Mittwoch, 30. September 2009

Unser Bruder Judas

Einige biblische Texte hört man selten in einer Predigt und liest auch kaum jemals eine Auslegung dazu. Zum Beispiel diese drei Verse aus Apostelgeschichte 1, in denen Petrus über Judas berichtet:
…denn er gehörte zu uns und hatte dieses Amt mit uns empfangen. Der hat einen Acker erworben mit dem Lohn für seine Ungerechtigkeit. Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzweigeborsten, sodass alle seine Eingeweide hervorquollen. Und es ist allen bekannt geworden, die in Jerusalem wohnen, sodass dieser Acker in ihrer Sprache genannt wird: Hakeldamach, das heißt Blutacker.
Im Matthäusevangelium finden wir eine abweichende Version, dort tut Judas Buße (»Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe«), gibt das Geld zurück und erhängt sich anschließend. Hier in der Apostelgeschichte kauft er ein Feld mit seinem Lohn für den Verrat und stürzt, was zu einer tödlichen Verletzung führt.
Er stirbt allein in einer Blutlache. Oder allein am Strick. Wie auch immer: Er stirbt in dem Wissen, dass er ein Sünder ist und denkt möglicherweise bis zum letzten Moment seines Lebens, dass Gott ihn nicht mehr haben will.

Für Judas gibt es kein Ostern. Er gibt keine Auferstehung. Ihm leuchtet nicht das Licht, das von keiner Finsternis überwältigt werden kann. Judas hat keine Erwartungen an die Zukunft, weiß nicht, dass Jesus auferstanden ist. Er legt seine Finger nicht in die Wundmale seines Rabbi. Er nimmt nicht an der Mahlzeit am Seeufer teil, die Jesus seinen fischenden Jüngern vorbereitet. Er wird nie mit Freude erfüllt, erlebt nicht, wie der Heilige Geist auf die versammelten Jünger fällt.
Er war auch nicht mehr dabei, als Jesus vor seiner Kreuzigung mit seinen Jüngern das Brot brach und den Wein austeilte. Er weiß nichts vom Abendmahl, von Versöhnung durch das Opfer des Lammes für die Sünden der Welt.*
Er wählt den Tod, bevor er erkennen kann, dass der Tod besiegt ist.

Unser Bruder Judas. Hat er etwas getan, was nicht vergeben werden könnte? Wieso scheitert er, der Jesus verrät, und Petrus, der seinen Meister drei Mal verleugnet und sich dabei selbst verflucht, wird zum Felsen, auf dem die Gemeinde gebaut werden kann? War die Sünde des Judas schlimmer als die des Petrus? Gab es für seinen Fall keine Vergebung?
Keineswegs, und wenn wir schon bei der Sache sind: Weder Petrus noch Judas waren besser oder schlechter als irgendjemand von uns. Wir sind alle schuldig vor Gott, daran gibt es nichts zu zweifeln. Es sei denn, jemand unter meinen Lesern wäre frei von jeglicher Schuld – in diesem Fall: Herzlichen Glückwunsch.
Aber wir, die wir uns als Menschen verstehen, die Vergebung brauchen, haben mit Petrus etwas gemein, was Judas nicht vergönnt war. Wir hatten oder haben jemanden, der uns von der Gnade, der Möglichkeit, dass uns vergeben wird, zu berichten wusste. Womöglich liegt hier die Ursache dafür, dass Judas so früh zu Tode kam, egal ob er nun gestürzt ist oder sich erhängt hat:
Judas ist allein. Er trägt seine Last mit sich in den Tod, weil er aus der Gemeinschaft ausgeschlossen ist, in der er das Wort von der verfügbaren Gnade hätte vernehmen können. Seine Ohren hören nichts von Vergebung, von Liebe, von neuem Anfang. Das alles erzählt ihm niemand in seiner Einsamkeit.

Wie hätte wohl die erste Gemeinde ausgesehen, wenn Judas wie Petrus Vergebung empfangen hätte? Jesus hatte wieder und wieder gesagt, dass seine Jünger Vergebung in seinem Namen predigen (und praktizieren!) sollten. Es war gerade die Vergebung von Sünden, die Jesus häufig Widerspruch von seinen religiösen Zeitgenossen einbrachte. Die Sache war ihm so wichtig, dass er nicht davon abließ, sich den Menschen zuzuwenden, ihre Sünden zu vergeben und Gnade zu verkünden. Wäre Judas ein Apostel geworden, in dessen Verkündigung »Amazing Grace« die zentrale Rolle gespielt hätte?

Womöglich war Judas dazu vorherbestimmt, Jesus zu verraten. Es kann sein, dass sich alles bis zum Verrat so entwickeln musste. Darüber debattieren Theologen – hier ist es nicht entscheidend. Meine Frage ist vielmehr: Ist Judas zu früh in den Tod gestürzt? Er hat sich der Gnade, von der er als Nachfolger Jesu oft gehört hatte, nicht bedient. Aber hat ihn jemand aus dem Kreis der Jünger aufgesucht, ihn an die Vergebung erinnert? Vermutlich war es für die übrigen Jünger zu schmerzhaft, ausgerechnet zu dem zu gehen, der ihren Meister an die Feinde verkauft hatte. Es war wohl leichter, ihn als das Problem zu identifizieren, als denjenigen, der an allem schuldig geworden war. Das würde auch mir leicht fallen: Judas ist der Verräter, nicht ich!
Hand aufs Herz: Wir suchen alle gerne nach dem Sündenbock, damit wir uns nicht mit der beklemmenden Wahrheit beschäftigen müssen, dass wir keineswegs ohne Schuld sind.

Haben die Jünger Buße getan, dass sie Judas in seinen Tod, ob nun durch Erhängen wie bei Matthäus oder Sturz wie bei Lukas, haben laufen lassen? Sie waren beauftragt, der Welt die frohe Botschaft der Gnade zu verkünden, und die Gnade brauchten sie selbst genauso wie jeder von uns. Vielleicht auch wegen der Tatsache, dass sie ihren Bruder Judas alleine gelassen haben.
Wir alle, sofern wir noch sündigen (was bei mir der Fall ist), müssen immer wieder hören, wer Gott ist und was er will, was er für uns bereits getan hat. Wir müssen einander von unseren Fesseln der Schuld befreien helfen, indem wir einander an das Bekenntnis der Schuld und die Vergebung erinnern. Wir müssen durch die Isolation durchdringen, die ein Sünder um sich aufgebaut haben mag, damit wir mit ihm vor Christus stehen und um Gnade bitten können. Sonst landet er womöglich im Selbstmord, oder seine Eingeweide platzen aus dem aufgerissenen Bauch – ohne dass ihn jemand jemals darüber informiert hat, dass absolute keine Sünde zu groß für Gottes Gnade ist.

Niemand muss ihm Gericht und Verdammnis predigen: Judas weiß genau, dass er schuldig geworden ist. Er ist einsam, ausgestoßen, weil er sich selbst aus dem Kreis der Jünger entfernt hat. Also selbst schuld? So gesehen bestimmt. Aber keiner kommt und lädt ihn zum Abendessen ein. Niemand bringt ihm eine warme Mahlzeit, es gibt keine kleine Geste, die sagt: Du bist dennoch nicht allein. Er kann sein Herz nicht ausschütten, seine Verzweiflung nicht mitteilen, es gibt keinen Arm, der sich tröstend um seine Schulter legt und ihm einen Funken Wärme schenkt.

Judas hat als Jünger Kenntnis von dem, was Jesus getan und verkündet hat. Nur in seiner dunkelsten Verzweiflung ist dieses Wissen verschüttet unter Schuld und Schmerz. Wie sieht es mit unseren Nachbarn aus? Hat ihnen jemand von der Gnade Gottes erzählt? Wer bereitet ihnen eine warme Mahlzeit, die ausdrückt: Du bist nicht allein! Wer hilft dem kaum Deutsch sprechenden Kind aus der Nachbarschaft bei den Hausaufgaben, damit es weiß, dass sein Schicksal nicht belanglos ist? Wer schenkt dem Obdachlosen einen Mantel, einfach weil er ein Mensch in Not ist? Wer lässt die zornigen Jugendlichen, die Autos anzünden und überhaupt alles zerstören wollen, spüren, dass nicht die ganze Welt gegen sie ist?

Vielleicht sind wir zu beschäftigt mit dem Hören von Predigten, der Anbetung, dem »Soaken« und der Organisation des nächsten Gemeindefestes. Während wir das 99ste Buch über die Gaben des Heiligen Geistes lesen, geht Judas hinaus auf das Feld und kommt zu Tode.

Tröstlich: Er ist selber schuld, er hätte schließlich auch zu uns kommen können, die Tür ist ja jeden Sonntag offen, oder etwa nicht?


* Nachträgliche Streichung / Korrektur: Gemäß dem Bericht im Lukasevangelium hat Judas am Abendmahl teilgenommen - das hatte ich nicht im Kopf beim Schreiben (siehe Kommentare).

P.P.S.: Inspiriert wurde dieser Text von einer Predigt, die Nadia Bolz-Weber geschrieben hat (einige Passagen habe ich von ihr übernommen / übersetzt).

Dienstag, 29. September 2009

Nur ein Glas pro Tag!


Gefunden: Irgendwo im Netz, weißnichtmehrwo. Prost!

Montag, 28. September 2009

Gestern: Wählen gegangen.

Wir Berliner sind ja nun mal wir Berliner. Nicht unbedingt so, wie die Bewohner des übrigen Landes. Auch an den Wahlergebnissen ist das jedes Mal abzulesen.
Bei obigem Ergebnis war ich mit meinen beiden Stimmen beteiligt, denn das ist der Wahlkreis, dem ich wegen des Wohnortes zugeordnet bin. Auch bei dem folgenden Ergebnis ist naturgemäß meine Wahl enthalten:
Nichts zu tun habe ich mit dem, was in jenem Teil unserer Stadt zustande gekommen ist, der auch 20 Jahre nach dem Ende der Teilung der Stadt zeigt, dass eben nicht immer zusammenwächst, was zusammen gehört.
Oder gehört hier etwas einfach nicht zusammen und wird daher auch nicht zusammenwachsen?
Wie auch immer - nun wird sich zeigen, ob die neue Bundesregierung, die ja zum Teil die alte sein wird, in der Lage ist, sich an die Wahlversprechungen zu erinnern und - wenn das der Fall sein sollte - diese auch in konkrete Politik umzusetzen. In spätestens vier Jahren wird der Wähler darüber befinden, ob und wie das gelungen ist.

Sonntag, 27. September 2009

Heute: Wählen gehen!

Denn:
Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen. -Winston Churchill

Samstag, 26. September 2009

Vollmacht für alle? Segen zum Abholen?

