Berta: Herrmann?
Hermann: Ja?
Berta: Was machst du da?
Hermann: Nichts!
Berta: Nichts? Wieso nichts?
Hermann: Ich mache nichts!
Berta: Gar nichts?
Hermann: Nein.
Berta: Überhaupt nichts?
Hermann: Nein, ich sitze hier!
Berta: Du sitzt da?
Hermann: Ja.
Berta: Aber irgendwas machst du doch!
Hermann: Nein.
~Loriot – Szenen einer Ehe
Wir wissen doch sicher alle, wie man nichts tut, oder? Wir können herumlungern und Zeit verschwenden. Aber für viele Menschen heißt das noch lange nicht, dass sie sich dabei auch entspannen. Wir sind viel zu beschäftigt, um öfter mal Muße zu suchen, und wenn wir dann tatsächlich mal nur so auf dem Sofa sitzen oder liegen, sind unsere Gedanken immer noch mit tausend Dingen beschäftigt. Entspannen und das Nichts genießen - das fällt den meisten Menschen schwer.
Nichtstun kann reine Zeitverschwendung sein, genauso aber auch eine hohe, gesundheitsfördernde, wertvolle Kunst. In diesem Beitrag geht es um ein paar Schritte auf dem Weg zur Meisterschaft im Nichtstun. Schritte, mit denen die Lebensqualität deutlich erhöht, Stress vermindert und - das mag manche überraschen - die Produktivität bei der Arbeit gesteigert werden kann.
Berta: Also was willst du denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Du kannst einen ja wahnsinnig machen!
Hermann: Ach.
Berta: Erst willst du spazieren gehen, dann wieder nicht. Dann soll ich deinen Mantel holen, dann wieder nicht. Was denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Und jetzt möchtest du plötzlich da sitzen!
Hermann: Gar nicht plötzlich. Ich wollte immer nur hier sitzen!
Berta: Sitzen?
Hermann: Ich möchte hier sitzen und mich entspannen!
~Loriot – Szenen einer Ehe
Klein anfangen
Das Nichtstun im wahrsten Sinne des Wortes kann überwältigend sein, wenn man sich auf Anhieb zu viel des Guten zumutet. Es empfiehlt sich, mit dem kleinen Nichts zu beginnen: Nur fünf bis zehn Minuten, und zwar zu Hause oder an einem anderen abgeschirmten Ort, aber nicht am Arbeitsplatz oder in der Öffentlichkeit. Am Anfang sind Wohnzimmer oder Schlafzimmer die geeignetsten Orte, zumal Ablenkungen, Unterbrechungen, Lärm oder andere Störfaktoren so weit wie es nur geht ausgeschlossen sein sollten. Logisch: Telefon, Fernseher, Computer schaltet man aus, bevor das kleine Nichts dran kommt. Aber man sollte auch nicht in zehn Minuten Besuch erwarten oder damit rechnen müssen, dass jeden Moment jemand hereinkommen könnte.
Nun legt oder setzt man sich hin, schließt man die Augen und tut nichts. Natürlich wird der eine oder andere - wie Berta im Loriot-Sketch - sofort sagen, dass man doch etwas tut, nämlich da sitzen oder da liegen. Und die Augen zumachen. Aber Berta hat uns in diesen Minuten nichts zu sagen, denn wir tun wirklich nichts und versuchen auch, die möglicherweise noch herumschwirrenden Gedanken zur Ruhe zu bringen.
Nach fünf bis zehn Minuten reicht es erst einmal. Man steht auf und tut etwas, ganz bewusst. Zum kleinen Anfang gehört Übung: Wer es schafft, täglich ein bis zwei Mal solch ein kleines Nichts in den Tagesablauf einzubauen und dabei dann wirklich völlig abzuschalten, hat die erste Stufe erklommen.
Berta: Jetzt hättest du doch mal Zeit irgendwas zu tun, was dir Spaß macht!
Hermann: Ja.
Berta: Liest du was?
Hermann: Im Moment nicht!
Berta: Dann lies doch mal was!
Hermann: Nachher, nachher vielleicht!
Berta: Hol dir doch die Illustrierten!
Hermann: Ich möchte erst noch etwas hier sitzen.
Berta: Soll ich sie dir holen?
Hermann: Nein, nein. Vielen Dank.
Berta: Will sich der Herr auch noch bedienen lassen, was. Ich renne den ganzen Tag hin und her. Du könntest wohl einmal aufstehen und dir die Illustrierten holen!
Hermann: Ich möchte jetzt nicht lesen!
