Wikipedia ist ja meist recht schlau. Zum Beispiel was die zurückliegenden Wochen und mich betrifft:
Rehabilitation oder Rehabilitierung (mittellat.: rehabilitatio, „Wiederherstellung“) bezeichnet die Bestrebung oder ihren Erfolg, einen Menschen wieder in seinen vormals existierenden körperlichen Zustand zu versetzen. [Quelle]
Es heißt da so schön, dass der Begriff die Bestrebung oder ihren Erfolg bezeichnet. Wenn ich auf meine Rehabilitationszeit vom 19. April bis zum 14. Mai zurückblicke, dann ist eher ersteres zutreffend.
Ein gewisser Erfolg ist da, obgleich der Zustand vor der Krebserkrankung nicht, bei weitem nicht, erreicht worden ist. Das war auch in der relativ kurzen Zeit gar nicht möglich, versicherten mir Therapeuten und die Ärztin, die mich betreute. Die rund 16 Kilogramm Muskelmasse, die ich im Krankenhaus verloren habe, sind eben nicht so schnell wieder aufgebaut, wie der Körper sie von sich geworfen hat. Immerhin: Zwischen Beginn der Rehabilitation und deren Ende habe ich nachweislich 2,5 Kilogramm zugenommen – was die Ärztin für einen sehr guten Wert hielt.
Zum Beispiel das Fahrrad- beziehungsweise Ergometerfahren. Vor dem Krankenhausaufenthalt waren 30 Minuten bei 140 Watt für mich keine nennenswerte Anstrengung. Zu Beginn der Rehabilitation schaffte ich gerade mal mit Mühe 20 Minuten bei 50 Watt – und war ziemlich außer Atem mit stark erhöhtem Puls.
Übrigens, der Herr rechts im Bild ist nicht Jerry García, der ist leider bereits seit 1995 im Jenseits.
Auch bei anderen Übungen im Rahmen der MTT (Medizinische Trainings-Therapie) zeigte sich zwar Erfolg, aber bei Weitem noch keine Wiederherstellung des früheren Leistungsvermögens. Die Beinpresse … vorher: 90 oder 100 Kilogramm ohne große Mühe, jetzt 25 bis 30 Kilogramm. Gewicht mit den Armen von oben ziehen … vorher gerne mal 60 Kilogramm, jetzt mit Mühe 20.
Aber das alles wird sich nach und nach wieder normalisieren, meinten Therapeuten und Ärztin, wenn ich tue, was ich vorhabe: Zwei- bis dreimal wöchentlich Ausdauertraining im Fitnessstudio. Alles, was ich brauche, ist Geduld, wurde mir gesagt. Und was die Chemotherapie betrifft, sei Sport und Bewegung so ziemlich das einzige nachweislich positiv wirkende Mittel , um die Nebenwirkungen zumindest ein wenig zu dämpfen.
Manches werde ich ausprobieren und eventuell sein lassen müssen. Zum Beispiel das Schwimmen. In etwa drei bis vier Wochen sollte meine Operationswunde verheilt sein, und dann könnte es wieder möglich werden, zu schwimmen beziehungsweise schwimmen zu lernen. Der Versuch des Brustschwimmens im Rehabilitationsplanschbecken scheiterte grandios. Ertrinken kann man da ja nicht, viel zu flach, aber erschrecken über die plötzliche Schwimmunfähigkeit ist allemal möglich.
Merke: Zum Schwimmen braucht der Mensch Bauchspannung. Wenn der Bauch vom Sternum bis fast zum Os pubis aufgeschnitten wird, um an den Darm zu kommen, werden Muskeln und Bauchfell durchtrennt. Das ist der Bauchspannung abträglich. Wenn noch dazu ein Teil des Zwerchfells mit dem Dickdarm entfernt wurde, ist die Bauchspannung erst mal perdu.
Das alles kann man aber wieder ausgleichen, die Muskeln wachsen zusammen und Bauchspannung wird wieder möglich. Ob ich allerdings angesichts des Nervenschadens durch die Chemotherapie, der zur Kälteüberempfindlichkeit geführt hat (und wahrscheinlich eher schlimmer werden wird), mit der Temperatur des Wassers im Fitnessstudio zurechtkomme, wird sich heute oder in den nächsten Tagen zeigen müssen. Das lauwarme Wasser in der Rehabilitationsklinik empfand ich als kühl.
Rückblickend auf die Zeit in der Klinik stelle ich fest, dass mir die Rehabilitation gut getan hat, weil ich feststellen konnte, dass ich trotz des enormen Kräfteverlustes in der Lage bin, wieder Fortschritte zu erzielen. Zwangsläufig auf niedrigem Niveau beginnend, aber das macht ja nichts. Dranbleiben und viel Geduld haben wird nach und nach wieder mehr körperliche Leistungsfähigkeit bringen, trotz der Chemotherapie bis November, trotz der bösen Nebenwirkungen, trotz aller Widrigkeiten.
Gut getan hat es mir aber unabhängig von der nur teilweise gelungenen körperlichen Wiederherstellung, doch eine Menge über meine Krankheit zu erfahren und den mentalen Umgang damit besser zu bewältigen. Fakten statt Vermutungen und Ängsten sind hilfreich, auch wenn die Tatsachen unangenehm und unerwünscht sind. Ich komme jedenfalls damit besser zurecht als mit Unsicherheit und Mutmaßungen. Krebs ist und bleibt eine tödliche Erkrankung, aber falls ich die nächsten fünf Jahre überlebe, ist das Risiko, dass erneut Krebs auftritt für mich nicht höher als beim normalen Durchschnittsbürger. Die Chemotherapie kann eventuell und vielleicht und unter Umständen dazu beitragen, dass meine Chancen etwas höher sind.
Solange also ein Hoffnungsschimmer am Horizont sichtbar ist, werde ich genau die Richtung einschlagen, die zum Licht am Horizont führt. So ähnlich mag es der biblische Autor David empfunden haben, als er vom dunklen Todestal schrieb, in dem er kein Unglück befürchtete. Ein solcher Glaubensheld bin ich nicht, denn die Furcht ist (und bleibt wohl für die nächsten Jahre) da. Aber sie ist so gut wie immer zu bewältigen und bestimmt nicht meinen Alltag.
Das ist doch immerhin etwas!
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