So, das Warten hat lange gedauert, nicht zuletzt wegen der unklaren Abstimmung. Aber nun ein wieder etwas längerer Teil für die lesehungrigen Blogbesucher.
Zuvor der gewohnte Blick zurück: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7].
Und nun die Fortsetzung:
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Ich wachte nicht auf. Es war lediglich ein Dämmerzustand, ein Aufdämmern des Morgens ohne dass es wirklich hell geworden wäre, was ich wahrnehmen konnte. Wo ich mich befand konnte ich genauso wenig ausmachen wie einen auch nur ungefähr geschätzten Zeitpunkt. Meine Augen öffneten sich, um in ein Grau zu starren, das keine Formen offenbarte. Zu hören war nichts, und worauf ich lag war undefinierbar. Es fühlte sich eher an, als schwebte ich, was allerdings Unfug sein musste. Genau solcher Unfug wie das Gefühl, Flüssigkeit zu atmen.
Ganz langsam drangen Bruchstücke von Erinnerung in mein Bewusstsein, falls ich meinen Zustand so bezeichnen wollte. Ein Gesicht, das aus Millionen Falten bestand. Jessikas Hand auf meiner Stirn. Ein Glas mit Wein, Wein aus der Heimat. Wessen Heimat? Eine Zahl, 250. Ich war die Nummer 250. Die Nummer 250 der wer-weiß-wie-alten Frau.
Da ich sowieso nichts sehen konnte, schloss ich die Augen und versuchte, mit den Händen zu fühlen. Ich griff jedoch ins Leere, unter mir, über mir, neben mir.
Ich schwebe also doch. Ha ha! Ein Traum der Menschheit geht an mir in Erfüllung!
Mir fiel ein, dass das Schweben in Träumen ein recht häufiges Erlebnis ist. Also hatte ich des Rätsels Lösung: Ich schlief. Ich träumte.
So wie du alles geträumt hast, seit Jessika im Park an einen Baum gelehnt auf dich gewartet hat.
Genau so musste es sein. Alles seit jenem Zeitpunkt war so unmöglich gewesen, dass ich mich jetzt wunderte, den Traum für Wahrheit gehalten zu haben. Kein kleines Mädchen mit gebrochenem Genick auf dem schwarzen Turm. Keine nackte Jessika, die mir im Schein des Feuerzeuges den Leberfleck auf ihrem Venushügel zeigt. Kein Foto von meiner durch die nasse Badehose sichtbaren kindlichen Erektion, abgelichtet von der 13jährigen Franziska, die sich heute Jessika nannte und kein bestimmbares Alter hatte.
Du träumst also, dass du geträumt hast. Und wann willst du aufwachen?
»Jetzt«, sagte ich, riss die Augen wieder auf und starrte in das graue Nichts.
Ich schrie: »Jetzt! Jetzt! Jetzt!«
Normalerweise hört man sich ja. Aber mein Gebrüll kam nicht bei meinen Ohren an, ich musste wohl in einem schalltoten Raum sein. Nein – falsch – ich musste träumen, in einem schalltoten Raum zu sein. Oder ich schwebte in einer Flüssigkeit, die sich atmen ließ.
Und dann begann das Kribbeln, gleichzeitig überall. So ungefähr wie das Gefühl, wenn ein eingeschlafener Arm wieder durchblutet wird, aber ich fühlte das Kribbeln am ganzen Körper. Ich strich mit den Händen über meine Brust, meinen Bauch und bemerkte erst jetzt, dass ich nackt war. Das Kribbeln wurde stechend, tausende Nadeln pieksten meine Haut.
»Hol ihn raus«, glaubte ich Jessikas Stimme zu hören, aber bevor ich noch darüber nachdenken konnte, war ich wieder im schwarzen Nichts der Bewusstlosigkeit verschwunden.
Wieviel später ich wieder zu mir kam, vermochte ich nicht abzuschätzen. Mein Mund war ausgetrocknet. Dieses Mal fühlte ich eine weiche Unterlage, sah allerdings nichts, es war vollkommen finster. Ich streckte die Arme nach beiden Seiten aus, nach oben. Nichts. Ich strich über meinen Körper. Nackt. Auf dem Bauch fühlte ich Feuchtigkeit, ein paar Spritzer, leicht schleimig. Ich führte meine Finger zur Nase und wusste, dass es sich um Sperma handelte. Mein Penis ruhte entspannt am rechten Oberschenkel, aber auch dort fühlte ich die nur uns Männern vorbehaltene Flüssigkeit.
