Donnerstag, 31. März 2011

Es sieht gut aus ...

... für diejenigen, die auf eine Fortsetzung der Jessica-Erzählung hoffen. Sollte morgen früh an dieser Stelle zu finden sein.


Gastbeitrag Aesop: Der Hirtenjunge und der Wolf

So kann es gehenEin Hirtenjunge hütete jeden Tag die Schafe. Morgens holte er die Tiere von ihren Besitzern ab und trieb sie zum Hügel über dem Dorf, wo die Schafe grasen konnten. Am Abend brachte er sie gewissenhaft zurück ins Dorf.
Manchmal langweilte sich der Hirtenjunge, schließlich sah er den ganzen Tag nur Schafe, Schafe, Schafe. So wollte er sich eines Tages einen Spaß erlauben und rief: »Der Wolf! Der Wolf! Der Wolf will sich ein Schaf holen!«
Sofort kamen die Dorfbewohner mit ihren Mistgabeln und Dreschflegeln aus dem Dorf gelaufen, um den Wolf zu verjagen.
Doch da war kein Wolf.
Der Hirtenjunge lachte Tränen über die verdutzten Gesichter der Bauern. Ihm gefiel der Spaß so gut, dass er ihn nach einigen Tagen wiederholte. Wieder rief er: »Der Wolf! Der Wolf will sich ein Schaf holen!« Und wieder kamen alle Bewohner des Dorfes angerannt, um dem Knaben beizustehen – doch es war kein Wolf zu sehen.
Eines Herbstabends, als sich der Hirtenjunge mit den Schafen auf den Heimweg machen wollte, kam tatsächlich ein Wolf. Der Bursche schrie voller Angst: »Der Wolf! Der Wolf will eines der Schafe holen!« Doch diesmal kam nicht ein einziger Bauer.
Und so trieb der Wolf die Schafe in die Berge und fraß sie alle auf.

Mittwoch, 30. März 2011

Beim Mittagsspaziergang ...

... kam mir die Erleuchtung, wie es mit Jessika weiter geht. In dieser malerischen Umgebung.



Nun muss ich das nur noch aufschreiben.

John, Paul, George, Ringo, Matthäus, Markus, Lukas, Johannes

... deshalb wende ich mich langsam einem Publikum zu, das noch alle vier Beatles aufzählen kann. Die vier Evangelisten schafft ja eh keiner mehr.
Thomas Gottschak

Ein interessantes und kurzeilig zu lesendes Gespräch der F.A.Z. mit Thomas Gottschalk über die Zukunft des Unterhaltungsfernsehens: http://www.faz.net/-01qtfi

P.S.: Ich hab's geschafft, Thomas! Beides! Alle acht Beatles und Evangelisten. Siehe Überschrift!

Dienstag, 29. März 2011

Abenteuerlust oder Berufung?


Wir saßen schon so manches Mal bei unseren Freunden Frank und Britta auf der Terrasse oder am Kamin im Wohnzimmer, Gastfreundschaft ist bei Familie Bauchrowitz eine Selbstverständlichkeit. Die beiden haben ein schönes Haus in Teltow gleich vor den Toren Berlins, Britta ist Leiterin einer Schule und Frank erfolgreich in der Immobilienbranche. Ihre beiden Kinder sind erwachsen, ein Enkelkind gibt es auch.

Nun wollen und werden Frank und Britta in absehbarer Zeit ihr angenehmes Leben in vertrauter Umgebung mitsamt Freundeskreis verlassen, um sich in den kommenden Jahren für arme Menschen und Kinder in Swasiland zu engagieren.
Wie kommt jemand auf eine solche Idee? Ist das Abenteuerlust oder Berufung? Was konkret wollen die beiden eigentlich in Swasiland auf die Beine stellen? Wie soll das funktionieren? Und was sind Kartoffeltornados?

Mein Freund Frank hat mir schon so manches darüber erzählt – das Vorhaben hat Hand und Fuß. Vielleicht hat ja der eine oder andere Blogbesucher Zeit und Lust, Britta und Frank persönlich kennen zu lernen und die spannende Geschichte ihres Swasiland-Projektes zu erfahren? Gelegenheit gibt es dazu am kommenden Sonntag, dem 3. April, ab 13:30 Uhr bei Kaffee und Kuchen im Gartenhaus der Johannesgemeinde Steglitz. Zu finden in der Wrangelstraße 6/7, 12165 Berlin. Herzlich willkommen!

Die beste aller Ehefrauen und ich werden auf jeden Fall dabei sein, denn das gemütliche Beisammensein am Kamin oder auf der Terrasse mit unseren Freunden wird in absehbarer Zeit daran scheitern, dass Frank und Britta Teltow gegen Swasiland tauschen. Dann werden die Gelegenheiten zur persönlichen Begegnung selten – und das Lebensabenteuer der Beiden Realität.

Montag, 28. März 2011

Jessika in der Sackgasse

Agatha Christie auf dem Kindle Meine Facebook-Freunde haben es bereits gestern am Abend erfahren: Es geht heute und hier nicht weiter mit der Geschichte von Jessika. Es dauert noch ein Weilchen.

Der Grund? Erstens das schöne Wetter in den letzten Tagen, denn das lockt eher nach draußen als an den Schreibtisch, zweitens ein neuer Auftrag für eine Buchübersetzung, denn der zahlende Kunde ist natürlich, wenn ich dann am Schreibtisch sitze, wichtiger und drittens habe ich mich beziehungsweise Jessika beim Schreiben der Fortsetzung nach einer halben Seite in eine Sackgasse geschrieben. Entweder ich verwerfe die halbe Seite und mir fällt was anderes ein, oder ich habe eine Idee, warum es doch so geht, wie ich angefangen habe zu schreiben ...

Kurzer Rede langer Sinn: Lesebegeisterte Blogbesucher müssen was anderes lesen, zum Beispiel Agatha Christie macht immer wieder Spaß.

Donnerstag, 24. März 2011

Das halten wir jetzt mal fest.

Vor dem Erreichen der Gaststätte …

image 

Fortsetzung der Geschichte dann demnächst.

Mittwoch, 23. März 2011

Zum Broterwerb …

… übersetze ich unter anderem auch Bücher. Jüngst ist dieses auf den Markt gekommen:

Das mit dem Übersetzen wissen die treuen Leser bereits. Was sie vielleicht nicht wissen: Nichts ist gegen theologische Abhandlungen einzuwenden, wenn die Übersetzung vom Kunden angemessen bezahlt wird, aber ich würde gerne mal wieder etwas Erzählendes übersetzen, einen Roman, ein paar Kurzgeschichten, eine Biografie …

Dienstag, 22. März 2011

Jörg Achim Zoll: Schreiben / Erfolgreich schreiben

Was könnte man über das Schreiben noch schreiben, was noch nicht geschrieben wurde? Die Ratgeber und Beiträge zum Thema sind Legion, und nun gesellen sich zwei neue Schriften aus dem Down to Earth Verlag zum Chor der Stimmen: »Schreiben – Impulse für treffende Texte«, ein Impulsheft und das Quadro »Erfolgreich schreiben – Bücher, Blogs und Artikel veröffentlichen«, beide von Jörg Achim Zoll.
Der Autor zählt zu den führenden Publikations-Experten im deutschsprachigen Raum. Er berät Top-Autoren bei der Planung, Durchführung und Vermarktung ihrer Buchprojekte. Er hat Philosophie und Literaturwissenschaft studiert, ist selbst mehrfacher Buchautor (Pseudonym: Jan Demas), seine Werke tauchen auf den Wirtschafts-Bestsellerlisten auf. Er weiß also, wovon er spricht.
Nun sind Impulsheft und Quadro keine Formate, die mit einem Fachbuch vergleichbar wären. Wer auf der Suche nach einem ausführlichen Werk ist, dem sei Stephen Kings On Writing: A Memoir of the Craft empfohlen, aus meiner Sicht das beste Buch über das (erzählende) Schreiben, das derzeit auf dem Markt ist.

