»Da sind ja noch diese Fragmente, Ideen, Notizen ...«, sagte ich zu mir. »Vielleicht, falls ich mich doch nicht endgültig leergeschrieben habe, kann ja daraus etwas entstehen.«
»Und was sind das so für Notizen, Fragmente oder Ideen?«, fragte ich mich.
Ich schaute mir ein paar Dokumente aus dem Verzeichnis unfinished an und zählte auf: »Ein angefangener Text über den Zweifel oder das Zweifeln. Eine angefangene erotische Geschichte. Ein Dokument, in dem nichts weiter steht als Nur weil du durch die Wüste wanderst, heißt das noch lange nicht, dass es ein verheißenes Land gibt. Ein angefangener Text mit dem Titel Herr K. besucht einen Hauskreis. Der mörderische Anfang einer Kurzgeschichte dann ein paar Fragezeichen. Ein Sachtext zur Frage, ob, und wenn ja, warum und wann Gott seine Meinung, seinen Charakter geändert hat. Und ein Dokument mit halben Sätzen, ganzen Sätzen, einzelnen Wörtern, aus denen vielleicht mal etwas hätte werden sollen. Aber jetzt habe ich mich ja leergeschrieben.«
»Erotische Geschichte - das klingt doch gut. Warum nicht an der arbeiten?«
»Da müsste ich«, versicherte ich mir, »zuerst ein Pseudonym ersinnen. Ein weibliches.«
»Ach.«
»Erotische Geschichten sind nur erfolgreich, wenn sie von einer Autorin stammen. Zumindest angeblich. Es muss ein weiblicher Name drüberstehen. Oder drunter. Hauptsache, eine Frau hat es geschrieben.«
»Ach was.«
»Das weiß doch jeder.«
»So.«
»Klauen wir schon wieder bei Loriot?«. fragte ich mich leicht zynisch.
»Nein nein nein! Worte wie ach oder so oder was sind allgemeiner Wortschatz.«
»Egal. Jedenfalls wird das nichts mit der erotischen Geschichte. Der Schauplatz funktioniert nicht, das weiß ich schon nach den ersten beiden Szenen. Mehr habe ich daher auch nicht geschrieben.«
»Dann ändere den Schauplatz.«
»Mir fällt kein anderer ein. Ich habe mich leergeschrieben.«
»Dann fang was ganz Neues an. Fabeln erzählen, oder Märchen. So mit allem drum und dran, Prinzessinnen, Drachen, vielen Bösewichtern und einem strahlenden Helden.«
Ich schüttelte den Kopf. »Och nö, macht keinen Spaß.«
»Seeräubergeschichten.«
»Nö.«
»Science Fiction. Raumschiffe, Außerirdische und so weiter.«
»Nie und nimmer! Ich habe mich gerade durch 1312 Seiten Frank Schätzing gearbeitet, und das war überwiegend mühsam. Von Raumschiffen und Helium 3, fliegenden Autos und Chinesen auf dem Mond habe ich erst mal die Nase voll.«
»Dann mach doch etwas ganz anderes. Bilder malen, Fotokunst herstellen, einer politischen Partei beitreten ...«
»Ja ja. Ich werde Bundeskanzler.«
Ich grinste meinen Bildschirm an, auf dem immer noch das Verzeichnis unfinished mit den diversen Dokumenten zu sehen war. Politisch durchaus interessiert mochte ich mich doch nicht in die Sachzwänge und Programmvorgaben einer bestimmten Partei einfügen müssen. Selbst der parteilose Finanzsenator in Berlin muss schließlich den Vorgaben des Herrn Regierenden Partymeister Wowereit folgen. »Och nö«, sagte ich mir, »den Job dürfen gerne andere Menschen übernehmen.«
»Du weißt aber auch nicht, was du willst.«
»Doch. Schreiben will ich. Aber ich habe mich nun mal leergeschrieben.«
»Dafür, dass du dich leergeschrieben hast, tippst zu eine Menge Buchstaben und Satzzeichen.«
Ich musste mir irgendwie recht geben, so schwer es mir auch fiel. »Ja ja, schon ...«
»Und wenn du diese Dateien so betrachtest, hast du doch insgeheim schon wieder Ideen, wie dieses oder jenes weitergehen könnte.«
»Ja ja, schon ...«
»Also hör auf zu jammern und fang an zu schreiben.«
»Aber welches Dokument soll ich denn als erstes aufgreifen?«
»Was hätten deine Blogbesucher denn gerne?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Also das ist ja nun wirklich eine blöde Frage.«
»Stimmt.«