Donnerstag, 9. Januar 2014

… nicht die Absicht, mich unterkriegen zu lassen.

Die regelmäßigen Untersuchungsserien, denen ich mich im Verlauf der Krebsnachsorge unterziehe, lösen jedes Mal Befürchtungen aus, so richtig und wichtig sie auch sind. Keine regelmäßige Nachsorge zu haben wäre töricht – denn nur ein früh entdeckter Tumor kann in der Regel so entfernt werden, dass kein vom Krebs befallenes Gewebe im Körper zurückbleibt. Trotzdem – mit Bangen warten Eva und ich jedes Mal auf die Befunde.

Die Intensität der Angst hatte sich bei mir bis zum Herbst 2013 bereits gemindert, da es von Untersuchung zu Untersuchung seit der Darmkrebsoperation im März 2012 ausschließlich gute Nachrichten gegeben hatte. Man gewöhnt sich sehr leicht daran, dass jedes Mal bei den Befunden »negativ« steht, dass die sogenannten Tumormarker in einem ganz und gar unverdächtigen Bereich liegen und dass man abschließend hört: Alles in Ordnung.

Als wir im September 2013, eineinhalb Jahre nach der Darmoperation, dann die Worte »zwei Metastasen« im Befund der Leberuntersuchung lasen, war der Schock erheblich. Eineinhalb Jahre lang war alles wie erhofft und erbeten gut gegangen - und dann solch ein Tiefschlag.

Am 4. Oktober 2013 wurde die zweite Krebsoperation durchgeführt. Eigentlich, genau betrachtet, die dritte. Denn bereits Anfang 2002 war ein Hodentumor diagnostiziert und operiert worden, der allerdings in einem so »harmlosen« Stadium gewesen war, dass noch nicht einmal eine Chemotherapie oder eine andere Nachbehandlung folgte.

Nach fünf Jahren gilt ein Krebs als geheilt, wenn keine Metastasen auftreten, also konnte ich den Hodenkrebs spätestens 2007 als »erledigt« betrachten. Ich hatte ihn bereits viel früher gedanklich abgehakt. Zehn Jahre später war er dann soweit aus dem Bewusstsein verdrängt, dass ich bei der Aufnahme ins Krankenhaus 2012 zunächst gar nicht daran dachte, die so weit zurückliegende Operation zu erwähnen.

Der Darmkrebs hatte auch ursächlich nichts mit dem Tumor von 2002 zu tun, das ergaben die Laboruntersuchungen im April 2012. Da ich wieder im selben Krankenhaus war, konnten die archivierten Befunde zum Vergleich herangezogen werden. Es handelte sich um einen neuen, einen anderen Krebs.

Wie eingangs erwähnt schien sich 2012 und 2013 die Heilungsgeschichte zu wiederholen, obwohl beim Darmkrebs das Tumorstadium 3 in einem der beiden Tumore diagnostiziert wurde und ich mich einer Chemotherapie mit acht Zyklen unterzog, da auch einzelne Lymphgefäße vom Krebs befallen waren. Die zum Teil irreversiblen Schäden aus der Chemotherapie und die permanente Verkürzung des Darms waren (und sind) im Vergleich zu Tumoren im Körper durchaus in Kauf zu nehmen; immerhin kann ich mit einigen Einschränkungen bei der Ernährung weitgehend normal am Leben teilnehmen. An taube Finger- und Zehenspitzen habe ich mich genauso gewöhnt wie an die bleibenden Schäden im rechten Arm durch eine verunglückte Infusion von Zytostatika während der Chemotherapie.

imageDoch zurück zu den aktuellen Untersuchungen und den damit verbundenen seelischen Befindlichkeiten. Dass 18 Monate nach der Darmoperation Lebermetastasen gefunden wurden, hat die (zugegeben voreilige) Hoffnung auf eine bereits eingetretene Heilung vom Krebs zunichte gemacht. Mein Optimismus war zwar, solange er anhielt, für das seelische Befinden wohltuend, aber je höher die Erwartungen angesiedelt sind, desto tiefer ist natürlich die Enttäuschung, wenn es dann anders kommt als erhofft. Der Krebs in der Leber war schon ein herber Rückschlag, eine bittere Enttäuschung und ein deutlicher Dämpfer für zukünftige Hoffnung.

Daher lösten die Nachsorgetermine im Januar 2014 ziemlich deutliche Ängste aus. Natürlich sind nicht die Untersuchungen an und für sich zu fürchten. Blut abnehmen lassen, für ein MRT auf die Pritsche legen, für Aufnahmen der Lunge hinstellen - ein Kinderspiel. Was Ängste auslöst, ist vielmehr die Frage, was die Mediziner nach der Auswertung an Ergebnissen präsentieren.

Die Furcht, den Kampf gegen den Krebs zu verlieren, ist seit der Entdeckung der Lebermetastasen, also seit bald vier Monaten, immer wieder da. Gelegentlich raubten mir düstere Gedanken den Schlaf. Es fiel und fällt mir schwerer als zuvor, solche Überlegungen abzuweisen und aktiv umzudenken, Gutes zu erwarten.

