelnen Menschen im Fluss seines Lebens auf einzigartige und unübertreffliche Weise erreichen und ansprechen kann. Besser als je ein Mensch das könnte, und sei er uns noch so nahe.

Natürlich werden »geistlichen Ratgeber« das flugs zurückweisen, werden uns geistliche Arroganz und trügerische Selbstherrlichkeit vorwerfen. Zu unrecht. Denn wir tun nichts anderes, als den Apostel Paulus in seinem Schreiben an die römischen Gläubigen beim Wort zu nehmen. Und das paulinische Wort ist (ironischerweise) gerade in den hier angesprochenen evangelikalen Zirkeln unantastbar.

Wir dürfen also den pseudo-geistlichen Worten anderer Menschen jederzeit zuhören, sollten sie aber immer mit Vorsicht genießen. Das gilt natürlich auch für diese Zeilen, die du gerade gelesen hast. Wenn weise Worte eines anderen Menschen einen Misston in deinem geistlichen Bauchgefühl erzeugen, dann schenke ihnen ein freundliches Lächeln und geh weiter.

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Original von Dylan Morrison (siehe einleitender Absatz oben): [Dead Folk Walking - Writer Dylan Morrison]

Bild: gleiche Quelle.

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Freitag, 14. November 2014

Religion ist gefährlich. Gott nicht.

Religion ist gefährlich. Dennoch habe ich mich entschieden, an Gott zu glauben. -Stephen King (eigene Übersetzung aus einem Interview)

Das ist so ungefähr die Essenz dessen, was mein großer Autorenkollege Stephen King kürzlich in einem langen Interview erklärt hat. Mir geht es weitgehend ähnlich wie ihm. Nicht, was die Auflagenzahlen meiner Bücher betrifft, sondern beim Nachdenken über Gott und Religion.

Ach war das damals einfach, als Kind. Da hielt ich Gott (bildlich gesprochen) für den gütigen und immer freundlichen älteren Herrn, der irgendwo über den Wolken sitzt und nichts anderes zu tun hat, als auf mich (und andere Menschen) aufzupassen und mir meine Wünsche zu erfüllen.

Dass diese Vorstellung unzutreffend war, zeigte sich bereits in der Kindheit. Der gütige alte Mann wurde nach und nach ersetzt durch einen Gott, vor dem man Angst haben musste, wenn man sich nicht an seine Regeln hielt. Dann landete man nämlich in der Hölle, irgendwann. Das war zwar noch weit weg, aber dieser Gott konnte, wenn man sich seinen Unmut zuzog, jederzeit dreinschlagen. Mit Krankheit oder gar dem frühen Tod konnte er Menschen bestrafen, die seinen Geboten nicht Folge leisten wollten. Da war aber trotzdem auch immer noch irgendwo in meiner kindlichen Vorstellung der freundliche Himmelsvater, dem man Bitten und Wünsche nennen durfte. Glaubte man fest genug, dann gab es auch die garantierte Gebetserhörung hinterher.

Mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife musste ich mein Gottesbild immer wieder korrigieren, weil es mit der erlebten Realität nicht zusammenpasste. Diese Wandelbarkeit ist im Erwachsenenleben geblieben. Das hat jedoch nichts daran geändert, dass ich die Existenz Gottes nicht in Frage stelle. Das wäre töricht. Da kann ich mich den folgenden Worten von Stephen King anschließen:

Wenn jemand sagt »okay, ich glaube nicht an Gott weil es keinen Beweis für seine Existenz gibt«, dann muss derjenige schon die Augen schließen und weder die Sterne am Himmel betrachten noch Sonnenaufgang und –untergang beobachten. Er darf nicht zur Kenntnis nehmen, dass die Bienen und andere Insekten Blüten befruchten, wodurch wir letztendlich Nahrung zum Leben bekommen, dass alles mit allem zusammenwirkt in dieser Schöpfung. Alles ist so zusammengefügt, dass aus meiner Sicht eine intelligente Schöpfung dahinter stecken muss. -Stephen King (eigene Übersetzung aus dem Interview)

Dazu sage ich: Amen, lieber Stephen King. Amen. Und ich kann ergänzen, dass ich das übernatürliche Einwirken Gottes auf unsere menschliche Realität persönlich erlebt habe.

Je älter ich wurde und werde, desto mehr verstehe ich aber auch, dass ich Gott nicht verstehen und begreifen kann. Dazu reicht mein menschlicher Verstand, mein Vorstellungsvermögen nun einmal nicht aus. Nicht einmal meine Phantasie ist groß genug.

  • Ein Gott, zu dem Milliarden Menschen beten – ein großer Teil von ihnen womöglich gleichzeitig – und der dennoch einzelne Gebete hört und darauf reagiert … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.
  • Ein Gott, der seine Geschöpfe zwar liebt, schließlich sind sie ja sein Werk, sie aber dennoch zu Zigtausenden auf grausame Weise schon weit vor dem biologisch unausweichlichen Lebensende zu Tode kommen lässt (Naturkatastrophen, Gewalttaten, Seuchen, Krankheiten) … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.
  • Ein Gott, der allwissend ist, es gut mit seiner Schöpfung samt Menschen meint und trotzdem – je nach Religion via Schlange im Paradies oder auf andere Weise – die paradiesischen Umstände seiner eigenen Schöpfung zerstören lässt … das ist mir unvorstellbar und unbegreiflich.

Und noch vieles mehr verstehe ich nicht. Warum der eine, der sich im Gebet an Gott wendet, geheilt wird, während der andere krank bleibt, zum Beispiel. Warum der eine in Reichtum lebt und der andere verhungert – obwohl beide zu Gott, zum selben Gott, beten.

Das ändert aber alles nichts an meinem Glauben. Wenn ich Gott begreifen könnte, wäre er entweder ein sehr kleiner Gott oder ich kein normaler Mensch.

An genau diesem Punkt beginnt aus meiner Sicht die Gefährlichkeit der Religion. Sie versucht nämlich, das Unerklärliche zu erklären. Den Unerforschlichen zu erforschen. Aus dem Unfassbaren ein Regelwerk von Geboten, Gesetzen, Verboten und anderen Regeln aufzustellen und die Menschen hineinzuzwängen.

Manchmal ist dies sehr offensichtlich:

  • Mohammedaner, die sich und andere mit Sprengstoff in den Tod reißen oder anders- und nichtgläubige Menschen abschlachten, weil man ihnen beigebracht hat, dass sie so Gottes Willen vorantreiben.
  • Christen, die Kontinente erobern und ganze Völker zu Sklaven machen, weil man ihnen erzählt hat, dass sie so dem »Missionsbefehl« Folge leisten.
  • Hindus, die Menschen in Kasten einteilen und so von Geburt an zu einem Leben als Knechte für die dreckigsten und niedrigsten Arbeiten verurteilen, weil die Götter das nun einmal so vorherbestimmen.

Solche grässlichen Auswüchse sind offensichtlich. Es gibt aber unzählige andere Gefahren, die meist verborgen bleiben. Im Namen der jeweiligen Religion werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres Glaubens beziehungsweise Nichtglaubens verurteilt, diskriminiert, verfolgt, verachtet und sogar getötet. Nicht nur im finsteren Mittelalter, auch heute noch. Menschen werden Ängste eingeredet, wenn sie sich nicht den Regeln ihrer Religion entsprechend verhalten. Menschen werden missachtet, weil sie nicht den jeweiligen Idealvorstellungen entsprechen. Und es wird, auch das ist wahr, mit der Religion jede Menge Geld verdient, das in den Taschen einiger Spitzenführer landet anstatt Not und Elend zu lindern. Vor allem in Amerika in den oft an einer bestimmten Person hängenden Megakirchen und vorgeblich christlichen Fernsehshows. Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen Geld verdienen. Aber das sollte dann nicht »Liebesgabe« oder »Opfer für Gott« genannt werden.

Darum halte ich die Religion, den institutionalisierten Glauben, für eine sehr gefährliche Angelegenheit. Ganz abgesehen davon, dass durch solche Exzesse und Auswüchse jeder Gläubige, obwohl er persönlich womöglich ganz anders denkt, glaubt und lebt, in Misskredit gerät.