In manchen frommen Kreisen wird verkündet, dass alle Gläubigen alle Vollmacht für alle Gegebenheiten des Lebens und Anspruch auf allen erdenklichen Segen haben. Diese Lehre wird mit zum Teil sehr konstruierten »biblischen« Belegen untermauert, aber dieses Fundament hat, wenn man einen Blick in die Geschichte der ersten Gemeinde, wie sie Lukas aufgeschrieben hat, wirft, keinen Bestand. Das oft gehörte »Du musst die Vollmacht nur ergreifen (wie immer das auch aussehen soll), den Segen nur abholen, weil alle Verheißungen für dich persönlich gelten« hat überhaupt nichts mit den Realitäten der ersten Gemeinde zu tun.

Nach dem Pfingsttag wurden dem Bericht in der Apostelgeschichte zufolge tausende Menschen gläubig und die Gemeinde wuchs auch in den anschließenden Wochen täglich. Doch wenn es darum ging, dass Kranke geheilt werden sollten, war offensichtlich diese Masse von Christen machtlos, nur einzelne konnten etwas ausrichten: »Es geschahen aber viele Zeichen und Wunder im Volk durch die Hände der Apostel; und sie waren alle in der Halle Salomos einmütig beieinander. Von den andern aber wagte keiner, ihnen zu nahe zu kommen; doch das Volk hielt viel von ihnen. Desto mehr aber wuchs die Zahl derer, die an den Herrn glaubten - eine Menge Männer und Frauen -, sodass sie die Kranken sogar auf die Straßen hinaustrugen und sie auf Betten und Bahren legten, damit, wenn Petrus käme, wenigstens sein Schatten auf einige von ihnen fiele.«
Anstatt also zu Tausenden die Kranken zu heilen und andere Wundertaten zu bewirken, wartete man im Sonnenschein, bis Petrus vorbei kam.

Nicht nur Petrus, sondern »die Apostel«, heißt es in dem obigen Textausschnitt. Stephanus war nun kein namentlich erwähnter Apostel, aber auch von ihm wird Vergleichbares berichtet: »Stephanus aber, voll Gnade und Kraft, tat Wunder und große Zeichen unter dem Volk.« Das bekam ihm nicht sonderlich gut, er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. »Er aber, voll Heiligen Geistes, sah auf zum Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur Rechten Gottes und sprach: Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen. Sie schrien aber laut und hielten sich ihre Ohren zu und stürmten einmütig auf ihn ein, stießen ihn zur Stadt hinaus und steinigten ihn. Und die Zeugen legten ihre Kleider ab zu den Füßen eines jungen Mannes, der hieß Saulus, und sie steinigten Stephanus; der rief den Herrn an und sprach: Herr Jesus, nimm meinen Geist auf! Er fiel auf die Knie und schrie laut: Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an! Und als er das gesagt hatte, verschied er.«
Der erste von vielen Christen, die wegen ihres Glaubens umgebracht wurden. Er hatte offensichtlich keine Gelegenheit gehabt, einem Vollmachts- und Wohlstandsprediger zuzuhören, der ihn darüber hätte aufklären können, dass es einen »geistlichen Kampf« gibt, den jeder Christ gefälligst zu gewinnen hat - schließlich kann er ja die Vollmacht dazu »ergreifen«.

Der nächste namentlich erwähnte nicht apostolische Wundertäter ist Philippus: »Philippus aber kam hinab in die Hauptstadt Samariens und predigte ihnen von Christus. Und das Volk neigte einmütig dem zu, was Philippus sagte, als sie ihm zuhörten und die Zeichen sahen, die er tat. Denn die unreinen Geister fuhren aus mit großem Geschrei aus vielen Besessenen, auch viele Gelähmte und Verkrüppelte wurden gesund gemacht; und es entstand große Freude in dieser Stadt.« Philippus überlebt die Verfolgung, soweit wir wissen. Jedoch nicht, weil er »mehr Glauben« hat als Stephanus (im übrigen soll ja die Größes eines Senfkornes ausreichen), auch nicht weil er irgend etwas proklamiert oder eine »geistliche Schlacht« gewinnt.

Der Apostel Paulus stellt in seinem Brief an die Gemeinde in Korinth einige rhetorische Fragen: »Sind etwa alle Apostel? Alle Propheten? Alle Lehrer? Haben alle Wunder-Kräfte? Haben alle Gnadengaben der Heilungen? Reden alle in Sprachen? Legen alle aus?« Die Antwort ist natürlich: Nein. Alle diese Gaben, für deren Ausübung Vollmacht des Heiligen Geistes zweifellos notwendig ist, sollten in der Gemeinde vorhanden sein, aber nicht jeder von uns hat die Vollmacht für die gleichen Dinge wie ein anderer.

Wenn dir also mal wieder jemand erzählen will, dass alle Verheißungen und alle Vollmacht und aller Segen nur darauf warten, von dir »ergriffen« zu werden, dann empfehle ich einen Blick oder zwei in die Bibel. Dort finden wir ganz andere Sachverhalte. Der einzige, der uneingeschränkte Vollmacht hatte, verzichtete (nicht nur) im Augenblick größter Bedrängnis darauf, sie anzuwenden. »Und siehe, einer von denen, die bei Jesus waren, streckte die Hand aus und zog sein Schwert und schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm ein Ohr ab. Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, dass er mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schickte?« ... »Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr; denn er hätte ihn längst gerne gesehen; denn er hatte von ihm gehört und hoffte, er würde ein Zeichen von ihm sehen. Und er fragte ihn viel. Er aber antwortete ihm nichts.«

Und wenn dir mal wieder jemand erzählen will, dass du nur zugreifen musst, um ein sorgen- und leidfreies Leben zu genießen, dann wirf ebenfalls einen Blick oder zwei auf das, was Jesus gelehrt hat: »Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren; wer aber sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.« ... »Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen und reden allerlei Übles gegen euch, wenn sie damit lügen.« ... »Der Knecht ist nicht größer als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie euch auch verfolgen; haben sie mein Wort gehalten, so werden sie eures auch halten.«

Das klingt so gar nicht nach Wohlstandsgarantie und High Life.

Freitag, 25. September 2009

Vor der Wahl für nach der Wahl

Die Wahl ist nur noch 2 Tage entfernt, und schon bald werden in den Koalitionsgesprächen die Weichen für die nächsten vier Jahre gestellt. Wer auch immer die Wahl gewinnt: Wir möchten, dass die nächste Bundesregierung sich für Entwicklung und gegen Armut stark macht. Der Artikel ONE fordert die künftigen Koalitionäre dazu auf. Die Unterschriften wird ONE zu den Koalitionsverhandlungen an die Verhandlungspartner übergeben.

So lautet der Artikel ONE im Wortlaut:
Die Bundesregierung hat die Verpflichtung, entschieden gegen extreme Armut in der Welt vorzugehen. Die Erfolge der vergangenen Jahre zeigen, dass es einen Weg aus der Armut gibt. Deutschland hält die Versprechen an Afrika ein und stellt bis 2010 0,51 Prozent und bis spätestens 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit bereit.

Eigenverantwortung der Entwicklungsländer sowie transparente und koordinierte Unterstützung sind der Schlüssel für eine hochwirksame und effiziente Entwicklungszusammenarbeit. Diese muss sich an den Millennium-Entwicklungszielen der Vereinten Nationen ausrichten. Die deutsche Regierung baut daher erfolgreiche Programme in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Bildung und Infrastruktur aus. Zudem unterstützt Deutschland eine Handelsinitiative für Afrika und ein gerechtes Entschuldungsverfahren für Länder, die von untragbaren Schulden bedroht sind.
Wir würden uns freuen, wenn möglichst viele Menschen den Artikel unterschreiben, denn Politiker schielen nun mal immer nach den großen Zahlen, egal in welcher Partei sie auch zu finden sind.

Hier kann man unterstützen und unterschreiben: Artikel ONE

Vorher - Nachher

vorher nachher

So sah es kürzlich (als ich wie jedes Jahr zum Herbstanfang beschenkt wurde) auf dem Wohnzimmertisch aus. Es gibt so gut wie keinen Grund anzunehmen, dass mein seit vielen Jahren (20 etwa) stillgelegtes Hobby der Fotographie nicht in absehbarer Zeit wieder aufleben wird.

Donnerstag, 24. September 2009

Vom Waldmurmeltier und vom Flugzeug

Ich kann nicht einmal sagen, dass ich nicht wusste, was ich tat. Wer einen Ausschnitt aus einem noch nicht erschienenen Buch liest, weiß, dass er außer dem Ausschnitt nichts zu lesen bekommt. Schon gar nicht wird er erfahren, wie es nach dem Ausschnitt weiter geht.

Stephen King hat einen weiteren Roman geschrieben, der am 11. Oktober erscheinen wird. Auf der zugehörigen Webseite http://promo.simonandschuster.com/underthedome/22177_main.php gibt es besagten Ausschnitt zu lesen, den ich verschlungen habe. Und nun kann, nun will ich nicht bis zum 11. Oktober darauf warten, wie es weitergeht. Aber ich muss wohl, es sei denn, Amazon ist so freundlich, den Roman (wie oft bei Vorbestellungen) einen Tag zu früh zu liefern (damit die Vorbesteller ihn nicht später in Händen halten als diejenigen, die in die Buchhandlungen stürmen). Dann kann ich schon am 10. Oktober weiterlesen.

Die Besetzung des Buches ist vielversprechend. Da ist zum Beispiel Big Jim. A used car dealer with a fierce smile and no warmth, he’d given his heart to Jesus at age sixteen and had little left for his customers, his neighbors, or his dying wife and deteriorating son. The town’s Second Selectman, he’s used to having things his way. He walks like a man who has spent his life kicking ass.
So etwas soll ja vorkommen: Jemand gibt sein Herz Jesus und fortan hat er kein Herz mehr für seine Mitmenschen. Ich kenne solche Fälle. Vielleicht wäre es besser, das Herz zu behalten und Jesus einzuladen, darin zu wohnen?
Und da ist Scarecrow Joe, a 13-year-old also known as “King of the Geeks” and “Skeletor, a bona fide brain whose backpack bears the legend “FIGHT THE POWERS THAT BE.” He’s smarter than anyone, and proves it in a crisis.
In seinem Roman »Desperation« hatte Stephen King einen Zwölfjährigen als Helden, David Carver, ein Junge, der in direktem Kontakt mit Gott steht und eine Gruppe Überlebender in den Kampf gegen das Böse führt. Ich bin gespannt, ob Scarecrow Joe vielleicht ebenfalls Jesus in sein Herz eingeladen hat, sattt es ihm abzugeben. Für Joe hat Stephen King sogar - der Mann denkt mit, was zeitgemäß ist! - einen Blog eingerichtet: http://www.scarecrowjoe.com/ Auf dem Blog von Joe finden sich auch Gedanken zu Stephen Kings Geschichten und - herrlich - eine Menge Hintergrundwissen über den Schauplatz des Romans, der noch nicht erschienen ist. Sogar die fiktive Stadt Chester's Mill hat eine eigene Webseite bekommen: http://www.chestersmill.com/

In einem Interview vor ein paar Monaten meinte Herr King, ihm sei - endlich - etwas ähnliches wie »The Stand« gelungen, jenes bisher unübertroffene Endzeit-Epos, in dem Gott einer Handvoll Menschen den finalen Kampf gegen Satan zumutet. Kann ein Autor, kann Stephen King, ein solches Meisterwerk noch übertreffen oder zumindest etwas Vergleichbares schaffen? Er hat fünf Jahre an dem neuen Buch geschrieben. Womöglich war er es leid, von Fans und Kritikern immer wieder zu hören, dass sein bestes Buch inzwischen uralt ist. Also warum nicht ein neues bestes Buch schreiben?