Ein Impulsheft, 32 Seiten stark und 10 x 10 Zentimeter klein, will und kann nur Impulse geben; nicht mehr und nicht weniger tut auch Jörg Achim Zoll mit »Schreiben«. Er beginnt mit gutem Rat zum Stressabbau, fährt damit fort, dass es unumgänglich ist, sich als Autor Gedanken über das Medium zu machen, für das man schreibt und ruft dann zum unumgänglichen (wenn auch für Autoren schmerzlichen) Beschneiden des eigenen Textes auf.
Leser sind ungeduldig. Mach dir zur Angewohnheit, schnell zum Punkt zu kommen. Das gilt vor allem für Sachtexte. Spanne deine Leser nicht auf die Folter.
Weiter geht es im Impulsheft mit dem Thema Schreibtypen und Stile, wobei auch die Frage des Schreibortes behandelt wird; anschließend untersucht Zoll, was es mit dem »Fluss« auf sich hat. Aus meiner Sicht unbedingt zu unterstreichen sind die Hinweise, die er dann unter der Überschrift »Mehr Glanz, bitte!« gibt. Viel zu viele Texte werden ohne gründliche Überarbeitung veröffentlicht, mit entsprechend schauerlichen Ergebnissen. Wie der »Glanz« zustande kommt, schildert das Impulsheft anschaulich.
Das letzte Kapitel öffnet den Blick auf eine Notwendigkeit, die viele Autoren noch nicht ausreichend erkannt haben: Schreiben ist heute Dialog, nicht mehr Monolog.
Immer mehr Menschen schreiben und veröffentlichen Texte. Das ist sinnlos, wenn daraus keine Dialoge werden. Der Markt für Texte ist längst gesättigt. Doch der Dialog der Menschheit über ihre Zukunft hat gerade erst begonnen.

Ein Quadro hat ein größeres Format als ein Impulsheft, kann mehr in die Tiefe gehen und soll mit Fragen, Denkanstößen und Handlungsimpulsen den Leser zum Mit- und Selbstmachen anstacheln.
Mit »Erfolgreich schreiben« geht Jörg Achim Zoll ausführlicher auf die innere Einstellung und die Ziele ein als auf das Handwerkliche.
Gutes Handwerk beim Texten ist wichtig, ja. Doch nach meiner langjährigen Erfahrung scheitern die wenigsten Autoren an der Textarbeit. Die schönsten Texte werden niemals veröffentlicht. Und es gibt Bestsellerautoren, bei deren Schreibstil sich mir die Haare sträuben. Sie müssen aber bei anderen Erfolgsfaktoren vieles richtig gemacht haben.
»Arbeit oder Beschäftigung?« fragt Zoll im ersten Kapitel, in dem es um die Grundlagen geht, er erinnert an das Eingrenzen von Themen und rät dazu, unterscheidbar zu werden.
Anschaulich stellt er im zweiten Abschnitt die Medien, für die und in denen jemand schreibt, und ihre Charakteristika dar. Wer für eine Zeitschrift schreibt muss anderes formulieren als ein Blogger, ein Twitterer kann noch lange keinen Roman verfassen … alles natürlich keine neuen Erkenntnisse von Zoll, aber ansprechend und verständlich dargestellt.
Das dritte Kapitel gibt dem Leser einiges Handwerkszeug mit auf den Weg, das im Impulsheft nur kurz angerissen wird: Materialsammlungen, Wahl des Schreibortes, Korrektur und Überarbeitung des Textes und die Notwendigkeit, sich der Kritik anderer auszusetzen.
Das Quadro endet mit einer Betrachtung des Wandels in den Medienwelten, einem Plädoyer für Offenheit statt Eigensinn und der Einladung an den Interessierten, sich das Schreiben nicht vermiesen zu lassen.
Unsere Gedanken von heute sind die Wirklichkeit von morgen. Wer schreibt und veröffentlicht, übt Einfluss aus. Nutze ihn für eine bessere Welt.

Mein Fazit: Natürlich hat Jörg Achim Zoll das Rad nicht neu erfunden. er hat es nur anschaulich neu dargestellt. Trotz der kleinen Formate haben Impulsheft und Quadro erstaunlich viele hilfreiche Denkanstöße und Arbeitshilfen zu bieten. Vor allem für Menschen, die zwar schreiben möchten, aber nicht so recht wissen, wie man damit anfängt, sind die 6 Euro eine lohnende Investition in die eigene Kreativität. Die ausführlicheren Bücher zum Thema kann man ja später noch lesen, wenn aus der Idee eine kreative Beschäftigung geworden ist.

Erhältlich bei Down to Earth: 
.

Montag, 21. März 2011

Von Briefen und Kaffeebechern

Kaffeebecher neben dem Stapel bereits versandfertig gemachter Briefe sollte man mit besonderer Behutsamkeit handhaben. Andernfalls darf man erneut drucken und eintüten, was bereits gedruckt und eingetütet war.

coffee & letters

Sonntag, 20. März 2011

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 16

Zunächst das Obligatorische: [Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5] /// [Teil 6] /// [Teil 7] /// [Teil 8] /// [Teil 9] /// [Teil 10] /// [Teil 11] /// [Teil 12] /// [Teil 13] /// [Teil 14] /// [Teil 15]

Dann die Fortsetzung:

------ ------ ------

»Bernd war Autor«, stellte Johannes ausweichend fest.

»Das weiß ich. Und du?«

Statt zu antworten fragte Johannes: »Was tust du denn? Ich meine, wie lebst du deinen Alltag, gehst du einer Beschäftigung nach?«

»Ich habe eine Ausbildung gemacht – ach, das weißt du ja sowieso. Die Sache mit dem Giftzwerg hast du mir ja schon an den Kopf geworfen. Im kaufmännischen Bereich habe ich mich nicht wohl gefühlt, also habe ich Linguistik studiert, das war dann aber langweilig, inzwischen bin ich Fotografin. Wenn mir danach ist, nehme ich Aufträge an, sonst arbeite ich für eigene Projekte.«

»Und Geld spielt ja bei euch Nephilim keine Rolle, oder?«

»Das habe ich erst nach und nach herausgefunden. Ich hatte zwar Eltern, aber die hatten mich adoptiert. Daher hatte ich anfangs niemanden, der mir mein Erbe hätte erklären und mich in die Gemeinschaft hätte einführen können. Nitzrek war keine große Hilfe.«

»Erzählst du mir davon?« fragte Johannes und steckte zwei Zigaretten an. Eine reichte er Jessika hinüber.

Sie nickte. »Ich habe das noch niemandem erzählt, aber da du sowieso mehr weißt als du wissen kannst … warum auch nicht.«

 

Jessika hatte erst mit 14 Jahren erfahren, dass sie nicht das leibliche Kind ihrer Eltern war. Eines Abends wachte sie auf, spürte Durst und ging in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Im Wohnzimmer, dessen Tür angelehnt war, saßen ihre Eltern. Jessika hörte auf dem Rückweg in ihr Zimmer ihre Mutter sagen: »Aber irgendwann müssen wir es ihr doch sowieso sagen. Sie wirf Fragen stellen, ganz bestimmt.«

»Sie ist noch ein Kind«, brummte ihr Vater.

»Sie ist 14!«

»Ja, das weiß ich. Aber wer weiß, wie sie darauf reagiert, vielleicht fühlt sie sich dann ungeliebt oder verunsichert? Vielleicht fragt sie ja auch nicht.«

Jessika stand im Flur und fragte sich, welches Geheimnis ihre Eltern da besprachen. Sollte sie ins Wohnzimmer gehen und fragen? Oder abwarten? Sie schlief wie immer nackt und hatte sich für den Ausflug in die Küche nichts angezogen, aber das war kein Problem, in ihrer Familie musste sich niemand seines Körpers schämen, auch ihre Eltern gingen von der Dusche ins Schlafzimmer, ohne sich zu verhüllen. Aber Jessika wusste nicht, ob sie erfahren würde, worum es bei dem Gespräch ging, wenn sie jetzt auftauchte oder eher, wenn sie weiter lauschte.

»Warum sollte sie sich weniger geliebt fühlen? Wir lieben sie doch schon 14 Jahre und daran ändert sich auch nichts.«

Jessikas Vater klang nachdenklich: »Aber ihre Psyche – vielleicht würde sie es anders empfinden?«

»Das glaube ich kaum«, entgegnete ihre Mutter, »Jessika ist ein stabiles und selbstbewusstes Mädchen. Sie hat vor zwei Jahren den Mordanschlag der Hausmeisterin sehr schnell und bewundernswert tapfer verarbeitet. Ich habe viel länger gebraucht, um über den Schock hinwegzukommen. Mein Kind wird beinahe erstochen worden, während wir auf einer Party sind! Das geht mir noch heute oft durch den Kopf, wenn Jessi alleine zu Hause ist.«

Jessikas Vater seufzte. Dann, nach einer kurzen Pause, sagte er: »Sie ist unser Kind und sie hat uns lieb. Dass wir sie lieben, das weiß sie und das hat ihr Halt damals gegeben, meinte der Psychologe. Das gibt ihr auch heute, zwei Jahre später, noch Halt. Warum sollten wir daran rütteln, oder das gefährden?«

Nun trat Jessika ins Wohnzimmer und fragte: »Worum geht es eigentlich?«

Beide schauten überrascht auf, schickten sie aber nicht fort. Im Gegenteil. Zwischen ihre Eltern in eine Wolldecke gekuschelt erfuhr sie in jener Nacht, dass sie ein Findelkind war. Ein Obdachloser hatte bei seiner Suche nach weggeworfenen Pfandflaschen eine abgewetzte Reisetasche im Gebüsch bemerkt und in der Hoffnung auf brauchbaren Inhalt hineingeschaut. Als er ein Neugeborenes sah, das wie tot wirkte, ließ er vor Schreck die Tasche fallen, worauf ein leises Wimmern zu hören war. Er besaß kein Telefon, kurzerhand nahm er die Reisetasche und machte sich auf den Weg aus dem Park zum nächsten Supermarkt, wo er seinen Fund einer Kassiererin zeigte. Minuten später waren Notarzt und Polizei vor Ort.