Die Schuld an solchen Missständen Gott in die Schuhe zu schieben, wäre zu billig und unredlich. Es liegt doch letztendlich an uns Menschen, dass wir uns immer wieder anschicken, Gott und sein Handeln oder NIchthandeln erklären und seinen Willen interpretieren zu wollen. Noch schlimmer: manche greifen zur Gewalt, um das, was sie für Gottes Willen halten, durchzusetzen. Koste es, was es wolle, einschließlich Menschenleben.

Religion ist gefährlich. Dennoch habe ich mich entschieden, an Gott zu glauben. -Stephen King (eigene Übersetzung aus dem Interview)

Genau so ist es auch bei mir. Ich wünsche meinen Lesern gerade in der bevorstehenden Adventszeit, dass sie Gott begegnen, anstatt mit allerlei religiösen Wüchsen und Auswüchsen konfrontiert zu werden.

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Dienstag, 24. Juni 2014

Nicht wörtlich sondern ernst

Kürzlich habe ich unter der Überschrift »Von Angstabbau und Schuldabweisung« exemplarisch mein im Verlauf von vielen Jahren gewandeltes Verständnis der Bibel kurz angerissen. Vielleicht zu kurz? Jemand hielt den Beitrag diesbezüglich für missverständlich. Es klänge, meinte er, als würde ich mich zum Juror erheben der entscheidet, was in der Bibel gilt und was ungültig ist, als würde ich eine Art Zensur anwenden wollen.

In dem angesprochenen Artikel ging es um ein anderes Thema, nämlich darum, wie man schädliche Schuld- und Angstgefühle loswerden kann. Mein Bibelverständnis diente lediglich als Beispiel, wie in der Kindheit und Jugend eingeimpfte Ängste aufgespürt und entsorgt werden können. Dennoch will ich hier an zwei Beispielen ein wenig genauer erklären, was ich meinte und meine, denn manche Zeitgenossen halten die Bibel für ein Märchenbuch und lesen nie darin. Das ist schade, denn auch für jemanden, der das Denken nicht ausschaltet, kann das Buch eine ganze Menge Inspiration und Gedankenanstöße bewirken, wenn man die Lektüre ernst statt wörtlich nimmt. Eigentlich nur dann.

1. Wo kommt denn jetzt die Schlange her?

In den ersten Kapiteln der uns als Bibel überlieferten Schriften lesen wir von der Erschaffung des Lebens.

… Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. -1. Mose 1, 25 / Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. -1. Mose 1, 31 …

Gott sah und bestätigte diesem Text zufolge, dass seine Schöpfung gut war. Nicht beinahe gut, auch nicht gut mit einer Ausnahme, sondern sogar sehr gut.

Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? -1. Mose 3, 1

Da muss man sich doch fragen: Wo kommt denn in einer guten, einer sehr guten Schöpfung plötzlich so ein aufmüpfiges Tier her? Dass es zu sprechen vermag sei dahingestellt, es gibt auch einen sprechenden Esel in der Bibel, aber steht diese List, dieser Wunsch, die Frau und damit auch den Mann zu verführen, im Einklang mit dem von Gott persönlich bestätigten »sehr gut«?

Wohl eher nicht, denn was gut ist, muss ja nicht geahndet werden. Doch die Strafe erfolgt kurz darauf.

Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. -1. Mose 3, 14

Wenn man schon diese ersten Kapitel der Bibel wörtlich nehmen möchte, muss man zwangsläufig einiges hinzu dichten oder weglassen. Dann war es entweder Gottes Absicht und »sehr gut«, dass die Schlange ihr Verführungsunternehmen durchführte, oder uns fehlt der Teil des Schöpfungsberichtes, in dem erzählt wird, wie aus der »sehr guten« Schlange eine weniger gute Schlange geworden ist. Dann allerdings bleibt die Frage offen, was denn dieses »gefallene« Wesen in dem Garten mit den völlig arglosen, weil nur an eine »sehr gute« Welt gewöhnten, Menschen zu suchen hatte.

Michelangelo_SündenfallIch nehme diese Schöpfungserzählungen natürlich nicht wörtlich. Aber ich nehme sie ernst. Und zwar als erzählerische Darstellung, die ins Gedächtnis rufen soll, wie leicht der Mensch verführbar ist durch Machtgelüste, Gewinnstreben und Karrieredenken. Es ging ja Eva und Adam nicht darum, gegen irgendein Gebot zu verstoßen, sondern darum, eine höhere Stellung einzunehmen, Wissen und sogar Weisheit zu erlangen:

Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. -1. Mose 3, 5

Nichts anderes hatte die Schlange versprochen, und daran, dass man zwischen Gut und Böse zu unterscheiden vermag, ist ja an und für sich nichts verkehrt.

Es drängt sich auch die Frage auf, was die beiden »verbotenen« Bäume überhaupt im »sehr guten« Garten zu suchen hatten. Standen sie nur da, um den Gehorsam des Menschen auf die Probe zu stellen? Wozu war das notwendig, wenn doch auch der Mensch, »sehr gut« war? Waren Gott Zweifel gekommen, ob seine Einschätzung »sehr gut« vielleicht doch nicht richtig war? Oder wollte er sich selbst beweisen, dass die beiden Menschen ihm mehr gehorchen würden als dem Streben nach Wissen? Wenn ja, wozu war das nötig?

Nach dem exegetischen Kommentar von Andreas Schüle ist der Sinn der beiden Bäume in der einen Mitte des Gartens, der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, „ein letztlich nicht lösbares Rätsel.“ Bei den Kirchenvätern und in der mittelalterlichen Mystik stehen beide Bäume für die zwei Seiten der Wirklichkeit: Himmel und Welt, das Unsichtbare und das Sichtbare (vgl. Kol 1,15–16 EU), das „Männliche“ und das „Weibliche“, auch Gnade und sakramentale „Materie“ sowie geistig-geistliche und „buchstäbliche“ Exegese. -Wikipedia

Man kann die Schöpfungs- und Sündenfallgeschichte natürlich auf vielfältige Weise interpretieren. Manche sehen ein Gleichnis zur Beschreibung des Wechsels vom Jäger und Sammler, andere ziehen den Schluss: Der Preis der Erkenntnis und Innovation sind die Mühen der Arbeit.

Wie auch immer – wörtlich, so wie wir die Erzählungen in der Bibel vorfinden, kann ich und will ich das nicht verstehen.

2. Wer hat damals eigentlich mitgeschrieben?

Es gibt im englischsprachigen Raum die sogenannte Red-Letter-Bible. Da sind alle wörtlichen Reden Jesu in roter Schrift zu finden. Für Menschen, die an den buchstäblich authentischen Originalton der biblischen Texte glauben möchten, ist das eine feine Sache, denn so sehen sie gleich, was unser Erlöser selbst gesagt und gelehrt hat.

Einmal abgesehen von der Frage, welche der zahllosen Übersetzungen und Übertragungen in die jeweilige Landessprache über einen Zeitraum von so vielen Jahrhunderten denn nun verbindlich sein soll, muss man sich auch eine Antwort darauf zurecht legen, wer denn damals als Stenograph mitgeschrieben hat. MP3-Diktiergeräte oder Tonbänder gab es noch nicht.

Selbst in den synoptischen Evangelien gibt es deutliche Abweichungen in der Schilderung des jeweils gleichen Ereignisses. Das ist aus meiner Sicht weder zu tadeln, noch verwunderlich. Die ältesten bekannten Aufzeichnungen, uns als Markus-Evangelium überliefert, sind vermutlich so um das Jahr 70-90 nach Christus aufgeschrieben worden; dass da aufgrund der mündlichen Überlieferung keine 1:1-Dokumentation entstehen konnte, ist völlig einsichtig. Die anderen Evangelien sind später verfasst worden. Das Matthäusevangelium wurde anhand der Markus-Vorlage etwa zehn Jahre später geschrieben, zwanzig Jahre danach wurde dann das Lukasevangelium verfasst, in den bereits die Naherwartung der Wiederkunft Jesu nicht mehr zu finden. Sie wurde durch den Gedanken ersetzt, dass die wachsende Gemeinde das Reich Gottes ausbreitet.