»Aha«, murmelte ich, »eine nokturale Ejakulation. Soll ja in den besten Familien vorkommen.«
Dass ich meine Stimme hören konnte, bestätigte meinen Eindruck, nun wirklich aufgewacht zu sein. Wo ich mich befand, blieb ein Rätsel, und ob ich blind oder tatsächlich in einem vollkommen lichtlosen Raum war, auch. Ich beschloss, vorsichtig herumzutasten, um mir ein Bild meiner Umgebung zu machen. Als ich mich vorsichtig aufsetzte, meldeten sich meine Muskeln wie nach einem Marathonlauf. Ich hatte zwar nie an einem Marathon teilgenommen, aber doch so manchen Dauerlauf absolviert, der an die Grenze meiner Leistungsfähigkeit geführt hatte. Behutsam tastete ich mich weiter, nach rechts, rutschte sitzend weiter, tastete, rutschte und kam schließlich an eine Wand, die aus dem gleichen weichen Material bestand wie die Fläche, auf der ich lag. Ich richtete mich langsam auf, obwohl meine Muskeln protestierten.
Etwa zehn Minuten später hatte ich den Raum erfühlt. Ringsherum weiche Wände, ohne Türen oder Fenster, die Ecken rechtwinklig. Da ich zum fünften Mal an eine Ecke gekommen war, musste ich mich überall entlang getastet haben. Wie hoch der Raum war, konnte ich nicht feststellen, da ich auch auf Zehenspitzen keine Decke berührte.
Inzwischen meldete sich mein Durst immer drängender. Mund und Kehle waren völlig ausgedörrt. Hunger spürte ich nicht, aber ohne ein paar Tropfen Wasser konnte ich nicht mehr lange durchhalten.
»Kann mich jemand hören?« krächzte ich mit einer Stimme, die ich kaum als meine erkannte. »Bitte, ich habe Durst.«
Ich hatte keine Antwort erwartet und es gab auch keine.
Langsam ließ ich mich an der Wand herabgleiten und begann, auf allen vieren vorwärts zu kriechen. Vielleicht war derjenige oder diejenige, die mich hier eingesperrt hatte, so gnädig gewesen, irgendwo neben mir eine Flasche mit Wasser zu hinterlassen. Das konnte ich nur herausfinden, wenn ich versuchte, nun auch den ganzen Boden abzutasten, Stück für Stück. Ob mir das allerdings gelingen konnte, abgesehen vom Bereich an den Wänden entlang, bezweifelte ich.
Gefühlte zwanzig Minuten später gab ich auf. Ich hatte nichts gefunden. Ich rief noch ein paar Mal, dann rollte ich mich in einer Ecke zusammen und beschloss, zu sterben.
Kühles Porzellan oder Glas an meinen Lippen. Ein Arm, ein warmer weicher Arm, der mich stützte. Wasser, köstliches Wasser in dem Gefäß, das mir jemand an den Mund hielt. Ich trank, schluckte, hustete, trank, trank, trank.
»Genug, sonst fängst du an zu kotzen«, sagte Jessika.
Mühsam öffnete ich die Augen. Ihre Miene wirkte besorgt, sie betrachtete mein Gesicht und strich mir sanft mit den Fingern über die Stirn.
»Wasser«, stöhnte ich, »bitte.«
»Einen kleinen Schluck noch, dann musst du eine Pause machen. Wenn alles wieder rauskommt, ist auch nichts gewonnen.«
Sie führte das Glas wieder an meinen Mund und ich nahm einen Schluck, bewegte das Wasser im Mund, um die wunden Schleimhäute zu benetzen, bevor ich schluckte. Vom Magen her kam ein Gefühl, das ihren warnenden Worten recht geben wollte, aber ich bezwang die Übelkeit, indem ich tief durchatmete, durchatmete, durchatmete.