Jessikas Eltern hatten einen Ordner, in dem sie die Zeitungsausschnitte aufbewahrten, die sich mit dem ausgesetzten Neugeborenen beschäftigten. Der Obdachlose wurde als Held gefeiert, die Rabeneltern nie ermittelt. Viele Paare hatten sich damals um die Adoption des »Tiergarten-Babys«, wie die Boulevardpresse das Mädchen schnell getauft hatte, bemüht, gelandet war Jessika schließlich da, wo sie noch immer wohnte.

»Und warum habt ihr mir das nicht schon längst erzählt?«, fragte sie.

Ihr Vater legte seinen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. »Was hättest du denn an unserer Stelle gemacht? Geschwiegen oder dem Kind, das man liebt wie sein eigenes, erzählt, wo es herstammt, bevor es erwachsen ist?«

»Ich weiß es nicht, Papa.«

Keiner darf Jessika noch mal pieksen.»Wir hätten es dir wohl in den nächsten Tagen gesagt«, erklärte ihre Mutter. »Du musst wieder zur Blutuntersuchung, wie alle fünf Jahre, und du hast beim letzten Mal schon gefragt, warum und wozu, weil du ja überhaupt nicht krank warst. Da warst du neun und ziemlich schnell wieder abgelenkt oder zufrieden mit der Erklärung, das sei eine reine Routineuntersuchung.«

»Ist es und war es aber nicht?«

»Ja und nein«, sagte ihr Vater. »Dir fehlt nichts, das weißt du selbst, im Gegenteil, du bist so gesund, dass es schon fast unheimlich ist. Keine Grippe, keine Erkältung, kein Bauchweh … seit wir dich haben. Als du gefunden wurdest hat man dich natürlich im Krankenhaus sehr genau untersucht, und dabei haben die Ärzte in deinem Blut etwas festgestellt, wofür sie keinen Namen oder keine Erklärung hatten. Ich bin ja kein Mediziner, vielleicht habe ich es auch bloß nicht verstanden. Jedenfalls haben sie zuerst halbjährlich, dann jährlich und nun inzwischen alle fünf Jahre auf einer Untersuchung bestanden.«

Jessikas Mutter ergänzte: »Sie wollen einfach sicher gehen, dass das, was mit deinem Blut los ist, keinen Schaden anrichtet. So hat man es uns jedenfalls erklärt. Es gibt da einen Professor am Klinikum, der ist der Sache auf der Spur, sagt er, es hätte irgendwas mit deiner Abstammung zu tun … und da du jetzt mit 14 natürlich ganz andere Fragen stellst und sicher auch die Ärzte anders mit dir reden, haben wir vorhin darüber gesprochen, ob und wann wir dir erklären sollen, dass du unsere liebe Tochter bist, obwohl ich dich nicht geboren habe. Wenn die Abstammung zur Sprache kommt, musst du vorher wissen, dass wir nicht deine leiblichen Eltern sind.«

Es hatte sich nach dieser Nacht nichts im Verhältnis zu ihren Eltern geändert. Jessika fragte bei der Untersuchung zwei Wochen später die Ärzte aus, aber was mit ihrem Blut oder an ihrem Blut nun eigentlich nicht stimmte und welche Auswirkungen das haben konnte, konnten oder wollten ihr die Mediziner nicht sagen. Es ging um die Zusammensetzung und vor allem darum, dass ihr Blut sich anders »verhielt« als es normal gewesen wäre. Die Gerinnung stimmte nicht mit der Schulmedizin überein, die Viskosität war anders, die Erythrozyten transportierten einen Stoff, den man noch nicht benennen konnte, Granulozyten und Monozyten waren im Verhältnis zum normalen Befund viel zu zahlreich in Jessikas Blut zu finden.

Der eine Wissenschaftler, der die Abstammungstheorie verfolgte und mit dem frisch entnommenen Blut weltweit Vergleiche anstellen wollte, ein gewisser Professor Doktor Jochen Stieß, verschwand am Abend nach Jessikas Untersuchung spurlos.

 

»Der Teltowkanal ist an manchen Stellen ganz schön tief«, sagte Jessika und öffnete das Fenster einen Spalt, rutschte ein wenig hin und her auf dem Sitz.

Johannes hatte aufmerksam zugehört und Jessika nicht unterbrochen. Nun schwieg sie, schien auf seinen Kommentar zu warten.

»Ich vermute, dass die Besonderheit deines Blutes bis heute nicht wissenschaftlich erklärt oder erforscht wurde?«, fragte er.

»Richtig. Das war übrigens mit 14 Jahren die letzte Untersuchung, der ich mich ausgesetzt habe. Ich kannte ja Nitzrek schon zwei Jahre; obwohl er bezüglich meiner Abstammung keine Hilfe war, hatte ich ja bereits einen Auftrag erledigt und wusste, dass ich nicht so ganz wie andere Menschen war. Fünf Jahre später begriff ich schon einiges mehr über meine Herkunft und selbstverständlich werde ich keinem Arzt mehr die Gelegenheit geben, stutzig zu werden.«

»Bei der nächsten Raststätte wäre eine Pinkelpause ganz nett«, meinte Johannes. »Nur so nebenbei bemerkt.«

»Na klar.«

»Weißt du denn inzwischen, was in deinem – in eurem – Blut nun anders ist?«

»Das Blut sei ein besonderer Saft, hat ja schon Herr Goethe gemeint. Ohne sich darüber auszulassen, wie es zusammengesetzt ist.«

»Und dein Blut ist ein ganz besonders besonderer Saft.«

»Ja.«

Johannes war immer noch neugierig: »Dieser Blutaustausch – wenn ich das mal so nennen soll – mit Luca, das war ja nun keine Transfusion. Ich meine, wenn man eine Wunde auf die andere legt, fließt ja nicht das Blut des Spenders in den Körper des Empfängers. Das war wohl irgendwie mehr – äh – eine symbolische Handlung?«

Jessika lachte vergnügt und meinte: »Bin ich denn symbolisch zum Leben zurückgekehrt?«

»Nein. Also dann rituell statt symbolisch?«

»Hast du als Junge mal Karl May gelesen?«, fragte sie.

»Du meinst Winnetou und Old Shatterhand als Blutsbrüder?«

»Ja. Zum Beispiel. Das ist bei Karl May ein Symbol für Freundschaft und Treue, aber es geht weit darüber hinaus. In vielen Sagen und Erzählungen findet man entsprechende Passagen über den Blutsbund. Aus menschlicher Sicht in der Regel. Und immer seltener, je aufgeklärter die Menschheit ist.«

Johannes zündete wieder zwei Zigaretten an und sagte: »Die menschliche Sicht ist begrenzt.«

Jessika nahm einen tiefen Zug und antwortete: »Die Menschen begrenzen ihre Sicht selbst, durch Vernunft, Bildung, Wissenschaft und Kultur … oder man setzt die religiöse Brille auf. Was nicht ins Weltbild passt, darf eben auch nicht stimmen oder wird als unerklärlich wegerklärt. Man nennt es dann Aberglaube, Esoterik, ein Wunder, Magie, was auch immer.«

»Manches kann ich nicht erklären, glaube es aber trotzdem. Ohne es gleich in eine Schublade sortieren zu müssen.«

Jessika nickte und rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her. Offensichtlich musste sie dringender als Johannes. Aber es war keine Raststätte in Sicht, nicht mal ein Hinweisschild hatten sie in der letzten halben Stunde passiert.

»Zur Not können wir ja ins Gebüsch pinkeln«, sagte Johannes.

»Kennt dein schlaues Navigationsgerät keine Raststätten? Dann wüssten wir, wie lange es noch dauert.«

»Klar kennt es Raststätten und Restaurants.« Johannes beugte sich vor und wählte aus dem Menü die Übersicht. Das Gerät fand eine Raststätte, 20 Kilometer entfernt.