Das Johannes-Evangelium, Anfang des 2. Jahrhunderts entstanden, unterscheidet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch in Form und Sprache so deutlich von den anderen dreien, dass man davon ausgehen kann, der Verfasser habe die synoptischen Versionen entweder nicht gekannt oder sich bewusst von ihnen abgesetzt.

Keiner der Autoren des Neuen Testamentes im biblischen Kanon war Augenzeuge oder gar Begleiter des Jesus aus Nazareth gewesen – und niemand saß mit einem Diktiergerät oder Steno-Block bei der Bergpredigt neben Jesus, um den ellenlangen Text mitzuschneiden.

Das Thomasevangelium, das Petrusevangelium, das Judasevangelium, das Evangelium der Wahrheit und das Philippusevangelium wurden in der ersten Gemeinde noch in den Gottesdiensten und im Unterricht gelesen, aber sie wichen inhaltlich zum Teil so deutlich von den uns überlieferten vier Versionen ab, dass die Kirchenfürsten sie aus dem Kanon ausschlossen. Man hatte (und hat in manchen Kirchen noch heute) Angst davor, dass die Schäfchen den Stall verlassen könnten, wenn sie »ketzerische« Gedanken zu Gesicht bekämen. Ein eigenes Urteilsvermögen (oder gar Leitung durch den Heiligen Geist) trauten die katholischen Kirchenväter dem Volk nicht zu. Heute sind uns von diesen Schriften, die zum Teil sogar älter sind als das, was wir im Neuen Testament lesen, leider nur Fragmente überliefert.

Und was heißt das nun?

Ich kann und will und werde nur für mich reden: Die Bibel gewinnt an Bedeutung und Wert, wenn ich sie nicht wörtlich, sondern ernst nehme. Dann kann ich sie nämlich lesen, ohne mir das Denken verbieten zu müssen. Ich glaube nicht an ein Buch, sondern an einen Gott, über den in diesem Buch vieles zu lesen und zu erfahren ist. Aus dem, was ich lese, kann ich eine Vorstellung gewinnen, wer und wie Gott sein mag. Dass ich ihn jemals wirklich verstehen und meine Vorstellung akkurat sein könnte, halte ich für ausgeschlossen.

Wenn es tatsächlich so wäre, dass Christsein nur dann möglich ist, wenn man die Bibel erstens kennt und zweitens wörtlich versteht und befolgt, dann hätte es rund 1.800 Jahre, nämlich bis zur Erfindung des Buchdrucks, der Übersetzung in die entsprechenden Landessprachen und schließlich der massenhaften Verbreitung durch sinkende Druckkosten keine Christen gegeben. Niemand vom normalen Volk hatte über Jahrhunderte die Chance, eine Bibel zu lesen und wörtlich zu interpretieren. Es blieb den Christen nichts anderes übrig, als der Kirche zu glauben, dass dieses und jenes »Wort Gottes« sei.

Als im Jahr 400 nach Christus der biblische Kanon zusammengestellt wurde, herrschte bereits Uneinigkeit, welche Texte in die Heilige Schrift gehören sollten. Daher haben wir bis heute eine katholische, eine orthodoxe und eine lutherische Version dessen, was als »Wort Gottes« zählt – abgesehen von den zum Teil sehr von einander abweichenden Übersetzungen. Welche davon und in welcher Sprache nun wirklich das wortwörtliche Wort Gottes darstellt, können auch diejenigen nicht beantworten, die an die wörtliche Inspiration der Heiligen Schrift durch den Heiligen Geist glauben. Die wenigsten von uns können Griechisch oder Hebräisch oder Latein.

Dem einen mögen die Clemensbriefe wichtiger sein als der Hebräerbrief, der andere würde lieber auf die Offenbarung des Johannes verzichten als auf seinen Hirten des Hermas. Ich finde, das macht gar nichts. Ich kann mit den Schriften, die etwa ab dem Jahr 150 unter dem Namen Paulus verfasst wurden, wenig anfangen, mit dem Evangelium nach Johannes dagegen eine Menge. Das mindert aber doch nicht den Wert des Römerbriefes für andere Leser!

Was sollen wir nun hierzu sagen? –Paulus

Stelle ich mich also quasi als Richter »über die Bibel«, entscheide ich eigenmächtig, was gilt und was nicht gilt? Für Menschen, die an das wortwörtliche Bibelverständnis glauben möchten, kann sicherlich ein solcher Eindruck entstehen – obwohl auch diese Menschen in der Regel sehr wohl aussieben, was ihnen nicht zusagt. Keiner reißt sich ein Auge aus, weil es ihn »geärgert« hat oder hackt sich eine Hand ab, weil sie ihn zur Sünde verführt. Keiner wirft eine Frau aus der Gemeinde, weil sie ihr Haupt nicht bedeckt oder Schmuck trägt. Hoffe ich zumindest.

Aber ich habe nicht die Absicht, anderen Menschen vorzuschreiben was und wie sie glauben oder nicht glauben sollen. Wenn ich berichte, wie ich dieses oder jenes verstehe, dann heißt das nicht, dass meine Leser sich meiner Interpretation anschließen sollen. Ich traue es jedem zu, selbst zu denken und ich bin niemandes Lehrer; Theologe bin ich schon gar nicht.

Vielleicht gerät jemand ins Nachdenken – das ist ja nie verkehrt. Vielleicht sieht jemand bisher unbeachtete Aspekte – das ist doch bereichernd.

Wenn jemand meine Sicht nicht teilen mag, dann muss er das natürlich nicht tun. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, das unbedingt zu verteidigen ist.

Quellen

  • - Entstehungsgeschichte des NT und Deutungsversuche der beiden Bäume im Paradies: Wikipedia
  • - Bild: Michelangelo via WikiCommons

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Donnerstag, 19. Juni 2014

Von Angstabbau und Schuldabweisung

Vom Patienten (passiven Empfänger medizinischer Dienstleistungen) zum Agenten (aktiv Mitwirkenden am Gesundungsprozess) zu werden, das ist für jemanden wie mich, der vom Krebs heimgesucht wurde, eine der wichtigsten Voraussetzungen, um den Kampf zu gewinnen. Natürlich gilt das nicht nur für mich oder an Krebs erkrankte Menschen - sondern für jedermann. Auch gesunde Menschen sollten und dürften daran interessiert sein, wie sie ihren Körper dabei unterstützen können, das Immunsystem weiterhin wirksam zu erhalten.

Das Wissen um die Immunfunktion des Darms beispielsweise ist durch solide wissenschaftliche Studien belegt - wenn nun (wie in meinem Fall) ein erheblicher Teil des Darms operativ entfernt werden musste, ist es um so wichtiger, diese dauerhafte Schwächung des Immunsystems auszugleichen. Die Medizin geht heute davon aus, dass der Darm rund 70 Prozent unseres Immunsystems ausmacht.

Ich berichte hier regelmäßig von Erkenntnissen, Einsichten, Versuchen und Erfolgen sowie Misserfolgen im Kampf gegen den Krebs. Zahlreiche Zuschriften zeigen mir immer wieder, dass andere Menschen davon profitieren, und das macht mich froh. Krebs ist rundherum und absolut nichts Gutes. Aber wenn aus meinem Erleben und Berichten Gutes für andere erwächst, dann freue ich mich einfach mit. In diesem Sinne möchte ich heute ein paar Gedanken über Angst und Schuld mit meinen Lesern teilen.

Ein großer Teil der Sorgen besteht aus unbegründeter Furcht. -Jean Paul Sartre

Dass Ängste krank machen, ist mittlerweile ein alter Hut. Angst ist ein wesentlicher Stressfaktor, der das Immunsystem empfindlich stören kann, speziell durch die Produktion von Interleukin und anderen Eiweißen. Sich von Ängsten wirklich und dauerhaft zu lösen, bleibt dennoch oft eine schwierige Aufgabe, denn nicht immer fällt es leicht, die Ursachen zu erkennen. Und wer die Ursachen nicht kennt, wird deren Auswirkungen nicht los.