Jessika lächelte. »Gut so. Das machst du prima.«
Jetzt erst sah ich mich um. Wir befanden uns in einem Schlafzimmer auf einem breiten Bett, ein deckenhoher Kleiderschrank aus dunklem Holz nahm die linke Wand ein, an der gegenüberliegenden Wand hing ein Spiegel, rechts und links von Wandleuchtern mit dicken roten Kerzen flankiert. Das Bett stand unter einem Fenster, von draußen strömte Sonnenlicht herein. An beiden Seiten das Bettes gab es Nachttische mit zu den Wandleuchtern passenden Kerzenhaltern. Gegenüber stand eine Anrichte aus dem gleichen dunklen Holz neben einer geschlossenen Türe. Über der Anrichte hing ein Gemälde, ob es ein Original oder eine Reproduktion war, konnte ich aus der Entfernung von etwa vier Metern nicht erkennen. Das abgebildete Motiv war ein Liebespaar in zärtlicher Umarmung.
Jessika saß neben mir und hielt mich im Arm, stützte meinen Kopf, wir befanden uns beide in einem textilfreien Zustand.
»Wo sind wir hier?«, fragte ich. Ist das Frau Novákovás Schlafzimmer?«
»Du bist in Sicherheit«, antwortete sie, »in meiner Wohnung.«
»In deiner Wohnung? In Berlin?«
»Nein, ich habe mehrere Wohnungen. Wir sind immer noch in Budweis.«
»Warum hast du dann im Hotel – ich meine – wieso nimmst du ein Hotelzimmer, wenn du eine Wohnung in der Stadt hast?«
»Um in deiner Nähe zu sein.«
»Aber …«
»Kein Aber und kein Wenn. Du bist erschöpft, ich habe dich so ziemlich in letzter Minute herausgeholt. Du musst jetzt wieder schlafen, später ist genug Zeit für Erklärungen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Wo herausgeholt? Wie lange – wann – welcher Tag ist denn heute?«
Jessika lächelte wieder und gab mir einen Kuss auf die Lippen. »Johannes, sei ein braver Junge und mach die Augen zu.«
»Nein, ich …«
Sie drückte mich auf das Kissen, holte eine leichte Decke hervor, die neben dem Bett am Boden gelegen haben musste und breitete sie über mich. Ich wollte mich aufrichten, aber ich spürte, dass meine Kräfte nicht reichen würden. Jessika stand auf und ging zur Tür.
»Ich stelle ein Glas Wasser auf den Nachttisch, falls ich nicht hier bin, wenn du aufwachst«, sagte sie und bevor ich noch antworten konnte, fielen schon meine Augen zu.
Alle vier Kerzen brannten, als ich aufwachte. Ich war allein. Auf dem Nachttisch stand das versprochene Glas Wasser. Wie schwach ich noch war, merkte ich, als ich mich hinüberbeugte, um an das Gefäß zu kommen. Mir wurde von der Anstrengung leicht schwindelig, dennoch trank ich die Hälfte der köstlich kühlen Flüssigkeit, bevor ich mich wieder zurücksinken ließ.
Was mit mir geschehen war, wie lange ich schon hier lag oder wie lange ich dort – was immer das Dort auch sein mochte – gefangen gewesen war, oder ob ich mir das alles in irgendwelchen Fieberträumen eingebildet hatte, konnte ich nicht ergründen. Zu verschwommen, zu wirr waren die Erinnerungen an die letzten Stunden oder Tage. Ganz deutlich jedoch war der Drang, eine Toilette aufzusuchen und die Blase zu entleeren. Ein dringender Drang. Dringender und drängender von Minute zu Minute.
Ich zweifelte nach der Anstrengung, das Glas zu erreichen und zum Mund zu führen, daran, dass mir eine Expedition aus dem Bett durch das Schlafzimmer in einen unbekannten Flur und schließlich in ein irgendwo befindliches Badezimmer gelingen würde, aber ins Bett pinkeln kam nun überhaupt nicht in Frage. Sollte ich Jessika rufen?
Das wäre ja noch schöner! Du bist doch kein kleines Kind, das Mama braucht, wenn es aufs Klo muss.
Ich setzte mich am Bettrand auf, was eine Ewigkeit zu dauern schien. Die Wände bewegten sich, der Boden schwankte, das Bett hatte Schieflage. Ich presste die Augen zusammen und atmete tief durch, einmal, zweimal dreimal. Der Schwindel ließ nach.
Na also. Jetzt auf die Beine kommen. Auf auf!
Ich kam schließlich auf die Beine und tastete mich an der Wand entlang zur Tür, jeden Moment darauf gefasst, dass meine Beine nachgeben würden. Das Zimmer drehte sich, aber mit tiefem Durchatmen bezwang ich das Schwindelgefühl erneut und schließlich hatte ich die Klinke in der Hand. Ich drückte sie herunter, aber die Tür ging nicht auf.
