Aus Erfahrung, sagt der Volksmund, wird der Einsichtsreiche klug. Um Erfahrungen zu machen, muss man natürlich erst einmal etwas unternehmen, ausprobieren, wagen, versuchen. Wenn jemand von vorne herein sagt »das hilft nicht, das geht nicht, das funktioniert nicht«, dann wird er nie wissen, ob er nicht doch eine Chance verpasst hat.
Als mir eine Dame, die an meinem und unserem Ergehen seit der Krebsdiagnose sehr Anteil nimmt, das Buch »Der Healing Code – die 6-Minuten Heilmethode« auslieh, war ich sehr skeptisch, mehr als skeptisch sogar. Denn wenn es ein Mittel gäbe, mit dem so gut wie jede Krankheit, Krebs eingeschlossen, heilbar ist, und das so gut wie bei jedem Menschen, dann wäre das ja wohl bekannt. Weithin bekannt, bei Ärzten und Patienten. Allzu viele angebliche Wunderheiler treiben ihr Unwesen, indem sie für viel Geld leidenden Menschen Gesundheit und noch viel mehr versprechen. Wenn der Patient dann nicht gesund wird, rückt natürlich keiner dieser Scharlatane das Geld an die Hinterbliebenen wieder heraus.
Einerseits war ich also nicht geneigt, das Buch überhaupt zu lesen.
Andererseits neige ich (aus Erfahrung!) nicht dazu, etwas von vorne herein auszuschließen, bloß weil die chemisch-technisch-biologische Schulmedizin nichts davon weiß oder wissen will. Im Zweifelsfall probiere ich lieber aus, ob sich Erfolge einstellen.
Regelmäßige Leser werden sich erinnern, dass ich der durch die Chemotherapie ausgelösten Impotenz durch eine Methode außerhalb der Schulmedizin entkommen konnte - auf Anraten meines Onkologen (also eines Schulmediziners), der (wiederum aufgrund seiner Erfahrungen) traditionellen Heilmethoden gegenüber aufgeschlossen war.
Also las ich das Buch, Seite um Seite. Skeptisch. Manchmal innerlich etwas widerwillig, wenn es gar zu »amerikanisch« wurde. Das will ich erklären:
Es handelt sich bei der Lektüre um eine zweitweise recht mühselige und zwiespältige Angelegenheit. Da werden von der ersten bis zur 249sten Seite überwiegend Berichte von angeblich durch die Healing Codes von ihren diversen Krankheiten geheilten Menschen dargeboten, die zu überprüfen ich als Leser natürlich keine Möglichkeit habe. Gleichzeitig wird regelmäßig darauf hingewiesen (wohl eine Vorsichtsmaßnahme wegen drohender Haftung), dass mit den Healing Codes keine Methode zur Heilung von Krankheiten angeboten wird. Zwischendurch werden ein paar Grundlagen erläutert, die Zusammenhänge zwischen Energie, Atomen, Körperzellen und Krankheiten betreffen. Wer schon beim Gedanken, dass es außer biologisch-chemischen Wirkungen und Wechselwirkungen im Körper noch andere Vorgänge gibt, die sich der westlichen Wissenschaft entziehen, wird das Buch als unbrauchbar beiseite legen, wenn er zum x-ten Mal liest, dass Einsteins Energieformel etwas mit Krebs und Herzkrankheiten zu tun haben soll.
Aber - und da ist man als Betroffener vermutlich wesentlich offener als jemand, der nur über tödliche Krankheiten theoretisiert - aber es gibt sie nun mal, die Erfolge von traditioneller chinesischer Medizin, Akupunktur, indischen und anderen Heilmethoden, die nicht im Lehrbuch der modernen Medizin verzeichnet sind. Nicht ohne Grund bezahlen die meisten Krankenkassen Akupunkturbehandlungen und beispielsweise Qi Gong Kurse. Wenn es keine messbaren Erfolge gäbe, würde dafür kein Cent locker gemacht. Garantiert.
Und es gibt, abseits von allen Showbusinessveranstaltungen der Benny-Hinn-Liga, auch nachgewiesene und dokumentierte Heilungen durch Gebet, durch göttliches Eingreifen. Nicht bei jedem Gebet und nicht in jedem Fall, aber immerhin, es gibt sie.
Die beiden Autoren sind ausgebildete Mediziner und bezeichnen sich als Christen. Sie hängen auch dem bis zur 249sten Seite gehüteten Geheimnis, was es mit dem Healing Code auf sich hat, ein christliches Mäntelchen um, obwohl sie gleichzeitig versichern, dass die Methode bei Atheisten oder Andersgläubigen genauso funktioniert wie bei Christen. Es käme, so Alex Loyd und Ben Johnson, nicht darauf an, ob man an den Erfolg glaubt oder nicht. Der stelle sich so oder so ein.
Schließlich erfährt der Leser dann im letzten Teil des Buches, was es mit der so wundersam heilsamen Methode auf sich hat: Eine Meditationsübung mit vier Gesten, die sechs Minuten lang wiederholt werden. Drei Mal täglich. Und dann, versprechen die Autoren, werden sich gesundheitliche und gleich auch andere Probleme verflüchtigen, früher oder später.