Jessika war beruhigt. »Bis dahin halte ich noch durch.«

»Ich auch.«

Die beiden wussten noch nicht, wie lange es dauern kann, 20 Kilometer Entfernung zu überwinden, wenn auf der Straße Unvorhergesehenes auf die Reisenden wartet.

------ ------ ------

Und schließlich die Frage an das geschätzte Publikum:

Vor der Raststätte ...
... gibt es eine Begegnung mit der Polizei.
... tauchen die Rocker auf, deren Kumpel tot am See liegt.
... geschieht ein Unfall oder eine Panne.
Auswertung

.

Samstag, 19. März 2011

Jessika-Süchtige dürfen aufatmen.

Sonntag früh um 2:22 geht es hier weiter. Ein Kostpröbchen:

»Zur Not können wir ja ins Gebüsch pinkeln«, sagte Johannes.

»Kennt dein schlaues Navigationsgerät keine Raststätten? Dann wüssten wir, wie lange es noch dauert.«

Na denn!

.

Freitag, 18. März 2011

Sebastian Fitzek: Der Augensammler

Er war einmal Polizist, der Alexander Zorbach, der inzwischen als Journalist Jagd auf einen Serienmörder macht, der das älteste Spiel der Welt auf grausame Weise neu erfunden hat: Verstecken.
Der Augensammler, wie man den Verbrecher getauft hat, hat es auf Familien abgesehen. Er tötet die Mutter, verschleppt das Kind und gibt dem Vater 45 Stunden, nein, 45 Stunden und sieben Minuten, Zeit, das Opfer zu finden, bevor es in seinem Versteck stirbt. Der Vater sucht natürlich nicht allein, die Polizei und die durch  Medien angestachelte Öffentlichkeit dürfen mitspielen. Die Spielregeln stellt der Augensammler auf, und er hält sich daran. Den aufgefundenen Kinderleichen fehlt jeweils das linke Auge und ihr Todeszeitpunkt entspricht exakt der eingeräumten Frist.

Sebastian Fitzek ist es mit diesem Buch gelungen, mich zu fesseln und bis zur letzten Seite die Spannung nicht abreißen zu lassen. Wen hatte ich unterwegs durch die Seiten des Thrillers nicht alles im Verdacht … die falschen Fährten sind geschickt gelegt, das Unerwartete geschieht wirklich unerwartet, das Grauen hat seinen Namen verdient.
Ich habe letztes Jahr eine Lesung mit Sebastian Fitzek besucht, daher wusste ich bereits, dass »Der Augensammler« ein paar Besonderheiten bietet, die in Büchern sonst eher nicht zu finden sind. Die Seitennumerierung läuft rückwärts wie die Kapitelzahlen, es gibt nicht den einen Erzähler, sondern mehrere Personen wechseln sich ab, darunter der Augensammler selbst, der gut formulierte E-Mail zu schreiben vermag; auch die Perspektive eines entführten Kindes in seinem Gefängnis fehlt nicht. Die Frist bis zum Ablauf des Ultimatums steht am Beginn jedes neuen Abschnittes – und dass der Leser tatsächlich rückwärts bis zum Zeitpunkt des wirklichen, des unaussprechlichen Verhängnisses liest, erschließt sich erst ganz am Ende.
Als die letzte Seite gelesen war, fand ich mich entsetzt und atemlos bei Kapitel 1 wieder und stellte fest: Ein grandioses Buch aus der Feder eines herausragenden Erzählers, der inzwischen an der Fortsetzung der Geschichte arbeitet.
Via Facebook kann ich gelegentlich vom Fortschritt seiner Arbeit Kenntnis nehmen. Nach der Lektüre dieses Werkes bin ich mir ziemlich sicher, dass Augensammler Nummer 2 alles andere sein wird als ein müder Abklatsch oder verwässerter Aufguss. Dafür ist Sebastian Fitzek ein viel zu guter Autor.

Mein Fazit: Lesen! Und zwar sofort, sonst läuft das Ultimatum ab.



.

Spam mit Zahlen und eckigen Klammern

Die Spammer haben offenbar die eckige Klammer und die Zahlen-Punkte-Kombination für sich entdeckt. Hach, was sind die wieder einfallsreich!

Mittwoch, 16. März 2011

So isses.

Twitter Probleme offensichtlich gelöst.
Jessika nicht weiter geschrieben.
Statt dessen viele Seiten eines spannenden Buches gelesen.
Und eine Siegfried Lenz Verfilmung mit Siegfried Lenz als Angler angeschaut.
Tja.
So isses.
.

Wie wird man solche Twitterplagegeister los?

Gibt es hier Twitter-Kenner, die mir einen Tipp geben können? Wie wird man solche »Follower« los?

twitt

Und wieso können einige von ihnen ihren Schwachsinn unter meinem Namen verbreiten? Das sieht dann so aus:

image

Irgendjemand mit irgendwelchen Tipps für mich unter meinen Lesern? Dann her damit!

Dienstag, 15. März 2011

:-)

What we want is not more books about Christianity, but more books by Christians on other subjects -C. S. Lewis
I'll do my best. -Günter J. Matthia

Brian McLaren: A New Kind of Christian

Gutes Buch, sehr gutes Buch. Daniel Poole, ein so gut wie ausgebrannter Pastor, spielt mit dem Gedanken, seinen Beruf aufzugeben und Lehrer zu werden. Er spricht, als sich die Gelegenheit bietet, Dr. Oliver an, der Naturwissenschaften unterrichtet, um ein paar Details bezüglich der Anstellung, Bezahlung, der praktischen Arbeit zu klären. »Science is a piece of cake compared to what you do«, meint dieser und eine lebensverändernde Freundschaft beginnt.

Dan, der Pastor und Leo, der Naturwissenschaftler fangen an, sich auszutauschen über Gott und die Welt. Nach und nach wächst das Vertrauen, auch sehr persönliche Fragen werden angesprochen, und Dan entdeckt mit Leos Hilfe die Gründe seiner Frustration, Entmutigung und Erschöpfung im Beruf als Pastor – und er findet einen Weg aus der Sinn- und Glaubenskrise.

Die spannend erzählte Fabel von Brian McLaren öffnet den Blick auf Möglichkeiten, Christsein neu und anders zu leben als im vorigen Jahrhundert üblich und verbreitet: die Beziehung zu Gott wird wichtiger als kirchliche Strukturen, der Glaube ist eher ein Lebensstil als ein Gerüst aus Regeln und Verboten, echte Nächstenliebe und Hinwendung zu den Menschen ringsum zählt mehr als das Bewahren der »reinen Lehre«, eine Wanderung mit einem Freund kann richtiger und »christlicher« sein als der Besuch eines Gottesdienstes.

Ein solches Buch kann nicht ohne Widerspruch bleiben. Der »Schweizerische Bund aktiver Protestanten«, verlautbarte: »Dieses Buch zeigt ihn (McLaren) als einen gefährlichen Verführer, der mit allen Mitteln der Rhetorik ungefestigte Menschen vom biblischen Glauben weglockt. … A New Kind of Christian ist eine raffinierte Anleitung zum Abfall vom wahren, biblischen Glauben.«

Aha. So so. Hört hört. Was der »biblische Glaube« sein soll, wird nicht erläutert, aber offensichtlich gerät der in Gefahr, wenn jemand dieses Buch in die Hand nimmt.

Ich habe das Buch mit Begeisterung gelesen, mit nicht nachlassender Spannung den Dialog zwischen Leo und Dan verfolgt und eine ganze Menge des Gelesenen als glaubensstärkend empfunden. Aber vermutlich bin ich längst von dem Glauben abgefallen, den sie Schweizer Freunde so gefährdet sehen: Ich habe kein Problem damit, die Evolution als Gottes geniale Schöpfungsidee zu sehen. Ich setze mich auch mit homosexuellen Menschen an einen Tisch, ohne die Absicht zu haben, ihnen das Höllenfeuer um die Ohren zu schlagen. Ob meine Freunde Atheisten, Moslems, Buddhisten oder Christen sind, ändert nichts an meiner Wertschätzung.

McLarens Buch ist sicher nichts für Menschen, denen in ihren (katholischen, evangelischen, charismatischen, evangelikalen oder sonstigen) Glaubensstrukturen und –traditionen rundum wohl zumute ist. Es ist keine geeignete Lektüre für Christen, die sich im exklusiven Club mit ihresgleichen so kuschelig fühlen, dass die Welt um sie herum ruhig sein und bleiben kann, wie sie ist, solange man selbst immer mehr Segen, Gesundheit, Wohlstand, Salbung und wasnochalles bekommen kann. Solche Leser würden in den Schweizer Chor einstimmen und den gefährlichen Verführer, der dieses Buch geschrieben hat, an den Pranger stellen oder – falls möglich – an ein Kreuz nageln.