Berta: Mal möchtest du lesen, mal nicht.
Hermann: Ich möchte einfach hier sitzen.
~Loriot – Szenen einer Ehe
Atmen
Auf dem Weg zur Meisterschaft nehmen wir uns nun das Atmen vor. Wer meint, das klänge verdächtig nach Meditation, der möge diesen Gedanken gleich beerdigen. Wir wollen jetzt nicht Verdacht schöpfen, sondern nichts tun.
Es geht einfach darum, langsam und bewusst ruhig ein- und auszuatmen. Man lernt es, die eingeatmete Luft zu fühlen, wie sie durch die Nase gezogen wird, durch den Hals, und wie sie die Lunge füllt. Genauso lernt man es, beim Ausatmen zu fühlen, wie sich die Lunge leert, wie der Atem durch den Hals, durch den Mund oder die Nase hinaus strömt. Wir sind immer noch bei fünf bis zehn Minuten und wir tun immer noch nichts - empfinden aber dabei bewusst, wie der Atem ein- und ausströmt.
Wenn man sich dabei ertappt, dass die Gedanken um irgend etwas zu kreisen beginnen, zum Beispiel wann wohl der nächste hilfreiche Artikel auf diesem Blog erscheinen wird, dann ist das kein Grund zur Aufregung, sondern nur ein Anlass, die Gedanken sanft und ruhig wieder einzufangen, indem man sich auf das Empfinden beim Atmen besinnt. Und das ist dann am Ende das angestrebte Nichts, denn wir atmen ohne Anstrengung, das macht der Körper ganz alleine. Wir sind passiv. Wenn wir dieses Tun des Körpers einfach nur mitempfinden, tun wir ... nichts.
Berta: Du kannst doch tun, was Dir Spaß macht!
Hermann: Das tue ich ja!
Berta: Dann quengle doch nicht dauernd so rum!
Hermann: -
Berta: Hermann?
Hermann: -
Berta: Bist du taub?
Hermann: Nein, nein.
Berta: Du tust eben nicht, was dir Spaß macht. Statt dessen sitzt du da!
Hermann: Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!
~Loriot – Szenen einer Ehe
Entspannen
Ein wichtiger Bestandteil am Nichtstun ist die völlige Entspannung. Wenn wir angespannt sind, bringt die Nichtstun-Pause wenig. Entspannung fängt damit an, dass wir einen Ort finden, an dem wir erstens ungestört sind (Berta sollte möglichst nicht nebenan in der Küche hin- und hergehen – oder Hermann, bei vertauschten Rollen). Zweitens brauchen wir einen bequemen Sessel oder - noch besser - eine bequeme Liege. Das kann natürlich auch das Bett sein. Darauf machen wir es uns dann richtig bequem, auch einengende Kleidung sollte abgelegt oder zumindest geöffnet werden.
Wer bequem liegt, kann leichter ganz entspannt und aufmerksam atmen, wie eben beschrieben. Es kann helfen, sich Gesicht und Schläfen oder Genick und Schultern zu massieren. Natürlich ist Massage weitaus angenehmer und effektiver, wenn sie von anderen Händen durchgeführt wird, aber für den Zweck des Nichtstuns ist die Selbstmassage die richtige Mittel, um verspannte Muskeln zu lockern. Für mich ist die »progressive Muskelentspannung« ebenfalls eine hervorragende und wirksame Methode, ich habe sie in der Rehabilitation kennen und schätzen gelernt. Dabei spannt man, bei den Füßen angefangen, bewusst Muskeln an und lässt sie dann los ... den ganzen Körper hinauf bis zum Gesicht. Mein empfohlener Link vom 30. Juli auf diesem Blog zu einer Anleitung: [mp3 Muskelentspannung] (Ich empfehle aus Erfahrung die Langversion mit 160 kbps.)
Wie auch immer es am besten funktioniert - Entspannung, auch und gerade körperlich, ist entscheidend wichtig, damit das heilsame Nichtstun gelingt.
Badewanne
Es gibt Menschen, denen gelingt totale Entspannung am ehesten (oder sogar nur) in der Badewanne. Dabei sollte das Wasser heiß sein, nicht lauwarm, und ein duftender Badezusatz (Lavendel wirkt wohl Wunder) ist sehr zu empfehlen. Auch in der Badewanne kommt es natürlich darauf an, dass alle Störungen und Ablenkungen ausgeschaltet sind.