Meine Skepsis ist durch die Lektüre des Buches nicht geringer geworden. Im Gegenteil. Da die Autoren, typisch amerikanisch möchte man sagen, auch materiellen Segen, Wohlstand und beruflichen Aufstieg durch die Healing Codes versprechen, bin ich um so mehr geneigt, das Buch der charismatisch-esoterischen Gedlverdienerecke zuzuordnen. Auf der zugehörigen Webseite von Loyd und Johnson geht es auch überwiegend darum, für eine Menge Geld zusätzliche Geheimnisse und Vertiefungen zu verkaufen. Da schrillen denn doch bei mir so einige Alarmglocken.
Andererseits sage ich mir: Es kann ja nichts schaden, das Verfahren an und für sich auszuprobieren. Genauso wie ich in der Rehabilitationsklinik am ärztlich verordneten Qi Gong teilgenommen habe (ohne für mich erkennbaren Gewinn), kann ich durchaus ein paar Wochen lang die Healing Codes ausprobieren und mal sehen, ob sich zum Beispiel der Tinnitus bessert.
Dass Entspannung, zur Ruhe kommen, Stress abbauen und Meditation dem Körper wie dem Geist gut tun, wird auch hierzulande von der Medizin nicht mehr bezweifelt. Die in diesem Buch propagierte Methode dienst letztendlich dem zur Ruhe kommen, drei Mal täglich. Loyd und Johnson empfehlen, mit einem Gebet zu beginnen:
Ich bete darum, dass alle bekannten und unbekannten negativen Bilder, ungesunden Glaubenssätze, destruktiven Zellerinnerungen und meine körperliche Beeinträchtigung durch __________ (hier nennt man das Problem, zum Beispiel Kopfschmerzen, Erinnerung als Kind ...) aufgespürt, erschlossen und geheilt werden mögen, indem mich das Licht, das Leben und die Liebe Gottes erfüllen. Ich bete darum, dass sich die Wirkkraft dieser Heilung um das Hundertfache oder mehr steigern möge. (Quelle: Buch »Der Healing Code«)
Die Autoren betonen, dass es auch ohne Gebet – und ohne Glauben – geht, hilfreich wäre das Gebet aber auch für Ungläubige allemal.
Anschließend werden die vier Übungen ausgeführt. Man zielt mit den Fingerspitzen beider Hände auf vier Regionen an Kopf und Hals:
- Erste Haltung – Brücke. In der Mitte zwischen Nasenwurzel und der Mitte der Augenbrauen zur Stimulation der Hypophyse und der Zirbeldrüse.
- Zweite Haltung - vorne in Höhe des Kehlkopfes (Stimulation von Rückenmark, zentralem Nervensystem und Schilddrüse).
- Dritte Haltung - zu beiden Seiten des Kopfes hinter dem Kieferknochen (Stimulation des reaktiven emotionalen Gehirns, inkl. Amygdala und Hippocampus sowie Rückenmark und zentralem Nervensystem)
- Vierte Haltung - zu beiden Seiten des Kopfes, etwa 1 Zentimeter oberhalb der Schläfen und 1 Zentimeter Richtung Hinterkopf (Stimulation von rechter und linker Gehirnhälfte, sowie Hypothalamus).
Zwischendurch kann man, wenn die Arme ermüden, die Hände auch auf die entsprechenden Regionen legen. Bevor man anfängt, soll man sich ein Problem herausgreifen und auf einer Skala von 1-10 (1 wenig intensiv, 10 sehr intensiv) einschätzen. Dann soll das Gefühl ermittelt werden, mit dem das Problem verknüpft ist. Während der Durchführung der Übungen soll man seine Gedanken auf etwas Positives richten (Heilung, Gesundheit, Ruhe, Frieden…) – und nach der Durchführung dann wiederum die Skala von 1 bis 10 bezüglich der Gefühle betrachten.
Mit dieser Skala kann ich nichts anfangen. Mein Problem, zum Beispiel Tinnitus, ist ein Problem. Nicht lebensbedrohend, aber auch kein Mückenstich. Welche Gefühle damit verbunden sein sollen und wie ich die auf einer Skala unterbringen soll, ist mir schleierhaft.
Jedoch hindert auch das – so die Autoren – nicht die Wirksamkeit des Healing Code. Es muss wohl noch mehr Menschen wie mich geben, denen solche Gefühlsskalen böhmische Dörfer sind und bleiben.
Schaden kann es ja nicht anrichten, im Verlauf des Tages drei Mal für jeweils sechs bis zehn Minuten zur Ruhe zu kommen. Drei Monate habe ich (aufgrund der vielen sogenannten Heilungsberichte im Buch) dafür angesetzt. Wenn sich Mitte August nichts verbessert hat, dann weiß ich wenigstens, dass ich keine Chance versäumt habe. Wenn der Tinnitus verschwindet, dann kann ich darüber nachdenken, ob an den Healing Codes doch etwas dran ist. Denn nur aus Erfahrung wird der Einsichtsreiche klug.
Die ersten drei Wochen des Experiment liegen bereits hinter mir - ohne spürbare Ergebnisse. Doch wie sagt der Volksmund ebenfalls so treffend? Geduld ist die Mutter aller Tugend.
Na denn, schaun mer mol. P.S.: Falls jemand sich für das Buch, das ich weder empfehlen noch verwerfen mag, interessieren sollte: Der Healing Code: Die 6-Minuten-Heilmethode
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P.S. vom August 2014: Inzwischen ist der Test für mich abgeschlossen. Das Ergebnis: [Keine nachweisbare Wirkung]
Bildquelle: Buch »Der Healing Code«.
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