Ganz lebendig, ganz menschlich und ganz wach zu sein, bedeutet, ständig aus dem Nest geworfen zu werden. -Pema Chodron
Zum Leben gehören (zumindest für die meisten Menschen) auch schlechte Zeiten: Der Chef ist unzufrieden, das Geschäft läuft miserabel, es kommt zum Streit mit der liebsten Person, die Finanzen sind knapp, man kann nicht gut schlafen, eine schwere Krankheit oder chronische Schmerzen treten auf …
Meistens reagieren wir auf solche Situationen und Ereignisse so ähnlich:
- Dem Problem entfliehen: Job kündigen, Trennung vom Partner, Medikamente noch und noch. Was auch immer geeignet scheint, Abstand vom Problem zu gewinnen.
- Das Problem ignorieren: einfach nicht daran denken (zumindest versucht man das), so tun, als wäre alles in Ordnung.
- Flucht: Trinken, Rauchen, Essen, Fernsehen, Internet, Pornos, Soziale Medien, Spiele … alles ist willkommen, um von den Schwierigkeiten abzulenken.
- Sich beschweren: auf jemanden losgehen, schimpfen, jemandem die Ohren volljammern, nachtragend sein, die Schuld an der Situation bei anderen (oder dem Schicksal/einer höheren Macht) suchen.
Das kann alles funktionieren und je nach Lage auch sinnvoll sein. Entwickeln Sie keine Schuldgefühle wegen solcher Reaktionen auf ein Problem. Manchmal kann das beruhigen oder sogar hilfreich sein. Mit jemandem über Probleme zu sprechen, ist zum Beispiel eine gute Idee. Sich ausruhen, damit man besser und konzentrierter an einer Lösung arbeiten kann … auch keine schlechte Idee.
Aber alle Versuche, dem Problem aus dem Weg zu gehen, es zu vergessen oder sich selbst zu trösten haben eine begrenzte Wirksamkeit. Langfristig geraten wir in eine Krise, werden unglücklich, fühlen uns niedergeschlagen und dadurch geraten wir immer tiefer in den Sumpf.
Wie wäre es, wenn Sie bei der nächsten (vielleicht auch aktuellen) misslichen Lage mal etwas anderes ausprobieren: Sie sind verletzt, traurig, wütend, überlastet … und betrachten das nicht als ein Problem, sondern als eine Erfahrung.
- Fühlen Sie den Schmerz, die Traurigkeit oder die Wut, die Sie empfinden.
- Anstatt das Empfinden zu meiden, vor dem Problem zu fliehen, erlauben Sie sich, das Gefühl bewusst wahrzunehmen.
- Und während Sie es fühlen, betrachten Sie Ihre Empfindungen nicht als ein Problem, das Sie lösen müssen, einen Umstand, den Sie loswerden wollen. Sondern als Erfahrung. Sie müssen jetzt kein Problem bewältigen, Sie machen gerade eine Erfahrung. Das ist alles: ein Erlebnis, ein Gefühl, Empfindungen. Kein Grund zur Panik.
- Es sei denn, Sie sind in Panik geraten - das ist auch kein Weltuntergang. Es ist ein Zustand, den Sie gerade erleben. Es ist, auch wenn Sie panisch reagieren, traurig sind, Schmerz empfinden, im Grunde nur eine Erfahrung. Das Erlebnis fühlt sich sicherlich nicht gut an. Nicht alle Erfahrungen, die wir im Leben machen, sind erfreulich? Manchmal müssen wir Kälte, Hitze, Stürme und Schmerzen erleben. Es ist Teil der Lebenserfahrung, und wir können nicht alles ausschließen, was uns missfällt.
- Spüren Sie Ihre Schwierigkeit voll und ganz, mit so offenem Herzen wie möglich. Lassen Sie es zu. Fällen Sie keine Urteile, geraten Sie nicht in hektische Betriebsamkeit. Es ist erst einmal nur Ihre gegenwärtige Erfahrung.
Sie können Frieden finden, was auch immer diese Erfahrung sein mag. Und dann, erst dann, kommt die Zeit zum Handeln. Aus diesem inneren Frieden heraus darüber, wer Sie sind, was Sie erleben, können Sie den nächsten Schritt tun.
Machen Sie einen kleinen Schritt, um Ihre Situation zu verbessern. Suchen Sie Rat und Hilfe dort, wo sie wirklich zu finden sind (anstatt panisch irgend etwas zu tun). Seien Sie still, damit Sie zuhören können. Was zu tun ist, hängt von der Situation ab, aber jeder dauerhafte und wirkliche Weg aus der misslichen Lager heraus beginnt mit einem Gefühl des Friedens, mit dem Wahrnehmen und Anerkennen der eigenen Erfahrung. Und wenn es gar keinen Weg heraus geben sollte – so wie ich es mit den irreversiblen Folgen der Chemotherapie erlebt habe und erlebe – dann ist es erst recht wichtig und sinnvoll, den inneren Frieden (wieder) zu finden.
Ob das immer gelingt? Mir jedenfalls nicht. Aber je länger ich praktiziere, so vorzugehen, desto öfter, leichter und besser klappt es.
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Foto: Eigene Aufnahme.