Christen, denen unwohl dabei ist, dass ihr Leben und ihr Glauben nicht so recht miteinander harmonieren, denen auffällt, dass das Gelehrte oft von Erlebten abweicht, dass ringsum Not herrscht, die niemand lindern will … solche Menschen werden dieses Buch nicht ohne Gewinn lesen. Nicht alles, was McLaren schreibt, wird auf Zustimmung stoßen, so ging es mir zumindest, aber das muss ja auch nicht sein. Manches ist auch »typisch amerikanisch« und mit unserer Gesellschaft nur bedingt vergleichbar. Man darf und soll dieses Buch durchaus kritisch lesen – A New Kind of Christian ist kein neuer Katechismus, den man abzuarbeiten hätte, um das ewige Leben nicht zu verspielen.

Auch wer nicht gläubig ist, könnte dieses Buch mit Interesse und Begeisterung lesen, fast möchte ich sagen sollte es lesen. Ich kenne Menschen, die durchaus Interesse am Christentum haben, aber auf gar keinen Fall jemals so werden wollen, wie dieser oder jener »bibeltreue« Christ, den sie kennen gelernt oder gehört oder gesehen haben. Wer weiß, ob Menschen, die mit gutem Grund einen Bogen um alles Fromme machen, jemals jemanden wie Leo und Dan treffen werden – dieses Buch könnte das abschreckende Bild des Christseins etwas relativieren helfen.

Mein Fazit: Sehr empfehlenswert, A New Kind of Christian ist eines der Bücher, die ich bis zur letzten Seite nicht aus der Hand legen wollte, wann immer ich Gelegenheit zum Lesen fand. Ein Buch, das zum Nach- und Weiterdenken anstachelt.

.

Sonntag, 13. März 2011

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 15

Eine einsame Stimme hat sich diese Fortsetzung für den Sonntag gewünscht. Hier ist sie. Vorher noch das Obligatorische: [Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5] /// [Teil 6] /// [Teil 7] /// [Teil 8] /// [Teil 9] /// [Teil 10] /// [Teil 11] /// [Teil 12] /// [Teil 13] /// [Teil 14]

--- --- ---  --- --- ---  --- --- ---

Bevor der Junge eine weitere Rüge einstecken musste, weil er natürlich den Mund nicht geleert hatte bevor er sich zu Wort meldete, sagte Jessika: »Das meinte Johannes nicht, dass ihr beide eine Weile unterwegs wart. Er fragt sich, wo meine eigene Heilungskraft war, als ich sie gebraucht hätte, stimmt's?«

Johannes nickte nur.

»Ich hatte schon zu viel Blut verloren«, erklärte sie. »Das Leben, so viel weiß auch die Bibel und jeder Arzt dieser Welt zu berichten, ist im Blut, und wenn das Blut schwindet, dann schwindet das Leben mit ihm. Und gleichzeitig auch die bei unserer Art wesentlich stärkere Kraft, gesund zu werden, die ihr normalen Menschen nur sehr eingeschränkt besitzt. Es war einfach schon zu spät, mir selbst zu helfen.«

Giacomo schüttelte den Kopf. »Ich will das alles eigentlich nicht wissen. Alesia hat mir damals, als wir heiraten wollten, erklärt, dass sie nicht – äh – also dass sie zwar ein Mensch ist, aber auch das Erbe einer Rasse – einer Art – dass sie etwas in sich trägt, also dass sie anders ist. Ich habe das akzeptiert, aber nicht ganz verstanden. Es ist mir egal. Und heute hat sie mir, als ich nach Hause kam, erzählt, dass Luca – na ja, dass er dazugehört. Luca trug bereits die Motorradjacke und hatte den Helm in der Hand. Alesia hat mir erklärt, wohin wir fahren müssen und eingeschärft, dass ich tun soll, was Luca verlangt, um dich«, er sah Jessika stirnrunzelnd an, »zu retten. Auf dem Motorrad kann man nicht richtig miteinander reden, aber ich habe unterwegs so viel begriffen, dass ich meinem Sohn dann den Arm mit meinem Rasiermesser aufgeschnitten habe, als er ihn mir hinstreckte. Das Messer hatte Alesia in meine Jacke gesteckt. Gefallen hat mir das aber nicht, so viel ist sicher.«

Johannes nickte vor sich hin. Er überlegte, ob er den Hautkontakt noch einmal ansprechen sollte, war sich aber nicht sicher, ob das für einen Zwölfjährigen nicht doch zu peinlich wäre. Luca hatte sich zwar ohne zu zögern – und vermutlich ohne überhaupt darüber nachzudenken – das Hemd vom Leib gerissen und sich auf die unbekleidete Sterbende gelegt, aber als es Jessika dann besser ging, vermied er jeden Blick in ihre Richtung, bis sie sich angezogen hatte. Zuvor waren Jessika und Johannes noch einmal in den Lago di Montepulciano gestiegen, um das Blut abzuwaschen. Luca hatte gewartet und dann darum gebeten, dass niemand hinschaute, als er selbst aus dem gleichen Grund kurz ins Wasser ging.

Giacomo blickte auf seine Armbanduhr und drängte zum Aufbruch. Er hatte alles stehen und liegen lassen, Alesia wollte sich zusammen mit Sofia um die Auslieferungen kümmern, damit wenigstens die Restaurants und Geschäfte ihre bestellte Waren bekamen, aber es blieb natürlich einige Arbeit liegen wegen dieses Ausfluges.

»Das Motorradfahren ist ja sicher auch nicht das Richtige für die Bandscheibe«, bemerkte Johannes.

Luca lachte und erklärte fröhlich: »Das haben Mama und ich vor der Abfahrt noch schnell in Ordnung gebracht. Papa hatte sein Leiden sowieso lange genug genossen, jetzt ist er gesund.«

»Genossen? Diese Schmerzen? Monello!« schimpfte Giacomo, allerdings mit einem verschmitzten Grinsen.

Jessika und Johannes verabschiedeten sich von ihren italienischen Freunden, dass man sich in absehbarer Zeit wiedersehen würde, war nicht sehr wahrscheinlich. Sie trugen herzliche Grüße an Alesia und Sofia auf und winkten hinterher, bis das Motorrad außer Sicht war. Dann standen sie etwas unschlüssig auf dem Parkplatz.

»Ich meine immer noch, dass du so schnell wie möglich aus dem Land musst«, brach Johannes schließlich das Schweigen. »Wir sollten die Nacht durchfahren.«

Jessika sah ihm in die Augen. Ihre Stimme klang zögerlich, unsicher. »Kann ich dir vertrauen? Es scheint so, bisher zumindest. Du weißt zu viel über mich, Johannes, viel zu viel. An und für sich dürftest du mit diesem Wissen nicht länger auf der Welt herumspazieren.«

»Wir lernen uns immer besser kennen, so sollte es ja auch sein. Kann ich denn dir vertrauen? Wenn du im Ristorante Mengrello nach Pedro fragst und anschließend wieder eine Waffe bei dir hast – wirst du sie gegen mich richten?«

Jessika zuckte mit den Schultern. Sie überlegte, ob sie die volle und reine Wahrheit sagen sollte oder nicht. Kenne ich die Wahrheit überhaupt selbst? Weiß ich denn, ob Nitzrek plötzlich einen Auftrag erteilt? Muss ich überhaupt antworten?

Johannes ließ ihr Zeit. Er brauchte ja keine Antwort, aber er wollte, dass Jessika sich mit diesen Gedanken beschäftigte. Sie sollte zu einer Entscheidung kommen, die für sie ungewohnt war, die gegen ihre Natur ging. Falls das gelang, konnte die Zukunft eine andere Wendung nehmen als er geplant hatte. Wohin das dann wiederum führen würde, war nicht abzusehen, aber der morgige Tag würde für sich selbst sorgen, erst einmal ging es um die Nacht, die vor ihnen lag.

Schließlich seufzte Jessika und trat dicht an ihn heran. »Nimmst du mich bitte in die Arme?«

Johannes drückte sie an sich und hielt sie fest. Sie legte ihren Kopf an seine Brust und murmelte: »Ich wünsche mir, dass du mir vertrauen kannst. Ich habe nicht vor, dir etwas anzutun. Ich will dir nichts antun. Aber ich bin nun mal eine Nephilim. Es gibt Gesetze, es gibt Regeln.«

Jessika weint. Er strich ihr sanft über den Rücken, als er spürte, wie nahe sie den Tränen war. »Jessika, natürlich gibt es die. Und dennoch lebt Giacomo mit seiner Nephilimfrau, anstatt im Grab zu liegen. Er ist ein Mensch, ein reinrassiger. Er kennt Alesias Geheimnis. Und jetzt auch das seines Sohnes.«

Johannes spürte, dass sein Hemd feucht wurde. Jessika weinte, schmiegte sich an ihn, hielt ihn fest mit zitternden Armen. Er wartete, ließ ihr Zeit. Es gab keine Eile, es wäre unklug gewesen, diesen Prozess abzukürzen, abzubrechen. Sie weinte die Tränen eines Kindes, dem die Kindheit viel zu früh geraubt wurde. Die Tränen einer Jugendlichen, die keine Jugendliche hatte sein dürfen. Die Tränen einer jungen Frau, die dem einzigen tief geliebten Menschen in ihrem Leben die Kehle durchgeschnitten tat. Die Tränen eines Menschen, der gefangen ist und Freiheit nicht für möglich hält.