Es gibt die durchaus begründeten und für unser Leben und Überleben wichtigen und richtigen Ängste. Vielleicht ist Ängste hier auch nicht der richtige Begriff - ich sollte womöglich von Einsichten oder Erkenntnissen sprechen. Dass man sich an einer Flamme verbrennen kann und dass dies Schmerzen verursacht, haben wir wohl alle in der Kindheit irgendwann festgestellt. Dass wir uns daher hüten, in eine Flamme zu greifen, ist eine gute und wertvolle Einsicht. »Angst« vor dem Feuer - eine prima Sache, die dazu beiträgt, unverletzt durch das Leben zu gehen.

Zwischen solcher, absolut gesunder Vorsicht und krankmachender Angst zu unterscheiden ist (im wahrsten Wortsinn) notwendig.

Ängste, die keine Not abwenden, schaden unserer Gesundheit nachhaltig. Oft werden sie uns schon in jungen Jahren beigebracht und eingeimpft, ohne dass wir uns in der Kindheit dagegen zu wehren wüssten. Doch auch im Erwachsenenleben hört das nicht auf. Eine der Hauptverursacherinnen von solchen Ängsten ist die eingeredete Schuld. Vorreiter dabei ist unter anderem die institutionalisierte Religion.

Auf den ersten Blick mag das paradox anmuten, denn dass ein solides Glaubensgefüge und Gebet (für andere Menschen genauso wie für sich selbst) messbare positive Einflüsse auf den Krankheits- oder besser gesagt Genesungsverlauf haben, ist unter Wissenschaftlern längst als gesicherte Erkenntnis etabliert.

Dass andererseits krank machende Schuldgefühle (und dadurch ausgelöste Ängste vor Strafe) von Religionsgemeinschaften (ob nun christlich oder andersgläubig) bewusst als Mittel eingesetzt werden, um die Schäfchen im eigenen Stall einzusperren, ist genauso unstrittig. Das geht sogar so weit, dass Krankheit beziehungsweise ausbleibende Heilung als Strafe Gottes für ein angebliches Fehlverhalten des Menschen gepredigt wird. In manchen Kreisen auch heute noch.

Wie wird man solche Ängste los? Ich will und kann nur für mich sprechen: Zur Befreiung waren einige Schritte notwendig.

  1. Am Anfang stand die bittere und schmerzhafte Erkenntnis, dass von der Kanzel (der charismatischen Gemeinde, die wir besuchten) nicht die Wahrheit, sondern Lüge gepredigt wurde. Der zu frühe Tod beider Schwiegereltern hätte gemäß der Lehre, die wir hörten und befolgten, gar nicht stattfinden können.
  2. Anstatt das Kind mit dem Bade auszuschütten, also jeglichen Glauben an einen Gott über Bord zu werfen, musste ich mich aktiv erinnern, dass es in meinem Leben Ereignisse gegeben hat, die jenseits der menschlich erklärbaren Möglichkeiten gelegen hatten. Einige davon sind in meinem Buch »Es gibt kein Unmöglich!« aufgezeichnet.
  3. Anstatt weiter irgendwelchen frommen Leitern blind zu folgen oder das Christsein an und für sich zu verwerfen begann ich nach dem Motto de omnibus dubitandum, zu hinterfragen, zu recherchieren und den Verstand zu gebrauchen, was dann relativ zügig zu einigen befreienden Erkenntnissen führte. Zum Beispiel, dass die Bibel (für den Koran oder andere Schriften wird ähnliches gelten) natürlich nicht »Wort Gottes« sein kann, sondern widerspiegelt, wie im Verlauf von Jahrhunderten Menschen sich Gott vorgestellt haben, in ihrer jeweiligen individuellen Situation.
  4. Anstelle der Buchstaben von »heiligen Schriften« den Geist zu erkennen, der aus ihnen sprechen will, ermöglicht dann eine ganz andere und befreiende und im Sinne des Wortes erlösende Beziehung zu Gott.
  5. Als ich die Bibel (als kulturelles Zeugnis) schließlich ernst nahm, statt sie wörtlich (als buchstäbliches Wort Gottes) zu nehmen, waren die in Kindheit und Jugend eingepflanzten religiösen Ängste erledigt – eine ungeheure Entlastung für Seele, Geist und Körper.

Weiter will ich das hier nicht ausführen, das würde den Rahmen sprengen. Dies soll nur als ein Beispiel dienen, wie man sich von Ängsten lösen kann.

Dieser Prozess fand bei mir statt, bevor ich die Krebsdiagnose erfuhr. Hätte ich im März 2012 noch an den »alten« Gott aus meiner Kindheit und Jugend geglaubt, wäre ich mit Schuldgefühlen (Was hast du falsch gemacht? Warum straft dich Gott so? Welche schlimme Sünde hat Gott dir nicht vergeben?) zusätzlich belastet gewesen, anstatt das befreiende und Kraft spendende Wissen zu erleben: Gott ist bei mir, mitten in dieser Katastrophe.

Mancher hat keine derartigen religiösen Ängste – Gott sei Dank! – und sollte sich trotzdem fragen, ob und wo vergleichbares in seiner Seele lauert. Schuldgefühle können aus der Kindheit stammen (oft genug unabsichtlich von den Eltern verursacht) oder später im Leben durch traumatische Ereignisse ausgelöst werden.

Ich musste mir beispielsweise sagen und mich überzeugen, dass ich nicht am Selbstmord eines Mitschülers Schuld war (indem ich ihn hätte kommen sehen und verhindern müssen). Tief in mir lauerte und nagte dieses Erlebnis und ich musste mich aktiv damit auseinandersetzen, um das Nagen zu beenden. Vermutlich wird so ziemlich jeder Leser hier und da in der eigenen Historie auf Ereignisse stoßen, die Schuldgefühle und Ängste eingepflanzt haben.

Wenn es gelingt, sich von bewussten und unbewussten Lasten zu befreien – Ängste sind nichts weiter als Lasten – dann ist ein großer Schritt zur Gesundung (beziehungsweise zum gesund bleiben) gelungen.

Um trotz einer Krebserkrankung gesund zu werden und dauerhaft gesund zu bleiben, genügt es nicht, sich auf die Schulmedizin zu verlassen. Die deckt nur einen relativ kleinen Bereich dessen ab, was zur Gesundheit notwendig ist – das anerkennen inzwischen auch die Schulmediziner selbst.

Die Befreiung von unbegründeten und schädlichen Ängsten gehört unbedingt auch dazu. Das erfordert Aufmerksamkeit und Wollen, es geschieht nicht irgendwie automatisch.

Vielleicht kann der eine oder andere Leser aus diesen Zeilen positive Impulse für das eigene Ergehen entnehmen. Ich würde mich freuen!

Foto von rgbstock

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Freitag, 16. Mai 2014

Conchita Wurst. Aha. So so.

Da ich mir solche Sendungen wie den europäischen Schlagerwettbewerb nicht anschaue, musste ich mir erst einmal via YouTube einen Eindruck verschaffen, worüber sich manche Zeitgenossen öffentlich so begeistern oder aufregen. Conchita Wurst. Aha. So so.

Conchita-Wurst-OhneBart_h_img_308x0Da hat also eine Kunstfigur aus Österreich gewonnen, deren Erscheinungsbild offenbar polarisiert. Der junge Mann, der hinter der Maske Conchita Wurst steckt, sieht ja recht normal und nett aus. Da das von ihm dargebotene Lied ein eher durchschnittlicher Schlager ohne nennenswerte musikalische Finessen ist, hätte er vermutlich auf den Sieg im Wettbewerb wenig Chancen gehabt, wenn er als Thomas Neuwirth aufgetreten wäre. Mit Bart aus der Maske, Perücke und in Frauengewänder gehüllt hat er es allerdings auf den ersten Platz geschafft.

