Manchmal kann die Wahrheit nur erfunden werden. Siegfried Lenz
Buchhandlungen üben auf uns einen magischen Reiz aus. Sie zwingen förmlich zum Betreten, umschauen, in Büchern schmökern und letztendlich gehen wir so gut wie nie ohne neue Lektüre wieder hinaus. So auch kürzlich in einer hübschen kleinen Stadt in Westfalen. Wir betraten eine Buchhandlung und später lag das abgebildete Werk auf dem Nachttisch im Hotel.
Bei den Neuerscheinungen suchte ich eigentlich nach Hellmuth Karaseks neuem Buch Ihr tausendfaches Weh und Ach, fand es jedoch nicht. Ich hätte gerne ein paar Seiten gelesen, um mir ein eigenes Bild zu machen. Die Kritiken sind außergewöhnlich zwiespältig. Aber es hat nicht sollen sein, das Buch war nicht zu finden. Die Verkäuferin erbot sich, es zum nächsten Tag zu bestellen, was ich dankend ablehnte.
Statt dessen wurde ich eines Buches gewahr, das seit einigen Wochen auf meiner Wunschliste stand: Landesbühne von Siegfried Lenz. Auf diesem Blog hatte ich sein voriges Buch, Schweigeminute, sehr gelobt und war gespannt, ob auch dieses Werk so bezaubernd ist.
Gleich vorweg will ich nicht verbergen, dass Schweigeminute auf Platz 1 meiner liebsten Siegfried Lenz Bücher bleibt. Das heißt aber nicht, dass Landesbühne etwa ein schlechtes Buch sei. Nein, es ist ein sehr gutes Buch. Nur eben nicht das beste.
Der Ich-Erzähler ist ein echter Professor der Germanistik, und er sitzt für 4 Jahre im Gefängnis von Isenbüttel. Am Anfang der Novelle rollt ein Bus der Landesbühne auf den Hof und damit beginnt eine Posse, die unterhaltsam, tiefgründig und aberwitzig zugleich ist. Gelegentlich schon kafkaesk anmutend entfalten sich die Ereignisse. Der Professor folgt scheinbar willenlos seinem Zellennachbarn Hannes und einigen Mitgefangenen in den Bus und - die Aufseher sind etwas nachlässig bezüglich ihrer Dienstauffassung - in die Freiheit. Jenseits der Gefängnismauern warten unter anderem ein Nelkenfest auf gesanglichen Beitrag der Ausreißer, ein Heimatmuseum auf Gründung und eine Volkshochschule auf einen Professor, der sie ins Leben ruft…
Der Chor sang vermutlich gerade Wem Gott will rechte Gunst erweisen, und da sie bei dem Wort ‚Gott’ das Blitzlicht traf, bildeten ihre Münder ein ebenmäßiges dunkles Loch.
Rund 130 Seiten hat diese Buch, ein eher schmales Werk also, und ich ertappte mich dabei, immer langsamer zu lesen, je mehr Seiten sich links und je weniger sich rechts befanden. Siegfried Lenz gelang es wieder einmal, dass ich wünschte, er würde weiter erzählen. Sein Umgang mit der Sprache ist wohltuend, seine Ideen sind voller Phantasie und Überraschungen, und selbst das Ende ist nicht das, was man erwarten würde, sondern es zeigt, dass Freundschaft ein wertvolles Gut ist, für das sich einiges zu opfern lohnt.
Siegfried Lenz moralisiert nicht, belehrt nicht, idealisiert nicht, sondern er malt das Labyrinth des Lebens anhand von kleinen Episoden, die miteinander verwoben sind. Er zeichnet Charaktere, die so menschlich sind wie der Leser, so dass sie gleich vertraut erscheinen.
Humorvoll ist die kleine Erzählung darüber hinaus, und voll von kleinen Seitenhieben auf die Gesellschaft, den Kulturbetrieb und die Germanistik, auch »der Lenz« kommt nicht ungeschoren davon, wenn der Professor seine Gedanken darlegt.
Mein Fazit: Ein gelungenes, wunderschönes Buch, dessen Zauber man sich nicht entziehen will.
Zu finden in jeder Buchhandlung, aber auch, was natürlich ein weniger sinnliches Einkaufserlebnis ist, bei Amazon: Siegfried Lenz: Landesbühne