Ich lese gerade ein sehr berührendes und unerwartet nachdenklich stimmendes Buch, nämlich Der Junge muss an die frische Luft von Hape Kerkeling. Wenn ich die Lektüre beendet habe, werde ich mich voraussichtlich noch ausführlicher dazu äußern, denn dieses Buch hat es verdient. Das weiß ich jetzt, nach rund zwei Dritteln, bereits sicher.
Kerkelings Dankbarkeit Gott gegenüber klingt durch, immer wieder, auch wenn er von solch traumatischen Ereignissen wie dem Tod und der Beerdigung seiner Mutter berichtet. Er weiß die Kirche durchaus zu tadeln, aber er weiß auch, dass Gott und religiöse Institutionen alles andere als in einen Topf gehören. Beeindruckend ist bei der Lektüre aber für mich vor allem, dass diese tiefe Dankbarkeit, ein sich-beschenkt-wissen, beim Blick auf die nicht gerade leichte Kindheit und Jugend den Ton angibt.
Manchmal ist so ein Blick zurück sehr sehr hilfreich. Nachdem mir am vergangenen Sonntag wie hier bereits berichtet eine für mein Alter und meine Geschichte beachtliche sportliche Leistung gelungen ist, habe ich einmal zurückgeblättert, wie es mir vor drei Jahren eigentlich ging. Damals, am 3. Juni 2012, hatte ich notiert:
»Für eine Krebstherapie ist die seelische Verfassung ebenso wichtig wie die körperliche. … Durch regelmäßige Bewegung mobilisieren Sie Ihre Energie, dies ist gerade während einer Chemotherapie wichtig. … Aktive Krebspatienten leiden seltener an Kopfschmerzen, Übelkeit, Thrombosen und Infektionen.« Diese Tipps aus dem Therapie-Tagebuch habe ich schon während der Rehabilitationsmaßnahme zur Kenntnis bekommen, von Ärzten und Physiotherapeuten. Und die bisherige Erfahrung gibt dem Rat zum sportlich aktiv sein und bleiben recht.
Damals, noch im ersten Drittel der Chemotherapie, hatte ich mir vorgenommen, den Sport nicht auf irgendwann später zu verschieben, sondern - so gut es eben ging - von Anfang an aktiv zu sein. Meine Notizen von damals klingen so:
Zwar war meine Leistungsfähigkeit nach Operation und Krankenhausaufenthalt erst einmal so gut wie verschwunden, aber regelmäßiges Training auf dem Ergometer beispielsweise zeigt inzwischen eine deutliche Verbesserung. In kleinen Schritten, von Mal zu Mal, aber doch merklich. Der umfangreiche Gerätepark in unserem Fit- und Wellnessstudio wird von mir nun erst einmal sehr eingeschränkt benutzt, da ich alle Geräte, die sich dem Training der Bauchmuskeln widmen, einstweilen noch meide, aber es bleibt genug Auswahl an Trainingsmaschinen, die ich unter Anleitung und Aufsicht in der Rehabilitationsklinik benutzen durfte und sollte. Auch hierbei zeigte sich nach der Entlassung aus der Klinik, dass die vor der Krebsdiagnose und –operation gewohnten Gewichte und Zahl der Wiederholungen erst einmal illusorisch wären. Na und? Niemand lacht mich aus, wenn ich mit Einstellungen »für schwache Mädchen« trainiere und die langsam steigere. Und wenn jemand lacht – was macht das schon?
Eben. Was macht das schon! Beim Joggathon am Sonntag gab es auch Teilnehmer, die in der vorgegebenen Laufzeit 14 Runden geschafft haben, also drei mehr als ich. Dazu kann ich herzlich gratulieren, ohne dass mich das auch nur im geringsten in meinem Staunen und meiner Dankbarkeit über die eigene Leistung beeinträchtigen würde.
Abschließend schrieb ich am 3. Juni 2012 auf:
Zwei- bis dreimal wöchentlich trainieren hilft bei der Bewältigung der Nebenwirkungen meiner Chemotherapie, und das ist auch gut so. Selbst wenn vorher der Geist wie beim biblischen Autor Paulus mal willig, der geschundene Leib jedoch schwach ist, lohnt sich das Aufraffen.
Das (oft genug mühsame) Aufraffen hat sich gelohnt. Zweifellos. Damals ahnte ich noch nicht, dass im September 2013 zwei Tumore in der Leber gefunden werden würden, aber selbst wenn ich es hätte wissen können, hätte ich nicht anders gehandelt. Ich wollte und will leben und noch nicht sterben. Was ich dazu beitragen kann, trage ich bei.
Doch bei allem, was ich tun kann, bleibt auch bei so einem Blick zurück auf die eigene Geschichte immer wieder das Staunen und die Dankbarkeit lebendig, dass mir bis heute Tag für Tag ein neuer Tag geschenkt, Gesundheit verliehen und Kraft gegeben wurde und wird.
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P.S.: Was für Krebspatienten überlebenswichtig sein kann, nämlich regelmäßiger Ausdauersport und eine Ernährung so weit wie irgend möglich ohne chemische Zusatzstoffe und Antibiotika, das kann für Menschen ohne Krebs ja nicht schädlich sein. Und diesen, zahlreichen Langzeitforschungen zufolge, sogar verhindern helfen.
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