Mir gefällt die Kunstfigur Conchita Wurst nicht. Die Geschmäcker sind ja nun einmal verschieden. Hape Kerkeling als Königin Beatrix fand ich viel unterhaltsamer und witziger, auch die legendären Mary & Gordy aus vergangenen Dekaden hatten mehr Witz und Charme - aus meiner Sicht. Mir gefallen auch Tätowierungen nicht, während andere Menschen darüber ins Schwärmen geraten. Das macht ja alles nichts. Der eine hört gerne Volksmusik mit viel Tschingderassabums, der andere schwärmt für solide Rockmusik. Prima so. Sonst wären entweder Hansi Hinterseer oder Bruce Springsteen ohne Einkommen.

Was mir aber übel aufstößt, sind die öffentlichen Kommentare und Gehässigkeiten mancher Zeitgenossen zur Kunstfigur Conchita Wurst. Dass der rechte Rand der Gesellschaft Amok läuft, wenn jemand nicht arisch daherkommt, mag man ja noch als unverbesserlich hinnehmen. Aber auch solche, die sich gerne als »christlich« präsentieren, tun sich da mit Hasstiraden hervor. Und davon möchte ich mich deutlich distanzieren.

eurovision-song-contest-conchita-wurst-als-bondgirl-41-51776739Denn ich als Christ sehe das so: Es geht mich überhaupt nichts an, ob jemand hetero-, homo-, bi- oder asexuell ist oder aussieht. Ich habe das weder zu kommentieren, noch zu bewerten, denn nach dem Splitter im Auge eines Mitmenschen Ausschau zu halten und diesen öffentlich hinauszuposaunen macht blind für den Balken im eigenen Auge. Oder es gelingt sowieso nur, wenn man angesichts des eigenen Augenbalkens schon völlig blind geworden ist. (Ganz abgesehen davon, ob es sich überhaupt um einen Splitter handelt.) Es geht mich auch nichts an, was andere Menschen für schön oder unschön erachten. Was mir eine Eule ist, mag dem anderen gerne als Nachtigall daherkommen. Und umgekehrt.

Liebe Leute, die ihr euch »christlich« und »bibeltreu« nennt und dann öffentlich über Menschen herzieht, die ihr überhaupt nicht kennt und über die zu urteilen ihr keinerlei Veranlassung habt (außer euch in Selbstgerechtigkeit zu suhlen): Pfui. Pfui Teufel.

Übrigens: Die meisten, die sich da so gehässig und verurteilend geäußert haben, scheinen ja noch nicht einmal begriffen zu haben, dass es sich bei Conchita Wurst um die künstlerische Schöpfung eines Thomas Neuwirth handelt ... ein Schauspieler schlüpft in eine Rolle, für die er entsprechend zurechtgemacht wird. So wie Herr Liefers regelmäßig den Gerichtsmediziner Börne spielt und sich dafür jedes mal ein albernes Bärtchen zulegt. Aber vielleicht wären die Schreihälse ja damit überfordert, erst zu recherchieren, worüber sie zu zetern sich vorgenommen haben.

Conchita Wurst gefällt mir nicht. Ich muss und werde kein Fan von Herrn Neuwirth sein. Andere sehen das ganz anders. Und das ist auch gut so. Mehr muss über diesen Schlagerbeitrag nicht gesagt werden.

(Foto ohne Bart: WENN.com; Foto mit Bart: SALZBURG.com)

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Samstag, 8. März 2014

Was ist schlimmer - Schalentiere oder Homosexualität?

Sehr geehrter Herr TV-Evangelist,

ich habe mir endlich einen Kabelempfänger zugelegt und kann jetzt Bibel-TV schauen, so oft ich will. Ihre Sendung gefällt mir außerordentlich! Vielen Dank dass Sie sich so um die Volksbildung bezüglich der Gesetzes Gottes bemühen. Ich habe aus Ihrer Fernsehshow bereits eine Menge gelernt und gebe mir größte Mühe, mein erworbenes Wissen mit so vielen Menschen wie möglich zu teilen. Wenn zum Beispiel jemand versucht, Homosexualität zu verteidigen, dann erinnere ich schlicht daran, dass sie in 3. Mose 18, 22 deutlich als Gräuel bezeichnet wird. Ende der Debatte. So einfach ist das. Klasse!

Bezüglich einiger anderer Elemente des göttlichen Gesetzes brauche ich jedoch von Ihnen noch Ratschläge, damit ich völlig im Einklang mit der Bibel leben kann.

1. Das Wort Gottes in 3. Mose 25, 44 gestattet es mir, Sklaven zu halten; männliche und weibliche, solange sie von benachbarten Völkern gekauft werden. Einer meiner Freunde behauptet, das gelte nur für Polen, aber keineswegs für Holländer oder Französinnen. Können Sie da Klarheit schaffen? Warum darf ich keine Holländer besitzen?

2. Ich würde meine Tochter, so wie es in 2. Mose 21, 7 erlaubt ist, gerne in die Sklaverei verkaufen. Welcher Preis wäre heutzutage dafür angemessen?

3. Ich weiß, dass ich Frauen nicht berühren darf, während sie sich in der Phase ihrer monatlichen Unreinheit befindet - das lese ich in 3. Mose 15, 19-24. Mein Problem als Personalreferent in einem Industriebetrieb: Wie kann ich wissen, welcher Kollegin ich die Hand geben darf? Ich habe schon vor der Begrüßung nachgefragt, aber die meisten Frauen reagieren ziemlich eingeschnappt darauf.

4. Wenn ich auf dem Altar in meinem Garten einen Stier verbrenne, dann ist das dem Herrn, wie er in 3. Mose 1, 9 bestätigt, ein Wohlgeruch. Aber meine Nachbarn machen mir Ärger. Sie behaupten, dass der Geruch ihnen nicht angenehm wäre. Soll ich sie totschlagen?

5. Ich habe einen Nachbarn, der an jedem Sabbat arbeitet. In 2. Mose 35, 2 steht die klare Anweisung, dass er getötet werden muss. Bin ich moralisch verpflichtet, ihn persönlich umzubringen? Oder darf ich diesbezüglich die Polizei herbeibitten?

Foto: Gemeinfrei von Wikipedia6. Aus 3. Mose 11, 10 geht klar hervor, dass der Genuss von Schalentieren ein Gräuel ist. Ein Freund behauptet, das sei ein weniger schlimmes Gräuel als Homosexualität. Ich bin anderer Meinung. Können Sie hier Auskunft geben? Gibt es tatsächlich Gräuel-Abstufungen?

7. Wenn ich eine Sehschwäche habe, darf ich mich gemäß 3. Mose 21, 20 dem Altar Gottes nicht nähern. Nun bin ich aber Brillenträger. Gilt das Tragen der Brille, mit der ich ja dann klar sehen kann, als Ausgleich oder darf ich trotzdem nicht zum Altar des Herrn vortreten?

8. Die meisten meiner Freunde lassen sich die Haare schneiden, einschließlich der Haare an den Schläfen, obwohl das in 3. Mose 19, 27 ausdrücklich verboten ist. Auf welche Weise sollen diese Freunde sterben?

9. Dass mich das Berühren der Haut eines toten Schweines unrein macht, entnehme ich aus 3. Mose 11, 6-8. Darf ich trotzdem Handball spielen, wenn ich Handschuhe trage? Und meine gefütterten Winterstiefel kann ich doch weiter tragen, da das Leder nicht direkt die Haut berührt, oder?

10. Mein Onkel ist Landwirt. Er verstößt gegen 3. Mose 19, 19, indem er zwei verschiedene Saaten auf das gleiche Feld ausbringt. Ebenso seine Frau, indem sie gleichzeitig Kleidung aus verschiedenen Stoffen trägt (Baumwolle/Polyester zum Beispiel). Beide fluchen auch immer wieder. Müssen wir wirklich gemäß 3. Mose 24, 10-16 die ganze Stadt zusammenrufen, um die beiden zu steinigen? Können wir sie nicht einfach in einer privaten Familienzusammenkunft auf dem Scheiterhaufen verbrennen, wie man es laut 3. Mose 20:14 mit Menschen tut, die mit angeheirateten Verwandten ins Bett gehen?

Sehr geehrter Herr TV-Evangelist, ich weiß, dass Sie das Gesetz des Herrn intensiv studiert haben und sich deswegen exzellenter Weisheit in solchen Angelegenheiten erfreuen. Daher bin ich voller Zuversicht, dass Sie mir Rat geben können.