Ich bin nun niemand, der gerne Wannenbäder nimmt - die Dusche ist mir da wesentlich lieber. Außerdem ist unsere Badewanne zu kurz, als dass ich da mit meiner Körperlänge komplett eintauchen könnte - entweder der Oberkörper oder die Knie samt eines beträchtlichen Beinanteils schauen heraus. Daher kann ich nur von Empfehlungen anderer Nichtstuer ausgehen, die das vollständige Eintauchen (samt Kopf am Beginn des Bades) empfehlen, allerdings sollte man es natürlich nicht zur Atemnot kommen lassen. Das Ziel ist ja Entspannung, nicht ein Erstickungsanfall.
Wer über eine geeignete Wanne verfügt, kann ja ausprobieren, ob sie der totalen Entspannung dienlich ist.
Gut gelungen ist mir das totale Entspannen allerdings im 34 Grad warmen Heilsole-Becken der Steintherme in Belzig. Wenn sich alle Besucher an das Schweigegebot im Raum halten, kann ich dort mühelos dem Alltag und der Welt entschwinden.
Genauso leicht verreise ich für eine Weile ins Nichts, wenn ich in einer Sauna, vorzugsweise in einer Dampfsauna, bin, in der Ruhe herrscht.
Sekunden des Nichts
Nichtstun, nur Empfinden - das geht auch bei ganz alltäglichen Vorgängen wie dem Essen oder Trinken. Für ein paar Sekunden jeweils. Ein guter Kaffee, Tee oder Kakao zum Beispiel kann der Kunst des Nichtstuns dienlich sein. Man nimmt die Tasse und legt alle Ablenkungen aus der Hand: Das gute Buch, die aktuelle Zeitung, die Handarbeit. Fernseher und Radio sind natürlich ausgeschaltet. Das Telefon ist zumindest zum Stummsein verurteilt, noch besser ebenfalls aus.
Und nun? Nun nimmt man einen Schluck des köstlichen Getränks und schmeckt es ganz bewusst, spürt der Temperatur nach, bewegt die Flüssigkeit im Mund. Die Augen sind geschlossen. Beim Herunterschlucken richtet sich die Aufmerksamkeit auf das Gefühl, wie das Getränk durch den Hals die Speiseröhre hinabfließt.
Ähnlich kann man mit einem Stück Schokolade oder auch einem herzhaft schmeckenden Bissen verfahren. Lutschen oder kauen, langsam, aufmerksam, dem Geschmack nachspürend ... das ist ein ganz und gar anderes Erlebnis als das hastige Herunterschlingen oder -kippen, das wir leider viel zu oft praktizieren.
Nichtstun in der Natur
Berta: Es könnte ja nicht schaden, wenn du mal etwas spazieren gingest!
Hermann: Nein, nein.
Berta: Ich bringe dir deinen Mantel!
Hermann: Nein, danke.
Berta: Aber es ist zu kalt ohne Mantel!
Hermann: Ich geh ja nicht spazieren.
Berta: Aber eben wolltest du doch noch!
Hermann: Nein, du wolltest, dass ich spazieren gehe!
Berta: Ich? Mir ist es doch völlig egal, ob du spazieren gehst!
Hermann: Gut.
Berta: Ich meinte nur, es könnte ja nicht schaden, wenn du mal spazieren gehen würdest!
Hermann: Nein, nein, schaden könnte es nicht.
Berta: Also was willst du denn nun?
Hermann: Ich möchte hier sitzen!
Berta: Du kannst einen ja wahnsinnig machen!
Hermann: Ach.
~Loriot – Szenen einer Ehe
Wem es gelingt, zu Hause die Kunst des Nichtstuns in der oben skizzierten Weise zu zelebrieren, der kann den nächsten Schritt probieren. Hinaus in die Natur. Ein friedliches Plätzchen lässt sich sicher finden. Der Vorgarten, an dem Autos vorbeibrummen und Nachbarn über den Zaun grüßen, ist sicher ungeeignet.
Eine kleine Lichtung im Wald, ein geschütztes Plätzchen am Ufer eines Sees oder Flusses, eine Ecke zwischen Feldern und Weiden, eine abgeschiedene Bank im Park - so etwas sollte es schon sein. Auf jeden Fall abgeschirmt von Verkehrslärm und Unruhe.
