Die vorherigen beiden Folgen: [Teil 1] / [Teil 2]
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Sie antworten ihm: »Ja, das wissen wir.«
Was wussten sie da eigentlich? Der Begriff ist uns kaum geläufig. Man kannte bei den Juden und bei den Besatzern unterschiedliche Götter, das ist ja heute nicht anders zwischen verschiedenen Völkern. Pilatus hatte bereits vorher in dieser Verhandlung auf seine Götterwelt hingewiesen, als es um die Heilungskraft des Asklepios ging. Die Gattin des Statthalters, das können wir aus diesem Begriff »judaisieren« schließen, glaubte dagegen an den Gott der Juden, obwohl sie keine Jüdin war.
Pilatus fuhr fort: »Hört zu, eben schickte meine Frau und ließ mir sagen: Habe du nichts mit diesem Gerechten zu tun! Denn ich habe in der Nacht viel seinetwegen ausstehen müssen.«
Da antworten sie, fast nie um eine neue Anklage verlegen, dem Pilatus: »Haben wir dir nicht gesagt, dass er ein Magier ist? Siehe, da hat er zu deiner Frau einen Traum geschickt.«
Pilatus hatte nun die Nase voll von diesen widerborstigen Synagogenleuten. Er hatte genug von ihnen gehört. Er rief Jesus zu sich und fragte ihn: »Was bezeugen diese wider dich? Sagst du nichts dazu?«
Jesus antwortete: »Stünde es nicht in ihrer Macht, so würden sie nichts vorgebracht haben. Denn jeder hat Macht über seinen Mund, zu reden Gutes und Böses. Da sollen sie selbst zusehen.«
Die Ältesten mischten sich sofort ein: »Was sollen wir sehen? Erstens, dass du aus Hurerei geboren bist, zweitens, dass deine Geburt den Tod der Kindlein von Bethlehem bedeutet hat, drittens, dass dein Vater Joseph und deine Mutter Maria nach Ägypten geflohen sind, weil sie bei den Leuten nichts galten.«
Diese Beleidigungen blieben selbst aus den Reihen der Juden nicht ohne Widerspruch, einige gewissenhafte Männer erklärten: »Wir bestreiten, dass er aus Hurerei stammt; wir wissen, dass Joseph Maria geheiratet hat und er nicht aus Hurerei geboren ist.«
Es ist uns heutzutage nicht mehr so recht nachvollziehbar, warum eine uneheliche Geburt etwas über den Wert des Menschen aussagen soll – aber damals war das ein schwerwiegender Vorwurf. Als könne ein Kind etwas dafür, unter welchen Umständen es geboren wurde. Doch zurück zum Gerichtssaal – hier war nun ein neuer Streitpunkt gefunden.
Pilatus sagte zu denen, die behauptet hatten, er stamme aus Hurerei: »Eure Aussage entspricht nicht der Wahrheit; denn eine Vermählung hat stattgefunden, wie eure eigenen Volksgenossen zugeben.«
Dem widersprachen die beiden Wortführer Annas und Kaiphas: »Wir, die ganze Volksmenge, schreien und finden keinen Glauben, dass er aus Hurerei stammt! Diese da sind Proselyten und Schüler von ihm.«
Pilatus wollte sich keine Blöße geben, daher rief er Annas und Kaiphas zu sich und fragte sie leise: Was ist das, Proselyten?«
Sie antworten: »Proselyten wurden geboren als Kinder von Griechen und sind jetzt Juden geworden.«
Da stimmte zwar sachlich als Erklärung des Begriffes, wobei man ganz allgemein Ausländer oft als Griechen bezeichnete, aber es stimmte eben nicht bezüglich des Vorwurfes. Nun erklärten die, welche gesagt hatten, dass er nicht aus Hurerei stamme, nämlich Lazarus, Asterius, Antonius, Jakobus, Amnes, Zeras, Samuel, Isaak, Phinees, Krispus, Agrippa und Judas: »Wir sind nicht als Proselyten geboren, sondern wir sind Kinder von Juden und reden die Wahrheit. Denn wir sind bei der Hochzeit von Joseph und Maria anwesend gewesen.«
Pilatus rief diese zwölf Männer heran und verlangte: »Ich nehme euch einen Eid ab beim Heil des Kaisers, dass eure Aussage, er sei nicht unehelich geboren, wahr ist.«
Sie waren ja alle fromme Juden, diese zwölf wie die anderen, also galt es, einen klugen Ausweg aus der Zwickmühle zu finden. Sie erklären: »Wir haben ein Gesetz, nicht zu schwören, da es eine Sünde ist. Annas und Kaiphas aber sollen beim Heil des Kaisers schwören, dass es sich nicht so verhält, wie wir es sagten. Dann wollen wir des Todes sein.«
Damit war der schwarze Peter bei den beiden Hohepriestern gelandet. Die konnten nun ihrerseits entweder – was Sünde war – schwören, oder zugeben, dass der Vorwurf der unehelichen Geburt Unfug war. Annas und Kaiphas blieben stumm. Das war ausgesprochen dumm gelaufen.
