Montag, 31. Oktober 2011
Sonntag, 30. Oktober 2011
Shit!
Eine Lektion in English for Runaways (Englisch für Fürtgeschrittene):
Well, it's shit ... that's right, shit! Shit may just be the most functional word in the English language:
- You can smoke shit, buy shit, sell shit, lose shit, find shit, forget shit, and tell others to eat shit.
- Some people know their shit, while others can't tell the difference between shit and shineola.
- There are lucky shits, dumb shits, and crazy shits. There is bull shit, horse shit, and chicken shit.
- You can throw shit, sling shit, catch shit, shoot the shit, or duck when the shit hits the fan.
- You can give a shit or serve shit on a shingle.
- You can find yourself in deep shit or be happier than a pig in shit.
- Some days are colder than shit, some days are hotter than shit, and some days are just plain shitty.
- Some music sounds like shit, things can look like shit, and there are times when you feel like shit.
- You can have too much shit, not enough shit, the right shit, the wrong shit or a lot of weird shit.
- You can carry shit, have a mountain of shit, or find yourself up shit creek without a paddle.
- Sometimes everything you touch turns to shit and other times you fall in a bucket of shit and come out smelling like a rose.
When you stop to consider all the facts, it's the basic building block of the English language.
And remember once you know your shit, you don't need to know anything else!
You could pass this along, if you give a shit; or not do so if you don't give a shit. Well, Shit, it's time for me to go. Just wanted you to know that I do give a shit and hope you had a nice day, without a bunch of shit. But, if you happened to catch a load of shit from some shit-head... Well, Shit Happens!
Quelle? Na klar: [Klickstehier]
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Freitag, 28. Oktober 2011
Gastbeitrag Franz Kafka: Von den Gleichnissen
Viele beklagen sich, dass die Worte der Weisen immer wieder nur Gleichnisse seien, aber unverwendbar im täglichen Leben, und nur dieses allein haben wir. Wenn der Weise sagt: »Gehe hinüber«, so meint er nicht, dass man auf die andere Seite hinübergehen solle, was man immerhin noch leisten könnte, wenn das Ergebnis des Weges wert wäre, sondern er meint irgendein sagenhaftes Drüben, etwas, das wir nicht kennen, das auch von ihm nicht näher zu bezeichnen ist und das uns also hier gar nichts helfen kann. Alle diese Gleichnisse wollen eigentlich nur sagen, dass das Unfassbare unfassbar ist, und das haben wir gewusst. Aber das, womit wir uns jeden Tag abmühen, sind andere Dinge.
Darauf sagte einer: »Warum wehrt ihr euch? Würdet ihr den Gleichnissen folgen, dann wäret ihr selbst Gleichnisse geworden und damit schon der täglichen Mühe frei.«
Ein anderer sagte: »Ich wette, dass auch das ein Gleichnis ist.«
Der erste sagte: »Du hast gewonnen.«
Der zweite sagte: »Aber leider nur im Gleichnis.«
Der erste sagte: »Nein, in Wirklichkeit; im Gleichnis hast du verloren.«
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Mittwoch, 26. Oktober 2011
Johannes /// Das Ende
Falls jemand das Bedürfnis verspürt, nachzulesen, was bisher geschah: Die vorigen Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5]
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Seine Mission war damit nicht erfüllt, Johannes predigte und taufte auch nach dieser denkwürdigen Begegnung weiter. Er nannte Unrecht beim Namen und scheute auch nicht davor zurück, öffentlich den Landesfürst Herodes zu kritisieren. Dieser Mann, das hatten wir schon festgehalten, regierte nicht souverän; natürlich hatten die Römer das Sagen. Er genoss aber seinen Status und seine begrenzte Macht und fand auch nichts dabei, mit der Frau seines Bruders ein erotisches Verhältnis zu pflegen. Deswegen und wegen alles Bösen, das er sonst noch getan hatte, wurde er von Johannes öffentlich gescholten. Herodes zögerte nicht lange, er warf Johannes ins Gefängnis.
Während Johannes im Gefängnis ausharren musste, wurde Jesus immer bekannter im Land. Seine Wunder waren überall Gesprächsstoff. Wenn es hieß, dass er an einem bestimmten Ort sei, strömten die Menschen dorthin und brachten ihre Kranken mit, damit diese geheilt würden, und je mehr Wunder geschahen, desto stärker wurde der Zulauf.
Johannes rechnete damit, dass der Messias, über den er selbst dem Volk gesagte hatte, dass »in seiner Hand die Worfschaufel sei, dass er die Spreu mit unauslöschlichem Feuer verbrennen würde«, in absehbarer Zeit mit seinem öffentlichen Wirken beginnen würde. Feuer vom Himmel sollte auf die Unterdrücker und die renitenten Sünder fallen, das Volk würde wieder in einem freien Königreich leben. Das seltsame Ereignis bei der Taufe des Messias bestärkte Johannes in dieser Annahme. Eine Stimme vom Himmel, eine Taube, die keine Taube war … so etwas geschah nicht alle Tage.
Doch nun saß Johannes im Gefängnis, seine Jünger berichteten ihm über alles, was sie von Jesus hörten, und wir können uns vorstellen, welche Fragen und Zweifel den Täufer umtrieben. Er hatte der Volksmenge diesen Jesus angekündigt: »Er wird seine Tenne fegen …« - aber statt irgendwen mit Feuer zu verbrennen, statt die Spreu nun endlich vom Weizen zu trennen und Gericht zu halten, tat der Messias dem Vernehmen nach allen nur Gutes, allen Menschen, ohne Unterschiede. Statt Sünder zu bestrafen, vergab er ihnen ihre Schuld, war überhaupt häufig in zweifelhafter Gesellschaft anzutreffen. Er ließ sogar eherne Gesetze außer Acht, zum Beispiel wenn es darum ging, am heiligen Ruhetag einen Kranken zu heilen. Johannes als Sohn eines frommen und untadeligen Priesters hatte damit erhebliche Probleme, denn wie sollte jemand den Thron Davids wieder aufrichten, der die ewigen Gesetze des Bundes seines Volkes mit Gott missachtete?
Johannes grübelte und zweifelte und rätselte, schließlich rief er zwei seiner Jünger herbei und sandte sie zu Jesus. Sie sollten ihm eine simple Frage stellen: »Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?«
Es war nicht schwer, Jesus zu finden, und die beiden Boten sprachen ihn an: »Johannes der Täufer hat uns zu dir gesandt und lässt dir sagen: Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?«
Eine klare Antwort, ein Ja oder ein Nein, erhielten sie nicht. Jesus heilte auch an diesem Tag viele Menschen von Krankheiten und Plagen und bösen Geistern, und vielen Blinden schenkte er das Augenlicht. Nun hatten die beiden Boten des Johannes das mit eigenen Augen gesehen, konnten sich davon überzeugen, dass keine Übertreibung in dem zu finden war, was man sich landauf, landab erzählte.
Jesus antwortete jedenfalls nicht auf ihre simple Frage, sondern sagte: »Geht hin und verkündet Johannes, was ihr gesehen und gehört habt: Blinde sehen wieder, Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, Taube hören, Tote werden auferweckt, Armen wird gute Botschaft verkündigt! Und glückselig ist, wer sich nicht von mir abwendet, weil er Anstoß daran nimmt.«
Was mag Johannes gedacht haben, als er den Bericht seiner beiden Jünger im Gefängnis hörte? Er hatte ja seine beiden Boten geschickt, weil er das, was er über Jesus hörte und das, was er selbst über den Messias gesagt hatte, nicht in Einklang bringen konnte. Das passte nicht zusammen. Deshalb hatte er eine klare Frage gestellt – und keine klare Antwort bekommen. Natürlich deutete das »glückselig ist, wer sich nicht von mir abwendet« an, dass man nicht auf einen anderen Messias warten sollte, und vielleicht reichte das ja auch, um Johannes von seinen Fragen und Zweifeln zu befreien?
Wir wissen nicht, wie und ob Johannes mit der Botschaft zurecht kam. Fand er Trost in dem Wissen, dass seine Bußpredigten und –taufen für mehr Menschlichkeit, mehr Gerechtigkeit gesorgt hatten? Hoffte er auf Entlassung, um seinen Verwandten Jesus selbst aufsuchen und über all die offenen Fragen mit ihm reden zu können? Oder gab er sich mit seinem Schicksal zufrieden? Jedenfalls kam es für ihn zu keiner Befreiung aus dem Gefängnis. Herodes ließ den Täufer hinrichten.
Jesus wirkte weiter und wurde immer bekannter. Die Menschenmassen, die zu ihm strömten, waren größer als die, die zur Taufe des Johannes im Jordan gepilgert waren.
Das erregte auch die Aufmerksamkeit der Obrigkeiten. Herodes hörte alles, was rings um Jesus vor sich ging. Er geriet in Verlegenheit, weil von einigen gesagt wurde, dass Johannes aus den Toten auferweckt worden sei; von einigen aber, dass Elia erschienen, von anderen aber, dass einer der alten Propheten auferstanden sei. Auf jeden Fall gab es keinen Zweifel, dass dieser Jesus kein Mensch wie alle anderen war. Herodes murmelte vor sich hin: »Johannes habe ich enthauptet. Wer aber ist dieser, von dem ich solches höre?« Er wünschte sich, ihn zu sehen – zu ihm hinauspilgern wollte er jedoch lieber nicht.
Es sollte noch eine Weile dauern, bis die Begegnung stattfinden würde.
Vor vielen Jahren hatte ein Engel zu einem alten Priester im Tempel gesagt: »Dein Sohn wird wie damals Elia mit bemerkenswerter Kraft und im Geist Gottes wirken. Die Kinder und die Eltern wird er miteinander versöhnen, den Ungläubigen wird er aufschließen können, wie klug die Gerechtigkeit Gottes ist. Er wird das ganze Volk vorbereiten.«
Hatte sich diese Voraussage erfüllt? Einige meinten, da sei etwas schief gegangen, andere sprachen davon, dass Johannes genau das getan habe. Jedoch: dass das Volk von dem Messias zunächst begeistert war, weil er so viel Gutes tat und weil er Sünden vergab, ohne zuerst teure und langwierige Opfer zu fordern – bedurfte das der Vorbereitung durch einen Täufer, der Buße und Gericht verkündete? Dass das Volk schließlich seinen Messias verwerfen und vom römischen Statthalter »kreuzige ihn!« fordern würde, war das ein Symptom misslungener Vorbereitung? Und sein schmähliches Ende im Kerker … war das unumgänglich?
Es gäbe vielleicht noch so manches zu erzählen, aus anderen Quellen zu schöpfen, von Kamelhaaren und Heuschrecken könnte man berichten, aber was Johannes betrifft, sind dies die Dinge, die von einem der Menschen, die damals, in jener anderen Zeit und in jenem anderen Land, gelebt haben, aufgeschrieben wurden. Dieser Chronist hieß Lukas, er hat für seinen Freund Theophilus einen zweiteiligen Bericht verfasst, in dem Johannes allerdings weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde als seinem Verwandten Jesus und dann dessen Nachfolgern und ihrem Wirken.
Lukas hat dann über Johannes nur noch angemerkt, dass viele Jahre später ein gewisser Paulus, der Jesus nachfolgte, in der Stadt Ephesus, also recht weit weg vom Ort des Geschehens das wir hier betrachtet haben, auf eine Gruppe von Jüngern des Johannes traf. Paulus fragte sie: »Habt ihr den Heiligen Geist empfangen, nachdem ihr gläubig geworden seid?«
Sie antworteten etwas ratlos: »Wir haben nicht einmal gehört, ob der Heilige Geist überhaupt da ist.«
Paulus fragte zurück: »Worauf seid ihr denn getauft worden?«
Die Antwort war: »Auf die Taufe des Johannes.«
Wir entnehmen diesem kurzen Dialog, dass nach der Hinrichtung des Täufers offenbar einige seiner Jünger den Dienst fortgeführt hatten, vermutlich mit der gleichen Botschaft verbunden, dass der Mensch seinen Nächsten nicht nur lieben, sondern ihm auch durch die Tat behilflich sein sollte, dass die Ankunft eines Messias kurz bevor stand, der würde dann ja bekanntlich mit Geist und Feuer taufen und mit der Worfschaufel endlich für Ordnung sorgen.