Ob dies der Fall ist, bleibt abzuwarten. Und genau das ist mein Problem. Ich muss warten. Willnichtwarten. Mussdochwarten.

P.S.: Foto von StephenKing.com

Mittwoch, 23. September 2009

Ein postcharismatischer Bumper Sticker

Klar, unklar, aufklar

Beim Überfliegen der Nachrichten fällt mir gelegentlich eine Schlagzeile nicht wegen des Inhaltes sondern wegen des Umganges mit der Sprache auf. So wie diese Meldung:


Klar scheint mir: Geklärt ist etwas, was nicht mehr unklar ist. Aufgeklärt wird etwas, was unklar war, aber klar werden soll. Ungeklärt ist alles, was nicht klar geworden ist.

Unaufgeklärt, meint der Autor der Schlagzeile, bliebe der Tod jenes Politikers. Will er uns damit sagen, dass die Aufkläung misslungen ist oder dass sie noch im Gange wäre oder dass ihm das Wort »ungeklärt« viel zu simpel schien?

Ganz abgesehen davon: Der Tod Möllemanns scheint mir keiner Klärung zu bedürfen, denn der steht fest. Unklar sind die Umstände des Todes.

Ein anderes, wohl noch nicht begonnenes Unterfangen:

Ich bin gespannt. Bleiben die Störfälle ungeklärt, unaufgeklärt oder gelingt dieses Mal eine Klärung - womöglich gar eine Aufklärung?

Dienstag, 22. September 2009

Ein schwerer Tag

Heute nehmen wir um 15:00 Uhr den letzten Abschied von Frieda und begleiten sie zur letzten Ruhestätte. Sie fehlt uns und wird uns weiter fehlen.

Herzlichen Dank an alle, die uns über Beileidskarten, E-Mails und auch Kommentare ihr Mitgefühl ausgedrückt haben.

Montag, 21. September 2009

Sich nicht ärgern

Manche Menschen ärgern sich fürchterlich, wenn Pläne platzen oder Vorhaben nicht gelingen. Wem mit dem Ärger gedient und ob der Sache geholfen wird, sei dahingestellt. Wir hätten uns gestern ärgern können: Die Fahrradtour nach Sans Souci in Potsdam war voller Vorfreude geplant, vorbereitet, und begonnen worden, aber das nagelneue Fahrrad der besten aller Ehefrauen hatte einen platten Vorderreifen. Da wir weder Fahradflick- noch Fahrradwerkzeug besitzen noch am Sonntag eine Werkstatt offen hatte, blieb uns nichts übrig außer einzusehen: Es wird nichts aus der Tour.

An diesem Punkt hätte der Ärger einsetzen können. Statt dessen kann man aber über Alternativen nachdenken. In unserem Fall gab es ja zum Beispiel den Chevi, der in seiner dunklen Garage stand, obwohl er so gerne über sonnige Straßen schnurrt. Also wurde er flugs aus seinem (ihn selbst beschützenden) Gefängnis befreit und an die frische Luft gelassen.

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So kamen wir nicht nur ins FKK-Paradies Sans Souci, sondern später noch viel weiter, als mit dem Fahrrad. Doch zuerst ging es nach Potsdam. Als FKK-Anhänger entuppten sich die steinernen Gesellen beiderlei Geschlechtes, die zu hunderten im riesigen Park, auf den Dächern und werweißnochwo herumstehen. Die menschlichen Besucher waren samt und sonders züchtig bekleidet. Dieser Herr hier, fand ich, ist arm dran, denn er hat nur einen kompletten Arm dran, und auch in der Leibesmitte scheinen einige Zentimeter abhanden gekommen zu sein:

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Wie auch immer, wir genossen die weitläufigen Anlagen und das herrliche Wetter, ohne jeglichen Ärger über einen kaputten Fahrradreifen. Am rechten Bildrand hinter dem behüteten Blogger ist übrigens eine unbekleidete steinerne Dame zu sehen, bei der alles dran war, was so üblicherweise dran ist.

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Anschließend fuhren wir zur historischen, malerischen, atemberaubenden Havelchaussee in Berlin. Eine Straße, die eigentlich nur für Motorräder und Automobile ohne Dach geschaffen / gebaut worden sein kann. Vielleicht sollte man sie für andere Fahrzeuge mal sperren, dann wäre es noch romantischer dort.

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Falls jemand mit guten Augen das Bild etwas verwundert betrachtet: Jawohl, der Rückspiegel hat, wie es sich für brave amerikanische Rückspiegel gehört, eine Beschriftung: Objects in the rear view mirror may be closer than they appear.

Im Restaurant am Grunewaldturm (sehr empfehlenswert!) speisten wir ganz vorzüglich im Nachmittagssonnenschein und kamen dann am frühen Abend rundum zufrieden wieder zu Hause an. Ein wunderschöner Sonntag, ohne jeglichen Ärger und Verdruss.

In der Tagesschau sahen wir später einen kurzen Bericht vom grandiosen Untergang unserer Hertha. Nullzuvier. Ob sich wohl die Besucher des Spiels im Olympiastadion auch nicht geärgert haben?

Sonntag, 20. September 2009

Sich was gönnen

Wer viel und ausdauernd arbeitet, gerät leicht in die Gefahr, vor lauter Arbeit das Leben zu verpassen. Dem haben wir, auf Anregung der besten aller Ehefrauen, aktiv entgegengesteuert und uns kurzentschlossen endlich Fahrräder gegönnt, auf denen man nicht schon nach einer halben Stunde genug vom Radeln hat.

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Gestern lud das Berliner Wetter unmissverständlich dazu ein, sich aus der Wohnung zu begeben und die neuen Pegasusse ein wenig auszuführen. Der südliche Berliner Mauerweg ist landschaftlich dem Vernehmen nach der schönste Teil, und da wir in Lichterfelde Süd wohnen, haben wir direkten Anschluss.

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Um 11:30 fuhren wir los, um 16:30 waren wir wieder zu Hause. Den/die/das Garmin hatten wir zu Hause vergessen, daher sind die zurückgelegten Kilometer unbekannt. Von Lichterfelde Süd bis zur Rudower Höhe und zurück – wie weit mag das sein? Jedenfalls radelten wir 2 Stunden, pausierten Bier/Schorle trinkend, Bücher lesend und abschließend Eis essend in einem schönen Biergarten eine Stunde und fuhren dann zurück.

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Ein schöner Ausflug, bestes Radelwetter, und am Sonntag soll es noch mal so freundlich werden. In der City geht nichts mehr, verkehrstechnisch gesehen, die S-Bahn ist zu 75 Prozent kaputt, also fahren die Menschen Auto, aber die meisten Straßen sind gesperrt (Marathon) und außerdem wollen noch ein paar Zuschauer ins Olympiastadion, um Hertha beim weiteren Untergang zuzusehen.

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Ich glaube, wir werden die Stadt meiden uns wieder auf die Pegasus-Gefährte begeben und in Richtung Potsdam davon radeln. Oder Wannsee. Oder sonst wohin. Mit Gabelfederung, Sattelfederung, Acht-Gang-Nabendingsbums und so weiter. Die nächste Woche bringt wieder Arbeit genug mit sich. Man sollte ja das Leben nicht verpassen.

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Samstag, 19. September 2009

John Matthews in Hamburg

Da er gestern auf diesem Blog musikalisch in Erscheinung treten durfte, habe ich ein wenig über John Matthews, mein abgelegtes alter ego, nachgedacht und ein wenig in meinem Buch »Es gibt kein Unmöglich!« gestöbert, in dem John Matthews, der Musiker, eine nicht unerhebliche Rolle spielt.
Dabei stieß ich auf die folgende Szene, die mir in Hamburg widerfahren ist. Ich war auf dem Weg von Amsterdam nach Berlin, drogensüchtig, halb verhungert, am Ende der Kräfte. Und dann traf ich eine Familie, die anders war als viele andere. Wer weiß, ob ich heute noch am Leben wäre, ohne diese Begegnung.
Das Buch erzählt meine Geschichte in der dritten Person - wenn es »er« heißt, bin das ich. Gewesen. Damals in Hamburg:

Er landete in Hamburg, streifte einsam durch die Straßen. Mehr als der Hunger, an den er längst gewöhnt war, quälte ihn der Durst. Er betrat eine Apotheke und bat um ein Glas Wasser, bekam es, dazu ein paar Traubenzuckerstücke. Die Apothekerin war besorgt wegen seines Aussehens und bot an, einen Arzt zu rufen.
„Nein, danke”, murmelte er und ging wieder.
An einer Ecke lehnte er sich an einen Gartenzaun und sank langsam auf den Boden. Es ging nicht mehr weiter.
Johnny schloss die Augen und versuchte, das Schwindelgefühl abzuschütteln. Hinter den geschlossenen Lidern tanzten weiße Punkte in der Dunkelheit.
„Möchtest du einen Keks?” fragte eine ängstliche Stimme.
Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Vor ihm stand ein Junge, sechs oder sieben Jahre alt, und hielt ihm eine Tüte mit Gebäck hin.
„Nein, ich sterbe lieber. Lass mich in Ruhe.”
Der Junge schüttelte empört den Kopf. „Man stirbt nicht auf der Straße. Dazu geht man ins Krankenhaus. Das hat mein Opa auch so gemacht.”
„Hau ab, verdammt noch mal. Lass mich in Ruhe.”
Der Junge blieb stehen. Energisch sagte er: „Nein. Wenn du sterben willst, dann nicht an unserem Gartenzaun. Das gehört sich nicht. Außerdem bist du gar nicht so alt wie mein Opa.”
Johnny schloss wieder die Augen. Er fror trotz der Sonne und hatte keine Kraft mehr, zu widersprechen.
Die Stimme klang auf einmal sehr ängstlich. „Du stirbst doch nicht wirklich? Oder? Du machst doch nur Spaß?”
Nach Spaß war Johnny nun absolut nicht mehr zumute. Er schüttelte langsam den Kopf.
„Warte mal hier, lauf nicht weg.”
Das Kind verschwand um die Ecke. Johnny lachte müde, selbst wenn er weglaufen wollte, kam er momentan nicht auf die Beine.
Er hörte nach einer Weile, wie die Stimme des Kleinen aufgeregt plappernd wieder näher kam. Er redete auf jemanden ein, dass da ein langhaariger Typ am Gartenzaun saß und sterben wollte, was aber gar nicht gut sei.
Johnny fühlte eine Hand auf seiner Stirn, es griff jemand nach seinem Handgelenk und fühlte den Puls. Mühsam bekam er die Augen auf.
Man sah auf den ersten Blick, dass dies die große Schwester des Jungen sein musste, die Ähnlichkeit war verblüffend. Die flachsblonden Haare, die Stupsnase, die blauen Augen, die hohe Stirn.
„Können Sie aufstehen?” fragte das Mädchen. Sie mochte dreizehn sein, höchstens.
„Ich weiß nicht. Ich kann es versuchen.”
Sie stützte ihn und er kam wieder auf die Füße, hielt sich am Zaun fest. Alles drehte sich.
„Tobias, hilf mir mal.” sagte sie und die beiden Kinder führten ihn langsam zum Gartentor und in ihr Haus.
„Er wollte keinen Keks”, erklärte Tobias bekümmert, „ich habe es versucht.”
„Setzen Sie sich da auf den Stuhl”, befahl das Mädchen, als sie in die Küche kamen. Johnny war froh, dass er nicht mehr stehen musste.
„Ich laufe schnell zu Mama”, sagte sie zu ihrem Bruder, „warte hier”.
„Und wenn er doch stirbt, was mache ich dann?”
Johnny sagte: „Keine Angst, Tobias, es ist schon besser. Gleich geht es mir wieder gut.”
„Du hast nicht so eine Trobodingsbums wie Opa, oder?”
„Nein, bestimmt nicht. Wie heißt denn deine Schwester?”
„Antje. Sie holt Mama, die kennt sich aus.”
Johnny hielt sich tapfer aufrecht, er wollte dem Kleinen keine Angst machen, der ihn so besorgt musterte. Antje kam nur fünf Minuten später mit ihrer Mutter zurück. Sie trug eine Arzttasche und musterte forschend den Schützling ihrer Kinder.
„Drogen, junger Mann?” fragte sie.
„Zur Zeit nicht. Seit drei Tagen nüchtern.”
Sie leuchtete ihm in die Augen und nickte. Routiniert überprüfte sie den Blutdruck, zählte den Puls und legte ein Stethoskop auf seine Brust.
„Sie haben lange nichts gegessen, oder?”
„Ja. Ist ‘ne Weile her.”
„Legen Sie sich auf das Sofa im Wohnzimmer, ich rufe einen Krankenwagen an.”
„Nein, bitte nicht. Ich verschwinde gleich wieder.”
„So gehst du nirgends hin, mein Junge.” Sie ließ das Sie beiseite und redete wie zu einem unvernünftigen Kind.
Johnny ließ sich zum Sofa führen und war dankbar, dass er liegen durfte.
„Also keinen Krankenwagen?”
„Bitte nicht. Ich möchte nur kurz ausruhen, dann geht es weiter. Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser haben?”
Antje rannte schon los in die Küche.
„Wie alt bist du eigentlich? Und hast du einen Namen?”
„Ich werde am 23. September siebzehn und heiße John. John Matthews.”
„Ich bin Dr. Weinhold. Trink nur einen kleinen Schluck, sonst wird dir vielleicht schlecht.”
Er nahm das Glas und folgte ihrem Rat. Sie sah auf ihre Armbanduhr.
„Ich muss zurück in meine Praxis. Tu mir einen Gefallen und bleib hier liegen. In einer Stunde bin ich wieder da und kümmere mich um dich. Ich gebe dir jetzt eine Spritze zur Stärkung.”
Sie schob den rechten Ärmel des Pullovers hoch, dann den linken. „Wenigstens kein Heroin”, meinte sie zufrieden und injizierte eine klare Flüssigkeit.
Johnny versprach, liegen zu bleiben, und sie ging zurück in ihre Praxis.
Die beiden Kinder hielten Wache, versuchten, ihn aufzumuntern, und langsam ging es ihm etwas besser. Er wollte sich hinsetzen, aber Tobias verlangte unnachgiebig, dass er den Anordnungen der Mutter gehorchte.
Als die Ärztin nach Hause kam, fühlte sie kurz den Puls, fragte, wie er sich fühlte und meinte: „Du stinkst, John Matthews. Ich mache dir eine Suppe, danach kommst du in die Wanne. Wenn mein Mann dich so sieht, ruft er den Kammerjäger.”
Während er die Suppe löffelte, fragte Johnny: „Warum tun Sie das eigentlich für mich? Sie kennen mich doch gar nicht.”
Frau Weinhold erklärte: „Weil du ein Mensch bist, der Hilfe braucht. Ganz einfach.”
„Danke. Ich hoffe, dass ich Ihnen nicht lange zur Last falle. Morgen früh verschwinde ich.”
„Das wird sich finden. Nun iss in Ruhe auf, dann ab in die Wanne. Sei ein braver Junge.”
Die Suppe war gut, eigentlich hätte er noch mehr vertragen können, aber er ließ es dabei.
Frau Weinhold führte ihn ins Bad, wo sie schon Wasser eingelassen hatte. Sie wartete, bis er sich ausgezogen hatte und half ihm in die Wanne.
„Deine Klamotten kommen in die Maschine, ich gebe dir etwas von meinem Mann zum Anziehen. Es wird alles zu weit sein, aber das ist wohl zu verschmerzen. Ich lasse die Tür hier auf, falls du merkst, dass dir schwindelig wird, rufst du bitte sofort. Tobias schaut ab und zu rein, ob du noch da bist.”

Johnny blieb über eine Woche bei Familie Weinhold. Er kam wieder zu Kräften, erzählte ein paar von seinen Erlebnissen und dass er nach Berlin zu seinem Großvater wollte.
Sie waren freundlich und hatten keine Bedenken, ihn allein in ihrem Haus zu lassen, wenn die Kinder in der Schule und die Eltern bei der Arbeit waren. So viel Vertrauen wollte er nicht enttäuschen und die Besitztümer der Familie blieben tabu.
Am Wochenende arbeitete er einen Teil der Schuld ab, indem er im Garten Kartoffeln aus der Erde klaubte, eine ungewohnte und im Nachhinein durch den Muskelkater schmerzhafte Erfahrung, aber er tat es gern. Seine Kleidung hatten sie gewaschen, zum Teil aber auch kurzerhand in den Müll geworfen. Er erhielt neue Unterwäsche und drei gebrauchte Hemden, die Herrn Weinhold zu eng geworden waren.
Beim Abschied versprach er, wirklich zu seinem Großvater zu reisen und neu anzufangen. Tobias wollte ihn gar nicht gehen lassen, er war stolz und inzwischen felsenfest überzeugt davon, dass er dem Gast das Leben gerettet hatte, was ja auch vielleicht nicht ganz abwegig war. Johnny versprach dem Jungen, ihm zu schreiben, sobald er zu Hause sei.
Herr Weinhold drückte ihm noch einen Fünfzigmarkschein in die Hand und brachte ihn mit dem Wagen zur Autobahn nach Berlin.
„Mach’s gut, Junge. Wir haben dich nicht aufgepäppelt, damit du doch noch in der Szene endest.”
„Danke für alles. Ich kann es kaum glauben, dass es Menschen wie Sie gibt.”
„Glaub es ruhig und komm auf die Beine.”
Johnny war entschlossen, es zu versuchen. Die DDR mit den scharfen Grenzkontrollen lag zwischen ihm und seinem Großvater.
Er sah dem Auto hinterher und murmelte: „Kann es sein, dass eure Kinder Engel sind?”

Soweit der Ausschnitt, bei dem mir, als ich ihn jetzt las, innerlich wieder sehr wunderlich zumute war. Na ja, nicht wunderlich, sondern tief bewegt und dankbar. Einschließlich Kloß im Hals.

Wer das ganze Buch lesen möchte, darf es gerne tun: Es gibt kein Unmöglich!

Freitag, 18. September 2009

This Song Will Never Be On The MTV

Ich hatte mal via Blog nachgefragt, ob jemand meine uralte musikalische Untat mit dem hübschen Titel This Song Will Never Be On The MTV hören möchte. Die überwiegende Mehrheit der Abstimmenden wollte sich das gerne antun.

Geschrieben habe ich das Lied, als ich noch John Matthews, der Musiker, war. Auf MTV lief gerade They don't care about us von Michael Jackson, es wird wohl im Jahr 1995 gewesen sein. Als dann der Piepston kam, der ein schmutziges Wort überdeckte (MTV wollte damals noch sauber sein und bleiben), überlegte ich, ob man nicht einen Song schreiben könnte, der so viele dirty words enthält, dass er auf MTV nicht laufen könnte, weil dann mehr Piepsen als Musik zu hören wäre.

Ich schrieb den Song und nahm ihn via Multitracking ohne meine Band auf, lediglich am Anfang und Ende hat Pras (von den Fugees) mit seinem Get out of here! 'Scuse me mitgeholfen.
Aufgeführt haben wir das Ergebnis, dem ich neben dem eigentlichen Titel auch den putzigen Kurznamen No MTV gab, nie. Irgendwie war meine Band Rock of Life wohl zu sauber für solche Ungeheuerlichkeiten. Aber die Tonkonserve hat überlebt.

Bevor nun jemand die Ohren spitzt, als weitere Warnung für empfindliche Gemüter der Text, selbstverständlich in der jugenfreien Version mit Sternchen:
... get out of here! Get out of here! 'Scuse me.

This song, this song will never be on the MTV, on the MTV
This song, this song will never be, never ever will it be on the MTV
Too many f*cking dirty words, you see, that's why it can't be on the MTV
So many many dirty words from me, it will never ever make it to the MTV

F*ck this f*cking motherf*cker, tell him to f*ck off and f*ck with another
He can pee on someone else's knee, he should f*cking better let me be
I don't give a sh*t about it, bullsh*t, I just wanna get rid...

This song, this song will never be...