Ein Anruf aus der Arztpraxis, dass die Leberwerte aus der Blutuntersuchung vom 3. Januar so bedenklich seien, dass baldmöglichst der Doktor mit mir darüber beraten wolle, half nicht gerade bei der Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung des Seelenfriedens. Der Termin wurde auf den 17. Januar festgelegt, weil dann auch die MRT- und Röntgenuntersuchung ausgewertet sein würden.

Ein ziemlich gewichtiger Stein fiel mir aber am 7. Januar vom Herzen, als der Radiologe im Röntgeninstitut mir gleich nach den Röntgenaufnahmen die gute Nachricht verkündete, dass die beiden seit der Lungenuntersuchung im Oktober 2013 fraglichen »pulmonalen Rundherde« keinen Anlass zur Besorgnis darstellten. Es handele sich, erklärte er mir, um vermutlich ältere harmlose Stellen, die sich seit der vorigen Aufnahme nicht verändert hätten. Da bei Darmkrebspatienten am ehesten Leber und Lunge von Metastasen befallen werden, sei jedoch auch zukünftig eine regelmäßige Lungenkontrolle, spätestens alle zwölf Monate, wichtig.

Ich fragte den Radiologen, die Gelegenheit beim Schopfe packend, nach den Blutwerten, die meinem Hausarzt so bedenklich schienen. Er meinte: »Sie sind doch erst vor drei Monaten an der Leber operiert worden. Zwei recht große Stücke wurden herausgeschnitten - wie sollen denn da jetzt schon die Leberwerte im Blut unauffällig sein? Das kann sechs bis zwölf Monate dauern, bis sich das normalisiert hat. Bei manchen Patienten sogar noch länger.«

Nun gut, dachte ich, der eine Arzt findet es beunruhigend, der andere hält es für normal. Obwohl besonders der eine auffällige Wert (neben zahlreichen anderen möglichen Ursachen) auf einen Tumor im Körper hindeuten könnte, tendiere ich eher dazu, den Blutwerten keine allzu bedrohliche Bedeutung zuzuordnen, denn vor der Leberoperation, während also in meinem Organismus Metastasen wuchsen, waren gerade diese Werte im Normalbereich gewesen.

Eine »Entwarnung« empfinde ich andererseits nicht, aber immerhin eine leichte Beruhigung, ein Fünkchen mehr Hoffnung.

Nun heißt es noch ein paar Tage abwarten, wie die Befunde des MRT aussehen und was bei der Besprechung am 17. Januar an Empfehlungen und gegebenenfalls Behandlungsvorschlägen herauskommt.

Als medizinischer Laie bleibt mir nichts übrig, als Rat von Fachleuten zu suchen und anzunehmen. Im Gegenteil, ich bin froh und dankbar für die hervorragenden Ärzte und unser Sozialversicherungssystem, das mir eine gute medizinische Versorgung ermöglicht. Krebspatienten in manchen anderen Ländern geht es da viel schlimmer …

Wenn es um einen kleinen Schnupfen geht oder andere unbedeutende Wehwehchen, dann gehe ich natürlich nicht zum Arzt. Wenn es um Überlegungen geht, ob Sport oder gesunde Ernährung eine Rolle beim Gesundwerden beziehungsweise -bleiben spielen, brauche ich auch keine medizinische Beratung. Da reicht mein Verstand aus.

Anders sieht es bei speziellen Fragen aus:

  • Wie hoch darf ich die Herzfrequenz beim Training treiben?
    Antwort meines Arztes: Kurzzeitig bis 160 Schläge/Minute, beim gesamten Ausdauertraining sollte der Durchschnittswert nicht über 150 liegen.
  • Darf ich nach der Leberoperation abends ein Glas Wein trinken?
    Auskunft einer Ärztin bei der Entlassung aus dem Krankenhaus: Ja. Ein Glas ist okay. Auskunft meines Hausarztes, nachdem die Blutwerte dauerhaft ungut blieben: Nein. Kein Alkohol.

imageDass ich mich an solchen ärztlichen Rat dann auch halte, versteht sich von selbst. Ich will und werde tun, was in meiner Macht liegt, um noch viele Jahre am Leben zu bleiben. Viel kann ich sowieso nicht dazu beitragen – aber auslassen will ich natürlich auch nichts.

Einen Rat, der keineswegs neu ist, will ich gerne abschließend meinen geschätzten Blogbesuchern genauso wie mir selbst in Erinnerung rufen: Sorgen und Grübeln ist niemals eine gute Idee, denn keiner von uns kann dadurch seinem Leben auch nur eine Minute hinzufügen. Dankbarkeit für jeden neuen Tag und bewusstes Erleben jeder Stunde verhelfen dagegen zu seelischem Gleichgewicht und die Heilungskräfte, die daraus erwachsen, sind so unbedeutend nicht.

Es gelingt mir nicht rund um die Uhr, den Ängsten Einhalt zu gebieten, aber ich habe nach wie vor nicht die Absicht, mich unterkriegen zu lassen.

Eine ähnliche Haltung und dazu noch göttlichen Beistand wünsche ich meinen Lesern, soweit sie bis zum Ende dieses langen Beitrages gelesen haben, falls sie ebenfalls mit ernsthaften Bedrohungen zu kämpfen haben.

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