Paulus erklärte diesen Menschen in Ephesus: »Johannes hat mit der Taufe der Buße getauft, indem er dem Volk sagte, dass sie an den glauben sollten, der nach ihm komme, also an Jesus.«
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Dienstag, 25. Oktober 2011
Johannes /// Teil 5
Hier der vorletzte Teil – bald ist es aus und vorbei mit dem Johannes. Die vorigen Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4]
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Anstatt seine Mission zu beginnen, öffentlich zu predigen, womöglich gar Widerstand gegen die römische Besatzung anzuschüren oder zumindest schon mal Gleichgesinnte um sich zu scharen, zog Johannes sich zurück. Er ging in die Wüste und blieb in der Wüste. Seine Zeit war, obwohl er zum jungen Mann gereift war, noch nicht gekommen, so lesen wir es in den alten Überlieferungen.
War er allein in der Wüste? Ja, er war wohl allein, denn nichts wird uns berichtet von diesen Jahren. Predigte er den Steinen, dem Sand, den spärlichen Pflanzen? Unterhielt er sich nächtens mit dem scheuen Wüstenfuchs, der sich im Lauf der Jahre an den zweibeinigen Nachbarn gewöhnt hatte?
Vermutlich redete mit seinem Gott oder zu seinem Gott. Was er redete, ob er Antworten bekam, wie viel er von den kommenden Ereignissen ahnte oder wusste – wir wissen es nicht. Wir erfahren nur, dass im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, endlich ein »Wort Gottes zu Johannes geschah«. Wie wir uns das vorzustellen haben, bleibt uns überlassen. Hörte er eine Stimme mit seinen Ohren? Bekam er Besuch von Gabriel, wie sein Vater damals? Überkam ihn eine innere Gewissheit?
Johannes verließ seine Einöde und kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden. Natürlich kannte er – sein Vater war immerhin Priester gewesen – die Reden des Propheten Jesaja. Dort hieß es: »Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn und macht seine Steige eben! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden. Und alle Menschen werden den Heiland Gottes sehen.«
Nun kann man das nicht wörtlich nehmen, denn wenn die Täler erhöht werden und die Erhebungen erniedrigt, dann bleibt ja nur eine flache Ebene übrig. Niemand in Judäa hatte ernsthaft die Absicht, die Landschaft einzuebnen. Auch krumme Wege haben ihren Zweck, denn wenn das Ziel um die Ecke liegt, führt ein gerader Weg daran vorbei. Das ganze ist als geistliche Metapher zu begreifen. Ob Johannes ganz gewiss war, dass er selbst dieser Prediger in der Wüste war, von dem der Prophet vor so langer Zeit geredet hatte, können wir nur mutmaßen und vielleicht aus dem schließen, was uns von seinen Ansprachen berichtet wird:
Mit drastischen Worten sprach Johannes zu der Menge, die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen: »Ihr Schlangenbrut, wer hat denn euch gewiss gemacht, dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet? Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße; und nehmt euch nicht vor zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater. Denn ich sage euch: Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken. Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt; jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.«
Für das Volk war das, auch abgesehen von den Schimpfworten, eine ziemlich herausfordernde Rede. Immerhin hatte Abraham einen Bund mit Gott geschlossen, und zwar einen ewigen Bund. Darauf konnten sie sich verlassen, meinten die Zuhörer, denn schließlich waren sie Abrahams Kinder und ewig hieß nun einmal ewig. Sie waren doch das auserwählte Volk? Nichts anderes hatten sie und ihre Vorfahren seit Jahrhunderten gehört und geglaubt. Und nun tauchte ein verwilderter Prediger auf, der nicht einmal Priester war, um ihre Gewissheit, dass Gott sie auf jeden Fall in seine Arme schließen würde, zu erschüttern und zu rauben. Das hätte eigentlich zu erheblichem Widerspruch und Widerstand führen müssen. Seine Bußpredigten sollten auch nicht ohne bittere Folgen für Johannes bleiben, aber in jenen Wochen und Monaten reagierten seine Zuhörer nicht feindselig, sondern betroffen und Rat suchend.
Die Menge fragte ihn: »Was sollen wir denn tun?«
Johannes antwortete, indem er sie daran erinnerte, dass Gott an ihrer Einstellung dem Mitmenschen gegenüber mehr interessiert war als an ihrer Abstammung von Abraham: »Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso.«
Das Gebot der Nächstenliebe, der Barmherzigkeit, war kein neues, sondern es stand schon seit Jahrhunderten in den heiligen Schriftrollen. Aber offensichtlich wurde es weithin ignoriert. Johannes taufte und verlangte von denen, die sich diesem Ritual unterzogen, dass sie fortan mit Taten statt mit Worten ein anderes Leben führten. Ein Hemd reicht, wenn der Mitmensch keines und man selbst zwei hat.
Die Römer hatten als Besatzer des Landes unter anderem Zöllner, heute und hier würden wir von Zollbeamten sprechen, eingesetzt. Diese Handlanger waren beim Volk nicht beliebt, mit gutem Grund, denn so gut wie alle wirtschafteten neben der Erhebung der Steuern für Rom auch kräftig in die eigene Tasche. Nun kamen auch Zöllner zu Johannes, um sich taufen zu lassen. Sie wollten ebenfalls wissen, was er ihnen zu raten hatte: »Meister, was sollen denn wir tun?«
Die Antwort war eigentlich vorhersehbar: »Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!«
Vielleicht hatten manche in den Volksmengen gehofft, dass Johannes den Zöllnern auftragen würde, ihren Dienst zu verlassen, aber er dachte gar nicht daran, einen Aufstand gegen Rom anzuzetteln.
Auch Soldaten kamen, um sich taufen zu lassen. »Was sollen denn wir tun?«
Ähnlich wie die Zöllner waren die Soldaten nicht sonderlich angesehen im Volk. Sie dienten erstens einer fremden Macht, denn sie standen unter dem Befehl der Römer, und zweitens erpressten sie gerne Schutzgelder, bereicherten sich wo es nur ging, denn sie hielten sich – und waren es ja auch – für relativ unangreifbar.
Johannes antwortete: »Tut niemandem Gewalt oder Unrecht an und begnügt euch mit eurem Sold!«
Wir erinnern uns: Es hatte sich nach seiner Beschneidung weit herumgesprochen, dass Johannes kein Mensch wie alle anderen war, dass ihm etwas Besonderes, etwas Gottgegebenes anhaftete. Inzwischen waren viele Jahre ins Land gezogen, aber vergessen waren die Umstände seiner Geburt und die Worte seines Vaters über Johannes wohl nicht.
Das Volk wartete auf einen Erlöser, einen Messias, der die Besatzungsmacht aus dem Land werfen und das jüdische Könighaus des David wieder aufrichten würde. Nun trat Johannes, über dessen Geburt und Beschneidung solch ungewöhnliche Geschehnisse erzählt worden waren, auf. Er kam mit einer unerwarteten, aber dennoch aufsehenerregenden Botschaft. Kein bewaffneter Aufstand, kein Streik, keine Occupy-Bewegung und auch kein arabischer Frühling. Statt dessen predigte Johannes eine Art freiwilligen Sozialismus. Die Menschen waren voll Erwartung und viele mutmaßten in ihren Herzen von ihm, ob er vielleicht der Christus, der versprochene Erlöser, wäre, zumal Johannes den Propheten Jesaja, der einiges über den Christus gesagt hatte, häufig zitierte.
Aber Johannes wies das weit von sich. Er erklärte: »Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber einer, der ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, dass ich ihm die Riemen seiner Schuhe löse; der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. In seiner Hand ist die Worfschaufel, und er wird seine Tenne fegen und wird den Weizen in seine Scheune sammeln, die Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.«
Die Worfschaufel muss man erklären, wenn man diese Geschichte heute erzählt. Dieses Gerät kennt keiner mehr, außer vielleicht aus einem landwirtschaftlichen Museum. Mit einer Worfschaufel, einer Art Schippe mit flachem Blatt aus Holz oder Metall, wurde das ausgedroschene Getreide gegen den Wind in die Höhe geworfen und von der Spreu gereinigt. Die Spreu flog im Luftstrom ein Stück zur Seite, das Getreide fiel zu Boden. Mit seiner Metapher sagte also Johannes, dass jemand nach ihm kommen würde, der das Wertvolle im Volk vom Wertlosen im Volk trennen würde, die einen würde er bei sich behalten, die anderen vernichten.
»Mit Feuer taufen« – da war den Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Würde Feuer vom Himmel fallen, um die Spreu, die Verworfenen zu verbrennen? Möglich, immerhin hatte das Johannes gepredigt. Aber »taufen« mit Feuer? Und »mit dem Heiligen Geist« war nicht weniger rätselhaft.
Johannes erklärte nicht, sondern er predigte unverdrossen Buße und Umkehr, ermahnte das Volk und verkündigte ihm das Heil. Gott sei nicht an der Abstammung von Abraham interessiert, sondern daran, ob jeder einzelne Mensch Recht oder Unrecht tut, das war der Kern seiner Lehre. »Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat; und wer zu essen hat, tue ebenso. … Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! … Tut niemandem Gewalt oder Unrecht und lasst euch genügen an eurem Sold!«
Als Johannes eines Tages wie üblich am Jordan predigte und taufte, kam Jesus, um sich taufen zu lassen. Johannes hatte ihn zuerst nicht erkannt, es war ziemlich lange her, dass sie sich gesehen hatten und beide hatten sich, vom Jugendlichen zum Mann gereift, verändert. Selbstverständlich wusste Johannes über die sonderbaren Umstände der Schwangerschaft von Maria bescheid, immerhin waren seine Mutter und die Mutter Jesu Verwandte und die Ereignisse, die weit ringsum bekannt geworden waren, kannte man in der Familie natürlich am besten. Aber Johannes hatte seit seinem Rückzug in die Wüste keinen Kontakt mehr zur Verwandtschaft gehabt.
Nun stand Jesus vor Johannes, um sich wie all die anderen taufen zu lassen. Johannes sträubte sich zunächst, meinte, dass umgekehrt ein Schuh daraus würde. Doch schließlich gab er nach. Als Jesus getauft war und anschließend betete, wurde der Himmel geöffnet und der Heilige Geist stieg in leiblicher Gestalt wie eine Taube auf ihn herab. Manche Zeugen des Vorfalls hatten andere Erinnerungen, meinten einen Donner zu hören oder etwas wie eine Feuerflamme zu sehen, aber Johannes sah die Taube und hörte eine Stimme aus dem Himmel: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.«
Ob Johannes schon ahnte, welch schmähliches Ende sein Leben nehmen würde? Oder hoffte er noch, dass die ihm überlieferten großartigen Worte eines Engels an seinen Vater irgendwie in Erfüllung gehen würden?
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Das possierliche Bild des womöglich einzigen Wüstenfreundes unseres Helden Johannes stammt von Wikipedia.
Der Schluss folgt. In Bälde.
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Montag, 24. Oktober 2011
Johannes /// Teil 4
Das Thema scheint zwar kaum auf Interesse zu stoßen, aber ich erzähle die Geschichte trotzdem weiter. Und sei es nur für mich selbst. Ätsch!
Die vorigen Teile: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3]
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Doch die Überraschungen waren noch nicht zu Ende. In diesem Moment erfüllte sich auch der letzte Teil der Voraussagen des Gottesboten am Räucheraltar. Vielleicht erschrak Zacharias? Sein »Mund wurde aufgetan und seine Zunge gelöst«, so lesen wir es in den Überlieferungen. Er »redete und lobte Gott«.