He can't take my f*cking chick from me and think that I'll just let it be
I'm gonna beat his f*cking sh*t out, gonna cut his c*ck off and twist and shout
He will see how I will make him regret that he ever did take
A second look at my f*cking chick. I'll give him the butt-kickin' trick

This song, this song will never be...

Dirty words, dirty words ...
Listen, motherf*cker, listen, motherf*cker ...

F*ck this f*cking motherf*cker, tell him to f*ck off and f*ck with another
He can pee on someone else's knee, he should f*cking better let me be
I don't give a sh*t about it, bullsh*t, I just wanna get rid
Of him and he can kiss my ass, f*ck him and sh*t on him at last
He can't take my chick from me and think that I'll just let it be
I'm gonna beat his f*cking sh*t out, gonna cut his c*ck off and twist and shout
He will see how I will make him regret that he ever did take
A second look at my f*cking chick. I'll give him the butt-kickin' trick

This song, this song will never be...

'Scuse me!
Will man das wirklich hören? Tatsächlich? Wirklich? Ohne die ganzen Sternchen im Text? Ohne Piepstöne über den dirty words? Na bitte, dann hier klicken, auf eigene Gefahr:


So. Wer gehört hat, darf bewerten:


Na, wie war der Song?
Pfui!
Aber hallo!
Na na na...
Hüstel.
Äh - welcher Song?
Jetzt sind meine Lautsprecher kaputt!
Genial!
Auswertung


Donnerstag, 17. September 2009

Erweckung umgeleitet!

Ich war nicht dabei, aber ein glaubwürdiger Ohrenzeuge hat berichtet, dass am letzten Sonntag in einer freikirchlichen Gemeinde, in der seit Monaten Jahren die große Erweckung angekündigt wird, eine Umleitung bekannt gegeben wurde.

Bisher hieß es, und das habe ich oft selbst gehört, unter anderem auch von eingeflogenen Propheten wie von Herrn Chuck Pierce Ende 2008, die Erweckung würde in Berlin beginnen. In der betreffenden Gemeinde natürlich. Von dort aus sollte sie sich dann in Deutschland und Europa ausbreiten.

Am letzten Sonntag wurde nun verkündet, dass die Erweckung in Polen beginnt und dann von dort nach Berlin kommt.

Nun gut. Dann eben Polen statt Berlin. Richten wir nun alle die Augen auf Warschau? Oder regnet es eher in der Provinz Erweckung? Womöglich, falls die Erweckung nicht vom Himmel geregnet sondern über das Wasser geschwappt kommt, wäre Danzig the place to be? Soll man schon Flüge buchen oder Bahntickets reservieren? Das Auto lässt man ja wohl besser (einstweilen) diesseits der Grenze.

Oder hat am Ende Leonard Cohen recht? First we take Manhatten, then we take Berlin.

Wir werde es sehen. Oder auch nicht. Jedenfalls ist der von Herrn Chuck Pierce Ende 2008 genannte Februar 2009 als Erweckungshereinbrechtermin genauso vorbei wie der vorsichtshalber angehängte Verspätungserweckungsausbruchsmonat April 2009. Aber egal, denn eigentlich, den Prophetien in jener Gemeinde gemäß, hätte die Erweckung ja schon 2008, 2007, 2006 ...

P.S.: Hätte ich hier noch ein anderes Schild aufstellen sollen? Vorsicht Realsatire!

Dienstag, 15. September 2009

Gott verstehen

Ich fühle mich nicht zu dem Glauben verpflichtet, dass derselbe Gott, der uns mit Sinnen, Vernunft und Verstand ausgestattet hat, von uns verlangt, dieselben nicht zu benutzen. -Galileo Galilei
Mancher behauptet von sich, Gott zu verstehen. Daraus leitet er dann Rezepte und Anleitungen ab, wie der Rest der Menschheit Gott verstehen kann und soll.
Womöglich haben solche Gottversteher Erlebnisse gehabt und Erfahrungen gemacht, die durchaus echt sind. Anschließend gehen sie davon aus, dass ihnen ein Wissen zuteil geworden ist, das sie nun weitergeben sollen und müssen.
Ich halte es gar nicht für verkehrt, von solchen Ereignissen zu berichten, gefährlich wird es nur dann, wenn aus der persönlich erlebten und zutreffenden Erkenntnis etwas entwickelt wird, was allgemein verbindlich sein soll.
Warum sich über das Verstehen Sorgen machen? Wenn Du es verstehst, ist es nicht Gott. -Augustinus von Hippo
Gott lässt sich nicht so einfach in die Form zwängen, die wir ihm, den jeweiligen Umständen gemäß, gerne geben wollen. Nein, Moment mal, das ist falsch. Er lässt sich überhaupt nicht in Formen zwängen.

Der sprichwörtliche kindliche Glaube an den »lieben Gott« - wenn er im Leben nie erschüttert wird, dann kann man den Menschen, dem ein solches Leben beschieden ist, nur für einen ausgesprochenen Glückspilz halten. Doch das dürfte die Ausnahme sein. Die meisten Menschen werden irgendwann - und meist mehr als einmal - feststellen, dass Gott nicht so handelt, wie wir es gerne hätten oder wie er unserem Gottesbild gemäß eigentlich handeln müsste.
Selbst derjenige, dem selbst nichts derartiges widerfährt, muss zum Beispiel angesichts dessen, was William Stearns beziehungsweise seiner Familie zugestoßen ist, nachdenklich werden:

William und Amy Stearns sind die Autoren des Buches »2020 Vision: Amazing Stories of What God Is Doing Around the World«, neben zahlreichen anderen Publikationen. Sie haben weltweit Gemeinden gegründet und Mitarbeiter geschult, sind beteiligt an Projekten, die Menschen in der missionarischen Arbeit schulen. Vor einem Jahr konnten William und Amy nach glücklicher, aber lange kinderloser Ehe endlich und überraschend zwei Kinder adoptieren. Dann folgte eine Augenoperation, die William vor dem Erblinden bewahrte. Am 1. Juli 2009 wurde ein Hirntumor diagnistiziert, der schnell aggressiv wurde. Am 3. September bat Amy Freunde um Gebet, weil sich der Tumor auf das Gedächtnis und die Wortfindung auszuwirken begann - für William als Autor eine Katastrophe. Dann ging es sehr schnell, er starb vor wenigen Tagen. Zurück bleiben seine Frau, die beiden kleinen Kinder und viele Pläne für Missioneinsätze und Schulungen, die der Tod zertrümmert hat. (Mehr dazu bei Kerstin Hack: Trauer)

Im Grunde hat man zwei Möglichkeiten, wenn Gott mit seinem Handeln oder Nichthandeln unverständlich ist. Man kann entweder dem Verstand vertrauen und folglich nicht mehr an Gott glauben, oder man entscheidet sich, trotzdem und weiter an den zu glauben, der so unbegreiflich ist.
Dazu muss man den Verstand noch nicht einmal ausschalten, sondern im Gegenteil sogar benutzen. Man muss nämlich verstehen, dass Gott nicht zu verstehen, aber dennoch da und sogar bei uns ist.
Natürlich passt das nicht zur einfältigen »Theologie«, die von vielen Menschen verkündet wird, von solchen nämlich, die Rezepte parat haben, wie Gott »funktioniert«.
Diese Leute würden sagen, dass Amy und William Stearns »nicht genug Glauben« hatten, oder dass da eine »verborgene Sünde« das heilende Eingreifen Gottes verhindert hat. Sie würden, die deutsche Sprache verhunzend »Unvergebenheit« wittern oder zum letzten Strohhalm greifend behaupten, dass William durch diesen unzeitigen Tod »vor Schlimmerem bewahrt« wurde. So kann man nämlich den Schwarzen Peter ganz bequem weiterreichen und das eigene Glaubenskonstrukt bleibt stehen.
Falls Gott die Welt geschaffen hat, war seine Hauptsorge sicher nicht, sie so zu machen, dass wir sie verstehen können. -Albert Einstein
Mir sind Menschen wie Reinhard Bonnke lieber. In seiner zum Jahresende 2009 erscheinenden Autobiographie schildert er zahlreiche Heilungswunder, die seinen evangelistischen Dienst begleiten. Genauso schildert er den langsamen und für die ganze Familie qualvollen Tod seiner eigenen Mutter, die trotz jahrelanger Gebete keine Heilung erlebte. Er schildert auch die schleichende Krankheit seines eigenen Bruders, die sich nicht aufhalten lässt; beim Erscheinen des Buches ist sein Bruder, schreibt Bonnke, vermutlich bereits tot. Es ist der gleiche Reinhard Bonnke mit dem gleichen Glauben, der für die Mutter, den Bruder und diejenigen betet, die tatsächlich geheilt werden. Er schreibt unumwunden und ehrlich, dass er Gott nicht versteht. Und glaubt immer noch. Und geht weiter hinaus, um das Evangelium zu verkünden.

Ich nehme mir lieber an solchen Menschen - ob nun prominent wie Bonnke oder nicht - ein Beispiel, als an Gottverstehern, die ihre famosen Rezepte aus der Tasche ziehen und alles wissen. Oder zu wissen meinen.

Montag, 14. September 2009

Freundschaftliche Langeweile

Die Plauderstunde mit Frau Merkel und Herrn Steinmeier gestern zur besten Sendezeit war ja nun tatsächlich das, was allerlei Auguren vorher prophezeit hatten: Ausgesprochen langweilig.

Was sollte man auch anderes erwarten von zwei gebildeten und zivilisierten Menschen, die in weiten Bereichen das Gleiche wollen und vier Jahre hervorragender Zusammenarbeit hinter sich gebracht haben.

Allerdings hätten womöglich Moderatoren, die interessantere Fragen stellen und die etwas besser vorbereitet sind, mehr aus den 90 Sendeminuten machen können. Doch diesen vier Gestalten fiel nichts anderes ein, als den Standard abzuhaken: Steuern rauf oder runter? Atomkraft? Böse Banker und Manager? Opel? Krankenkassenhabsucht? Afghanistan?

Alles Bereiche, bei denen jeder auch nur flüchtige Zeitungsleser oder Nachrichtenhörer längst verstanden hat, dass SPD und CDU das gleiche wollen, lediglich mit unterschiedlichen Nuancen. Die Steuern wollen beide Parteien (in unterschiedlichen Prozentzahlen) senken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Aus der Atomkraft aussteigen wollen beide Parteien, die SPD mit festem Datum, egal ob Alternativen da sind, die CDU erst dann, wenn es ausreichende andere Energiequellen gibt. Habgierige Banker und Manager finden Steinmeier wie Merkel zum Kotzen, und beide wissen, dass in einem Rechtsstaat mit Marktwirtschaft nicht so einfach die Regierung bestimmen kann, wer wann welche Zahlungen einkassiert. Für Opel haben beide Parteien gemeinsam gekämpft, obwohl Steinmeier sich bei diesem Thema die einzige Frechheit des Abends erlaubt: »Stellen Sie sich vor, Schwarz-Gelb hätte regiert - dann wäre Opel heute mausetot.« Darauf antwortet Merkel nicht direkt, wozu auch. Jeder Zuschauer weiß sowieso, dass das Unfug ist, denn die FDP wird ja auf absehbare Zeit nicht allein regieren können oder den Kanzler stellen ...