Du bist eingesperrt! Musst wohl auf den Teppich pinkeln …
Ich schwankte auf den Beinen, die Klinke noch in der Hand, und die Tür öffnete sich nach innen statt nach außen, was ich versucht hatte. Das unerwartete Nachgeben der Tür sorgte dafür, dass ich die mühsame Balance verlor und unsanft auf dem Boden landete. Jessika musste den Plumpser gehört haben, denn sie kam eilig ins Schlafzimmer.
»Wer hat dir denn erlaubt, aufzustehen!«
»Ich muss aufs Klo«, stöhnte ich.
Kurzerhand nahm sie mich auf ihre Arme und trug mich mit einer Leichtigkeit den Flur entlang, als wöge ich nicht mehr als zehn Kilogramm. Sie stieß eine Tür am Ende des Ganges auf und setzte mich auf die Toilette.
»Heute musst du mal im Sitzen pinkeln, Mann hin, Mann her«, schmunzelte sie und blieb neben mir stehen, um mich zu stützen.
Gefühlte fünf Hektoliter Urin fanden ihren Weg in das Becken. Jessika hielt meinen Oberkörper. Sie trug Jeans und ein schwarzes T-Shirt, die Füße steckten in Flip-Flops. Ich schaute mich um, während das Wasserlassen kein Ende nehmen wollte. Das Badezimmer war mit hellem Marmor gefliest, Wände und Boden. In der einen Ecke war eine großzügig bemessene verglaste Duschkabine untergebracht, dem Waschbecken und den Armaturen sah ich auf den ersten Blick an, dass sie der eher hochpreisigen Kategorie entstammten. Ein samtweicher Badezimmerteppich und Toilettenvorleger harmonierte farblich mit den dunkel violetten Zahnputzbechern und Handtüchern, die ordentlich gefaltet auf einem weißen Tischchen bereit lagen.
»Ganz schön nobel, dein Bad«, sagte ich, während die letzten Tropfen in die Schüssel fielen.
»Ich hoffe, das stört dich nicht?«
»Nein, absolut nicht. Gefällt mir.«
»Das ist gut so. Bleib mal bitte kurz sitzen, ich hole dir einen Bademantel. Oder willst du gleich zurück ins Bett?«
»Bademantel ist okay. Im Bett war ich lange genug.«
»Das kann man wohl sagen. Zehn Tage und Nächte immerhin.«
Sie verschwand und ich schüttelte ungläubig den Kopf, was sofort zu einem neuen Schwindelanfall führte. Ich sollte zehn Tage lang bewusstlos gewesen sein? Hier in dieser Wohnung statt in einem Krankenhaus? Ein leichtes Jucken am linken Unterarm veranlasste mich, diesen genauer zu betrachten. Ich sah eine noch deutlich gerötete Narbe wie von einem Schnitt. Sofort fiel mir die Episode ein, die ich über Jessika in Italien geschrieben hatte, der seltsam mystische Blutsbund mit dem 13jährigen Jungen, der ihr das entschwindende Leben gerettet hatte. Luca, so hieß der Junge, fiel mir wieder ein. Die Narben auf seinem und Jessikas Arm hatten genauso ausgesehen und waren verblüffend schnell verheilt.
Jessika kam mit einem weißen Bademantel zurück. Ich nahm ihren rechten Arm, dann den linken. Dort war sie, die Narbe, die meiner ähnelte, nur dass sie kaum noch auszumachen war.
»Hast du – habe ich – ich meine …«
»Es war die einzige Chance, dich zu retten. Nitzrek war zögerlich, aber schließlich hat er zugestimmt.«
Sie half mir auf die Füße und in den flauschig weichen Bademantel. Dann führte sie mich behutsam am Arm in ihr Wohnzimmer.
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So, liebe Blogbesucher und Leser, bevor die beiden sich jetzt gemütlich auf dem Sofa niederlassen, möchte ich gerne eine Entscheidung von euch. Und diesmal - ätsch! - gibt es nur zwei Möglichkeiten. :-)
Jessika und Johannes ... |
... werden endlich ein Paar. Mit Sex und allem drum und dran. |
... werden nie und nimmer ein Paar. Kein Sex, kein Garnichts. |
Auswertung |