Freitag, 13. Januar 2012

Deutschland sucht den Supergläubigen?

Gelegentlich zeigt es sich anhand von Fragen und Kommentaren, dass einige meiner Leser bezüglich meines Glaubens mehr oder weniger unsicher sind.
Es ist ja kein Geheimnis, dass ich, auch wenn es um Religion, Glaube, Gott und die Welt geht, gerne provozierende Fragen formuliere und mich nicht scheue, gegen Denkverbote zu verstoßen. Selbstverständlich kommentieren dann einige recht aufgebracht und meinen, ihren (beziehungsweise »den«) Glauben verteidigen zu müssen. Und das ist auch irgendwie gut so. Mit Widerspruch muss jeder rechnen, der öffentlich schreibt, und Provokationen (meine eingeschlossen) verfolgen ja nichts anderes als die Absicht oder Hoffnung, dass Widerrede erhoben wird. So kommen dann nämlich unterschiedliche Standpunkte zum Vorschein, über die es sich allemal nachzudenken lohnt.

Es war und ist nicht meine Absicht, meine Leser von eigenen Auffassungen zu überzeugen, sie dazu zu überreden, sich meinen Überzeugungen oder Denkweisen anzuschließen. Es existiert (zumindest meinerseits) kein Wettbewerb nach dem Motto »Deutschland sucht den Supergläubigen«. Mir geht es vielmehr darum, dass nachgedacht wird, dass Argumente erwogen und verworfen oder als denkbar anerkannt werden. Meine und die meiner Leser, wenn sie denn geäußert werden.
In diesem Text möchte ich unter der Prämisse des eben Gesagten eine Antwort auf die Frage versuchen, die mir so oder ähnlich formuliert immer wieder begegnet: »Was oder woran glaubst du eigentlich?« beziehungsweise »Glaubst du überhaupt?«

Ob am Ende die geschätzten Leser zufrieden sein werden, wird sich nach der Lektüre zeigen.

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In sehr jungen Jahren kannte ich das Christentum in erster Linie als eine Sammlung von Ge- und Verboten. Meine Mutter, sehr früh verwitwet, erzog uns streng, und die freikirchliche Gemeinde, der unsere Familie angehörte, war nicht weniger streng. Am Sonntag musste man zum Gottesdienst gehen (beziehungsweise wir Kinder in die Kinderstunde), am Mittwoch zur Bibelstunde, vor dem Essen musste gebetet werden, ein Abendgebet war genauso Pflicht. Von Sünde hatte man sich fernzuhalten: Alkoholische Getränke, Fernsehsendungen, die nicht rein informativ waren wie die Nachrichten, Rauchen, Kartenspiele, Tanzen, Kino, Zeitschriften (wegen der spärlich bekleideten Damen, die gelegentlich abgebildet waren), Popmusik ...

Für Zweifelsfälle gab es den »Ältestenrat« in der Freikirche. Ich erinnere mich an die Entscheidung, dass ein junger Mann, der »gläubig geworden« war, zwar am Gottesdienst teilnehmen durfte, aber zum Abendmahl nicht zugelassen wurde, weil er noch nicht »richtig bekehrt« war. Das konnte man daran feststellen, dass er noch rauchte.

Ich war zu jener Zeit noch Kind genug, alles richtig machen zu wollen, aber diese Entscheidung (die öffentlich in der Gemeinde verkündet wurde), verstand ich nicht. Als ich meine Mutter zu Hause diesbezüglich fragte, war sie in erster Linie darüber erschrocken, dass ich es wagte, ein Wort der »Ältesten« anzuzweifeln. Die seien nämlich, erklärte sie mir, von Gott eingesetzt und was sie sagten oder entschieden, hätten sie in jedem Fall vom Heiligen Geist - also von Gott höchstpersönlich - gehört. Daher könne und dürfe man weder dem Pastor noch den Ältesten widersprechen. Das sei eine große Sünde. Die Rede war dann noch von Unterordnung und Gemeindezucht.

Pastor Erwin Matthia & GattinIch will bei diesen frühen Erlebnissen nicht zu sehr verweilen, das würde zu umfangreich werden. Der Gott meiner Kindheit war ein zorniger, strenger, auf Gesetze pochender Richter, dem man (ohne Rücksicht auf Verständnis oder Verstand) unbedingt zu gehorchen hatte, weil man sonst unweigerlich in die Hölle kommen würde. Mein Großvater Erwin Matthia, selbst Pastor und Gemeindegründer, versuchte immer wieder behutsam, mich mit einem barmherzigen, liebevollen Gott bekannt zu machen, aber der war so anders als der in unserer Gemeinde verkündete, dass ich als Kind nicht in der Lage war, mich dem mir zugeneigten, väterlichen Gott zu nähern. Ich hatte nämlich Angst vor der Hölle.