Na ja. Fernsehen eben, öffentlich rechtliches, gekoppelt mit zwei schon von Haus aus niveauloseren Kommerzkanälen. Moderatoren, die sonst mit seichter Unterhaltung zu tun haben müssen, sonst wären sie nicht dermaßen ahnungslos und weichgespült in die Sendung gegangen. Und zwei Kandidaten, die mit Recht auf ihre bisherige Zusammenarbeit stolz sein dürfen. Was will man da schon erwarten außer Langeweile? Eben.

Foto: stern.de

Samstag, 12. September 2009

† Frieda Ryklik

24.10.1940 - 11.09.2009

friedaryklik1 Der Tod einer Mutter ist der erste Kummer, den man ohne sie beweint.
-Jean Antoine Petit-Senn

Meine Schwiegermutter Frieda Ryklik war Lehrerin. Nicht nur im Berufsleben vor ihrer Pensionierung, sondern auch mit Herz und Seele in der Familie. Zu Gesprächen, Erlebnissen und Ereignissen gab sie ihr Wissen und ihre Meinung kund, jedoch immer auf liebvolle und respektvolle Weise, selbst wenn sie Korrektur der anderen für nötig hielt.

Ihre festen Überzeugungen, Hilfsbereitschaft, Verlässlichkeit und Glaubenskraft – das waren für mich ihre hauptsächlichen Eigenschaften. Sie ließ sich in ihrem Vertrauen auf Gott auch nicht beirren, als ihr Ehemann im Februar 2007 durch die gleiche tückische Krankheit von ihrer Seite gerissen wurde, die nun auch zu ihrem Tod geführt hat. Ihre Glaubensfestigkeit hielt in ihren letzten zweieinhalb Jahren ohne ihren Mann. Ihr Glaube war sogar stark genug für die letzten zehn Monate, in denen der Krebs trotz aller medizinischen Maßnahmen, Gebete und Hoffnungen, Glaubensschritte und -bekundungen rapide ihren Körper vernichtete. Die letzten Wochen ihres Lebens waren qualvoll und schrecklich; dennoch hielt Frieda an Gott fest, bis zuletzt.

Viele Menschen hofften, glaubten und beteten mit ihr und für sie, vergeblich. Sie gab auch in ihren letzten Tagen nicht auf. Sie wollte gesund werden, wollte sich nicht von der Krankheit besiegen lassen, hatte noch viele Pläne für die Zukunft, wollte unter anderem nach der Genesung erzählen und berichten, wie sie Heilung am eigenen Leib erlebt hatte.

Ihre und unsere Hoffnung auf einen Sieg über den Krebs wurde am 11. September 2009 in den Morgenstunden vernichtet.

Wir sind sehr traurig. Frieda hinterlässt eine Lücke in der Familie und in unseren Herzen, die nicht zu schließen ist, aber ich bin dankbar für die Jahre, die ich sie kennen durfte, dankbar für die Aufnahme in den Kreis ihrer Lieben, die Freundschaft, die vielfältige Hilfe und Unterstützung, die sie wieder und wieder bewiesen hat.

Uns bleibt nur der Trost, dass Sie nun von den Qualen und Schmerzen erlöst meinem Schwiegervater in eine bessere Ewigkeit ohne Tränen und Leid folgen durfte.

Freitag, 11. September 2009

9/11 - acht Jahre sind vergangen

Der 11. September 2001 ist bis heute vielen Menschen weltweit in schrecklicher Erinnerung, auch ich habe die Stunden nicht vergessen, in denen ich fassungslos die Bilder und Berichte aus Amerika verfolgt habe.

Niemand kann die Uhr zurückdrehen auf die Zeit vor den Anschlägen von Islamisten auf die Demokratie, auf die freie westliche Welt. Man kann aber versuchen, Misstrauen und Hass zwischen Religionen, Kulturen und Völkern zu beseitigen, wo sie uns im Alltag, in unserer Nachbarschaft begegnen. Man kann versuchen, den radikalen Kräften ihren Rückhalt in der jeweiligen (auch eigenen) Bevölkerung zu entziehen, indem Verständnis und Sympathie geweckt und gefördert werden, wo immer es geht. Das gilt nicht nur für den Islam, sondern auch für viele andere Gruppierungen, die Hass schüren und auf Terror aus sind.

Es kann tatsächlich jeder von uns Frieden schaffen helfen, nicht nur Politiker und Aktivisten. Wer seinem Nachbarn, der »anders« ist, mit Freundlichkeit, Achtung und Hilfsbereitschaft begegnet, der tut mitunter mehr zur Vermeidung von künftigen Terrorangriffen als derjenige, der öffentlich große Reden hält.

Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.

Donnerstag, 10. September 2009

Sorgfalt bei der Pressearbeit? Nö.

Die Deutsche Presse-Agentur dpa meldete heute morgen um 9:38 Uhr:

Los Angeles (dpa) – In der kalifornischen Kleinstadt Bluewater soll es nach einem Bericht des örtlichen Senders vpk-tv zu einem Selbstmordanschlag gekommen sein. Es habe in einem Restaurant zwei Explosionen gegeben, berichtete der Sender. Die Polizei sei im Einsatz und habe das Restaurant evakuiert. Ob Menschen zu Schaden kamen, sei unklar. Das Restaurant wirkte auf ersten Bildern nicht zerstört. Die Täter wurden von dem Sender als arabisch-stämmig beschrieben.

Um 9:59 Uhr ergänzte die Nachrichtenagentur ihre Meldung mit:

Ein Sprecher der Feuerwehr in der Kleinstadt Bluewater an der Grenze zum Bundesstaat Arizona bestätigte der Deutschen Presse- Agentur dpa, dass es in einem Restaurant zwei Explosionen gegeben habe. Sie hätten sich gegen 2300 Uhr Ortszeit (0800 MESZ Donnerstag) ereignet.

Um dann um 10:06 Uhr alles zu dementieren:

Los Angeles (dpa) – TV-Berichte über einen Anschlag in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater scheinen falsch zu sein. Ein Polizeisprecher in Bluewater dementierte, dass es einen Anschlag gab. Vermutlich habe es sich um einen gefälschten Bericht gehandelt.

Passiert ist: gar nichts. Berichte über den Anschlag gibt es nach der Meldung durch die dpa: einige.

Gehen wir auf die Suche nach dem TV-Sender "vpk-tv", der von der dpa als Quelle genannt wird. Wer auf Google oder Bing nach "vpk-tv" sucht, findet den Sender nicht. Vielleicht aber stösst er auf den Wikipedia-Eintrag KPVK-TV, der gestern, am 9. September 2009, angelegt wurde. Dort wiederum findet sich ein Link zur Website vpk-tv.com, wo gleich ein Video in Endlosschlaufe startet, das, was für ein Zufall, ein Selbstmordattentat in Bluewater, Kalifornien zum Thema hat.

In diesem Video tritt eine Nachrichtensprecherin auf, die einen aufgeregten Bericht ansagt, in dem Reporter, Polizisten, Opfer und sogar Täter vorkommen. Es wird erklärt, dass sich eine deutsche Gruppe von Rappern namens "Berlin Boys" in einem Video im Internet zur Tat bekannt hätten. Das Video gibt es tatsächlich, bereits seit gestern ist es auf MySpace und auch auf YouTube zu sehen.

Es fragt sich, warum denn ein "Sprecher der Feuerwehr in der Kleinstadt Bluewater an der Grenze zum Bundesstaat Arizona" der dpa bestätigte, dass es um 23 Uhr Lokalzeit zwei Explosionen gegeben habe. Auf der Website bluewatercity.com steht im Abschnitt "Public Safety" eine Telefonnummer der Feuerwehr (weit wichtiger und grösser darüber die "Mosquito & Vector Control"). Hat der dpa-Journalist diese angerufen?

Leider ist die Domain bluewatercity.com (whois.net) so echt wie vpk-tv.com (whois.net), nämlich gar nicht. Beide Websites wurden am 29. Juni 2009 registriert, lediglich die Adressen und die E-Mails unterscheiden sich, die Fax-Nummer ist sogar die Gleiche.

Doch auch ohne diese Indizien könnte man zum Schluss kommen, dass es diesen TV-Sender gar nicht gibt. Denn aus all diesen Quellen (inklusive den Videos der angeblichen Rapgruppe "Berlin Boys") schreit ein Wort: Fälschung! Es gibt keine Quelle, die tatsächlich für ein einigermassen geübtes journalistisches Auge so aussieht, als wäre sie echt. Auf amerikanischen Nachrichtenseiten ist auch nichts dazu zu finden. In Deutschland hingegen verbreitet sich die Meldung noch immer, der dpa und ihren blinden Kopierern wegen. Als unter Dutzenden herausgepickte Beispiele sind welt.de, morgenpost.de, nordsee-zeitung.de, sz-online.de oder das wiesbadener-tagblatt.de zu nennen.

Auf Twitter produzieren die Nutzer @JFKindling (erste Twitter-Nutzung: 16. Juni 2009), @kimmieblu (erste Twitter-Nutzung: 26. Mai 2009) und @NormanKlein75 (erste Twitter-Nutzung: 23. Juni 2009) die Berichterstattung zum Stichwort #bluewater im Alleingang.

Von dort aus verlinkt wird ein Augenzeugenbericht auf YouTube, angelegt vom Nutzer KindlingerEscapePlan, der bisher noch nie ein Video hochgeladen hatte.

Um 10:48 Uhr, als allen schon klar ist, dass es sich bei der Meldung nur um eine virtuelle Realität handelt, kommt eine weitere dpa-Meldung:

Los Angeles (dpa) – Entwarnung in der kalifornischen Kleinstadt Bluewater: Am späten Mittwochabend (Ortszeit) berichtete der örtliche Sender vpk-tv, es habe einen Selbstmordanschlag in dem Restaurant Artisan Diner gegeben. Die Täter seien arabisch-stämmig.

Nach einer Stunde stand fest, es war ein böser Scherz: Drei deutsche Rapper hätten sich Bombenattrappen umgebunden und seien in das Restaurant gestürmt, um Medienaufmerksamkeit zu erlangen. Die Behörden kündigten ein hartes Vorgehen gegen die Deutschen an, berichtete der Sender.

