»Ja, es gibt ziemlich viele Intellektuelle hier. Leute, die Bücher lesen.« »Aha«, sagte ich. »Leute, die Bücher lesen«, fuhr er fort, »tendieren dazu, entbehrlich zu werden. In hohem Maße.« »Ach so«, sagte ich. »Ja«, sagte er.
Die schwedische Autorin Ninni Holmqvist war mir bis vor kurzem unbekannt. Durch einen Artikel in der »Welt am Sonntag« wurde die
beste aller Ehefrauen aufmerksam und neugierig – so fand das Buch »Die Entbehrlichen« schnell den Weg zu uns. Da die beste aller Ehefrauen noch auf der Insel
Duma Key beschäftigt ist, konnte ich den Roman als erster gelesen.
Dorrit Wegner, die Ich-Erzählerin, lebt in nicht allzu ferner Zukunft. Sie gehört zu den »Entbehrlichen«, denjenigen, die weder ein Kind zur Welt gebracht haben noch den Behörden auch nur einen einzigen Menschen vorweisen können, der bezeugen würde, dass er sie wirklich liebt. Und so wird sie an ihrem 50. Geburtstag in die »Einheit« eingewiesen, eine Luxusanlage, die nur einem Zweck dient: Die Bewohner stehen für psychologische Tests, Medizinversuche und Organentnahmen zur Verfügung. Am Ende steht für alle nach ein paar Jahren die »Endspende«, bei der dann lebenswichtige Organe entnommen werden.
Dorrit schließt Freundschaften und findet bald in dem Mitbewohner Johannes die große Liebe ihres Lebens - und wird schwanger. Man stellt sie vor die Alternative, das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freizugeben oder bereits den Fötus per Transplantation einer Frau zu spenden, die jünger und vor allem nicht entbehrlich ist. Jemand vom Personal öffnet ihr eine dritte Möglichkeit: Flucht aus der Anlage…
Die Autorin schreibt so packend und überzeugend, dass es schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. Es gelingt ihr, den Wahnsinn der (schwedischen) Gesellschaft, in der das Wegsperren und Ausschlachten der »Entbehrlichen« durch Volksabstimmung – selbstverständlich unter Berücksichtigung aller erdenklichen humanistischen Gesichtspunkte - legalisiert wurde, so »normal« erscheinen zu lassen, dass man sich als Leser mehr und mehr vorstellen kann, wie eine solche Entwicklung in einem demokratischen Staat, wenn die Rahmenbedingungen passen, möglich wäre.
Ich selbst interessierte mich nicht besonders für Politik und war viel zu jung, um mich mit Begriffen wie »mittleres Alter« identifizieren zu können. Jedes Mal, wenn die Sache zur Sprache kam, in den Massenmedien wie in der Wirklichkeit, seufzte ich gelangweilt und blätterte weiter oder wechselte den Kanal oder das Gesprächsthema. Diese Art von gesellschaftlichen Fragen hatte mit mir einfach nichts zu tun, fand ich...
Bei welchen Themen schalten
wir den Fernsehkanal um, weil sie »einfach nichts mit uns zu tun« haben?
Genau betrachtet vermittelt dieser Roman eine ähnliche Botschaft wie der Film »Die Welle«, über den ich
kürzlich geschrieben habe: Wir sollten nicht davon ausgehen, dass unsere moderne und aufgeklärte Zivilisation vor Machtmissbrauch und faschistischer Autokratie sicher geschützt wäre.
Mein Fazit: Ein ganz hervorragender Roman einer Autorin, die mit diesem Werk auf ihre anderen Bücher neugierig macht. Spannende Lektüre, die keinen Moment langweilt. Ein brisantes Thema, das aber ohne Pathos oder den belehrend erhobenen Zeigefinger präsentiert wird - und gerade deshalb so tief ins Herz trifft. Stilistisch und sprachlich (ein großes Lob gebührt sicher der Übersetzerin Angelika Grundlach!) ragt der Roman aus der Masse heraus. Ich kann »Die Entbehrlichen« uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen.
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Euro 19,90
Verlag: Pendo Verlag;
Auflage: 1 (6. Februar 2008)
ISBN-10: 3940813001
ISBN-13: 978-3940813008
Zum Beispiel zu finden bei Amazon:
Die Entbehrlichen: Roman