Selbstverständlich kannte er als Priester die Schriftrollen der Propheten, aus denen in den Synagogen vorgelesen wurde. Er zitierte in seiner Rede einige dieser Voraussagen. Was er nun, als er nach mehr als neun Monaten wieder sprechen konnte, über seinen Sohn Johannes sagte, ging jedoch deutlich über das hinaus, was er nach rein menschlichem Ermessen wissen konnte.
»Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat sein Volk besucht und erlöst und hat uns eine Macht des Heils im Hause seines Dieners David aufgerichtet. Das hat er bereits vor sehr langer Zeit durch den Mund seiner heiligen Propheten angekündigt, dass er uns errettet von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen.« Die Zuhörer nickten, denn auch sie kannten ja die uralten Prophetien, auf deren Erfüllung das Volk hoffte, seit die Römer die Herrschaft übernommen hatten. Man tröstete sich mit dieser Hoffnung über die trostlose Realität hinweg, doch warum Zacharias daran ausgerechnet bei der Beschneidung seines Sohnes erinnerte, war nicht ganz verständlich. Hätte er nicht eher etwas über den Bund zwischen Abraham und Gott sagen sollen, von jener ersten Beschneidung in der Geschichte des Volkes erzählen müssen?
Zacharias fuhr fort: »Gott hat versprochen, unsern Vätern Barmherzigkeit zu erzeigen und an seinen heiligen Bund und an den Eid, den er unserm Vater Abraham geschworen hat, zu denken.«
Ach – aha! Endlich kam der Priester, auf einem Umweg, doch zum Thema. Nun war der Zusammenhang schon verständlicher.
»Gott hat uns versprochen, dass wir, erlöst aus der Hand unserer Feinde, ihm dienen werden. Und zwar ohne Furcht, unser Leben lang in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor seinen Augen«, fügte Zacharias noch hinzu.
Vielleicht dämmerte nach diesen Worten einigen Verwandten und Freunden, dass der stolze Vater der Geburt seines Sohnes mehr Bedeutung beimaß als – bei aller Freude über den so spät im Leben noch erfüllten Kinderwunsch – zu erwarten war. Sollte die Namensgebung eine tiefere Bedeutung haben? Meinte Zacharias womöglich, dass die Erlösung aus der Hand der Feinde, der Römer, unmittelbar bevorstand? Sollte das Kind dabei eine Rolle spielen?
Nun sah Zacharias seinen Sohn Johannes an und erklärte: »Und du, Kindlein, wirst ein Prophet des Höchsten heißen. Denn du wirst dem Herrn vorangehen, dass du seinen Weg bereitest und seinem Volk Erkenntnis des Heils gibst in der Vergebung ihrer Sünden, durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, damit es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes, und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.«
Wir sind etlichen der eben genannten Begriffe und Worten entfremdet, »Heil« hat in unserem Land sogar einen üblen Beigeschmack bekommen. Dieser Schluss der Ansprache ist recht poetisch formuliert, was ja nicht an und für sich verkehrt ist, uns aber doch das Verständnis für die Reaktion der Anwesenden etwas erschwert. Kurz zusammengefasst hatte Zacharias gesagt, dass sein Sohn im Auftrag Gottes reden und ein Wegbereiter für die Befreiung des Volkes sein würde – aus der Finsternis der augenblicklichen Situation hinaus, in eine helle und friedliche Zukunft hinein.
Es war eine merkwürdige Stimmung, die sich nach den Worten des Vaters über sein Kind breit machte in der Festtagsrunde. Furcht kam über alle Nachbarn; man spürte, dass eine höhere Macht die Hand im Spiel hatte. Die ganze Geschichte wurde bekannt »auf dem ganzen Gebirge Judäas«, also weit über die nächste Nachbarschaft hinaus. Und alle, die es hörten, nahmen es sich zu Herzen und sprachen: »Was, meinst du, will aus diesem Kindlein werden?«
»Denn die Hand des Herrn war mit ihm«, hat jemand angemerkt, der diese Geschichte auch schon erzählt hat. Woran das in der Kindheit und Jugend des Johannes erkennbar war, wissen wir nicht, denn über seine Entwicklung hat niemand etwas aufgeschrieben, damals, vor so langer Zeit. Wir können immerhin davon ausgehen, dass Johannes ein gesundes, kräftiges und intelligentes Kind war, denn der Bericht schließt damit, dass er »wuchs und stark im Geist wurde«. Das Kind wurde zum Jugendlichen. Manche Menschen, die sich noch an jene außergewöhnliche Feier der Beschneidung und an die sonderbaren Umstände der Schwangerschaft erinnerten, mochten Johannes gespannt beobachten, denn wenn das, was sein Vater damals verkündet hatte, richtig war, musste der Junge ja nun langsam mal aktiv werden. So stellte man sich das vor.
Und dann verschwand Johannes.
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Das Bildnis ist entlehnt von dieser Seite: Glasmalerei des 20. Jahrhunderts
Fortsetzung folgt. Basta.
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Sonntag, 23. Oktober 2011
Johannes /// Teil 3
Was verpasst oder vergessen? Bitteschön, hier entlang: [Teil 1] [Teil 2]
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Natürlich war Maria neugierig. Ausgerechnet Elisabeth sollte im sechsten Monat schwanger sein. Niemand hatte darüber geredet, kein Mensch schien etwas davon zu wissen. Man hatte geredet, die Leute redeten ja dauernd, aber nur über Elisabeths Mann, der aufgrund eines Erlebnisses beim Priesterdienst stumm geworden war. Es wurde spekuliert, gemutmaßt, manche meinten, er habe ein Schweigegelübde geleistet, andere vermuteten eine Krankheit. Wieder andere erinnerten an die ungewöhnlich lange Zeit, die er beim Räuchern zugebracht hatte und hielten ein übernatürliches Ereignis als Auslöser für wahrscheinlich.
Eine Schwangerschaft im derart hohen Alter? Im sechsten Monat bereits? Da musste sich Maria selbst ein Bild von der Lage machen.
Sie brach eilig auf, um Zacharias und seine Frau in deren Heimatstadt zu besuchen. Als Maria in das Haus ihrer Verwandten kam, griff Elisabeth unwillkürlich mit der Hand an ihren Bauch, dessen Wölbung keinen Zweifel daran zuließ, dass der Engel die Wahrheit gesagt hatte. Maria hatte nicht ernsthaft an den Worten Gabriels gezweifelt, aber nun war sie doch sehr überrascht, als sie sich mit eigenen Augen überzeugen konnte.
Elisabeth spürte, dass ihr Kind förmlich in ihrem Bauch hüpfte, als das Mädchen sie begrüßt hatte. Sie wollte den Gruß in gewohnter Weise erwidern, aber als sie den Mund aufmachte, fühlte sie sich auf einmal wie von einem göttlichen Geist erfüllt und sprach Worte aus, die sie sich nicht zurechtgelegt hatte. Es war, als spräche ein anderes Wesen durch ihren Mund. Sie hörte sich rufen: »Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes!«
Schon wieder so ein Wort, mit dem wir wenig anzufangen wissen. Gepriesen… Was müssen wir uns dabei vorstellen? Es gibt diverse Menschen, die heutzutage gepriesen werden. Ein Autor schreibt ein wunderbares Buch und wird von den Kritikern und Lesern gepriesen, womöglich nicht von Herrn Reich-Ranicki, aber das sei beiseite gelassen. Ein Spitzenkandidat wird von seiner Partei für die nächste Wahl aufgestellt und dann von den Parteimitgliedern gepriesen – zumindest so lange, bis er die Wahl verloren hat. So ungefähr können wir uns die Bedeutung von gepriesen vorstellen.
Maria erschrak zutiefst – nicht so sehr über das gepriesen sein, sondern vielmehr darüber, dass Elisabeth von der »Frucht ihres Leibes« sprach, von der sie selbst noch nicht einmal etwas wusste. War sie etwa schon schwanger? Der Engel hatte ja keinen Zeitpunkt konkretisiert … womöglich … ach du liebe Güte!
Elisabeth war noch nicht fertig mit ihrer Begrüßung: »Und womit habe ich das verdient, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Weißt du was, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn.«
Ob Maria wohl so ganz begriff, was ihr da statt eines »Hallo Maria, schön, dass du mich besuchen kommst« entgegen schallte? Sie hatte ja noch nichts erzählt von der Engelserscheinung, von ihrer eigenen bevorstehenden Schwangerschaft ohne männliches Zutun, von jenem rätselhaften Königsthron und all den anderen merkwürdigen Prophezeiungen. Wir erinnern uns, dass Maria ein ganz normales frommes Mädchen war, nicht etwa eine sonderlich begabte Person oder jemand mit geistlichen Ämtern und Würden. Zacharias immerhin war Priester, hatte mit dem Tempel, den religiösen Verrichtungen und Gebeten jede Menge Erfahrung, seine Frau Elisabeth war demzufolge sicherlich eher vertraut mit dem, was man von Gott wusste oder glaubte. Aber Maria?
Das Mädchen reagierte den Überlieferungen zufolge anders, als wir es erwarten würden. Es saß ja kein Stenograph daneben, die Berichte wurden über lange Jahre mündlich überliefert, später niedergeschrieben, abgeschrieben, wieder abgeschrieben … jedenfalls beantwortete Maria den uns heute vorliegenden Texten zufolge Elisabeths Begrüßung mit einer Art Lobgesang: »Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen …«
Marias ziemlich lange Antwort ist fast wie ein Blick in die Zukunft, denn sie beschreibt das, was Gott in der Vergangenheit getan hat, ohne dass sie bereits wissen kann, was ihr eigener Sohn rund dreißig Jahre später tun und predigen wird. »… seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten …«, sagt sie, »… er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hochmütig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen …«
Worüber sich Elisabeth und Maria so unterhalten haben in den nächsten Wochen, ist uns nicht überliefert. Sicher werden sie über die Besuche des Engels geredet haben, über die Unwahrscheinlichkeit von Elisabeths Empfängnis und die Unmöglichkeit der Schwangerschaft von Maria, werden sich wohl auch Gedanken gemacht haben, was die Leute denken oder reden, wenn Maria ohne Ehemann aber mit zunehmend dickem Bauch zu sehen sein wird … Zeit für Gespräche gab es reichlich. Maria blieb etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim, kurz bevor Elisabeth ihr Kind auf die Welt brachte.
Elisabeth und Zacharias bekamen, was beiden klar gewesen war, einen Sohn. Warum hätte der Engel sich im Geschlecht des Kindes irren sollen.
Nun war es aus mit der Geheimniskrämerei, denn das freudige Ereignis durfte und musste gefeiert werden. Die Nachbarn und Verwandten hörten, vermutlich mit erheblichem Erstaunen, dass die Schmach der Kinderlosigkeit vorüber war und sie freuten sich mit Elisabeth. Sie hätten sich wahrscheinlich schon vorher gefreut, wenn sie von der Schwangerschaft erfahren hätten, aber wir haben uns ja schon Gedanken gemacht, warum Elisabeth in ihrem hohen Alter diesbezüglich so zurückhaltend gewesen war.
Am achten Tag kamen Freunde und Verwandte, um das Kind zu beschneiden. Dies war nicht nur üblich, sondern Vorschrift. Es gehörte zum Leben der Juden ganz selbstverständlich dazu, seit Gott mit dem Stammvater ihres Volkes einen Bund geschlossen hatte. Auf die Unbeschnittenen sah man ein wenig elitär herab, denn auserwählt waren sie nicht. Wenn ein Junge auf die Welt kam, fand acht Tage später die Beschneidung seiner Vorhaut statt, und bei dieser Gelegenheit bekam das Kind dann auch seinen Namen.
Die versammelte Festgesellschaft wollte den Jungen nach seinem Vater Zacharias nennen. Der Tradition gemäß war dies die naheliegende Wahl.