Vielen Dank noch einmal dass Sie uns immer wieder daran erinnern, dass das Wort Gottes ewig gültig und unveränderlich ist.

Ihr begeisterter Zuschauer und Nachfolger

Günter J. Matthia

P.S.: Es wäre wirklich sehr schade, wenn ich keine holländischen Sklaven besitzen dürfte!

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Quelle: Der Ursprung ist unbekannt. Im Internet kursieren seit Jahren ähnliche englische Texte in etlichen Variationen, die für diesen Beitrag zweifellos als Inspiration dienten, insbesondere die »Dear Dr. Laura« Variante, die ich hier als Vorlage genommen habe. Eine deutsche Version gab es meines Wissens noch nicht - nun habe ich sie geschrieben.
Foto von Wikipedia.

Samstag, 22. Februar 2014

Fünf Einführungen

Manche meiner Blogbesucher wissen, dass ich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen als Moderator durch die Gottesdienste unserer kleinen und von mir hochgeschätzten Kirchengemeinde führe. Hier folgen fünf von inzwischen vielen Einführungen aus den letzten Monaten – einschließlich der von morgen früh. Welche das ist, verrate ich aber nicht.

Einführung 1

Guten Morgen und herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst.

Unsere Konsum- und Marktwirtschaft beruht auf der Idee, dass man Glück kaufen kann, wie man alles kaufen kann. Und wenn man kein Geld bezahlen muss für etwas, dann kann es einen auch nicht glücklich machen. Dass Glück aber etwas ganz anderes ist, was nur aus der eigenen Anstrengung, aus dem Innern kommt und überhaupt kein Geld kostet, dass Glück das »Billigste« ist, was es auf der Welt gibt, das ist den Menschen noch nicht aufgegangen.

Das sagte Erich Fromm, der berühmte Psychoanalytiker, in seinem letzten Interview 1980. Nun darf man auch solch prominenten Menschen widersprechen, wo es geboten ist. Ich bin nicht davon überzeugt, dass Glück nur aus eigener Anstrengung zu erreichen ist, sondern ich glaube und weiß aus Erfahrung, dass Gott dabei eine wichtige Rolle spielt. Ansonsten aber hat Herr Fromm durchaus den Nagel auf den Kopf getroffen. Glücklich sein – dafür muss man kein Geld ausgeben.

Wir werden heute in der Predigt von jemandem hören, der sehr reich und noch dazu mit bedeutender Weisheit ausgestattet war. Ein Mann, der in seiner Gesellschaft einen Spitzenplatz einnahm, sich alles leisten und erlauben konnte, was er wollte, und der zurückschauend dann sein Leben eine »leidige Plage« nannte.

Der Autor George Bernard Shaw hat die Sache mit dem Glücklichsein einmal so auf den Punkt gebracht:

Es ist nicht schwer, Menschen zu finden, die mit 60 zehnmal so reich sind, als sie es mit 20 waren. Aber nicht einer von ihnen behauptet, er sei zehnmal so glücklich.

Ich wünsche uns allen, dass wir bei diesem Gottesdienst demjenigen begegnen, der unserem Leben eine Grundlage geben kann, auf der Glück wirklich unabhängig von äußeren Gegebenheiten möglich und erlebbar wird.

Einführung 2

Guten Morgen und herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst.

Ich gebe es zu. Ich war versucht, an dieser Stelle ein Adventsgedicht vorzutragen. Das hätte so angefangen:

Es naut die Blacht – Verzeihung.

Es blaut die Nacht, die Sternlein blinken,
Schneeflöcklein leis herniedersinken.
Auf Edeltännleins grünem Wipfel
häuft sich ein kleiner weißer Zipfel.

Aber nein. Anstelle eines Adventsgedichtes oder der dreihundertvierzigsten Aufklärung darüber, dass Advent etwas mit Ankunft zu tun hat, stellt euch einmal vor, ihr wäret ein junger Mann. Auch die anwesenden Damen, gleich welchen Alters. Sagen wir er wäre 25 Jahre alt.

Also du bist jetzt ein junger Mann, sitzt hier im Gottesdienst und bist mit den Gedanken nicht ganz dabei. Deine Frau ist nämlich hochschwanger, sie liegt zu Hause auf dem Sofa und es kann jeden Moment so weit sein, dass die Wehen einsetzen. Darum liegt das Telefon griffbereit neben deiner Frau auf dem Couchtisch und du, hier im Gottesdienst, hast dein Mobiltelefon in der Tasche und rechnest jeden Augenblick mit dem Anruf deiner Frau: »Schatz, es ist so weit!«

So. Und das ist auch die einzige Konstellation, bei der es einen Grund gibt, das Telefon während des Gottesdienstes eingeschaltet zu lassen. Alle anderen, deren Frau nicht hochschwanger zu Hause auf dem Sofa liegt, dürfen jetzt noch einmal nachsehen, ob ihr Gerät nicht versehentlich doch noch eingeschaltet ist. Dankeschön.

Unser imaginärer junger Mann hat übrigens so einiges vorbereitet. Ein Kinderzimmer hergerichtet mit Babybett und Wickelkommode, es stehen mehrere Kartons mit Windeln bereit, Kleidung für das Ungeborene wurde eingekauft. So eine Geburt kommt ja in der Regel nicht völlig überraschend und auf manche Dinge im Leben bereitet man sich sorgfältig vor.

Warum es manchmal so wichtig ist, sich gut vorzubereiten, nicht auf eine Geburt, sondern auf eine Hochzeit, darüber hören wir in der Predigt nachher einiges.

Einführung 3

Guten Morgen und herzlich willkommen zu unserem Gottesdienst.

Foto: http://a.rgbimg.com/cache1vKUtQ/users/j/jw/jwgeertsma/600/oocCYJE.jpgWenn ihr jetzt dieses Glas betrachtet, könnte der eine oder die andere auf die Idee kommen, dass es wieder mal um die Frage geht, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Aber nein, damit wollen wir uns heute nicht beschäftigen. Es ist übrigens halb voll.

Wenn ich dieses Glas in die Hand nehme, weil ich meinen Durst stillen möchte, passiert mit mir nichts weiter. Das Anheben und Hochhalten des Trinkgefäßes hat keine Auswirkungen. Ich kann es auch etwas heben, etwas senken, weiter nach links oder rechts bewegen.

Wenn ich nun aber eine halbe Stunde lang dieses Glas hochhalten würde, dann wären gewisse Auswirkungen sicher unvermeidbar. Meine Muskeln würden müde werden. Die Folgen wären sicher noch eine ganze Weile spürbar.

Hielte ich das Glas den ganzen Gottesdienst hindurch so in der Hand empor, dann bin ich ziemlich sicher, dass ich auch morgen noch die Folgen spüren würde, womöglich sogar mehrere Tage. Dabei hätte das Glas sein Gewicht überhaupt nicht verändert, es wäre nach zwei oder vier oder acht Stunden immer noch so leicht wie jetzt.

So ähnlich verhält es sich mit unseren Sorgen und unserer Seele oder unserem Geist. Wenn uns ein sorgenvoller Gedanke bewegt, passiert erst einmal nichts von größerer Bedeutung. Das hat keine dauerhaften Auswirkungen.

Wenn wir aber stundenlang über die Sorgen und Probleme in unserem Leben brüten und grübeln, uns ausgiebig ausmalen, wie schlimm und wie böse es kommen könnte, wenn wir die Sorge festhalten und festhalten und festhalten, immer wieder betrachten, herumdrehen, erneut betrachten … dann wird das nicht ohne Auswirkungen auf unser Leben und unser Befinden bleiben. Dann wird das unserer Seele, unserem Geist weh tun.

Der Apostel Petrus fordert im ersten uns überlieferten Brief seine Leser auf: »Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.«

Wenn man in einer schwierigen oder gar bedrohlichen Situation ist, dann möchte man antworten: Leicht gesagt, lieber Petrus. Wir können negative Gedanken, Furcht und Sorgen nicht einfach per Knopfdruck ausschalten, so wie ich einfach das Glas hier abstellen kann. Das geht oft nicht. Aber glaubt mir: Es kann gelingen, das Sorgenmachen einzugrenzen, abzugrenzen und auszugrenzen. Das ist etwas, was wir bewusst tun können.

