Mir fiel die Antwort leicht, denn Epheser 2, 8-9 hat mich am Beginn meines Glaubenslebens tief angesprochen und berührt und ist noch heute, 35 Jahre später, eine der Schlüsselstellen in der Bibel für mich. Wie das damals geschah, habe ich in einem Buch geschildert. Hier die entsprechenden Absätze:
Mit dem 1. Januar 1973 begann ein langer harter Weg für Johnny. Diesmal sagte er niemandem, dass er sich für den Weg mit Jesus entschieden hatte. Er begann noch in der Nacht in seinem Bett, in der Bibel zu lesen, kam mit zum Neujahrsgottesdienst, saß in der letzten Reihe und verschwand gleich nach dem Ende, bevor ihn jemand ansprechen konnte. Er war nicht sicher, ob Gott ihn gehört und angenommen hatte. Er war nicht sicher, ob er es schaffen würde, diesen Weg zu gehen. Nichts war sicher, außer, dass er schon mehr als einmal versagt und alles hingeworfen hatte.Gott ist gut. Punkt.
Das Drogenproblem war gar keines. Er hatte keinerlei Verlangen, weder nach Trips noch nach den sogenannten weichen Drogen. Am 3. Januar spülte er vier Trips, die er noch im Schubfach hatte, im Klo hinunter. Kein Entzug, keine Probleme. Von heute auf morgen.
Sein zynischer Charakter, der bis zur Brutalität boshaft sein konnte, seine Ausbrüche von Jähzorn, seine Verschlossenheit veränderten sich dagegen sehr langsam.
Sein Schweigen über das, was tief in ihm vorging, blieb. Er wehrte sich noch lange gegen jegliche Gefühle. Das Eis in seinem Herzen war so hart geworden, dass es Monate und Jahre dauerte, bis es zu schmelzen begann.
Er besuchte die Jugendmeetings und die Gottesdienste, vermied aber einsilbig jeden näheren Kontakt. Er sträubte sich hartnäckig dagegen, Zuneigung und Liebe zu empfangen.
Bis Anfang Februar zweifelte er daran, dass Gott ihn so ohne weiteres akzeptiert hatte, er ging davon aus, dass er sich erst einmal gehörig ändern und bewähren müsste. Wenn er irgendwann ein einigermaßen normaler, netter Junge geworden war, konnte er damit rechnen, dass Gott sich näher mit ihm beschäftigen würde.
Im Jugendmeeting stand eine Bibelarbeit über den Epheserbrief auf dem Programm. Robin hatte sich vorbereitet und leitete das Gespräch. Reihum las man jeweils ein paar Verse und sprach über den Inhalt. Den achten und neunten Vers aus dem zweiten Kapitel sollte Johnny vorlesen.
Sie trafen ihn wie eine direkte Ansprache von ganz oben, als Antwort auf seine nie ausgesprochene, aber in ihm bohrende Frage, was er tun müsse, um Gott zu gefallen.
Laut und deutlich las er vor: „Denn aus Gnade seid ihr gerettet worden, durch den Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf dass sich nicht jemand rühme.”
Johnny überlegte gar nicht, was er tat. Er las die beiden Verse drei Mal hintereinander laut vor. Die anderen warteten geduldig, ob eine vierte Lesung folgen würde.
Johnny blickte auf, sah Robin an und fragte: „Stimmt das? Stimmt das wirklich?”
Robin erklärte es. Johnny begriff: er brauchte nichts tun, war bereits Gottes Kind, aus Gnade, ohne eigenes Zutun. Mehr behielt er nicht von diesem Abend im Kopf, aber an das Geschehnis erinnerte er sich sein ganzes Leben, weil es alle Zweifel, ob Gott ihn wirklich lieben konnte, beseitigen half. Gott konnte, stand hier in seiner Bibel.
Johnny wollte hundertprozentige Gewissheit, zu Hause betete er um ein Zeichen, wollte sich etwas Schwieriges wünschen, damit er sicher sein konnte, dass es wirklich Gottes Antwort war. Dass er, Johnny, gemeint war, und nicht nur irgendwelche Gläubigen vor 2000 Jahren in Ephesus.
Eins war ihm aufgefallen, seit Monaten: Kinder, kleine Kinder vor allem, hatten Angst vor ihm, ob sie ihn kannten oder nicht. Es war mehr als die natürliche Scheu vor Fremden. Sie verbargen sich hinter ihren Eltern, flohen vor ihm, wenn er zufällig in ihre Nähe kam. Es mochte sein, dass er eine so finstere Ausstrahlung bekommen hatte, dass die Kinder es spürten.
Nun bat er Gott: „Wenn es nicht zu unverschämt ist, würde ich sehr gerne eine Bestätigung haben. Lass mich Sonntag früh bitte irgendwie bemerken, dass ein Kind keine Angst vor mir hat. Ein fremdes, möglichst. Ja? Tust du das bitte für mich, Herr?“
Vermutlich lächelte Gott und beschloss, es so klar wie möglich zu machen.
Im Sonntagsgottesdienst saß Johnny auf seinem gewohnten Platz in der hintersten Reihe. Ein Krabbelkind rutschte während der Predigt drei Reihen weiter vorne vom Schoß seiner Mutter, kroch unter den Stühlen durch und kletterte auf Johnnys Schoß. Dort kuschelte es sich zufrieden in seinen Arm und döste ein.
Die Mutter sah sich ein paar Mal nach ihrem Kind um, aber Johnny bedeutete ihr mit einem glücklichen Lächeln, dass er ganz zufrieden damit war, das inzwischen tief und friedlich schlafende Kind zu halten.
Die Predigt war wieder sehr lang, es schloss sich noch eine Gebetszeit an. Die Kinderstunde war bereits zu Ende, während die Erwachsenen und Jugendlichen noch im Saal saßen.
Vier Kinder, zwischen 4 und 7 Jahren, dachten gar nicht daran, nach ihren Eltern zu suchen, sie machten es sich bei Johnny bequem. Ein Mädchen lehnte sich an seinen rechten Arm, ein Junge ließ sich zu seinen Füßen nieder, ein Zwillingspärchen rangelte darum, sich an Johnnys linke Seite zu lehnen. Alle wollten so nah wie möglich bei ihm sein.
Dass ihm die Tränen über die Wangen liefen, bemerkte er kaum.
Die Kleine an seiner rechten Seite holte ein ziemlich verdrecktes Taschentuch aus ihrer Hosentasche und wischte ihm sorgfältig die Wangen ab.
„Willst du einen Bonbon?” flüsterte sie in sein Ohr, weil die Erwachsenen ja noch beteten.
„Nein, danke”, flüsterte er zurück.
„Dann brauchst du auch nicht mehr zu weinen”, stellte sie mit ihrer unschlagbaren Logik fest. „Wenn ich wirklich traurig bin, gibt mir Mama einen Bonbon, und dann freue ich mich wieder. Wenn Du keinen Bonbon willst, bist du also nicht traurig.”
„Ich bin nicht traurig. Ich weine, weil ich mich freue.”
Damit war die Kleine ganz und gar zufrieden. Umringt von Kindern, ein friedlich schlummerndes Exemplar auf dem Schoß, verfolgte Johnny den Rest des Gottesdienstes.