Ein Sprecher der örtlichen Polizei bestätigte der Deutschen Presse-Agentur dpa, dass die drei Männer festgenommen wurden. Details des Vorfalls seien weiterhin nicht ganz klar. Es habe jedenfalls keine echte Explosion gegeben.

(Achtung Redaktionen: Bei den drei deutschen Rapper soll es sich nach Angaben des Senders um die Berlin Boys handeln. Die weitere Berichterstattung läuft im Ressort Vermischtes)

Warum sich die dpa auch im dritten Bericht noch auf einen "örtlichen Sender" verlässt, den es offenkundig gar nicht gibt, ist ein Rätsel. Ebenso liegt noch im Dunklen, wer der dpa von der angeblichen Festnahme von drei Männern erzählte.

Vor zwei Tagen meldete die dpa, sie wolle sich künftig zunehmend für User Generated Content öffnen. Warum? Das ist doch, wie sich heute gezeigt hat, längst der Fall.

Dieses Lehrstück in Sachen journalistische Sorgfalt gab es heute. Selbst seriöse Medien wie »Die Zeit« fielen auf die Falschmeldungen herein.
Es scheint, dass der Wettlauf um die schnellsten Schlagzeilen im Internet (und damit zur besten Google-Platzierung) zu immer mehr Fahrlässigkeit bei den Journalisten führt.

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... Nur an Jesus sollte man schon glauben.


Zur Zeit habe ich ein 14tägiges kostenloses Probeabonnement der Berliner Tageszeitung »Der Tagesspiegel« - also eine »richtige« Zeitung, auf Papier gedruckt und so weiter.
Eben fand ich auf Seite 18 der heutigen Ausgabe einen fast ganzseitigen und rundum positiven Bericht über die Berliner »Jesus Freaks«.
Sehr gut recherchiert, sehr fair geshrieben. Lesenswert: Der Tagesspiegel über die Jesus Freaks Berlin

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Der Berliner und die Kanzler-Direktwahl

Natürlich kann keiner, auch nicht der Berliner, den Kanzler direkt wählen. Aber da es bei der Frage »wen würden Sie wählen« um die Beliebtheit der beiden Spitzenkandidaten geht, offenbart die neueste Umfrage in Berlin erstaunliche Präferenzen.
Dass bei Schwarz & Gelb die Kanzlerin vorne liegt, verwundert ja nicht weiter. Jedoch: Mehr als ein Drittel der Anhänger der SED-Nachfolgepartei und fast ein Drittel der SPD-Freunde würden Frau Merkel vorziehen, und die Grüngefärbten sind halbe-halbe gestimmt.

Kommunisten Linke, Grüne und Sozialdemokraten, die Merkel vorziehen? Nanu? Aber hallo! Irgendwas muss der Herr Steinmeier wohl falsch machen? Oder seine Partei? Oder wie jetzt?

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Mittwoch, 9. September 2009

Auch kein Patentrezept: Gesund ohne Glauben

Über Sinn und Unsinn von Patentrezepten mit Wirkungsgarantie kann man geteilter Meinung sein.
Die einen lieben solche Rezepte, weil sie reichlich Geld damit verdienen: »Ihr Leben wird sich lohnen, wenn Ihr Penis ein Stück wächst«, »Mit uns wachen Sie gesund auf, auch wenn sie krank ins Bett gehen«, »So bekommen Sie jetzt ein Beförderung«… - einige Beispiele aus dem Spam-Ordner von heute.
Die anderen sind genervt, weil sie wissen, dass derartiger Unsinn nicht zur versprochenen und teuer bezahlten Wirkung führt.
Und dann gibt es offenbar auch noch diejenigen, die auf solche Rezepte hereinfallen – sonst wären die diesbezüglichen Anbieter längst pleite.

Jedoch nicht jeder, der Patentrezepte verteilt, ist ein Gauner. Es gibt zwar einerseits die knallhart kalkulierenden Geschäftemacher, aber es gibt auch diejenigen, bei denen etwas funktioniert hat, und die nun ihr Erlebnis oft genug in gutem Glauben als Rezept anpreisen, das für alle Menschen funktioniert. Auch in manchen christlichen Kreisen findet man solche und solche Rezeptverkünder. Zum Beispiel: »Jede Krankheit wird geheilt, wenn XXX und YYY gegeben sind«. Entweder XXX oder YYY wird in der Regel so umschrieben, dass »genug Glaube« vorhanden sein muss.

Im Johannesevangelium findet sich ein Text, der solche Thesen ad absurdum führt. Es gibt weiterte ähnliches aussagende Bibelpassagen, dieser ist jedenfalls schön eindeutig. Kapitel 5, 1-9:
(1) Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem. (2) Es ist aber in Jerusalem beim Schaftor ein Teich, der heißt auf Hebräisch Betesda. Dort sind fünf Hallen; (3) in denen lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. (5) Es war aber dort ein Mensch, der lag achtunddreißig Jahre krank. (6) Als Jesus den liegen sah und vernahm, dass er schon so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? (7) Der Kranke antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein. (8) Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! (9) Und sogleich wurde der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber an dem Tag Sabbat.
Jesus stellt eine ganz einfache Frage, auf die eine ganz einfache Antwort möglich wäre. »Willst du gesund werden?«
Darauf reicht ein simples »Ja« oder »Nein«.
Statt dessen gibt jedoch der Kranke eine längere Erklärung ab: »Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt, wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich aber hinkomme, so steigt ein anderer vor mir hinein.«
Eine etwas irritierende Antwort auf die einfache Frage, ob der Mann gesund werden möchte oder nicht.

Ach ja, noch etwas ist hier irritierend: Wo ist eigentlich Vers 4 geblieben? Normalerweise kommt in der Bibel nach einem Vers 3 und vor einem Vers 5 ein mit der 4 nummerierter Textteil. An dieser Stelle in den meisten Übersetzungen nicht. Man findet ihn allerdings bei Luther und in der Elberfelder als Fußnote, da steht dann nämlich:
… lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte und warteten auf eine bestimmte Bewegung des Wassers, (4) denn von Zeit zu Zeit kam ein Engel des Herrn und bewegte das Wasser. Und wer danach als Erster ins Wasser stieg, wurde geheilt.
Mit dieser (umstrittenen und deshalb in vielen Bibelausgaben nicht enthaltenen) Ergänzung scheint dann die Antwort des Kranken schon etwas verständlicher zu sein. Er sagt sinngemäß: »Ich würde ja wollen, sonst läge ich nicht hier an diesem Tümpel herum, und wenn du die Umstände kennen würdest, hättest du nicht solch eine komische Frage gestellt. Man muss darauf warten, dass da ein paar Wellen schwappen und dann der erste im Wasser sein. Ich habe einfach keine Chance, und je länger ich hier krank herumliege, desto schwächer werde ich.«

Das Ganze ist schon eine absonderliche Episode im Johannesevangelium. So eine Art Wettlauf: Der erste wird geheilt, egal welches Gebrechen ihn plagt, der Pokal für den besten Sprinter ist Gesundheit. Silber- und Bronzemedaillen gibt es leider nicht. (Manch ein Theologiegebäude müsste bei solchen Texten in sich zusammenstürzen.)

Doch zurück zum Gespräch am Teich. Wie mag der Kranke sich gefühlt haben? 38 Jahre wartet er krank in Betesda, mit der Hoffnung, dass ihn irgendwann jemand freundlicherweise als ersten ins Wasser trägt. Pustekuchen, wer von den Kranken laufen kann, wird selbst lossprinten, sobald sich da etwas im Teich bewegt – schließlich liegt hier niemand aus Barmherzigkeit auf der Lauer, sondern weil er selbst ein Leiden hat.
Und nun kommt dieser Unbekannte und fragt den Mann, ob er geheilt werden möchte oder nicht.
Eigentlich eine angesichts der Situation ziemlich unangebrachte Frage, auf die man nicht unbedingt überhaupt antworten muss. Vermutlich hat er aber aus der Stimme des Fragenden Mitleid, Anteilnahme herausgehört, womöglich hat er das auch als Motivationsversuch eines Unwissenden verstanden: »Reiss dich mal zusammen, warum liegst du hier nach 38 Jahren immer noch krank herum?«
Daher seine defensive Erklärung, die man ihm ja nicht vorwerfen kann: »Hey, Moment mal, mich trägt ja keiner runter zum Wasser und bis ich selbst hingekrochen bin, ist es zu spät. Ich habe es tausendmal versucht, aber es hat nie geklappt.«
Er bittet mit seiner Antwort um Verständnis, um Nachsicht mit seiner Situation, die er vermutlich nicht (durch ungesunden Lebenswandel oder ähnliches) verschuldet hat – und die er auch nicht ändern kann. Die Regeln sind ja nicht auf seinem Mist gewachsen: The winner takes it all. Es fehlt dem Mann, und auch das ist ihm nicht vorzuwerfen, an Vorstellungsvermögen bezüglich dessen, was Jesus ihm hier anbietet.
Aus dem weiteren Bericht im Evangelium geht hervor, dass der Kranke keine Ahnung hat, wer ihm diese unpassende Frage stellt. Er wird später gefragt, wer ihn denn geheilt hätte. »Der aber gesund geworden war, wusste nicht, wer es war; denn Jesus war entwichen, da so viel Volk an dem Ort war«, heißt es in Vers 13.

Der Kranke ist völlig außer Stande, zu verstehen, dass derjenige, der vor ihm steht, das lebendige Wasser ist, dass gar keine Notwendigkeit besteht, auf jenen ominösen Wasserengel zu warten und dann blitzschnell in den Teich getragen zu werden.
Daher sagt er weder ja noch nein auf die einfache Frage, ob er geheilt werden möchte.
Der Mann besitzt mit Sicherheit keinen Glauben an seine Heilung oder an die Vollmacht des Fragenden. Vielleicht hofft er, dass dieser kräftige und dem Augenschein nach gesunde Mann ihn ins Wasser trägt, aus Mitleid, aber da sich dort gerade nichts bewegt, ist das aussichtslos. Man muss ja den richtigen Wellengang abwarten.
Andere Anwesende haben ebenfalls keinen Glauben. Womöglich hören andere Wartende der Unterhaltung zu, heißt es doch im Text dass »viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte« am Teich liegen, als Jesus dort vorbeikommt. Dass irgend einer von ihnen Jesus ge- oder erkannt hätte, davon ist nicht die Rede. Also ist hier, soweit es um Glauben geht, absolute Ebbe. Oder Flaute, um beim bewegten Wasser zu bleiben.