Wie lange sie dort auf dem Parkplatz standen, umschlungen wie ein Liebespaar, war schwer zu schätzen. Die Minuten wurden zur Ewigkeit, die Ewigkeit gerann zu Minuten. Zeit spielte keine Rolle, hörte auf zu existieren. Schließlich ließ das Beben ihres Körpers nach. Jessika ließ Johannes los und kramte in ihrer Tasche nach den Papiertaschentüchern.

»Was bin ich für eine Heulsuse«, schniefte sie und schnäuzte sich. »Du hältst mich jetzt bestimmt für ein sentimentales Weichei.«

»Nein.«

»Doch.«

»Nein.«

»Was dann?«

»Du bist ein liebenswertes, kostbares Geschöpf, das an Grenzen stößt, die schmerzhaft sind.«

»Liebenswert? Du spinnst ja.«

»Nein. Ich meine das ernst.«

Jessika schüttelte den Kopf. Sie sah sich um, es wurde inzwischen dunkel. Weit und breit war kein Mensch zu sehen, der Parkplatz lag hinter dem Gebäude, in dem das Restaurant war. Außer dem schwarzen Dodge stand nur noch ein ziemlich verrosteter Fiat Punto auf der Asphaltfläche. Wenn ich wollte, könnte ich dich jetzt umbringen. Ich würde dich überraschen mit dem Angriff, und wenn ich deine Kehle erst mal im Griff habe, dann bist du verloren. Aber ich will dich nicht töten; was machst du bloß mit mir? Wer bist du?

Johannes fischte den Autoschlüssel aus seiner Jeanstasche und drückte auf den Knopf für die Entriegelung. Die Blinker leuchteten zweimal auf und die Scheinwerfer gingen an. Er legte seinen Arm um Jessikas Schultern, sie gingen zum Auto.

»Willst du fahren?«, fragte er.

»Ich darf dein Ungetüm steuern? Natürlich will ich!«

Er reichte ihr den Schlüssel und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Jessika stieg ein und stellte Sitz und Spiegel auf die passenden Positionen.

»Wohin?«, fragte Johannes, als das Navigationsgerät zum Leben erwachte. »Willst du die Pistole kaufen oder fahren wir durch nach Österreich?«

»Falls es Grenzkontrollen gibt, was ja nicht zu erwarten ist, wäre eine Waffe eher hinderlich.«

»Kontrollen sind unwahrscheinlich, aber andererseits sucht die italienische Polizei immer noch eine Mordverdächtige.«

»Eben. Ich glaube, wir fahren lieber durch, ohne dass ich Pedro treffe.«

Johannes nickte zufrieden und gab Innsbruck als Ziel ein. »Du wolltest und solltest noch etwas altern, bevor wir in die Nähe der Grenze kommen«, erinnerte er Jessika, als sie vom Parkplatz fuhren.

»Weißt du wie viel Geld Frauen ausgeben, um jünger auszusehen als sie sind?«

»Viel Geld, davon leben ganze Industriezweige.«

»Und ich soll jetzt altern.«

»Genau. Kein Polizist hält nach einer 40jährigen Ausschau.«

»Na gut, für dich brauche ich ja nicht jung und schön sein, du bist ja schwul.«

Johannes lachte laut und herzlich. »Wir kommst du denn darauf?«, fragte er, als er wieder reden konnte.

»Weil du kein Interesse an meinem Körper hast. In der Pension in Parma schon hättest du Anzeichen erkennen lassen können, am ersten See und am zweiten, dann als ich aus der Dusche in Alesias Wohnzimmer kam … Aber auch vorhin, als ich in deine Arme geschmiegt war – danke übrigens, es hat mir gut getan – hat sich dein Penis nicht gerührt. Ich war dir nah genug, um das zu spüren.«

»Ach und deshalb bin ich schwul.«

»Ja. Bisher hat mich jeder Mann begehrt, dem ich auch nur einigermaßen nahe gekommen bin. Das hat mir ja auch meine Aufgabe erleichtert.«

Johannes grinste noch immer. »Es könnte ja auch andere Gründe geben, oder?«

»Du bist impotent«, gab sie zurück.

»Falsch.«

»Doch, schwul oder impotent.«

»Jessika, ich versichere dir, dass weder das eine noch das andere zutrifft. Beides wäre ja kein Verbrechen, nichts, dessen man sich schämen müsste, aber es stimmt nicht.«

»Dann will ich, dass du mit mir schläfst. Irgendwo unterwegs halten wir an, Decken sind ja im Kofferraum und warm genug ist die italienische Nacht auch.«

Jessika gab Gas, sie waren auf der Autobahn angekommen.

»Du kannst den Tempomat einschalten, wenn du willst«, sagte Johannes. »Dann fährt es sich entspannter.«

Sie suchte mit den Fingern nach dem Hebel am Lenkrad.

»Knopf drücken zum Einschalten und dann kurz nach unten bei der gewünschten Geschwindigkeit«, erklärte Johannes.

Jessika nahm den Fuß vom Gaspedal, der Wagen hielt die 120 Stundenkilometer und schnurrte behaglich die Autobahn entlang.

»Hast du auch so einen Knopf, mit dem man dich einschalten kann? Deinen Penis, meine ich?«

»Du bist ziemlich auf Sex fixiert, kann das sein?«

»Männer sind ständig auf Sex aus«, stellte sie mit Bestimmtheit fest.

»Nicht alle Männer.«

»Fast alle.«

»Viele.«

»Aber du nicht?«

Johannes lächelte und blickte geradeaus auf die relativ leere Autobahn. Jessika sollte, nein, sie musste einiges selbst herausfinden, andernfalls würde sie nicht überzeugt sein. Als er sie in Parma angesprochen hatte, in jener dunklen Straße, wusste er noch nicht, wie sich die Geschichte entwickeln würde. Er hatte noch keine Ahnung von Alesia und Luca, noch nicht einmal eine klare Vorstellung, welcher Art von Wesen Jessika eigentlich angehörte. Er hatte nur vor, sie besser, sie überhaupt richtig kennen zu lernen. Natürlich war ein erotisches Stelldichein ein verlockender Gedanke, aber bei dem Gedanken musste es auch bleiben. Warum das so war, darauf musste sie selbst kommen. Wie er sie an den Punkt bringen konnte, fiel ihm im Moment allerdings nicht ein.

»Du findest mich schon hübsch, oder?« fragte Jessika, als er keine Antwort gab.

Johannes schaute zu ihr hinüber, trotz der relativen Dunkelheit im Wagen konnte er sehen, dass sie die Stirn gerunzelt hatte. Er nickte und bestätigte: »Du bist sehr hübsch. Zweifellos. Mit und ohne Kleidung.«

Jessika schaute kurz von der Straße weg zu ihm hinüber und erklärte: »Unansehnlich bist du auch nicht, mit und ohne Kleidung. Nicht mehr der jüngste, aber ich alterte ja gerade ebenfalls.«

»Das geht so nebenbei, beim Autofahren?«

»Ja, einfach so. Es ist eine Sache des Willens, des Wollens, eine Entscheidung. Es dauert eine Stunde ungefähr, dann bin ich 40 Jahre alt. Für Menschen ist der Vorgang allerdings nicht verständlich, fürchte ich.«

»Wir Menschen«, sagte Johannes, »verstehen vieles nicht. Wir reimen uns dann eine Erklärung zusammen oder bestreiten die Tatsachen. Oder wir reden, wenn wir ausreichend religiös sind, von einem Wunder.

»Oder von einem Märchen.«

»Das meinte ich mit Tatsachen bestreiten.«

Jessika dachte zurück an Bernd. Sie war seine Muse geworden, er schrieb in seinen Horror- und Kriminalgeschichten auf, was sie ihn unwissentlich wissen ließ. Sie erlebte, was er dann als Fiktion niederschrieb. Dass ihm irgendwann die Wahrheit dämmerte, war sein Todesurteil gewesen. Ich war drauf und dran, dich mehr zu lieben, als unsere Gesetze, Bernd. Nun saß sie im Auto eines immer noch undurchschaubaren Mannes, und schon wieder geriet sie in Versuchung, das Gesetz aller Gesetze zu missachten. Kein Mensch darf einen Angehörigen der Nephilim identifizieren und mit dem Leben davonkommen. Wir sind ausgestorben oder haben nie existiert. Andererseits hatte Johannes vorhin Recht gehabt, was Giacomo und womöglich Sofia betraf.