Nach und nach bekam mein »kindlicher Glaube« Risse. Eine derartige Episode habe ich vor ein paar Jahren in diesem Text geschildert: [Klaus ist tot]. Eine andere Begebenheit aus der Kinderstunde findet sich am Anfang dieses Artikels: [Mit erhobenem Zeigefinger]

Irgendwann in der Pubertät war der Punkt erreicht, dass ich bewusst den Glauben an einen - an diesen - Gott ablegte, andere Religionen mit Interesse erkundete, aber auch abweichende Sichtweisen als die bisher gewohnten auf den christlich/jüdischen Gott kennenlernte. Dabei ging es mir nicht darum, einen neuen, für mich passenden Glauben zu finden, sondern ausschließlich um meine schon in der Kindheit entwickelte Neigung, Unbekanntes vom Un zu befreien. Die Existenz eines Gottes, wie auch immer man in nennen mochte, war für mich ausgeschlossen.

Einige Jahre später und kurz vor einem drohenden frühen Lebensende sprach mich der abgelegte Gott ganz unerwartet an. Die Einzelheiten jener Silvesternacht habe ich in dem Buch [Es gibt kein Unmöglich!: Roman] beschrieben, an dieser Stelle sei nur kurz gesagt, dass ein mir völlig fremdes Mädchen Dinge aussprach, die sie nach menschlichem Ermessen nicht wissen konnte und mir sagte, dass Gott mich lieben (unglaublich!) und gerne als seinen Nachfolger (ausgerechnet mich?) willkommen heißen würde. Nach einigen Rück- und Fehlschlägen gelang es mir dann, einen echten, weil von mir gewollten und in mir lebendigen, Glauben an Jesus Christus als Freund und Erlöser zu gewinnen.

Es folgten zum Teil abenteuerliche Jahre und Jahrzehnte mit Höhen und Tiefen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Irrtümern und Einsichten - ein ganz normales Leben eben. Ich habe göttliches Handeln und Eingreifen mehrfach auf eine Weise erlebt, die mit den Fähigkeiten des Verstandes nicht erklärbar ist. Es bleibt mir nur dankbar festzustellen, dass in meinem Leben Wunder geschehen sind.
Aber es sind auch Wunder nicht geschehen, obwohl sie erwartet und erbeten und geglaubt wurden. Ich kann von erhörten Gebeten berichten und von vergeblichen Gebeten. Das bringt mich (und den geschätzten Leser, der bis hierher gekommen ist) schon recht nahe an die Ausgangsfrage, was und wie ich eigentlich heute glaube.

Das Christentum beinhaltet eine gewaltige Bandbreite von Kirchen und Gemeinden, die gerne von sich behaupten, die richtige und wahre Erkenntnis zu besitzen. Andernfalls wären sie in ihrer Ausprägung ja auch überflüssig. Solche Lehren werden stets »biblisch begründet« und in sich logisch dargestellt.
Lange Jahre besuchte ich »charismatische« Gemeinden, in denen ein gewisser Automatismus gepredigt wird. »Wenn du genug Glauben hast, wird Gott ...« - was auch immer man da an Stelle der Pünktchen einsetzen möchte. Folglich werden dann im »geistlichen Kampf« und Gebet »Bollwerke der Finsternis« zu Fall gebracht, der Teufel wird entmachtet, Dämonen vertrieben, obskure »Bindungen« aus der Kindheit oder gar der Familiengeschichte (Eltern, Großeltern ...) gelöst. Und wenn das erhoffte, geglaubte und im geistlichen Krieg erstrittene Ergebnis ausbleibt, dann hätte Gott zwar gewollt, weil es ja in seinem Wort (so wird die Bibel gerne bezeichnet) geschrieben steht, aber leider war a) der Glaube nicht groß genug b) der Kampf nicht ausdauernd genug oder c) noch Sünde und Zweifel im Leben vorhanden. Manchmal auch a) und b) oder b) und c) oder a) und c) …

Da ich ganz persönlich Gottes übernatürliches Eingreifen erlebt hatte, schied für mich angesichts solcher gescheiterten Glaubensanstrengungen die Alternative aus, dass es keinen Gott geben könnte. Das wusste und weiß ich besser.