Das überraschende an dieser Situation ist, dass Jesus ihn trotzdem heilt – obwohl oder weil er weiß, dass dieser Mann gar nicht über die Möglichkeit verfügt, eine einfache Antwort »ja, ich will gesund werden«, zu geben.
Jesus heilt ihn darüber hinaus ungefragt. Weder der Kranke noch sonst jemand hat darum gebeten. Niemand hat den Mann zu Jesus gebracht mit dem Wunsch, dass er ihn gesund machen würde.

Es geht im Johannesevangelium an dieser Stelle gar nicht so sehr um diese Heilung, sondern um den zweifachen Tabubruch: Der Mann trägt seine Matratze am Sabbat nach Hause und wird prompt damit erwischt. Aufgefordert zu diesem Gesetzesverstoß hat ihn derjenige, dessen Namen er nicht einmal erfragt hat und der jetzt verschwunden ist. Jesus hat wieder einmal die eisernen Gebote seiner Religion verletzt (indem er am Sabbat heilt) und noch dazu jemanden angestiftet, ein Gesetzesbrecher zu werden (indem er ihm aufträgt, die Matratze mitzunehmen, wenn er geht).

Auf etliche Fragen gibt dieser Text keine Antworten her:
  • Wieso wird nur dieser eine Mann geheilt, wenn dort »viele Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte« am Teil liegen?
  • Wie haben sich diejenigen gefühlt, die Jesus krank am Teich hat liegen lassen?
  • Kann dieser ominöse Engel, der gelegentlich eine Heilungslotterie in Form eines Wetterennens zum Teich veranstaltet, eigentlich ein Engel Gottes sein?
  • Wenn ja, ist das gerecht?
Aber eine Frage beantwortet der Text immerhin:
  • Muss man selbst, muss irgendjemand unbedingt Glauben haben, damit eine Heilung geschieht?
Wenn dir jemand wieder mal das Patentrezept zur Heilung anbietet, in dem Glaube als Verordnung vorkommt, dann ist die Antwort ein klares, lautes und unmissverständliches »Nein!«

Das heißt natürlich nicht, dass Glaube schädlich oder einer Genesung hinderlich wäre. Es heißt nur, dass es nicht an deinem mangelnden Glauben liegt, wenn das Patentrezept versagt, wenn du krank bist und auch bleibst.

Bildquelle: Hungertuch Betesda von Sieger Köder

Dienstag, 8. September 2009

Innehalten

Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen. -Marie von Ebner-Eschenbach, Aphorismen

Montag, 7. September 2009

Montagmorgen

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......................)..........).......)
....................(..........(.......(
......................)..........).......)
.............. GUTENMORGENG
.............. UTENMORGENGU###
.............. TENMORGENGUT___##
............... ENMORGENGUT ____##
................ ENMORGENGU__###
................. TENMORGEN
.................. GUTEN MOR
................... GENGUTEN
....... kaffeekaffeekaffeekaffeekaffee
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Samstag, 5. September 2009

Eindrücke aus der Lesung mit Nadia Bolz-Weber

Um Ironie zu erkennen – ob sarkastisch (also beißend spöttisch) oder nicht –, müssen verschiedene Teile des Gehirns zusammenarbeiten. Wenn jemand die soziale Situation nicht versteht (beispielsweise wegen einer Beschädigung der vorderen Gehirnlappen oder wegen fehlender Übung bzw. Intelligenz), kann er Ironie – und damit auch ironischen Sarkasmus – nicht als solche(n) identifizieren. (Wikipedia)
Ironie und Sarkasmus sind nicht jedermanns Sache, aber gelegentlich mag es keinen anderen Ausweg geben, wenn man nicht verzweifeln möchte. Nadia Bolz-Weber, deren Lesung mit anschließender Diskussion ich kürzlich besucht habe, erklärte, wie sie reagiert hat, als ein Verlag das Ansinnen vorbrachte, sie möge sich 24 Stunden dem Programm eines evangelikalen (im amerikanischen Sinne) Bibelfensehsenders aussetzen und dann darüber ein Buch schreiben:
I suggested that perhaps the Geneva Convention might address making a person do this sort of thing, right after the paragraph on waterboarding, but then I agreed to it because, well, it was about the weirdest thing someone had asked me to do in a while, so how could I say no?
Die Autorin ist lutheranische Pfarrerin in Amerika, aber alles andere als eine »normale« Geistliche. In ihrer Kirche in Denver versammeln sich, so erzählte sie, Menschen, die zu 85% keine Kirche besuchten, bevor sie zu eben dieser Gemeinde fanden. Menschen, die anderswo nur Ablehnung, Verachtung und Verletzung von Christen erlebt haben. Nadia Bolz-Weber erzählte, dass sie gelegentlich überrascht (und sehr dankbar und erfreut darüber) ist, dass auch »ganz normale« Familien kommen und bleiben, die der typischen amerikanischen Mittelschicht angehören.

In ihrem Buch Salvation on the small screen? schildert sie die 24 Stunden, in denen sie (mit Freunden und Bekannten, die jeweils für eine oder zwei Stunden kamen) das Programm verfolgt hat, das der Sender TBN ausstrahlt. Dabei wählt sie Ironie und Sarkasmus als Stilmittel, weil ihr nichts anders übrig bleibt angesichts dessen, was sie sieht. Paula White zum Beispiel, eine Art Barbie-Puppe, die stilvoll ihre aufgeklebten Fingernägel zur Geltung bringt, während sie den Zuschauern ihre Philosophie (oder Theologie?) erklärt: »What do you do when life throws you a curve ball? You hit a home run!«

Nadia Bolz-Weber liest vor:
Much to my delight, Paula White is next. The last time I watched her show, her talk was entitled, "Why God Wants You Wealthy." White is a mega-church "pastor" along with her (soon to be second ex-) husband, "Bishop" Randy White.
After years of seminary I find myself getting a tad indignant about people taking the title "pastor", much less "bishop" with all the consideration and credentialing one might use choosing a chat room screen name.
Immer wieder in den 24 Stunden sind 30 Sendeminuten mit einer Schein-Talk-Show nur dazu da, dass die Zuschauer die regelmäßig eingeblendete Telefonnummer anrufen, um das jeweilige Geschäft anzukurbeln. Ob nun Hill$ong-CDs, Bücher oder kitschige Gemälde verkauft werden sollen, das Muster ist immer gleich. Es gibt auch eine Telefonnummer für Aufkleber mit einem durchgestrichenen Teufel, die man sich unter die Schuhsohlen kleben soll, um auf diese Weise die »Mächte der Finsternis« zu zertrampeln. Die Aufkleber sind kostenlos, aber sie kommen nur mit einem Buch zusammen zum Versand...

Nadia Bolz-Weber schildert anschaulich anhand mehrerer Beispiele, wie hinterhältig den Zuschauern das Geld aus der Tasche gezogen wird, wie fahrlässig Reichtum und Gesundheit versprochen werden von Fernsehstars, die wohl niemals denen Rede und Antwort stehen werden, die arm bleiben (oder durch großzügige Spenden werden), deren liebste Angehörige an einer Krankheit sterben, obwohl alle alles richtig, entsprechend »God's way«, gemacht und geglaubt haben.
What's so disturbing is that TV preachers can dispend these magic formulas for health and wealth, tell people that this is "God's way," and yet never be interrupted by the raised hand of someone who says, "I do all of the things you were saying but I'm still depressed" - or poor, or not speaking to my sister, or feeling as though God has abandoned me. This medium allows Paula White and her fellows, to some extend, to ignore the real, lived, complicated experience of people.
The irony of Paula White telling this story about counseling folks in problematic relationships while in the midst of a divorce from "Bishop" Randy White, her second divorce, is not at all lost on us.
Nun wäre das Buch einseitig zu nennen, wenn es sich ausschließlich um beißende Kritik am Fernsehprogramm von TBN handeln würde, aber Nadia Bolz-Weber geht einen (wie ich meine notwendigen) Schritt weiter: Sie stellt nicht in Frage, dass auch in solchen gespenstischen Shows wie Benny Hinns Sendung Gott Menschen berühren kann. Sie schildert, dass sie selbst zwar von dem meisten, was sie in den 24 Stunden sieht, abgestoßen ist, aber sie weist deutlich darauf hin, dass sie nicht das Maß aller Dinge ist.
If God can work through someone as broken and imperfect as me, then he can surely do the same with people like Paula White, although I think she is totally crazy. When it comes to God's grace, then I stop all irony and sarcasm. Because I believe that God offers his grace freely and without restrictions, I also believe that he can do such through these TV preachers, else he couldn't use me for his kingdom either.
Für mich wurde die Autorin gerade durch diese Einsichten in die eigene Unvollkommenheit um so glaubhafter, aufrichtiger. Sie erzählte von ihrer langjährigen Freundschaft mit einigen evangelikalen Christen, deren Meinung und Theologie (soweit vorhanden) sie zwar nicht teilt, die aber genau wie Nadia Bolz-Weber von ganzem Herzen an Jesus glauben und die Menschen lieben.

In der an die Lesung anschließenden Gesprächsrunde berichtete sie, wie es zur Gründung ihrer emergenten Kirche in Denver kam und was sich dort seither entwickelt und ereignet hat. Sie beantwortete die Fragen aus dem Publikum offensichtlich gerne und ausführlich, auch dabei blieb sie sich selbst gegenüber kritisch.

Mein Fazit: In manchen Punkten bin ich anderer Meinung als die Autorin, aber das ist normal und auch gut so. Ihr Vortrag war lebendig und unterhaltsam, und etliche Gedanken werden mich weiter begleiten. Ein gelungener, bereichernder Abend, der sich gelohnt hat. Nadia Bolz-Weber ist eine intelligente und humorvolle Autorin und Pastorin, ich werde ihren Blog im Auge behalten und das Buch ist bei Amazon bestellt.
Die gastgebenden Baptisten hatten reichlich Bier (lecker!) und Bionade (igitt!) bereitgestellt, der Raum war kreativ dekoriert und wir wurden liebevoll empfangen und verabschiedet.
Am Rande lernte ich noch zwei Menschen kennen, die zu meinen regelmäßigen Blogbesuchern zählen - jetzt kenne ich wieder zwei Gesichter mehr zu den Namen, die in den Kommentaren auftauchen.

P.S.: Ich habe zum Teil aus dem Kopf zitiert - das mag nicht immer akkurat gelungen sein.
P.P.S.: Die Zitate habe ich nicht übersetzt, weil ich zu faul war.
P.P.P.S.: Auf dem Weg zur Lesung hörten wir im Auto den unvergleichlichen Tom Waits, unter anderem mit Jesus gonna be here soon. Das passte im Nachhinein ganz hervorragend zum Abend.