Hat man einen solchen Ort gefunden, kann man zehn, zwanzig, dreißig Minuten oder auch eine Stunde das Nichtstun praktizieren. Wenn die Gedanken in den Alltag schweifen wollen, fangen wir sie wieder ein und konzentrieren sie auf das Empfinden des Ortes, an dem wir sind. Raschelt der Wind mit den Blättern? Summt ein Insekt von Blüte zu Blüte? Plätschert das Wasser über Steine oder weil Wellen ans Ufer schlagen? Wie riecht die Luft? Haben die Pflanzen verschiedene Grüntöne? Sind alle Blüten am Baum identisch oder zeigt sich da Vielfalt im Kleinen? Der Käfer, der da zwischen den Grashalmen unterwegs ist, wie bewegt er sich?
Fortgeschrittene in der Kunst des Nichtstuns können auch beim Spazierengehen genau solche Empfindungen erspüren und erleben. Wer die Natur so aufmerksam wahrnimmt, der wird ins Staunen geraten über die Vielfalt und Schönheit der Schöpfung - und zutiefst entspannt und innerlich erfrischt wieder in den Alltag aufbrechen.
Im Alltag
Und damit sind wir bei der Meisterklasse angelangt: Nichtstun in den Alltag integrieren. Es ist sehr zu empfehlen, klein anzufangen (wie oben beschrieben), bevor man sich an diese Kunst wagt.
Da funktioniert das Nichtstun zum Beispiel in der Warteschlange vor dem Postschalter. Nicht die Zeitung lesen, nicht zum Mobiltelefon greifen und Nachrichten schreiben oder lesen, nicht darüber nachdenken, wie die verlorene Zeit aufgeholt werden kann, was noch zu tun ist, was man statt der Zeit in der Warteschlange alles hätte erledigen können ... statt dessen bewusst atmen (siehe weiter oben), die Muskeln (das geht auch weitgehend im Stehen) entspannen, die Wartezeit als Chance begreifen. Die anderen Menschen in der Warteschlange kann man dabei durchaus wahrnehmen, sogar beobachten und versuchen, sie (und ihre mürrischen oder schläfrigen Minen, ihr unruhiges von Fuß zu Fuß Wechseln, das häufige Räuspern) zu verstehen.
Auf dem Weg irgendwo hin geht das ähnlich: Beim Autofahren bewusst die Musik ausschalten, tief und ruhig atmen, nicht an den bevorstehenden Stress im Büro denken oder an den unerledigten Einkauf ... einfach nur fahren. Die Landschaft oder Häuser wahrnehmen, wie sie am Auto vorbeiziehen. Ich stelle mir gerne vor, dass quer über meine Windschutzscheibe in grüner Schrift »Gelassenheit« zu lesen ist. Das verhindert gleichzeitig, dass man zu schnell fährt oder hektisch bis wütend auf das unerhörte Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer reagiert. In der S-Bahn (oder einem sonstigen Verkehrsmittel, das man nicht selbst steuert) ist das Entspanntsein sogar noch leichter. Man muss es nur bewusst wollen und tun, das Nichtstun.
Die Königsklasse: Nichtstun im Chaos
Wer das bewältigt, ist auch für den letzten Schritt bereit: Mitten im Chaos (des Arbeitsplatzes, der Einkaufsmeile) alles ringsherum abschalten, die Augen schließen und auf den eigenen Atem konzentrieren, wie er ganz von alleine ein- und ausströmt. Eine Minute, fünf Minuten, zehn Minuten - je nach Situation. Nicht an sich heranlassen. Nichts tun außer das Nichtstun zu zelebrieren. Meine Erfahrung am Arbeitsplatz ist die, dass nach einer kurzen derartigen Pause die Konzentration wesentlich besser gelingt, die Arbeit zügiger erledigt wird und selbst schnatternde Kolleginnen oder wohlfühlfeindliche Arbeitsbedingungen im Büro leichter zu ertragen sind.
Vielleicht hätte Hermann ja Berta nicht angeschrien, wenn es ihm gelungen wäre, wenigstens fünf Minuten das Nichtstun zu genießen?
Berta: Du tust eben nicht, was dir Spaß macht. Statt dessen sitzt du da!
Hermann: Ich sitze hier, weil es mir Spaß macht!
Berta: Sei doch nicht gleich so aggressiv!
Hermann: Ich bin doch nicht aggressiv!
Berta: Warum schreist du mich dann so an?
Hermann: Ich schrei dich nicht an!
~Loriot – Szenen einer Ehe
Es ist wirklich eine Kunst, nichts zu tun. Die meistert man nicht über Nacht. Da braucht man Ausdauer und Ausdauer und Ausdauer. Es ist gar nicht so leicht, nichts zu tun. Aber wenn man die Kunst erlernt hat und beherrscht, dann wird man jede Minute genießen - und mit jeder Minute Nichtstun erheblich die Lebensqualität steigern.
.