Nicht nur Hinz, sondern auch Kunz kippen sich mehr oder weniger große Behältnisse, die mit mehr oder weniger kaltem Wasser gefüllt sind, über dem Kopf aus – oder sie lassen sich begießen. Das ganze Geschehen wird als Videofilmchen auf Facebook (oder in anderen sozialen Netzwerken) veröffentlicht, wobei dann einige Personen »nominiert« werden, die es dem begossenen Pudel gleichtun sollen.
Das ist mal lustig, mal peinlich, mal doof … und es wird immer deutlicher, dass es für viele nur ein Jux ist. Was eigentlich der Sinn der Sache war, davon haben die Nassgemachten häufig keine Ahnung. Dabei reicht ja ein Klick rüber zu Wikipedia …
Die ALS Ice Bucket Challenge (zu Deutsch Eiskübelherausforderung) ist eine als Spendenkampagne gedachte Aktion. Sie soll auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen und Spendengelder für deren Erforschung und Bekämpfung generieren. Die Herausforderung darin besteht, sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf zu gießen und danach drei oder mehrere Personen zu nominieren, die dann 24 Stunden Zeit haben, es einem gleichzutun und zehn US-Dollar beziehungsweise zehn Euro an die ALS Association zu spenden. Will man sich keinen Eimer Wasser über den Kopf gießen, soll man 100 US-Dollar, beziehungsweise 100 Euro, an die ALS Association spenden.
Bei vielen Kindern, die man nassgemacht auf Facebook bewundern kann, ist vom Spenden überhaupt nicht die Rede … es geht nur um den Jux und darum, dass sich dann die anschließend »Nominierten« ebenfalls der Dusche zu unterziehen haben. Dennoch hat sich die clevere Werbeaktion längst bezahlt gemacht: Vom 15. Juli bis zum 21. August 2014 nahm die ALS Association 41,8 Millionen US-Dollar durch Spenden ein, gegenüber 2,1 Millionen US-Dollar im Vorjahreszeitraum. Ich hätte an die ALS Association nicht gespendet, weil dort grausame und unnötige Tierversuche die Regel sind, gegebenenfalls hätte ich mir eine gemeinnützige Organisation ausgesucht, bei der auch weniger Geld in der Verwaltung und bei den Gehältern hängen bleibt.
Dennoch finde ich, dass das in den letzten Tagen aufkommende Gemecker an der Wasserorgie auch nicht sein muss. Die Frankfurter Rundschau mault:
Bei der aktuellen Flut an Eiswasser in sozialen Netzwerken bekommt man den Eindruck, es werde nur noch Wasser geschüttet, um sich ins Gespräch zu bringen …
Natürlich sind viele der Videos schlecht gemacht, haben viele der Selbstdarsteller wenig Talent und sind über Sinn und Unsinn der Aktion überhaupt nicht im Bilde. Aber ist denn an der Lust der Selbstdarstellung grundsätzlich etwas auszusetzen? Nein, meine ich, nein. Ganz und gar nicht. Und das meine ich mit gutem Grund:
Ohne Eitelkeit gibt es kein Schreiben. Egal, ob Autor oder Kritiker - Eitelkeit muss dabei sein. Sonst entsteht nichts. Thomas Mann war wahnsinnig eitel, Richard Wagner auch, und Goethe und natürlich Schiller. –Marcel Reich-Ranicki in Die Weltwoche, 2009
Eben. Was für das Schreiben gilt, gilt auch generell. Es ist doch jedem der Spaß zu gönnen, sich als Nassgemachter und Begossene zu präsentieren, warum denn nicht. Wenn wir uns solchen Jux nicht mehr anschauen oder gönnen könnten, ohne gleich den griesgrämig erhobenen Zeigefinger zu präsentieren, dann wäre das sehr schade.
Also denn: Wasser Marsch – für einen guten Zweck oder auch völlig zweckfrei. Das Leben ist ernst genug, ein wenig Spaß darf schon sein
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