Um es mal persönlich auszudrücken: Ich weiß um die Tatsache, dass jederzeit irgendwo in meinem Körper neue Metastasen entstehen können. Aber ich habe mich entschieden, nicht ständig darüber zu grübeln, mir dauernd Sorgen zu machen. Dass solche Gedanken auftauchen, kann ich nicht verhindern und sie sind ja durchaus berechtigt. Aber da ich nicht mehr für mein Gesundbleiben tun kann als ich tue, liegt der Rest in Gottes Händen. Und mit diesem Gedanken kann ich dann meist die bedrohlichen Überlegungen und Sorgen loslassen und loswerden.

Ich wünsche uns allen, dass auch dieser Gottesdienst eine Gelegenheit wird, Sorgen und Nöte und Befürchtungen nicht zu leugnen, sondern abzugeben und Mut und Trost von demjenigen zu empfangen, der unser Heiland und Retter ist.

Einführung 4

Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst.

Wisst ihr, was wirklich peinlich ist? Wenn mitten in der Predigt oder während der Gebetszeit oder auch beim andächtigen Gesang ein mehr oder weniger geschmackvoller Klingelton aus deiner Handtasche oder deinem Jackett laut wird.

Daher empfehle ich euch, falls ihr zu den Mobiltelefonbesitzern zählt, euch jetzt zu vergewissern, dass das Gerät ausgeschaltet oder zumindest stummgeschaltet ist.

Es mindert nämlich nicht die Peinlichkeit, sich nach der Störung des Gottesdienstes durch das Klingeln Gründe zurechtzulegen, warum das Telefon unbedingt eingeschaltet sein musste oder welche Umstände daran Schuld sind, dass es mitten im Gottesdienst Lärm machen musste.

Wir Menschen sind ja recht schnell dabei, Entschuldigungen und Ausflüchte zu suchen. Der Preußenkönig Friedrich II., in späteren Lebensjahren auch der „Alte Fritz” genannt, war beim Volk für seine Gerechtigkeit beliebt. Einmal, so wird erzählt, besuchte der Alte Fritz ein Gefängnis. Zu seinem Erstaunen musste er bei den Gesprächen mit den Gefangenen feststellen, dass alle unschuldig waren. Jeder hatte eine Ausrede parat.

Schließlich traf er auf einen Mann, der den Kopf hängen ließ und sich selbst einen Schuft nannte. Ungeschminkt berichtete er, wie er auf die schiefe Bahn gekommen war.

Der Preußenkönig sagte zu dem Gefangenen: „Du bist hier der einzige Lump unter lauten anständigen Leuten. Scher dich fort, damit die anderen nicht durch dich verdorben werden!”

Dieser Mann bekam die Freiheit geschenkt, weil er seine Schuld erkannte und bekannte.

Wenn wir unsere Lebensschuld vor der höchsten Majestät zugeben, gewährt auch er uns Vergebung und Befreiung. Es heißt in der Bibel: Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist Gott treu und gerecht, dass er uns die Sünde vergibt und uns von aller Ungerechtigkeit reinigt.

So ein Gottesdienst bietet Gelegenheit für vieles, für das Lob Gottes durch Lieder zum Beispiel. Wir werden auch eine Predigt hören und dabei mit- und nachdenken können, wie es wäre, unsere Stadt mit den Augen Jesu zu sehen. Und es kann auch jeder im stillen Gebet dem himmlischen Vater Sünde bekennen – in der frohen Gewissheit, dass Vergebung und Befreiung von Schuld in greifbarer Nähe sind.

Einführung 5

Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst.

In unserer Straße gibt es ein Haus, das bunt geschmückt ist mit tibetanischen Fähnchen, Wimpeln und Ornamenten, auch ein etwas beleibter Buddha im Garten, aus Stein natürlich, nicht lebendig, ist im Vorgarten zu sehen.

Am Gartenzaun ist ein Metallschild mit einem QR-Code aufgestellt. Neulich hatte ich, als wir an dem Haus vorbei gingen, mein schlaues Mobiltelefon griffbereit und da ich eine QR-Code-Anwendung installiert habe, konnte ich endlich mal herausfinden, was das Metallschildchen eigentlich sagen will, wenn man über die geeignete Ausrüstung zum Entschlüsseln verfügt. Also richtete ich das Kameraauge meines Telefons auf das Schild, drückte auf dem Bildschirm »Scannen« und konnte dann sofort die Botschaft lesen:

For one minute please, stand here in silence and look at the sky, and contemplate, how awesome life is.

Eine Aufforderung also, wenigstens einen Augenblick zur Ruhe und zur Besinnung zu kommen, sich darüber Gedanken zu machen, wie großartig und eindrucksvoll das Leben ist.

Man muss ja keinen Buddha im Garten haben – es tut uns allen immer wieder gut, innezuhalten und uns zu erinnern, dass das Leben – trotz aller Widrigkeiten, die uns begegnen, trotz aller Durststrecken, die wir durchwandern, trotz Krankheit, Not, Armut oder anderen Qualen doch mehr ist, als wir gerade in Schwierigkeiten zu erkennen in der Lage sind.

Manchmal hilft so ein Blechschild mit einem QR-Code, sich daran zu erinnern. Es kann aber auch ein Gottesdienst sein. Wie wäre es mit dem heutigen zum Beispiel für dich und mich? Es ist nämlich, davon bin ich überzeugt, kein Zufall, dass unser Leben großartig und beeindruckend ist, wenn wir nur genau hinschauen. Ich glaube, da steckt jemand dahinter!

In der Schriftlesung, die wir nachher hören, erinnert Mose das Volk: Der Herr, euer Gott, geht doch vor euch her. Er wird für euch kämpfen, wie er es schon in Ägypten vor euren Augen getan hat. Ihr habt erlebt, wie der Herr, euer Gott, euch den ganzen langen Weg durch die Wüste bis hierher getragen hat, wie ein Vater sein Kind trägt.

Ich wünsche mir und uns allen, dass uns das heute ganz neu bewusst wird, dass der Herr, unser Gott nicht fern von uns ist, sondern bei uns, gerade und vor allem auch dann, wenn wir ihn vor lauter Sorge oder Not oder Angst einmal aus den Augen verlieren.

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P.S.: Wer nun unbedingt wissen will, welche Einführung die vom 23.02.2014 sein wird, ist genötigt, morgen um 10:30 zum Gottesdienst der Johannes-Gemeinde in der Wrangelstraße 6 in 12165 Berlin zu erscheinen.

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Freitag, 6. Dezember 2013

Sex zerstört den Glauben? - Ein offener Brief an den Apostel Paulus

Sehr geehrter Herr Paulus von Tarsus!

Bevor ich heftig gescholten werde, will ich eingestehen, dass es natürlich unfair ist, Ihnen einen offenen Brief zu schreiben. Sie sind bereits rund 2000 Jahre tot und können, soweit meine Kenntnisse reichen zumindest, nicht antworten. Daher erwarte ich auch von Ihnen, werter Herr Paulus von Tarsus, keinerlei Replik.