»Du bist nicht zufällig Schriftsteller?« fragte sie.

--- --- ---  --- --- ---  --- --- ---

Nun ist wieder de geschätzte Lesegemeinde gefragt:

Johannes ...
... rückt mit der Wahrheit heraus.
... lässt Jessika im Unklaren.
... offenbart nur einen Teil der Wahrheit.
Auswertung
Fort? Setzung. Folgt.

Freitag, 11. März 2011

Sonntag oder Montag?

Die nächste Folge der Jessika-Geschichte ist fast fertig. Wann hätten die geschätzten Blogbesucher denn gerne die Fortsetzung? Am Sonntag oder erst am Montag?

Hoffentlich liest das niemand.

Hoffentlich liest das niemand. Der Beitrag mit dieser Überschrift ist so lang geworden, dass ich die Interessierten auf meinen textlastigen Blog umzuleiten mich genötigt fühle.

Als Appetithäppchen hier nur die ersten beiden Absätze:

Gelegentlich werde ich mit älteren Texten über Glaubensthemen aus meiner eigenen Feder konfrontiert, bei deren Lektüre mir etwas mulmig wird. Bei denen ich hoffe, dass sie möglichst niemand mehr lesen wird. Und dann ertappe ich mich dabei, dass ich meine Artikel in »gute« und »schlechte« sortiere, anstatt sie als Zeugnisse bestimmter Lebens- und Entwicklungsstufen zu betrachten, die nicht nur schlecht, sondern auch gut sind. Gleichzeitig.

Es ist dieses Schwarz-Weiß-Denken eine hartnäckige, schier unverwüstliche Angelegenheit. Ich habe eine erhebliche Anzahl von Jahren meines Lebens so gedacht, so gehandelt, als gäbe es keine Grautöne, von Farbnuancen ganz zu schweigen. Das konnte sich erst ändern, als mein aus diesem Denken geborenes Handeln nicht die Ergebnisse brachte, die es hätte bringen müssen; und zwar so gravierend, dass ein Wegschauen, ein Wegerklären oder Ignorieren nicht mehr möglich war – oder nur sehr mühsam gelungen wäre.

Wer weiterlesen will, möge so freundlich sein, auf das hübsche Bild oder den nachfolgenden Text in den eckigen Klammern zu klicken: [Hoffentlich liest das niemand.]

Donnerstag, 10. März 2011

Josef Wilfling: Abgründe

Josef Wilfling ist kein erfahrener oder gar »gelernter« Autor, das hat er auch nirgends behauptet. Er ist auch kein Psychologe, kein Seelsorger, kein Jurist, sondern der pensionierte Leiter einer Mordkommission.

Daher täte man ihm Unrecht, wenn man von seinem Buch eine herausragende Sprache, psychologische Einsichten in die Seelen der Verbrecher oder juristisch-distanzierte Analysen erwarten würde.

Zweifellos sind seine Formulierungen oft unfreiwillig komisch, wenn beispielsweise die Stiche »absolut tödlich« sind; es gibt nun mal keinen nicht absoluten Tod. Auch manche Redewendungen (Zittern wie Espenlaub) sind arg abgedroschen, doch wie gesagt – Wilfling lässt keine Ambitionen erkennen, ein guter Schriftsteller zu sein. Man könnte höchstens dem Verlag ankreiden, dass er das Geld für ein Lektorat nicht ausgegeben hat; vermutlich war Heyne etwas klamm in der Kasse.

Das Buch erzählt Fälle, die dem Autor aus seiner Laufbahn besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben sind. Zwar mit geänderten Schauplätzen und Namen der Beteiligten, aber der Leser darf wohl davon ausgehehen, dass die geschilderten Ermittlungen tatsächlich so verlaufen sind. Bei der Lektüre tun sich Abgründe auf, insofern verspricht der Titel des Buches nicht zu viel. Dass Josef Wilfling seine Empfindungen nicht ausspart, dass er auch von eigenen Überreaktionen und Fehlern berichtet, dass er eine Meinung zur juristischen Praxis hat und ausdrückt, macht ihn sympathisch und glaubwürdig.

»Die Wirklichkeit ist packender als jeder Krimi«, wirbt der Verlag für das Buch – das sei dahingestellt, es gibt Krimis, die packender und spannender sind. Dass man einem Krimiautor so manches nicht abnehmen würde, was dieses Buch berichtet, ist allerdings anzunehmen. Ein Polizist klettert über die Trennwand einer Toilette und springt auf den Verdächtigen herab, woraufhin beide samt Kloschüssel durch den Boden brechen und in der Sickergrube landen – da würde man bei einem Krimi den Kopf schütteln und »völlig übertrieben« murmeln. Dass ein Mörder beim Vergraben von Leichenteilen den Plastiksack nicht mit verbuddelt, um die Umwelt zu schonen, würde bei der Lektüre eines Krimis zumindest Stirnrunzeln hervorrufen.

Das Leben ist zuweilen absonderlicher als die Fiktion, und dieses Buch schildert Episoden, in denen das sichtbar wird.

Ist »Abgründe« ein Sachbuch? Nein. Dann hätte es sachlicher ausfallen müssen. Ist es ein Roman? Nie und nimmer, ein Roman bemüht sich um Handlungsstruktur und Erzählstil. Ist es eine Autobiografie? Keineswegs, das Leben des Autors spielt keine Rolle. Haben wir es mit einer Erzählung oder einer Sammlung von Erzählungen zu tun? Schon eher, denn hier erzählt jemand seine Erlebnisse, wie er sie seinen Freunden beim Bier am Stammtisch erzählen würde. Nicht mehr und nicht weniger.

Mein Fazit: Lesenswert, denn die Lektüre ist an keiner Stelle langweilig.