Doch Elisabeth widersprach energisch: »Nein, sondern er soll Johannes heißen.«
Das war der Name, den Gabriel genannt hatte, als er Zacharias am Räucheraltar mit der unglaublichen Botschaft überfallen hatte. Wir kennen diese Vorgeschichte und verstehen, dass weder Elisabeth noch Zacharias daran dachten, von dieser Vorgabe abzuweichen, schließlich hatte sich alles, was der Engel verkündet hatte, als richtig erwiesen, einschließlich der Beraubung des Priesters um seine Stimme.
Die Gäste, denen diese Zusammenhänge unbekannt waren, versuchten, Elisabeth zur Vernunft beziehungsweise zur Tradition zu bewegen: »Es ist doch niemand in deiner Verwandtschaft, der so heißt!«
Elisabeth blieb stur. Da war nichts zu machen. Die Verwandtschaft bedeutete schließlich dem Vater des Säuglings, er solle sich äußern, wie sein Sohn denn nun heißen solle. Zacharias, seit neun Monaten daran gewöhnt, sich lediglich mittels Gesten und notfalls schriftlich auszudrücken, forderte eine kleine Tafel und schrieb: Er heißt Johannes.
Nun wunderten sich alle um so mehr, er als Priester hätte doch Tradition und Gebräuche noch viel höher achten müssen? Natürlich war es nicht verboten, einem Kind einen Namen zu geben, der in der Familie ungebräuchlich war. Manche unter den Festgästen mögen sich gedacht (oder gar miteinander getuschelt) haben, dass die späte Schwangerschaft, noch dazu verheimlich, das Verstummen des Vaters und nun das sture Beharren auf Johannes als Namen irgendwie zusammenpasste. Die Familie war schon etwas wunderlich geworden in letzter Zeit …
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Fort. Setzung. Folgt.
Das Bild soll aus antiker Quelle stammen und die allererste Beschneidung darstellen, damals vorgeschrieben, heute zunehmend als Genitalverstümmelung verpönt.
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Freitag, 21. Oktober 2011
Johannes /// Teil 2
Den Anfang verpasst oder vergessen? Bitteschön, hier entlang: [Teil 1]
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Elisabeth wurde schwanger, gegen alle Erwartungen und Wahrscheinlichkeiten. Nun hätte man meinen mögen, dass sie von ihren Zustand voller Freude Freunden, Nachbarn und Verwandten erzählt hätte, denn immerhin war endlich die Schande, die zu jener Zeit mit der Kinderlosigkeit einher ging, getilgt. Doch sie versteckte sich vor den Menschen, nur Zacharias hatte jetzt, neben der Zwangsverstummung, einen zweiten Beleg dafür, dass Gabriel ihm tatsächlich eine Botschaft Gottes gebracht hatte.
Fünf Monate lang zog sich Elisabeth zurück und war zufrieden damit, dass »der Herr sie mit Wohlgefallen angesehen« und »die Schmach von ihr genommen« hatte, wie sie sich ausdrückte. Sie freute sich, wollte aber ihre Freude mit niemandem teilen. Oder wollte sie ihre Freude von niemandem trüben lassen?
Eigentlich ging es ja niemanden etwas an, ob ein alt gewordenes Paar das nächtliche Ruhelager nur noch für den Schlaf nützte oder nach wie vor Gefallen an der liebe- und lustvollen Vereinigung der beiden Körper fand. Aber die Nachbarn, sie redeten eben gerne und viel und nicht immer freundlich … da war es wohl besser, sich nicht zum Gegenstand der Unterhaltungen zu machen.
Außerdem konnte ein so spät im Leben gezeugtes Kind womöglich im Mutterleib absterben oder als nicht lebensfähige Frühgeburt auf die Welt kommen. Wir sind ja weit in der Zeit zurückgereist, damals war weder an Ultraschall noch an Fruchtwasseruntersuchungen oder medizinische Hilfe für Frühgeborene zu denken. Kinder starben bei der Geburt oder wurden tot ausgestoßen, das war schmerzlich und bitter; in solch einem tragischen Fall der Fälle wollte Elisabeth lieber mit ihrem Zacharias allein trauern und sich all die Kommentare ersparen, die auf das Paar herabregnen würden, das die Lebensspanne der Fortpflanzung längst hinter sich gelassen hatte und trotzdem – wer weiß auf welche Weise! – noch den Versuch unternommen hatte, Nachkommen in die Welt zu setzen.
Welche Gründe auch immer die beiden hatten, das im Mutterleib heranreifende Kind sollte ihr Geheimnis bleiben bis zur Geburt. Dachten sie zumindest.
Als Elisabeth im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft war, hatte Gabriel in einer Nachbarstadt eine weitere Botschaft zu überbringen.
Er suchte in Nazareth ein Mädchen auf, eine gewisse Maria. Seine Nachricht war noch um einiges unerhörter als die Worte an Zacharias, aber dazu kommen wir gleich. Erst wollen wir noch festhalten, dass Maria verlobt war, mit einem jungen Mann namens Joseph. Seinerzeit und in jener Gegend gab es zwischen verlobt und verheiratet manche Unterschiede, und einer bestand darin, dass eine Vereinigung der Körper – heute würde man unbekümmert das Wort Sex nennen – und somit eine Schwangerschaft ausgeschlossen war. Es gab zwar Frauen, die das Bett mit Männern teilten, mit denen sie nicht verheiratet waren, genauso wie es Männer gab, die ständig auf der Suche nach solchen Frauen waren, aber für Maria wäre das so undenkbar gewesen wie für die meisten jungen Menschen ihrer Zeit. Wir sind, wie gesagt, weit in der Zeit zurück gereist. Mancher mag das heute für unvorstellbar halten, jedoch – es war nun einmal so.
Als der Engel bei Maria auftauchte, erschrak sie nicht so sehr über das unerwartete Erscheinen des Boten, sondern mehr über seine merkwürdigen Worte.
»Gegrüßet seist du, Holdselige«, sprach Gabriel das Mädchen nämlich an, »der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter den Frauen.«
Holdselig, gebenedeit – solche aus unserem aktiven Wortschatz verschwundenen Wörter machen es uns etwas schwer zu verstehen, worüber Maria sich so wundern musste. Diese Wortwahl ist bei jemandem zu finden, der diese Geschichte vor längerer Zeit erzählt hat, und er hat seine Worte stets mit Bedacht, wenn auch aus heutiger Sicht nicht immer ganz treffend, gewählt. In diesem Fall war seine Übersetzung des Textes ins Deutsche nicht falsch, allerdings sind uns solche Begrifflichkeiten im Lauf der Jahrhunderte fremd geworden. Wir wollen versuchen, uns auszumalen, warum Maria bei dieser Anrede erschrak.
Sie war ein ganz normales bürgerliches Mädchen, keine Fürstentochter, und sie war auch nicht verlobt mit einem Königssohn, sondern mit einem Tischler. Der unvermutete und unheimliche Besucher grüßte sie jedoch wie eine Persönlichkeit von hohem gesellschaftlichen Rang. Was sollte diese übertriebene Anrede, welchen Zweck verfolgte der sonderbare Mann, der da vor ihr stand? Maria war zu Recht irritiert und erschrocken. Wie Zacharias vor seinem Räucheraltar einerseits wegen des unerwarteten und unerklärlichen Auftauchens einer Gestalt aus dem Nichts, aber eben auch angesichts der völlig deplazierten Worte. Für ein junges, normales, überhaupt nicht außergewöhnliches Mädchen war die Anrede so unpassend wie für uns heute eine Badehose in der Sauna.
Hatte Gabriel vor lauter Ehrerbietung das Naheliegende, nämlich ein paar beruhigende Worte, übersehen? Bei Zacharias hatte er bekanntlich zunächst vergessen, sich vorzustellen, und auch Maria wusste nicht, wer sie da ungebeten heimsuchte. Der Engel fuhr fort: »Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott.«
Göttliche Gnade – das war ja durchaus ein Grund, sich nicht zu fürchten, oder sich wenigstens nicht mehr allzu sehr zu fürchten, so irritierend auch der Beginn der Ansprache gewesen war. Marias Herz klopfte etwas weniger ungestüm, während sie weiter zuhörte. Die Ansprache wurde immer rätselhafter.
»Du wirst schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, dem sollst du dann den Namen Jesus geben. Er wird ein bedeutender Mensch sein, man wird ihn als Sohn des Höchsten bezeichnen. Gott der Herr wird ihm den Königsthron seines Vaters David geben.«
Moment mal, wieso denn David? Sie sollte und wollte doch Joseph heiraten, aber wenn der Vater ihres Kindes David hieß, dann wurde aus der geplanten Hochzeit wohl nichts? Und warum sollte ausgerechnet ihr Sohn, wenn sie irgendwann, in ein oder zwei Jahren vielleicht, einmal einen bekommen würde, ein bedeutender Mann werden, von den Leuten noch dazu als Sohn des Höchsten bezeichnet? Darüber hinaus war es irritierend, dass von einem Königsthron die Rede war. Der Königsthron Davids stand für die Herrschaft über dieses Volk, und die wurde nun schon eine ganze Weile von fremder Hand bestimmt, da die Römer inzwischen das Sagen hatten. Herodes saß zwar auf dem Königsthron, aber wichtige Dinge entschied er nicht. Maria schüttelte den Kopf angesichts der vielen Ungereimtheiten. Sie versuchte, weiter zuzuhören, der Engel war ja noch nicht fertig. »Er wird für immer König sein über das Haus Jakob, sein Königreich wird nämlich kein Ende haben.«
Also ein ewig lebender Sohn wurde ihr da angekündigt? Das Mädchen hatte in den paar Sätzen zu viel Unbegreifliches gehört, um die einzelnen Fragen noch sortieren zu können. Als nun die Gelegenheit da war, etwas zu dieser Botschaft zu sagen, fiel ihr nur die fehlende biologische Voraussetzung für das ganze Gedankengebäude ein: »Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Mann weiß?«
Von keinem Mann wissen, das bedeutete nichts anderes, als dass sie weder mit ihrem Joseph noch sonst einem Mann eine intime Beziehung hatte, und auch nicht haben wollte, bevor sie rechtmäßig und ordnungsgemäß verheiratet war. Einen David, den Gott wohl als Bräutigam ausgesucht hatte, kannte sie noch nicht einmal. Ganz zu schweigen von einem zukünftigen Ehemann, der Anspruch auf das Königtum hätte, wenn man die Römer und ihren Hampelmann Herodes gedanklich einmal ausblenden wollte.
Gabriel hatte den Priester Zacharias ein paar Monate zuvor mit einer temporären Verstummung bedacht, als dieser Einwände gegen die überbrachte Botschaft vorgebracht hatte. Mit Maria ging er behutsamer um. Anstatt ihre Frage als Unglaube oder Widerborstigkeit auszulegen und mit Stummheit oder sonst einer Plage zu ahnden, erklärte er ihr, wie sie zu einem Sohn kommen sollte: »Der heilige Geist wird über dich kommen, die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Aus diesem Grund wird auch das Heilige, das du zur Welt bringen wirst, Sohn des Höchsten genannt werden.«
Vorstellen konnte sich das Mädchen auch nach dieser Erklärung immer noch nichts, vermutlich las Gabriel die Verwirrung in ihren Augen und gab ihr noch ein Zeichen mit auf den Weg, an dem sie erkennen sollte, dass er ihr wirklich eine Botschaft von Gott gebracht hatte. Er verriet Maria ein Geheimnis: »Elisabeth, deine Verwandte, ist auch schwanger mit einem Sohn. Und das in ihrem hohen Alter. Alle gingen davon aus, dass sie unfruchtbar wäre, und jetzt ist sie im sechsten Monat. Bei Gott ist nämlich kein Ding unmöglich.«
Elisabeth sollte schwanger sein? Ausgerechnet diese zwar nette, aber doch ziemlich betagte Dame? Maria beschloss, nicht weiter nachzudenken, was alles möglich oder unmöglich war. Sie glaubte an Gott, kannte die Geschichten von den Wundern, die in der Vergangenheit geschehen waren. Vom Wasser in der Wüste für ein ganzes Volk bis zum lodernden Feuer auf einem Altar, der vorher samt Opfer darauf mit Wasser überflutet worden war. Selbstverständlich konnte dieser Gott tun, was er sich vorgenommen hatte, und eine Schwangerschaft ohne vorangegangene erotische Begegnung und Vereinigung war für ihn auch nicht schwieriger zu bewerkstelligen als andere Wundertaten, von denen man hörte. Also antwortete das Mädchen nur: »Ich bin eine Dienerin des Herrn, mir geschehe, was du eben angekündigt hast.«
Der Engel war zufrieden, er hatte seinen Auftrag erfüllt. Die Botschaft war überbracht, Maria hatte eingewilligt. Er verließ die Holdselige.