Darüber hinaus ist es ja strittig, welche der Ihnen zugeschriebenen Texte in jenem Buch namens Bibel überhaupt von Ihnen stammen. Verzeihen Sie daher alle Anmerkungen meinerseits zu Briefen, die Sie nie verfasst haben. Sie können selbstverständlich nichts dafür, falls viele Jahre nach Ihrem Ableben irgendwelche Kirchenfürsten nach Gutdünken Schreiben verfassen und den Namen Paulus darunter setzen. Außerdem sind einige der Briefe, die wirklich aus Ihrer Hand stammen, werter Herr Paulus von Tarsus, uns nicht erhalten geblieben. Oder sie lagern in vatikanischen Archiven, weil die Inhalte mit der offiziellen Kirchenlehre kollidieren würden. Womöglich haben Sie ja selbst manches relativiert oder korrigiert? Falls ja, dann ist das heutzutage leider nicht mehr bekannt.
Und noch eins sei vorausgeschickt. Sie konnten selbstverständlich nicht ahnen, dass Ihre Schreiben an diverse Personen und Gemeinden Jahrhunderte später ausgesucht und mit den Texten anderer Autoren gebündelt und als »Wort Gottes« bezeichnet werden würden. Sie haben ja gelegentlich selbst angemerkt, dass Sie nur Ihre persönliche Meinung und nicht etwa eine göttliche Weisung zu Papier bringen ließen. Es ist also mit Sicherheit nicht Ihnen anzulasten, dass in einigen Kirchen paulinisches Wort mit göttlichem Wort gleichgesetzt wird. Und ich kann mir sogar vorstellen, dass Sie manches nicht zur Veröffentlichung freigegeben hätten - zumindest nicht ohne Anmerkungen und Erklärungen, wenn Sie geahnt hätten, dass Ihre Schreiben in einem noch 2000 Jahre später erhältlichen Buch landen.

Quelle: http://www.rgbstock.com/photo/mgD8aFY/Love+at+DuskNun aber zu dem, was mich zum Schreiben dieses offenen Briefes veranlasst: Sie haben der Gemeinde in Korinth gegenüber recht deutlich gemacht, dass Sie die Sexualität des Menschen für ein leider zur Fortpflanzung notwendiges Übel hielten. Trotz der Tatsache, dass Sie noch zu Lebzeiten mit der Wiederkunft Jesu Christi gerechnet haben, kann ich nicht nachvollziehen, warum Sie den Jugendlichen von erotischen Beziehungen abgeraten haben. Meinten Sie wirklich, dass Sex in der Lage ist, den Glauben an Gott den Vater und Jesus Christus, seinen Sohn zu zerstören?

Aus Ihrer eigenen Leibfeindlichkeit haben Sie ja keinen Hehl gemacht. Sie haben sich sogar damit gebrüstet, dass Ihr Körper so allerlei Unbill auszuhalten hatte und dass Sie trotzdem nicht vom Weg der Nachfolge abgewichen sind. Aber war es angebracht, von sich auf andere zu schließen? Einerseits haben Sie sich, was Speisevorschriften und Feiertage betrifft, deutlich vom den Juden überlieferten Gesetz abgewandt, andererseits wollten Sie den Christen in Korinth die Einhaltung jüdischer Moralgesetze vorschreiben ... und darüber hinaus sogar Enthaltsamkeit als frommes Nonplusultra empfehlen.

Es mag natürlich auch daran liegen, dass die meisten Menschen (in meinem Kulturkreis zumindest) Ihre Briefe nicht in der Sprache lesen können, in der sie geschrieben wurden. Wir sind auf Übersetzungen und Überarbeitungen von Übersetzungen angewiesen, so dass es natürlich zu abweichenden Begriffen und damit bei uns verbundenen Vorstellungen kommen kann. Wenn wir in Ihren Schreiben das Wort »Unzucht« entdecken, dann mag es sein, dass wir an etwas ganz anderes denken als Sie beim Verfassen. »Lasst uns ehrbar leben wie am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Unzucht und Ausschweifung, nicht in Hader und Eifersucht; sondern zieht an den Herrn Jesus Christus und sorgt für den Leib nicht so, dass ihr den Begierden verfallt.« Da denkt man heutzutage gleich: Dieser Schreiberling predigt die Askese. »Tötet nun die Glieder, die auf Erden sind, Unzucht, Unreinheit, schändliche Leidenschaft, böse Begierde und die Habsucht, die Götzendienst ist. Um solcher Dinge willen kommt der Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.« Da sehen wir den grimmig dreinblickenden alten Herrn, der Gott darstellen soll, der kaum anderes zu tun hat, als misstrauisch die Menschen hauptsächlich bezüglich des Geschehens unterhalb der Gürtellinie zu beäugen. Weiter lesen wir: »Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann. ... Wenn sie sich aber nicht enthalten können, sollen sie heiraten. ... Also, wer seine Jungfrau heiratet, der handelt gut; wer sie aber nicht heiratet, der handelt besser.«

Ein notwendiges Übel, diese Beziehung mit dem eigenen Mann, der eigenen Frau. Dient nur dazu, Unzucht zu vermeiden, wenn sich jemand nicht jeglicher erotischer Regungen enthalten kann. So so. Und vom künftigen Wohlverhalten der Briefempfänger machen Sie es gar abhängig, wie Sie beim nächsten Besuch auftreten: »Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist?« Das passt so gar nicht zum Evangelium, in dem doch von Gnade, Vergebung und dem Kommen des Reiches Gottes die Rede ist. Im Übrigen widersprechen Sie sich dann auch noch selbst, wenn Sie schreiben: »Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten.« Ihnen ist alles erlaubt - den Brieflesern wollen Sie so manches verbieten.

Verbrennung von Templern wegen angeblicher Sodomie - Quelle: WikipediaIch bin, sehr geehrter Herr Paulus von Tarsus, fast sicher, dass Sie manche dieser Äußerungen heute nicht so von sich geben würden. Vor allem nicht, wie bereits gesagt, wenn Sie geahnt hätten, dass man Ihre Zeilen irgendwann in einigen christlichen Kreisen als »Wort Gottes« bezeichnen und lehren würde. Das hat zu sehr viel Leid, sehr viel Ungerechtigkeit und sehr viel Ablehnung des Evangeliums durch an und für sich interessierte Menschen geführt. Leider. Und in Gott sei Dank vergangenen Jahrhunderten sogar zu Folterungen und zum Mord im Namen Gottes. Pfui Teufel!

Es scheint mir, da Ihre Texte nun einmal so überliefert sind wie wir sie vorfinden, angebracht, Ihnen zu widersprechen. Sie waren ja zu Lebzeiten kein Feind von Diskussionen, obwohl Sie dazu neigten, das letzte Wort haben zu müssen und notfalls auf Ihr Amt zu verweisen. Aber immerhin haben Sie sich andere Meinungen angehört.
Ich halte es nicht für richtig, die Sexualität des Menschen als lediglich zur Fortpflanzung leider notwendiges Übel zu betrachten. Wenn wir davon ausgehen, dass Gott, der Vater im Himmel, den Menschen gewollt und erschaffen hat, wäre es ihm ja ein leichtes gewesen, die Fortpflanzung auf eine Weise sicher zu stellen, die mit Emotionen, Orgasmus und Leidenschaft nichts zu tun hat. So etwa wie bei den Pflanzen … kommt ein Insekt geflogen und bringt männlichen Samen, der natürlich ohne Erektion und Ejakulation erreichbar ist, zur weiblichen Eizelle, die keinerlei erotische Erlebnisse braucht, um befruchtet zu werden.
Nein, werter Herr Paulus von Tarsus, unsere Geschlechtsorgane sind so geschaffen, dass sie uns schon in jungen Jahren und dann ein Leben lang angenehme Empfindungen bis hin zur Ekstase, viel Freude und immer wieder neues Vergnügen bescheren. Und der Schöpfer dieser Geschlechtsorgane heißt nicht Satan. Wenn jemand wie offenbar Sie selbst ein asexueller Mensch ist, dann sei ihm das unbenommen. Aber ein solches Leben hätten Sie nicht zum Nonplusultra erheben dürfen – selbst wenn Sie nicht ahnen konnten, was daraus im Lauf der Jahrhunderte und Jahrtausende wird.

Abschließend will ich es nicht versäumen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass vieles in Ihren uns überlieferten Texten keinerlei Einwände oder Anmerkungen bei mir auszulösen vermag - häufig vermag ich bei der Lektüre ja und amen zu sagen. Bei anderen Autoren ist das übrigens nicht anders, seien es nun Texte in jenem Buch namens Bibel, von dem Sie, werter Herr Paulus von Tarsus noch nichts wussten, seien es andere Schriften.

Mit freundlichen Grüßen in die Vergangenheit,

ein Leser Ihrer Schriften.
P.S.: Zitate aus der Luther-Bibelübersetzung
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