Pilatus fragte nach einer Weile: »Wie, ihr antwortet nichts darauf?«
Die beiden vermieden eisern den Eid und schimpften missmutig: »Diesen zwölf Männern wird geglaubt, er entstamme nicht der Hurerei. Wir aber, das ganze Volk, schreien, dass er aus Hurerei geboren und ein Magier ist und behauptet, er sei Sohn Gottes und König, aber man glaubt uns nicht.«
Eine ziemlich freche Behauptung, dass die beiden – nicht zum ersten Mal in diesem Prozess – für sich in Anspruch nahmen, lediglich das vorzutragen, was angeblich das ganze Volk schrie. Die Anwesenden wussten es ja schließlich besser. Immerhin war es Annas und Kaiphas gelungen, wieder auf den ursprünglichen Anklagepunkt zurückzukommen statt über den vom Statthalter verlangten Schwur weiter nachzudenken.
Pilatus, der nicht zuletzt wegen der warnenden Botschaft seiner Frau auf keinen Fall etwas falsch machen wollte, schickte die ganze Menge hinaus außer den zwölf Männern, die Jesu uneheliche Geburt bestritten, und auch Jesus ließ er absondern.
Als sie unter sich waren, fragte er: »Aus welchem Grunde wollen diese Leute ihn töten?«
Sie antworten ihm wahrheitsgemäß: »Sie ereifern sich, weil er am Sabbat heilt.«
Pilatus fragte fassungslos nach: »Wegen eines guten Werkes wollen sie ihn töten?«
Sie erwidern schlicht: »Ja.«
Pilatus wurde von Zorn erfüllt, heißt es in dem Bericht, heute würde man vielleicht sagte, er war stinksauer. Das ganze Verfahren, das er weder gewollt hatte noch sinnvoll fand, war ihm inzwischen zuwider. Er ging hinaus aus dem Praetorium und erklärte den wartenden Anklägern in harschem Ton: »Ich nehme den Sonnengott zum Zeugen, dass ich keine Schuld an diesem Menschen finde.«
Sofort hagelte es Widerspruch: »Wäre dieser nicht ein Verbrecher, so hätten wir ihn dir nicht übergeben.«
Pilatus hatte wirklich die Nase voll: »Nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz«, fertigte er die Pharisäer ab.
Die gaben nicht auf. Sie erklärten: »Uns ist es nicht möglich, jemanden zu töten.«
Pilatus blieb nur der Sarkasmus: »Euch hat also Gott verboten zu töten, mir aber erlaubt?«
Er ließ die wütende Meute stehen und ging wieder ins Praetorium, rief Jesus gesondert zu sich und fragte ihn: »Du bist der König der Juden?«
Jesus antwortete: »Fragst du das aus dir selbst, oder haben andere dir das von mir gesagt?«
Pilatus meinte: »Ich bin doch kein Jude! Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überliefert. Was hast du getan?«
Jesus antwortete nicht auf die Frage, denn was er getan hatte, war ja bereits zur Sprache gekommen. Er hatte Kranke geheilt. Am Sabbat. Pilatus wollte im Grunde von ihm hören, ob er ein König sei. Jesus antwortete ihm: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Denn wäre mein Reich von dieser Welt, so würden meine Diener für mich streiten, damit ich den Juden nicht ausgeliefert würde. Nun aber ist mein Reich nicht von hier.«
Pilatus konnte das Ganze nicht verstehen, ein Reich von dieser Welt oder nicht von dieser Welt, ein König ohne Reich oder wie auch immer, das war alles zu verworren. Er wollte eine klare Antwort und fragte noch einmal nach: »Bist du also ein König?«
Jesus antwortete: »Du sagst es, dass ich ein König bin. Denn dazu bin ich geboren und gekommen, damit jeder, der aus der Wahrheit ist, meine Stimme höre.«
Pilatus, immer mehr von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, gewarnt durch die Botschaft seiner Frau, musste sich überlegen, ob er hier womöglich mit Blindheit geschlagen war. Er sah keinen König, kein Reich. Aber er sah einen Gerechten, einen Menschen, der Gutes tat. Machte das einen König aus dem Angeklagten? Irgendwie fehlte es Pilatus an Verständnis. Er fragte: »Was ist Wahrheit?«
Jesus erklärte: »Die Wahrheit stammt vom Himmel.«
Daraufhin wollte Pilatus, weil er sich ja nun wirklich darum bemühte, die Wahrheit zu verstehen und zu einem gerechten Abschluss der Angelegenheit zu kommen, wissen: »Gibt es auf Erden keine Wahrheit?«
Jesus erinnerte ihn an das, was gerade vor sich ging: »Du siehst doch, wie die, welche die Wahrheit sagen, von den irdischen Machthabern gerichtet werden.«
So Unrecht hatte Jesus damit ja nicht, gerade dieser Prozess schien darauf hinauszulaufen. Pilatus ließ Jesus im Praetorium zurück, denn eine Antwort auf diese Bemerkung wollte er nicht geben und ein Urteil schon gar nicht fällen. Er ging hinaus zu den Wartenden und stellte nicht zum ersten Mal fest: »Ich finde keine Schuld an ihm.«
