You may call my love Sophia
I call my love Philosophy
Van Morrison
I call my love Philosophy
Van Morrison
Feuchtes Laub raschelte unter den Füßen der beiden Spaziergänger im Berliner Tiergarten. Beide waren 13 Jahre alt, das Mädchen wirkte jedoch älter. Ihr Gesicht ließ ahnen, dass sie ihre Kindheit nicht ohne Wunden und Schmerzen hinter sich gebracht hatte. Dunkle Locken fielen bis auf die Schultern, sie trug weiße Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit dem HARD ROCK CAFÉ Logo auf der Brust.
Ihr Begleiter war hochgewachsen, schlank, dunkelblond, ein vergnügtes Lächeln spielte auf seinem Gesicht.
Sie schlenderten schweigend den Weg am Kanal entlang. In der Ferne hörte man, wenn man die Ohren spitze, Verkehrsgeräusche.
Die beiden nahmen auf einer Bank Platz und sahen auf das träge fließende Wasser des Landwehrkanals.
Der Junge brach nach etwa zehn Minuten das Schweigen.
»Sophia, weißt du, was mir an dir besonders gefällt?«
»Nein. Aber du wirst es mir gleich sagen.«
Sie lächelte erwartungsvoll.
»Dass man mit dir auch schweigen kann. Stundenlang, wenn es passt. So was ist selten.«
»Danke, Patrick.«
Sie saßen auf der Bank, sahen den Enten zu, die ohne Eile über das Wasser glitten, beobachteten müßige Spaziergänger.
Sophia genoss den Nachmittag. Sie hatten gemeinsam die Arbeiten für die Schule erledigt und waren anschließend mit der U-Bahn zum Bahnhof Zoo gefahren. Von dort aus durchwanderten sie den Tiergarten und sammelten Blätter für den Biologieunterricht. Der Park glänzte nach dem Gewitter, das am Mittag gewütet hatte, frisch gewaschen in der wärmenden Sonne.
Schließlich standen sie auf und schlenderten weiter.
»Du kannst andererseits auch reden wie ein Wasserfall, wenn es passt. Je nach Bedarf dummes Zeug oder kluge Einsichten.«
Patrick blickte auf die herbstlich verfärbten Baumkronen. Dann fuhr er fort: »Du bist wie ein Baum, der einem geben kann, was man braucht. Schatten in der Hitze, Schutz beim Regen, Früchte gegen den Hunger.«
Sophia grinste: »Und wenn es dann kalt wird, holzt du mich ab und verheizt mich in deinem Kamin, ja?«
Der Junge lachte und meinte: »Okay, Ende der Philosophiestunde. Lass uns ein Eis essen gehen, am Ku'damm. Okay?«
»Okay. Eis kann aber auch philosophisch sein. Ich esse Eis, also bin ich.«
»Nee. Ich bin, also esse ich Eis.«
Sophia schüttelte den Kopf.
»Nein, Patrick. Ich weiß nicht, welches Eis ich essen werde, also weiß ich nicht, wer ich bin. Ob ich bin.«
Sie beschleunigten ihre Schritte und verließen den Tiergarten. Quer über den Hardenbergplatz strebten sie dem Europacenter zu.