Elisabeth und Zacharias wussten noch nicht, dass ihr sorgsam gehütetes Geheimnis keines mehr war.
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Fortsetzung? Folgt.
P.S.: Das Bild zeigt ein altes, ein sehr altes Wörterbuch.
Mittwoch, 19. Oktober 2011
Johannes /// Teil 1
Damals – ach ja, liebe Leser, wir reisen ziemlich weit zurück und auch noch in eine andere Weltgegend – damals also regierte ein gewisser Herodes als König in Judäa. Den besten Ruf hat er in der Nachwelt nicht, und wir werden es im Verlauf der hier erzählten Ereignisse auch noch mit ihm zu tun bekommen, aber jetzt noch nicht. Erst mal sind wir im Tempel, in Jerusalem. Dort verrichtete ein Priester namens Zacharias seinen Dienst. Der war mit Elisabeth verheiratet, ein Zölibat für Priester kannte man noch nicht, das wurde erst viel später ersonnen. Außerdem sind wir ja in Judäa, und bei den Juden war (und blieb) die Ehe keinem Menschen verboten, sogar wünschenswert war sie, auch für geistliche Würdenträger.
Zacharias und Elisabeth waren fromme Menschen, sie hielten sich an die Gebote und Satzungen ihres Volkes. Niemand konnte ihnen irgendwelche Verstöße dagegen vorwerfen, und das wollte etwas heißen angesichts der vielen und detaillierten Vorschriften, die es zu befolgen galt.
Es war zu der Zeit, von der wir reden, so etwas wie ein Fluch, keine Kinder zu haben, aber da Elisabeth unfruchtbar war und von künstlicher Befruchtung ungefähr die nächsten etwa 2000 Jahre noch nicht die Rede sein würde, hatte sich das mittlerweile betagte Paar damit abgefunden. Schweren Herzens, sicher, aber es blieb den beiden ja nichts anderes übrig.
Zum Dienstplan eines Priesters gehörte das sogenannte Räuchern. Zacharias ging an jenem Tag, der so vieles änderte, pünktlich in den Tempel, um in einem bestimmten Raum auf dem Räucheraltar die vorgeschriebenen Verrichtungen durchzuführen. Das Volk durfte nicht hinein; die Leute warteten draußen und sprachen die für diese Stunde üblichen Gebete.
Zacharias ahnte und bemerkte nichts Ungewöhnliches. Es war dies ein Dienst wie viele zuvor und noch viele weitere – dachte er zumindest. Bis er aufschaute und eine Gestalt sah, die rechts neben dem Räucheraltar stand. Zacharias Gesicht wurde ungefähr so weiß wie der Kalk an der Wand hinter dem Altar, die vom Alter sowieso schon leicht geschwächten Beine wollten beinahe ihren Dienst versagen, die Hände zitterten und der Schweiß brach ihm aus. Es war ja nicht nur verboten, sondern eigentlich unmöglich, dass sich jemand außer ihm selbst zur Räucherstunde in diesem Raum aufhielt. Es gab schließlich nur einen Zugang, und wenn jemand nach ihm durch die Tür gekommen wäre, hätte Zacharias das bemerken müssen. Einen Augenblick zuvor war er noch allein gewesen mit seinem Rauchwerk und mit Gott, den man allerdings nicht sehen konnte.
Sein erster Impuls war natürlich die Flucht. Naheliegend – aber wohin? Durfte er denn seinen Räucherdienst mittendrin abbrechen? Konnte man vor dieser Erscheinung überhaupt davonlaufen? War es grundsätzlich denkbar, dass ein Geist sich im Tempel des Herrn, noch dazu beim Räucheraltar, aufhalten konnte? Hätte die Heiligkeit Gottes das nicht verhindert? Oder war dies womöglich …
Im Gegensatz zum panischen Zacharias wissen wir, falls wir ein wenig in den biblischen Überlieferungen bewandert sind, dass dort ein Engel stand, denn diese Geschichte haben schon andere erzählt, von Mund zu Mund und später aufgeschrieben in Schriftrollen, und noch viel später sogar in Büchern und – was Zacharias wie Hexenwerk hätte vorkommen müssen – heutzutage in Form von Nullen und Einsen, aus denen vor dem Auge des Betrachters dann auf Knopfdruck Worte auf einem Bildschirm entstehen. Schon die Beschreibung eines Bildschirmes hätten Zacharias und Elisabeth am gesunden Verstand des Beschreibenden zweifeln lassen. Heute dagegen zweifelt mancher am gesunden Verstand des Erzählers, wenn der von einem Engel zu berichten weiß. Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen das, was vorstellbar oder vernünftig zu sein scheint.
Rauschgoldengel mit blondgelockter Mähne in güldenen Gewändern, oder kleine nackte Buben mit Flügeln am Rücken, die in der Weihnachtszeit eine hölzerne Krippe bayerischer Bauart oder sonst etwas umschwirren … so etwas war dem alten Zacharias genauso unbekannt wie die Weihnacht an und für sich. Er kannte Überlieferungen von Engeln, die in Menschengestalt zu Besuch kamen, so bei Abraham vor etlichen Jahrhunderten; Abraham kam zwar auf die Idee, es nicht mit Männern, sondern mit himmlischen Wesen zu tun zu haben, aber andererseits ließ er eine köstliche Mahlzeit auftischen. Ober bei drei jungen Männern, die in einem Feuerofen hingerichtet werden sollten; ein Engel stand ihnen bei und bewahrte sie; auf die Zuschauer wirkte der himmlische Bote wie ein vierter Jüngling.
Doch wir sollten hier keine Zeitsprünge hin und her machen, sondern wir sind und bleiben im Damals, im Tempel, in der Kammer mit dem Räucheraltar. Zacharias starrte die Gestalt an und wusste nicht, was tun.
Der Engel ahnte wohl, dass dem Zacharias, der nicht mehr der Jüngste war, jeden Moment vor lauter Angst der Kreislauf versagen konnte. Also versuchte er zuerst einmal, den Mann zu beruhigen: »Fürchte dich nicht, Zacharias.«
Der Angesprochene beruhigte sich keineswegs. Jeder böse oder gute Geist konnte ihn schließlich so anreden, um sein Vertrauen zu erschleichen. Mit einem »fürchte dich nicht« war noch lange nicht geklärt, ob da ein Teufelswesen oder ein Engel Gottes neben dem Räucheraltar stand. Eventuell ja auch nur ein Mensch, der Arges im Schilde führen mochte?
»Dein Gebet ist erhört worden«, fuhr der Engel fort, »und deine Frau wird einen Sohn zur Welt bringen, der dann Johannes heißen wird.«
Zacharias hörte zu, obwohl er meinte, sich verhört zu haben. Von erhörtem Gebet konnte eigentlich nur ein gutes Wesen sprechen, das war einigermaßen beruhigend, aber gleichzeitig offenbarte sich in den Worten eine erschreckende Ahnungslosigkeit bezüglich der menschlichen Fortpflanzungsfähigkeit im fortgeschrittenen Lebensalter, von Elisabeths Unfruchtbarkeit seit ihren jungen Jahren ganz zu schweigen.
»Du wirst«, fuhr der himmlische Bote fort, als wäre er durch die misstrauisch zweifelnde Mine des Priesters, die jedenfalls keine übersprudelnde Freude über diese Nachricht ausdrückte, etwas irritiert, »eine Menge Freude an dem Jungen haben, und auch andere Menschen werden über ihn jubeln. Er wird einer der ganz Großen vor dem Herrn sein, vom Mutterleib an mit heiligem Geist erfüllt. Daher wird er übrigens keinen Wein oder andere alkoholische Getränke trinken wollen. Viele Menschen deines Volkes werden durch ihn den Weg zurück zu einer Beziehung mit Gott finden.«
Zacharias war, das wissen wir ja bereits, ein sehr frommer Mensch. Er war ein Priester, der seinen Beruf als Berufung verstand, nicht als eine von mehreren Möglichkeiten, sein Brot zu verdienen. Nein, er meinte es ernst, er glaubte an Gott. Daher war ihm diese Lobeshymne auf seinen nicht existierenden Sohn und das Wiederherstellen von menschlich-göttlichen Beziehungen ganz sympathisch. Allerdings blieb er skeptisch, denn die erfreuliche Voraussage hatte ja einen Haken, einen ziemlich widerspenstigen sogar. Seine liebe Frau hatte in ihren fruchtbaren Lebensjahren nicht schwanger werden können, und nun war es ganz einfach zu spät dafür. Viel zu spät.
Der Engel, offenbar keiner von der wortkargen Sorte, ließ sich derweil nicht aufhalten in seiner Rede. »Dein Sohn wird wie damals Elia mit bemerkenswerter Kraft und im Geist Gottes wirken. Die Kinder und die Eltern wird er miteinander versöhnen, den Ungläubigen wird er aufschließen können, wie klug die Gerechtigkeit Gottes ist. Er wird das ganze Volk vorbereiten.«
Vorbereiten? Worauf? Im Grunde war das zweitrangig, denn nach wie vor stand ja keine Schwangerschaft zu erwarten. Vielleicht hatte der Engel sich in der Adresse geirrt? Oder – da atmete Zacharias innerlich auf – er sprach nur bildlich von einem Sohn. Es konnte ja ein Jugendlicher in Frage kommen, der wie ein Sohn von Zacharias gelehrt und erzogen wurde. Das musste wohl die Lösung für das große Rätsel sein. Andererseits hätte der Bote Gottes dann nicht eher von einem Jünger, einem Schüler sprechen sollen?
Als er nun endlich selbst zu Wort kommen konnte, fragte der Priester zunächst das Naheliegende: »Woran soll ich denn erkennen, dass diese Prophetie stimmt? Meine Frau ist betagt, und ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Oder ganz einfach ausgedrückt: Wir sind alt. Zu alt.«
Als hätte er es am Anfang vergessen, stellte sich der Engel nun endlich vor: »Ich bin Gabriel, der vor Gott steht.«
Zacharias erschrak. Wenn das stimmte, dann hatte er es mit einem der ganz großen Fürsten unter den Engeln zu tun. Solch einem Wesen kam man vielleicht besser nicht mit Fragen und Widersprüchen … aber nun war es ja zu spät.
»Und ich bin gesandt, um mit dir zu reden«, erklärte Gabriel. »Ich habe den Auftrag, dir das, was ich gesagt habe, zu verkündigen. Und nun achte auf meine Worte: Du wirst verstummen und nicht mehr reden können, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast. Was ich gesagt habe, wird in Erfüllung gehen. Wenn es dann soweit ist, wirst du auch nicht mehr stumm sein.«
Zacharias, selbst wenn er es gewagt hätte, konnte nicht mehr widersprechen, weil er tatsächlich seiner Stimme verlustig gegangen war, von einer Sekunde auf die nächste. Hätte er sonst zu seiner Verteidigung darauf hingewiesen, dass Gabriel sich ja ruhig zuerst hätte vorstellen können? Vermutlich nicht, denn ein solch hochgestellter Engel war nun mal ein Bote Gottes, und was Gott tat oder durch seine Gesandten sagte, musste der Mensch weder kommentieren noch in Frage stellen.