Aber die »charismatische« Version Gottes ist mir heute so fremd wie der Gott meiner Kindheit, der mit der Rute in der Hand auf jede Verfehlung lauert. Auch der Gott, der mit dem ganzen Leben versöhnt ist, weil der Mensch als Säugling mit geweihtem Wasser besprenkelt wurde, ist mir fremd. Oder der Gott, der um seines Volkes Willen massenhaft Tod und Qualen über andere Völker bringt. Oder der Gott, dem man sich nur zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten nähern kann. Oder der Gott ... - hier ließe sich noch manches Beispiel anfügen

Ich habe die Bibel in den letzten zehn Jahren intensiver gelesen als in den Jahrzehnten davor, nicht zuletzt aus dem Grund, dass diverse in verschiedenen Gemeinden und Kirchen verkündete Lehren einander deutlich widersprechen, sich aber samt und sonders auf eben dieses Buch stützen. Je besser und intensiver ich die Bibel kennen lernte und ihre Berichte, Aussagen und Geschichten mit dieser unserer Welt verglich, desto mehr verabschiedete ich mich von der Vorstellung, ein verbal inspiriertes, in allen Belangen unfehlbares Buch zu lesen. Die Bibel nehme ich heute ernst, aber nicht wörtlich - das wäre meine Sicht in eine Kurzform komprimiert. Insofern zähle ich also nicht zu den »bibeltreuen« Zeitgenossen.

Sondern?

»Was oder woran glaubst du eigentlich?« beziehungsweise »Glaubst du überhaupt?« - das war der Ausgangspunkt zu diesen Zeilen. Und meine Stammleser ahnen es schon: Eine endgültige, verbindliche Antwort werde ich schuldig bleiben. Warum? Weil mein Glaube noch nicht »fertig« ist.

Der Gott, an den ich glaube, ist in Jesus Christus Mensch geworden, um uns einen Weg zurück zur Gemeinschaft mit dem himmlischen Vater zu ermöglichen. Das kann ich ganz persönlich annehmen und glauben, mich darauf verlassen. Dieser Messias hat auch mich eingeschlossen bei seinem Sterben und Auferstehen, und hätte er mich in jungen Jahren nicht angesprochen und später mehrfach in mein Leben eingegriffen, wäre ich heute mit ziemlicher Sicherheit nicht hier. Aber er ist nicht der gleiche Gott, der mir in der Kindheit vorgestellt wurde, er ist nicht der flippige Gott meiner Jesus-People-Jahre, nicht der automatisierte Gott der charismatischen Zeitspanne, auch nicht der seltsam unnahbare Gott der aus der Heiligungsbewegung stammenden Kirche, die ich zur Zeit gerne und regelmäßig besuche. Der Gott, an den ich glaube, ist unfassbar, unberechenbar, unvorhersehbar. Ich verstehe ihn oft nicht, halte ihn manchmal für schwierig. Womöglich findet er ja seinerseits, dass ich schwierig sei.

Ist nun etwa der Gott, an den du glaubst, ungültig, falls er anders als meiner aussieht? Ist es falsch, wenn du die Bibel wörtlich nimmst, weil du auf diese Weise ein zufriedenes, glückliches Glaubensleben führen kannst? Solltest du gewisse Glaubensübungen und Rituale, die dir wichtig geworden sind, nicht mehr ausüben? Gilt deine Kindertaufe nicht und du landest in der Hölle? Müsstest du deine charismatische / evangelikale / katholische / lutherische / baptistische / weißnichtwasfüreine Kirche eigentlich schleunigst verlassen?

Das sei ferne.

Ich darf andere Antworten finden als du. Du darfst andere Antworten finden als ich. Es steht mir nicht zu (und ich habe auch keine Lust), deinen Glauben zu bewerten, zu beurteilen oder gar zu verurteilen, nur weil er sich von meinem unterscheidet. Ich kenne Baptisten, Katholiken, Charismatiker, Evangelikale, Lutheraner, Konfessionslose und sogar (au weia, das gibt Ärger!) Buddhisten, Atheisten und Moslems, deren Glaubensleben ich als aufrichtig und beispielhaft empfinde (soweit das von außen überhaupt empfunden werden kann).

Es bleiben in meinem Glauben viele Fragen offen, neue tauchen auf, andere verlieren ihre Bedeutung. Ich halte das für ein Zeichen von Leben und stelle solche Fragen gerne auch öffentlich. Ich muss nicht alle Zweifel beseitigen können, ich muss nicht alle Antworten parat haben, ich muss Gottes Wesen und Wirken nicht verstehen oder begründen können. Ich brauche auch niemandem Rechenschaft über Gottes Handeln oder Nichthandeln abzulegen. Der Gott, an den ich glaube, ist groß genug, um für sich selbst zu sprechen. Auch durch die Bibel, falls es angebracht sein sollte.

Und wer weiß: Vielleicht spricht er ja sogar gelegentlich durch mich.

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So. Genug gesagt.

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