Prompt hatten die Ankläger, da sie mit den bisherigen Vorwürfen offensichtlich nicht weiter kamen, eine neue Variante parat: »Er hat gesagt: Ich kann diesen Tempel zerstören und ihn in drei Tagen wieder aufbauen.«
Der Themenwechsel verblüffte Pilatus: »Welchen Tempel?«
»Den Salomo in 46 Jahren gebaut hat. Er aber sagt, er zerstöre ihn und baue ihn wieder auf in drei Tagen.«
Mehr und mehr hatte Pilatus genug von diesem ganzen Unfug. Er dachte gar nicht daran, diesen hanebüchenen neuen Anklagepunkt auch nur anzunehmen. Niemand hatte den Tempel abgerissen, er stand mitten in der Stadt, und auf die bloße Behauptung hin, das in drei Tagen hinzubekommen, war keine Verurteilung denkbar. Jeder konnte so etwas behaupten, erst der Versuch, den Tempel wirklich abzureißen, wäre strafbar gewesen. Er erklärte: »Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten. Da mögt ihr zusehen!«
Die Schriftgelehrten und Pharisäer erwiderten störrisch: »Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!«
Pilatus ging wieder in seinen Gerichtssaal. Irgendwie musste er ja die Sache zu einem Ende bringen. Er rief die Ältesten, Priester und Leviten zu einer vertraulichen Besprechung und beschwor sie: »Handelt nicht so! Nichts, dessen ihr ihn bezichtigt, ist des Todes würdig. Denn eure Anklage lautet auf Krankenheilung und Sabbatschändung.«
Die Ältesten, Priester und Leviten entgegneten mit einer neuen List: »Wenn einer den Kaiser lästert, ist er des Todes schuldig oder nicht?«
Pilatus kannte die Gesetze: »Er ist des Todes schuldig«, bestätigte er.
Darauf hatten die Ankläger gehofft: »Wenn einer den Kaiser lästert, ist er des Todes schuldig, er aber hat Gott gelästert.«
Darauf befahl der Statthalter entnervt den Anklägern, aus dem Praetorium hinauszugehen, rief Jesus zu sich und fragte ihn: »Was soll ich mit dir tun?«
»Wie es in deine Macht gegeben wurde.«
»Wie wurde es in meine Macht gegeben?«
Jesus blieb ruhig und sagte: »Moses und die Propheten haben meinen Tod vorherverkündet, und meine Auferstehung.«
Die Juden hatten gelauscht und alles gehört. Sie kamen nach diesen Worten prompt in den Saal gestürmt und fragten Pilatus: »Was hast du davon, diese Lästerung anzuhören?«
Pilatus fertigte sie ab: »Wenn diese Rede eine Lästerung ist, so nehmt ihr ihn doch, führt ihn in eure Synagoge und richtet ihn nach eurem Gesetz!«
Sie antworteten: »In unserem Gesetz steht: Wenn ein Mensch sich gegen einen Menschen verfehlt, so soll er 40 Schläge weniger einen erhalten, wer aber Gott lästert, soll durch Steinigung gesteinigt werden.«
Pilatus ging ausschließlich das römische Gesetz etwas an, er wiederholte nur: »Nehmt ihr ihn doch und bestraft ihn nach eurem Belieben!«
Damit kehrte die ganze kafkaeske Veranstaltung zum Anfangspunkt zurück. Die Männer beharrten darauf: »Wir wollen, dass er gekreuzigt werde.«
Pilatus blieb standhaft: »Er verdient den Kreuzestod nicht.«
Er schaute sich die herumstehenden Menschen an. Er sah, wie viele von den Juden weinten, und stellte fest: »Nicht das ganze Volk will, dass er sterbe.«
Die Ältesten aber erklärten stur mit der gleichen Anmaßung wie zuvor: »Deshalb sind wir, das ganze Volk, gekommen, damit er sterbe.«
Ja ja, das ganze Volk seid ihr paar Angeber, mag Pilatus gedacht haben. Einen nach dem anderen Punkt hatten sie vorgetragen, von der Behauptung, Jesus hielte sich für einen König über die Missachtung des Sabbat und die angebliche Fähigkeit, ein riesiges Gebäude in drei Tagen abreißen und aufbauen zu können bis zur unehelichen Geburt. Aber alles, was diese Menschen, die sich für das ganze Volk hielten, gesagt hatten, war keine Bestrafung, schon gar nicht eine Hinrichtung wert. Noch einmal fragte Pilatus die Ankläger: »Weshalb soll er sterben?«
Sie antworten: »Weil er sich Sohn Gottes und König genannt hat.«
Nun trat Nikodemus, der bisher geschwiegen hatte, vor den Statthalter und sagte mit ruhiger, aber fester Stimme: »Ich bitte, Verehrungswürdiger, mir wenige Worte zu gestatten.«
Pilatus war inzwischen kurz angebunden: »Sprich!«
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Na endlich, lieber Nick, du hast ja ganz schön lange nur zugehört. Wir sind gespannt, was du zu sagen hast…
Fortsetzung? Na klar, die folgt.