Die Menschen draußen wunderten sich unterdessen bereits, dass der Räucherdienst an diesem Tag so ungewöhnlich lange dauerte. Sie murmelten und tuschelten, denn die vorgeschriebenen Gebete waren längst gesprochen. Eigentlich hätte man nachschauen müssen, ob der alte Zacharias womöglich einen Schwächeanfall erlitten hatte, aber der Zutritt zum Räucheraltar war ausschließlich Priestern vorbehalten. Es gab genug Geschichten von Menschen, die tot umgefallen waren, weil sie sich unbefugt auf verbotenes, auf heiliges Gebiet gewagt hatten. Keiner wäre freiwillig in den Raum gegangen, selbst wenn darin ein bewusstloser Zacharias liegen mochte, und vielleicht lebte er ja auch gar nicht mehr?
Dann erschien der Priester, endlich, ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu wissen, dass irgend etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein musste. Er sprach kein Wort, winkte, machte Zeichen mit der Hand. Die meisten Menschen waren sich relativ schnell einig: Er muss wohl ein Gesicht gesehen, eine Vision gehabt haben. Er schien, abgesehen davon, dass er offenbar stumm bleiben wollte oder musste, gesund zu sein. Sein Winken deutete man schließlich als Ersatz für die normalerweise übliche segnende Verabschiedung. Die Gebete waren gesprochen, der Priester hatte geräuchert, und das Volk ging nach Hause.
Zacharias blieb noch, denn seine Dienstzeit war mit dem Räuchern nicht beendet. Er war nicht nur fromm, sondern auch gewissenhaft, und die Begegnung mit einem Engel änderte schließlich nichts an den festgesetzten Zeiten und seinen Aufgaben. Erst zur üblichen Stunde ging er dann nach Hause zu seiner Frau.
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Fortsetzung folgt
P.S.: Das Bild hat ein Herr Bernard Verschooten gemalt. Na ja.
Montag, 17. Oktober 2011
Moderne Psalmen 8: Söhne Mannheims
Ich verstehe jeden Zweifel, schätze jeden Glauben hoch. Auch ich misstraue Übereifer. Es sei am besten jeder froh mit dem was er glaubt, oder mit dem was er weiß. Doch der an den ich glaube, ist auch der den ich preis'.
Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.
Ich versuche zu verstehn, was andere in Dir sehn; warum sie Kriege anfangen und in deinem Namen Morde begehen; warum sie Menschen dazu zwingen, an einem Virus zu sterben. 2000 Jahre nach Dir liegt hier alles in Scherben!
Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.
Vergib mir meine Schuld, dann wenn ich Dich seh. Solange trag ich meine Sünden, wenn ich schlaf und wenn ich geh. Ich will keine Versprechen, die mir Menschen geben, die sie dann wieder brechen, so sind Menschen eben! Alles was zählt, ist die Verbindung zu Dir, und es wäre mein Ende, wenn ich diese Verbindung verlier!
Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.
Freitag, 14. Oktober 2011
Italienische Erlebnisse /// Die Untote auf dem Trümmerhaufen
Es begab sich aber zu der Zeit, als die Abreise nahte, dass wir uns einen Tag am Meer gönnen wollten. Großstadtgetöse, Ruinen, erhabene Bauwerke, großzügig angelegte Parkanlagen und pittoreske Gassen hatten wir drei Tage lang genussreich durchstreift. Da Wetter geizte weiterhin nicht mit Sonne und Sommerhitze, obwohl auch in Italien der Kalender bereits seit Tagen auf Oktober geblättert worden war.
Auf Fiumicino fiel unsere Wahl, aus praktischen Erwägungen. Dort angekommen befanden wir uns dann in einer Welt, die hervorragend als Inspiration für einen Horrorfilm oder ein Buch jener Art, die man vor dem Schlafengehen lieber nicht zur Hand nehmen sollte, taugen würde. Nichts ist in dieser kleinen Stadt, was es zu sein scheint und ein Entrinnen ist so einfach nicht.
Ein Bus hatte uns vom Flughafen in den Ort transportiert, im Vorbeifahren sahen wir entlang der Hafenpromenade zahlreiche Restaurants mit schmucken Tischen und Stühlen im Freien, freuten uns schon darauf, am späten Nachmittag dort irgendwo Platz zu nehmen und vor der Rückkehr zum Flughafen eine letzte gemütliche Mahlzeit der italienischen Variante einzunehmen. Bis zum Abflug kurz nach 22 Uhr blieb eine Menge freie Zeit.
Wir spazierten zunächst auf die Mole hinaus, vorbei an Fischerbooten, zum Trocknen ausgelegten Netzen und zahlreichen Anglern. Die Sonne schien, die Temperatur lag bei 30 Grad im Schatten. Das Meer, so hofften wir, würde uns ein wenig Abkühlung bringen, falls es in der Nähe irgendwo einen Strand geben sollte.
Von der Spitze der Mole aus war jedoch erkenntlich, dass vor der Stadt ausschließlich Felsen und Steine das Wasser vom Land trennten. Jedoch lag ein gutes Stück entfernt, wir schätzten zu Fuß dreißig oder 40 Minuten, gelb und grün schimmerndes Ufer. Ob dort Menschen waren, Badende womöglich, war aus der Entfernung nicht zu erkennen. Zwischen uns und den vielversprechenden Uferabschnitten lag ein Industriegelände.
Der Weg von der Mole zum anvisierten Ziel war schattenlos und mühselig. Um das industrielle Areal zu umgehen, war ein gehöriger Umweg notwendig. Wegen der Felsbrocken am Ufer war eine Wanderung am Meer entlang mangels eines Weges ausgeschlossen. Doch gut zu Fuß, wie wir nun einmal sind, hatten wir nach rund vierzig Minuten an den übermannshohen Mauern und den mit Sichtblenden versehenen Toren entlang das Gelände umrundet. Was mochte dort, so sorgsam vor jedem Blick geschützt, vor sich gehen? Wurden in den hoch emporragenden, fensterlosen runden Bauten gefangengenommene Touristen gefoltert oder zu medizinischen Versuchen missbraucht? Oder war dies ein militärisches Objekt? Beschildert war nichts, eigentlich ungewöhnlich in einem Land, in dem jede Firma ihren Namen so groß wie möglich an Fassaden und auf Plakaten zur Schau stellt. Zu gerne hätte ich einen Blick auf das Verborgene geworfen …
Vor uns lag nun der Strand, der aus der Ferne so verlockend ausgesehen hatte. Eine geschwungene Bucht. Sand gab es, allemal, aber auch jede Menge Dreck, Müll und Gerümpel. Zerrissene, verschmutzte Decken und Kleidungsstücke, Getränkedosen und -flaschen, Hausrat vom löchrigen Eimer über zerschlagenes Geschirr bis zu ihrer Beine beraubten Sitzmöbeln. Ein gebrauchtes Kondom zwischen weggeworfenen Taschentüchern und Speiseresten. Holzplanken, Trümmer undefinierbarer Herkunft, verbogene und löchrige Sonnen- sowie Regenschirme. Wir spazierten, die Füße von den angenehm warmen Wellen des Meeres umspült, fassungslos die Müllhalde entlang. Mal eine weggeworfene Flasche oder eine vergessene Decke - das wäre ja noch angegangen, aber dieser Strand war mit Unrat übersäht. Und dazwischen, auf von der Sonne gebleichten Baumstämmen oder sonstigen gerade paraten Unterlagen, saßen hier und dort die Strandbesucher. Herren überwiegend, nur eine Dame war zu sehen. Man genoss hier - was mich noch nie und nirgends gestört hatte - den Aufenthalt textilfrei, was uns in diesem Fall insofern entgegenkam, als wir vergessen hatten, die Badebekleidung vor der Deponierung des Gepäcks am Flughafen aus selbigem zu nehmen.
Wir hatten die Bucht rund zur Hälfte hinter uns gelassen, als wir ein verhältnismäßig wenig von Dreck und Müll übersätes Fleckchen fanden. Ein Baumstamm bot notdürftig Platz zum Sitzen, also entledigte ich mich kurz entschlossen meiner Kleidung und begab mich zur raschen Erfrischung in das kristallklare Wasser. Wir waren inzwischen mehr als eine Stunde zu Fuß in der Mittagshitze unterwegs gewesen - das Bad war wohltuend. Allerdings war die Stelle, da weit und breit nur Männer zwischen dem Müll saßen, die nichts zu tun hatten als uns zu beobachten, für die beste aller Ehefrauen eher ungeeignet, um sich ebenfalls zu erfrischen. Ich ließ meine Haut in der Sonne auf dem Baumstamm sitzend trocknen, zog mich wieder an und wir gingen auf der Suche nach einer Badestelle, die weniger mit einem Präsentierteller gemein hatte, weiter am Strand entlang dem Ende der Bucht entgegen. Es schien dort, aus der Entfernung betrachtet, so etwas wie ein Café zu geben, jedenfalls ein Gebäude direkt am Wasser, womöglich konnte man dort ja Getränke erwerben.
Das Gebäude erwies sich als Ruine, eingezäunt, mit handgeschriebenen Schildern dekoriert, die darüber aufklärten, dass dies Privatgelände und das Betreten verboten sei. Hinter einer Lücke im Zaun saß eine Frau auf einem Klappstuhl, eine Zeitschrift in der Hand, die sie zu lesen schien. Jenseits des eingezäunten Gebietes, an dem man nur schwimmend vorbeigekommen wäre, da der Zaun bis in das Wasser hinein reichte, war nun eine weitere Bucht mit Sandstrand zu erkennen, die einen etwas saubereren Eindruck erweckte. Um dort hin zu gelangen, war ein - den Schildern gemäß verbotenes - Durchqueren des Besitztums notwendig, das die Frau of dem Klappstuhl, obwohl sie uns bisher keines Blickes gewürdigt hatte, wohl bewachte. Scusi ..., versuchte die beste aller Ehefrauen die Aufmerksamkeit der Dame zu erwecken. Signora? Scusi! Keine Reaktion. Schlief die Dame? War sie gar keine Dame sondern eine Leiche? Bleich genug sah sie aus, trotz der Sonne, in der sie wer weiß wie lange schon saß. Vorsichtig setzten wir einen Fuß auf verbotenes Terrain. Es waren ja nur 20 Schritte zum Loch im Maschendrahtzaun auf der anderen Seite. Da wir auf dem ersten Meter weder erschossen, noch von einer geifernden Bestie aus dem Hinterhalt angefallen wurden, schlichen wir uns so schnell wie möglich an der Schlafenden oder Leiche oder Außerirdischen vorbei und atmeten auf, als wir auf dem Sand der nächsten Bucht standen.
Auch hier gab es vereinzelt Sonnenhungrige, allerdings mit Badebekleidung, vom baren Busen einer jungen Dame einmal abgesehen, aber andererseits so viel Platz zwischen den Besuchern, dass man sich relativ unbeobachtet fühlen konnte. Unrat und Müll waren hier deutlich reduziert. Eine halbe Tischplatte diente uns als Sitzgelegenheit und nun konnte auch die beste aller Ehefrauen die Labsal des Eintauchens in die Meeresfluten genießen.
Zurück zur Ortschaft Fiumicino auf dem gleichen Weg? Nein, nicht noch einmal durch das verbotene Grundstück an der mittlerweile womöglich erwachten Leiche vorbei und dann über die Müllhalde zum rätselhaften Industrieobjekt. Ein Stück voraus gab es ein paar Häuser, also vermutlich auch eine Straße nach Fiumicino. Zu unserer großen Freude barg eines der Gebäude eine Bar mit einem kleinen schattigen Hof, in dem Tische und Stühle zum Verweilen einluden. Mehrere Männer spielten Karten, lautstark und offenbar mit großem Vergnügen, an einem anderen Tisch diskutierten andere Männer Gewichtiges, den Minen und erhobenen Stimmen nach zu urteilen. Italienische Frauen sind vermutlich eher zu Hause zu finden als an Stränden oder in Bars. Wir erfrischten uns nun auch inwendig mit gut gekühltem Trunk und strebten dann durch menschenleere Dorfgassen der vermuteten Straße zu, die uns zurück nach Fiumicino führen sollte. Es gab sie tatsächlich, und an einer notdürftig als Bushaltestelle erkenntlichen Stelle warteten zwei oder drei Menschen. Natürlich war weit und breit kein Tabakladen zu sehen, in dem man hätte Fahrkarten erwerben können, dafür kam ein Bus in Sicht und hielt. Wir stiegen, nachdem der Fahrer versichert hatte, in die gewünschte Richtung unterwegs zu sein, zu und fanden im Bus einen Automaten vor, aus dem man Tickets ziehen konnte, was uns vor dem Verbrechen des Schwarzfahrens bewahrte.
Nun stand uns der Sinn nach der schon Mittags avisierten Mahlzeit. Jedoch: Das erste Restaurant war zu, die Tische und Stühle verwaist. Nicht weiter schlimm, es gab ja entlang der Kaimauer eine ganze Reihe von Gaststätten ... doch auch die zweite war geschlossen, ebenso die dritte und alle weiteren. Um 17:30 Uhr konnte man in Fiumicino nicht essen gehen. Um 17:45 auch nicht. Um 18:00 immer noch nicht.
Nichts war an diesem Tag, an diesem Ort aus der Nähe betrachtet so, wie es aus der Distanz zu sein schien. Müllhalden statt Badestände, eine leblose Ruinenbewacherin mitten im Schutt, Restaurants, deren Tische mit Gläsern und Servietten dekoriert nur Kulisse waren ... also lautete unser Beschluss: ab zum Flughafen, dort würden wir sicher noch vor dem Besteigen der Maschine nach Berlin etwas essen können.
Doch Fiumicino wollte uns so einfach nicht aus seinen Fängen lassen. Die Suche nach einer Bushaltestelle, an der man die Linien und ihre Ziele hätte ablesen können, war vergebens, Taxis nicht zu sehen. Dass uns der Bus in Richtung Aeroporte, den wir schließlich bestiegen, an einen anderen Ort als den gewünschten brachte, hatte ich bereits im vorigen Bericht erzählt.
Was als Erinnerung an Fiumicino bleibt: Kristallklares Wasser, erfrischendes Bad in den Fluten, herrliches Sommerwetter und trotz des tollen Tages am Meer das Gefühl, Darsteller in einem Film zweifelhaften Genres zu sein. Kafkaesk beinahe. Gar nicht schlecht, so im Nachhinein betrachtet. So etwas erlebt man ja nicht alle Tage.
Dienstag, 11. Oktober 2011
Italienische Erlebnisse /// Verkehr und Verhältnisse
The streets of Rome are filled with rubble, ancient footprints are everywhere, dichtete einst Bob Dylan, dem die Stadt seinem Lied When I Paint My Masterpiece zufolge ausnehmend gut gefallen haben muss. Was Herr Dylan in den Zeilen des Textes bezüglich der Straßen Roms nicht erwähnt, ist der Verkehr - allerdings mag der seinerzeit auch noch etwas weniger chaotisch gewesen sein als heutzutage.
Wir fragten uns gelegentlich, inwieweit Fahrschüler Verkehrsregeln kennen lernen, ob zum Beispiel zum Unterricht eine Belehrung darüber gehört, dass eine rot leuchtende Ampel zum Anhalten auffordert oder wozu Fahrbahnmarkierungen gut sind. Es mag natürlich sein, dass der Römer und die Römerin das zur Fahrprüfung beherzigen, im Alltag jedoch hat es dann keine Bedeutung mehr.
Wir schlenderten durch eine Fußgängerzone, eine enge Gasse, links und rechts Tische und Stühle der Cafés und Restaurants, unsere Augen und Aufmerksamkeit waren auf die malerische Szenerie konzentriert, als von hinten, ziemlich dicht hinten sogar, eine Hupe ertönte. Zwei Motorroller schlängelten sich mit nicht unerheblichem Tempo durch die Fußgängermassen. Kurz darauf kam uns ein PKW entgegen, der Herr am Steuer trug Anzug und Krawatte und bedankte sich für das Platzmachen mit freundlichem Lächeln. Nun wussten wir, dass Fußgängerbereich bedeutet, dass man es mit etwas weniger Fahrzeugen zu tun bekommt als auf anderen Straßen und ließen uns durch die pittoresken Straßenszenen die Aufmerksamkeit nicht mehr zu 100 Prozent rauben.
Weiß irgend ein Mensch oder eine Behörde, wie viele Motorroller und größere Maschinen in Rom unterwegs sind? Angesichts des chronischen und flächendeckenden Staus auf den Straßen ist so ein Zweirad wohl das einzige Fortbewegungsmittel, mit dem die römische Bevölkerung halbwegs zügig ans Ziel gelangen kann. Alle tragen Helm, aber ansonsten ... das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn eingeklemmt plaudern sie beim Fahren vergnügt, die Damen tragen sommerliche Kleider, T-Shirt zu Jeans oder gepflegte Bürogarderobe, auch bei den Herren ist die Erfindung von Nierengurt oder robuster Schutzbekleidung unbekannt. Die Aktentasche oder der Einkaufskorb stehen zwischen den Füßen der Rollerfahrer, es hängen auch mal Tüten am Lenker. Kinder halten sich an ihren Müttern, Vätern oder den Griffen unter dem Sitz fest, immerhin ebenfalls behelmt. So geht es in Schlangenlinien munter durch den Stau, auch auf der Gegenfahrbahn kommt man bei Platzmangel oft recht zügig voran, und wenn man von ganz links nach ganz rechts muss, verlässt man sich darauf, dass Busse, LKWs und Autos Bremsen haben.
Ach ja, das Stichwort Bremsen. In der Nähe des Colosseum beobachteten wir eine Ungeheuerlichkeit. Über die theoretisch dreispurige Fahrbahn, auf der vier Spuren Autos und dazwischen noch Motorroller unterwegs waren, führte ein Zebrastreifen, an dem einige Menschen warteten. Ein Autofahrer hielt an - was ein wildes Hupkonzert auslöste. Sein Fahrzeug wurde umrundet, manch böser Blick ging in seine Richtung. Wie konnte er auch einfach mitten auf der Fahrbahn anhalten, zum Verkehrshindernis zu werden! Die Fußgängergruppe blieb natürlich wo sie war, alles andere wäre lebensgefährlich gewesen. Schließlich fuhr auch das stehende Auto wieder an und alles war gut.
Zum Überqueren einer Straße benötigt man neben Mut und Entschlossenheit ein verlässliches Gespür für das eigene Tempo im Vergleich zu den herannahenden Fahrzeugen. Im Gehirn laufen blitzschnelle Berechnungen ab: Reicht die Lücke bei ungebremstem Fahrzeug? Reicht sie wenigstens, falls der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt? Ob die Fußgängerampel, so es eine gibt, grün leuchtet oder nicht, hat mit dem Seitenwechsel nichts zu tun. Wir wussten das als deutsche Touristen nicht und betraten - blauäugig - die Fahrbahn, als das grüne Männchen dazu einlud. Ein Pulk wild hupender Mopedfahrer schoss vor und hinter uns vorbei, eine fesche Dame auf ihrem Roller streifte uns beinahe. Immerhin waren wir dann so geistesgegenwärtig, nicht etwa stehen zu bleiben, sondern fürbass zu schreiten, allerdings nun mit gebotener Eile und Augen für den trotz roter Ampel für die Fahrzeuge fließenden Verkehr.
Vom Bus aus konnten wir das bunte Verkehrsgeschehen - soweit ein Busfenster im Sichtfeld war - fasziniert beobachten. Zwar haben die Busse Fenster, große Fenster, aber die Sache mit dem Hinausschauen hängt davon ab, wo man eingequetscht wird. Ich hielt die Fülle in der Berliner S-Bahn in den vergangenen Wintern, als wegen Schnee und Eis so gut wie alle Züge ausfielen, für schlimm, bis wir nun in Rom mehrmals täglich den öffentlichen Nahverkehr als Transportmittel nutzten. Die Fahrkarte kostet nur einen Euro, erwerben kann man sie dort, wo Zigaretten verkauft werden. Das Entwerten des Fahrscheines im Bus ist dann allerdings häufig unmöglich, weil die Fahrgäste sich irgendwie noch in den Einstieg zwängen können, aber ein Durchkommen bis zum Automaten ist ausgeschlossen. Ganz vorbildliche Italiener reichen ihre Fahrkarte über die Köpfe hinweg in Richtung Entwerter und tatsächlich finden sich dann hilfsbereite Quetschgenossen, die das Wertpapier weiterreichen, entwerten und auf den Weg zurück zum zahlungswilligen Menschen bringen.
In den Zügen dagegen kann man Fahrkarten nicht entwerten, das muss man am Bahnhof vor dem Einsteigen tun. Die Station Tiburtina, an der wir einmal die Eisenbahn bestiegen, war eine große Baustelle - weit und breit kein Automat zum Abstempeln der Billets in Sicht, weder vor, noch im Gebäude, auch auf dem Bahnsteig nicht. Wir stiegen trotzdem zu, denn bezahlte Fahrkarten hatten wir ja bei uns. Kurz vor dem Zielbahnhof erschien dann ein Herr mit amtlicher Uniform am Leib, dem die Aufgabe der Kontrolle schon von weitem anzusehen war. Er musterte stirnrunzelnd unsere ungestempelten Fahrkarten und machte dann mit Gebärdensprache, da er des Englischen nicht mächtig war, deutlich, dass er mit dem Anblick unzufrieden sei. Wir wiederum waren im Italienischen nicht bewandert, abgesehen von Floskeln des Alltags und klärten ihn in mustergültigem Englisch über die Zustände an unserem Einstiegsbahnhof auf. You can punch them now, versicherten wir ihm. Er kramte umständlich einen Zettel aus seiner Tasche, auf dem in fünf Sprachen zu lesen war, dass wir nun pro Person 50 Euro zu bezahlen hätten, weil die Fahrtausweise bei Antritt der Fahrt nicht ordnungsgemäß entwertet worden waren. Ich schüttelte den Kopf. No, Sir, we paid for the tickets, you may do the punching now, or whatever it takes to satisfy you. Er antwortete in seiner Muttersprache und wies mit strengem Zeigefinger auf den Zettel in seiner Hand. Ich widersprach erneut, die beste aller Ehefrauen erklärte ihm noch einmal das Fehlen jeder Entwertungsmöglichkeit am Bahnhof ... so ging es eine Weile hin und her. Schließlich steckte der Uniformierte frustriert seinen Zettel wieder ein und zog seines Weges, um vielleicht anderswo im Zug noch zahlungswillige Schwarzfahrer aufzutreiben, bevor wenige Minuten später der Endbahnhof erreicht war.
Wir sind es als Berliner gewöhnt, dass ein Bus das Ziel hat, das an seiner Stirnseite abzulesen ist. Es erwies sich als trügerisch, in Italien darauf zu vertrauen. Gewisse Zweifel waren uns bereits gekommen, als wir in Rom mit den Bussen unterwegs waren, aber unsere Stammlinie 60 fuhr - je nach Straßenseite der Haltestelle - in die gewünschte Richtung zum Hotel beziehungsweise ins Stadtzentrum, egal was vorne am Bus zu lesen war (falls die Anzeige nicht leer war). Mit einem Bus waren wir am letzten Reisetag vom Flughafen Leonardo da Vinci, wo wir unser Gepäck deponierten, in den am Meer gelegenen Ort Fiumicino gefahren. Von diesem Ort soll in einem späteren Bericht noch die Rede sein. Nach einem Nachmittag am Strand einschließlich Badevergnügen im angenehm temperierten Meer und dem vergeblichen Bemühen, in Fiumicino eine Mahlzeit in einem der zahlreichen Restaurants zu erwerben, wollten und mussten wir zurück zum Flughafen. Die Haltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Haltestelle, an der wir ausgestiegen waren, schien uns der geeignete Platz zu sein, auf einen Bus zu warten. Fahrpläne oder Übersichten über die hier verkehrenden Linien gab es nicht. Schließlich rollte ein Bus heran, auf dessen Stirnseite uns erfreulicherweise Aeroporte entgegen leuchtete. Die Fahrscheine, die man uns im Tabakladen verkauft hatte, gehörten allerdings zu einem anderen Busunternehmen oder waren sowieso keine Busfahrkarten - ein Entwerten am Automaten war unmöglich, da das Format falsch war. Egal, dachten wir, wir haben bezahlt und es sind ja nur zwei oder drei Stationen. Im Verneinen der Erklärungen eines Kontrolleurs waren wir ja mittlerweile geschult, falls es dazu kommen sollte. Der Bus fuhr los und weiter und weiter ... nach Rom. Ein freundlicher Fahrgast erklärte auf Nachfrage, dass der Flughafen keineswegs auf der Strecke dieser Linie lag. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener bewies sich erneut und auf der Stelle. Der Mann erkundigte sich bei anderen Fahrgästen und konnte uns dann sagen, an welcher Station wir in einen Zug zum Flughafen einsteigen konnten. Ein Tabakgeschäft war nicht in Sicht. Natürlich gab es auf dem Bahnhofsgelände keinen Schalter oder Automaten für Fahrscheine. Ich streckte den Kopf durch eine dienstlich anmutende Tür und fragte den Bahnbediensteten, der dort an einem Computerpult saß: Where can we buy train tickets, please? Er erklärte: To the right, leave the station, then turn left, there is a bar. Eine Bar statt einer Tabaccheria? Meinetwegen, dachte ich, fragte aber noch mal nach. Der Bahnhofsaufseher lächelte, stand auf und meinte follow me, worauf er uns bis zur Bar geleitete. Zwielichtige Gestalten tranken daselbst dieses oder jenes, beäugten uns, die wir als Touristen wohl leicht zu erkennen waren, interessiert. Es gab tatsächlich neben Schnaps, Wein und Bier auch Fahrkarten. Die Zeit reichte sogar noch, diese auf dem Bahnsteig ordnungsgemäß abzustempeln, bevor der Zug, der dann tatsächlich wie auf der Anzeigetafel versprochen zum Flughafen unterwegs war, mit uns an Bord abfuhr.
Sonntag, 9. Oktober 2011
Samstag, 8. Oktober 2011
Italienische Erlebnisse /// Die Freundlichkeit von Fremden
Der Flug verlief angenehm, die Ankunft am Fiumicino Flughafen gegen 8 Uhr morgens ebenso und auch der Zug in die Stadt war schnell gefunden und bestiegen. Am Zielbahnhof wollten wir einen Bus zum Hotel nehmen, für die letzten 6 Kilometer. Jedoch: Streik bei den Busfahrern und der U-Bahn.
Das schlaue Mobiltelefon gab über die Fußgängernavigation Auskunft, wie das Hotel in rund 60 Minuten zu erreichen wäre – und da wir gut zu Fuß sind und beide nur je eine Tasche als Handgepäck mithatten, beschlossen wir, in den Vormittag hinein zu wandern und auf dem Weg schon einmal Rom ein wenig kennen zu lernen. Ein leicht mulmiges Gefühl war allerdings dabei, da der Akku des Telefons halb entladen und die Navigation als Stromfresser bekannt war. Dennoch liefen wir los, in der Annahme, jederzeit ein Taxi finden zu können, falls uns der Weg zu lang werden oder der Strom ausgehen sollte.
Rom präsentierte sich dort, wo wir unsere Wanderschaft begannen und fortführten, nicht von einer präsentablen Seite. Müll und Schmutz wohin man auch blickte, Lärm von Baustellen und dem uns noch ungewohnten Straßenverkehr, Bürgersteige, die plötzlich endeten und uns zwangen, die Fahrbahn zu begehen … aber tapfer hielten wir durch, obwohl die Hitze merklich zunahm.
Die Navigation führte uns in eine recht verlassene Gegend, eine Brücke wäre zu überqueren gewesen – jedoch erwies sich das als unmöglich. Der Zugang war Privatgelände, eingezäunt. Ein aufmerksamer Bewohner belehrte uns, dass an dieser Stelle finito sei, keinesfalls könne man an den Brückenaufgang gelangen. Noch etwas skeptisch umrundeten wir das eingezäunte Gebiet, um dann mit eigenen Augen zu sehen, dass tatsächlich alles abgesperrt war.
Mittlerweile waren wir über eine Stunde unterwegs, durstig, verschwitzt (die Temperatur hatte sich auf rund 28 Grad im Schatten eingepegelt) und nun mussten wir ein gutes Stück zurück gehen, um über eine größere Straße zu einer anderen Brücke zu gelangen. Als wir die Straße erreichten, verabschiedete sich das Mobiltelefon, da der Akku nun so leer war wie der Hundenapf nachdem Max, der in Berlin geblieben war, sich bedient hat. Immerhin wussten wir noch, in welche Richtung wir zu gehen hatten.
Straßen ohne Gehweg, Staub, Durst, das Gepäck mit jedem Schritt schwerer – nach 90 Minuten Wanderung war uns klar, dass nur noch ein Taxi helfen konnte. Jedoch: Es war keines zu sehen, nirgendwo, so lange wir auch weiter wanderten. An einer Tankstelle baten wir schließlich darum, uns ein solches zu rufen. Der Tankwart wusste zwar die Telefonnummer, aber er hatte wohl kein Telefon oder wollte es nicht benutzen. Mangels Strom im eigenen Telefon kam ein Anruf sowieso nicht in Frage, abgesehen davon, dass wir keine Ahnung hatten, wo wir uns befanden und wie wir das dem Taxifahrer erklären sollten. Ein Kunde an der Tankstelle kramte sofort sein Telefon aus der Tasche und bemühte sich längere Zeit, uns behilflich zu sein, aber er bekam keinen Anschluss über das Funknetz. Schließlich riet er uns, etwa 50 Meter weiter in einer Bar zu fragen.
Der Barkeeper war sofort und ohne Umstände hilfsbereit. Sein Festnetztelefon funktionierte, aber er bekam über mehr als 20 Minuten nur immer den Hinweis zu hören, dass es keine freien Taxis in der Region gäbe. Kein Wunder eigentlich, da ja Bus und U-Bahn streikten. Unverdrossen probierte er es weiter, unterhielt sich mit mehreren Kunden über unsere Angelegenheit und versicherte uns immer wieder: We will take care of your problem!
Soweit ich es mitbekam, gelang es schließlich einem der Barbesucher, über sein Mobiltelefon einen Freund zu erreichen, der sich in Bahnhofsnähe befand und von dort aus auf unerforschliche Weise einen Taxifahrer bewegen konnte, in der Bar anzurufen. Freudestrahlend verkündete unser freundlicher Barkeeper schließlich: Your taxi will be here in 20 minutes!
Wir bedankten uns herzlich und warteten dann, den Durst einigermaßen gestillt, vor der Bar. Nach einer Weile, die den 20 Minuten noch recht ähnlich war, fuhr tatsächlich ein leeres Taxi heran, allerdings hielt es nicht bei der Bar, sondern fuhr in die Tankstelle. War das doch nicht unser Wagen? Egal, dachten wir, es ist ein Taxi ohne Fahrgäste, also los! Der Fahrer stieg aus und kam uns entgegen – I didn’t find the bar, but this is your car.
Die Adresse unseres Hotels, Via Cilento, war dem Fahrer unbekannt. Er kramte seine Lesebrille aus dem Handschuhfach, um unseren Zettel mit der Anschrift des Hotels zu studieren. Er unterhielt sich anschließend mit seiner Zentrale und hatte dann wohl eine ungefähre Ahnung, wohin er fahren musste. Mit rund 60 Stundenkilometern ging es dann ab in den Verkehr, der an sich schon beunruhigend war. Als der Fahrer, ohne abzubremsen oder gar anzuhalten, seine Lesebrille aufsetzte, einen Stadtplan auf dem Lenkrad deponierte und eifrig die Via Cilento suchte, war der Moment für mich gekommen, nach dem Haltegriff über der Tür zu greifen und diesen bis zum Ziel nicht mehr loszulassen.
Wer noch nicht in Rom unterwegs war, kann sich vermutlich den Verkehr nicht vorstellen. Es gelten keine Regeln, sondern Geschicklichkeit ist Trumpf, tausende von Motorrollern schlängeln sich – gerne auch auf der Gegenfahrbahn – zwischen den Autos durch, Zebrastreifen sind lediglich Ornamente, damit der Asphalt nicht so eintönig aussieht, auch eine Ampel, die für die Fußgänger grün zeigt, hat keine Bedeutung. Es gibt kaum einmal ein Auto zu sehen, das keine Beulen und Kratzer hat, auch neue Modelle zeigen an den Kotflügeln und Stoßstangen, dass ihre Fahrer sich bereits durch Rom bewegt haben. Unser Taxi kam allerdings ohne Rempelei schließlich vier Stunden nach der Landung in der Nähe unseres Hotels an, und wir stiegen glücklich und erschöpft aus.
Die Freundlichkeit von Fremden hatte uns geholfen, als wir rat- und kraftlos schon am ersten Vormittag in Rom in einer Bar gestrandet waren. Die italienische (oder römische) Hilfsbereitschaft sollten wir in den nächsten Tagen noch mehrfach erleben.
Sonntag, 2. Oktober 2011
Samstag, 1. Oktober 2011
A
Am Anfang ahnte Anton Aufstiegschancen. Aufgaben anderer Angestellter annektierte Anton als Arbeitsgebiet, allen Anschein artiger Anstrengung als anstehender Abteilungsleiter aufrechterhaltend.
Andrea andererseits achtete allezeit auf Ausgleich. Arbeitsam, aber auch auf Anzeichen anschwellender Anspannung achtend; aß Ananas als Aufbaukost, ausgleichende Abendgymnastik anwendend, anmutiges Aussehen anstrebend.
Als Analysen anstanden, arbeiteten alle Angestellten angestrengt. Allerseits argwöhnten aufgeregte Arbeitnehmer: Analysten? Alles abgefeimte Arschlöcher!
Aalglatt antwortete Anton auf Ausfragungen; Ausreden aufzählend arrangierte Anton Andreas Abgang. Ach Anton! Arglistiger Angeber!
Andrea ahnte Antons abgrundtiefe Arglist. Arithmetische Aufstellungen, angepasste Absatsziele, aufgestockte Anforderungen, astronomische Ansprüche an Arbeitseifer ... Abscheu abwehrend antwortete Andrea angepasst an Abläufe, achtete Anton aber andererseits als artverwandten Angefeindeten; artikulierte Antworten also achtungsvoll, Afterreden ausweichend, angemessenen Anstand aufrechterhaltend. Ach Andrea! Anständige Außenseiterin.
Andrea atmete auf, als anderntags alle Abbruch ankündigten.
Anton atmete angestrengt, abgrundtiefen Absturz ahnend.
Am Abend, als alle Analysen abgeschlossen, angewendet, ausgewertet am Aushang angepinnt Auskunft ankündigten, annonciert Analystenmund: Anton arbeitslos, Andrea Abteilungsleiterin.
Ach, allerliebster Ausgang ahnungsschwangerer Aufregungen!
Amen