Dienstag, 8. März 2011

Peter Rollins: Der rechtgläubige Ketzer

Peter Rollins
Es gab einmal eine kleine Stadt, deren Bewohner stets bestrebt waren, in ihrem Tun und Lassen den Lehren Gottes gehorsam zu sein. Man konnte die Verantwortlichen jener Gemeinschaft oft ins Gebet vertieft oder beim Bibelstudium, auf der Suche nach Wegweisung und Weisheit, antreffen, wenn sie vor schwierigen Entscheidungen standen.
Eines Abends, mitten im Winter, pochte ein junger Mann aus einer benachbarten Stadt an die Tür der Kirche und bat um Asyl. Der Hausmeister, ein Mann mit tiefem Glauben, ließ ihn sofort ein und sorgte für eine warme Mahlzeit und frische Kleidung, weil er bemerkte, dass der Flüchtling hungerte und fror.
Als er sich etwas erholt hatte, erklärte der junge Mann, dass er aus seiner Stadt geflohen war, weil die Regierung ihn als politischen Dissidenten bezeichnet hatte. Es stellte sich heraus, dass er bei seiner Arbeit als Journalist sowohl den Herrschenden als auch der Kirche gegenüber Kritik geäußert hatte. Der Hausmeister nahm den jungen Mann mit zu sich nach Hause und gestattete ihm, zu bleiben, bis ein Plan bezüglich der nächsten notwendigen Schritte gefasst war.
Der Priester wurde über das Geschehen informiert und er rief die Verantwortlichen der Stadt zusammen. Man musste beraten, was nun zu tun sei. Nach einer zweitägigen Diskussion beschloss die Ratsversammlung, dass der junge Mann der Obrigkeit seiner Heimatstadt übergeben werden sollte, um sich der Anklage wegen seiner Verbrechen zu stellen. Der Hausmeister jedoch protestierte: »Dieser Mann hat kein Verbrechen begangen, er hat lediglich kritisiert, was er als im Namen Gottes begangenes Unrecht seitens der Regierung empfunden hat.«
»Es mag ja stimmen, was du sagst«, erwiderte der Priester, »aber seine Anwesenheit hier bringt unsere ganze Stadt in Gefahr. Nicht auszudenken, wenn jene Obrigkeit erfährt, wo er ist und dass wir ihm Schutz gewähren!«
Aber der Hausmeister weigerte sich, den jungen Mann an den Priester und die Obrigkeiten auszuliefern. Er erklärte: »Er ist mein Gast, und solange er sich unter meinem Dach befindet, werde ich dafür sorgen, dass ihm kein Leid geschieht. Wenn er mit Gewalt aus meiner Obhut gerissen wird, dann werde ich mich öffentlich dazu bekennen, das ich ihm Asyl gegeben habe und die gleiche Ungerechtigkeit erleiden wie mein Gast.«
Der Hausmeister war sehr beliebt und der Priester hatte nicht die Absicht zuzulassen, dass ihm etwas zustieß. Also machte sich die Ratsversammlung daran, die Heilige Schrift nach einer Antwort zu durchforsten, denn sie wussten von dem tiefen Glauben des Hausmeisters. Nach einer ganzen Nacht des Bibelstudiums kamen sie wieder zum Hausmeister und sagten: »Wir haben vom Abend bis zum Morgen auf der Suche nach Wegweisung das heilige Buch durchforstet und sind zu dem Schluss gekommen, dass es uns anweist, die Obrigkeiten dieses Landes zu respektieren und Zeugen unseres Glaubens zu sein, indem wir uns ihnen unterordnen.«
Doch der Hausmeister kannte die Worte der Heiligen Schrift ebenfalls sehr gut und erklärte, dass die Bibel dazu auffordert, sich der Leidenden und Verfolgten anzunehmen.
Nun begannen die Verantwortlichen der kleinen Stadt, verzweifelt auf der Suche nach einer Lösung, auf der Stelle inbrünstig zu beten. Sie beschworen Gott, zu ihnen zu sprechen, und zwar nicht mit der leisen inneren Stimme des Gewissens, sondern eher so, wie er mit Mose und Abraham geredet hatte. Sie flehten Gott an, direkt mit ihnen zu kommunizieren, damit der Hausmeister seinen Irrtum zu erkennen vermochte. Tatsächlich verdunkelte sich der Himmel und Gott stieg herab. Er sprach den Hausmeister an: »Der Priester und die Vorsteher sagen die Wahrheit, mein Freund. Um die Stadt zu schützen muss dieser Mann der Obrigkeit übergeben werden.«
Aber der Hausmeister, ein Mann des tiefen Glaubens, schaute auf und erwiderte: »Wenn du, mein Gott, willst, dass ich dir treu bleibe, dann kann ich deine Anweisung nur ablehnen. Ich brauche weder die Schrift noch deine Ansprache um zu wissen, was ich tun soll. Du hast längst von mir verlangt, dass ich mich um diesen Mann kümmere. Du hast bereits geschrieben, dass ich ihn um jeden Preis beschützen muss. Deine Liebesworte reden durch die Gesichtszüge dieses Mannes, deine Wertschätzung ist in die Struktur seines Fleisches eingewoben. Daher, mein Gott, widersetze ich mich dir, um dir treu zu bleiben.«
Als Gott diese Worte gehört hatte, wandte er sich an die Ratsversammlung und sprach nun sie direkt an: »Wenn ich den Hausmeister nicht überzeugen kann, dann wird es euch erst recht nicht gelingen. Jetzt lasst ihn in Frieden.«
Dann lächelte Gott und zog sich leise zurück. Er wusste, dass die Angelegenheit endlich erledigt war.

--- --- ---

Quelle: The Orthodox Heretic von Peter Rollins, übersetzt von mir; mit freundlicher Genehmigung vom Autor. Danke, Peter!

Aus diesem Buch:



Mehr über den und vom Autor: Peter Rollins Webpage

Montag, 7. März 2011

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 14

Eigentlich wollte ich die Szene, mit der diese Folge endet, noch weiter schreiben. Aber der Sonntag war denn doch mit anderen Aktivitäten gut gefüllt – daher bleiben wir am Schluss dort sitzen, wo wir eben sitzen.

Wie üblich hier die Verknüpfungsorgie vorab: [Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5] /// [Teil 6] /// [Teil 7] /// [Teil 8] /// [Teil 9] /// [Teil 10] /// [Teil 11] /// [Teil 12] /// [Teil 13]

------ ------ ------

Die Stimme war so unirdisch wie die Finsternis, aus der sie kam. »Du musst ihr das Leben schenken.«

Johannes war nicht nach Scherzen zumute, zu beklemmend war die Atmosphäre, zu groß die Sorge um Jessika. Sonst hätte er so etwas wie »wenn ich muss, dann gehe ich aufs Klo« geantwortet. Aber solche Sprüche gehörten in eine andere Welt, in ein anderes Leben. In eine andere Zeit womöglich. Statt dessen fragte er: »Wer ist da?«

»Ich bin Nitzrek. Du musst sie retten.«

»Aber ich weiß nicht, wie.«

»Wie du sie in diese Lage bringen konntest, wusstest du. Und nun bist du am Ende deiner Fähigkeiten?«

Johannes versuchte, die Gestalt zu erkennen, die mit ihm sprach. Es war jedoch zu dunkel, um mehr zu sehen als ein Etwas, ein Wesen, einen großen, tiefschwarzen Schatten, noch schwärzer als die Finsternis. Kein Gesicht, keine Konturen.

»Ich bin Nitzrek.«

Er antwortete: »Ich weiß. Und du willst Jessika nicht verlieren. Du kannst ihr helfen, ich nicht.«

Johannes wollte diesem Wesen in die Augen sehen, ihm Jessika in die Arme – falls Nitzrek Arme hatte – legen. Er nahm Jessika auf seine Arme, trat einen Schritt auf die Schattengestalt zu. Womöglich wurde es noch finsterer, als ginge von der Gestalt ein negatives Leuchten aus. In Johannes normaler Welt vertrieb das Licht stets die Finsternis, hier löschte sie dagegen jeglichen Schimmer aus. Ein weiterer Schritt in die gleiche Richtung, Johannes sah nichts mehr, konnte keine Konturen mehr ausmachen, stand orientierungslos in einem schwarzen Nichts. Die Stimme, die er hörte, mochte in seinem Kopf entstehen oder an seine Ohren dringen, sie war unwirklich weit entfernt und doch so nah, als spräche das Etwas direkt in sein Ohr.

»No man sees my face and lives«, sagte Nitzrek.

Johannes spürte, wie Jessika in seinen Armen erbebte, als habe sie ein Stromschlag getroffen. Gleichzeitig berührte ihn etwas an der Stirn, kalt, eisig kalt und feucht fühlte es sich an. Alle Kraft wich aus seinen Muskeln, seine Knie knickten ein und er sank, Jessika in seinen Armen, auf das Gras. Bevor sich Stille über ihn legte, hörte er noch wie aus unglaublich weiter Ferne einen Ruf. »Ich muss zu ihr«, schien die Stimme zu schreien, »wo ist sie?« - aber seine Sinne verließen ihn bereits, bevor er wusste, ob er wirklich etwas gehört hatte.

Als Johannes zu sich kam, lag die Lichtung im Abendsonnenschein, im Geäst zwitscherten ein paar Vögel. Die Luft war noch angenehm warm. Jessika lag halb auf seinem Körper, ihr Kopf ruhte auf seiner Brust. Ihre Haut war kühl, zu kühl für die Umgebungstemperatur. Er nahm das Gesicht behutsam in beide Hände und sagte mit brüchiger Stimme: »Jessika. Wach auf. Es ist vorbei.«

Sie reagierte nicht.

Aus der Ferne meinte Johannes, einen Motor zu hören, ein Motorrad mochte es sein. Das Geräusch klang weit entfernt.

»Jessika, bitte wach auf.«

Johannes bettete Jessikas Kopf vorsichtig auf ihren gesunden Arm und stand auf. Ich muss Hilfe holen. Ich brauche jemanden, der ihr hilft. Mir hilft. Aber wer?

Neben seinem Auto lag die Leiche mit der klaffenden Wunde im Hals, der zweite Angreifer war nicht mehr zu sehen. Ob der Mann tot gewesen war, konnte Johannes nicht sagen, er hatte nur noch Augen für Jessika gehabt in den Momenten, bevor die Finsternis vom Himmel gefallen war. Wie lange war das her? Seine Armbanduhr hatte er abgelegt bevor er ins Wasser ging. Johannes ging zu den Wolldecken hinüber und schaute auf das Ziffernblatt. Drei Stunden war es her, dass sie hier angekommen waren. Er vergaß, dass er sein Telefon holen wollte, um den Notruf zu wählen, sein Denken war blockiert. Er starrte in die Ferne, dann nahm er eine der Decken, ging zurück zu Jessika und breitete den Stoff über ihren Körper. Er kniete neben ihr nieder und versuchte festzustellen, ob sie noch atmete. Die Lippen waren halb geöffnet, ob die Lungen stillstanden oder noch schwach funktionierten, konnte er nicht feststellen. Johannes presste seinen Mund auf ihren, hielt ihre Nase zu und blies seinen Atem in sie hinein. Seine Finger suchten nach dem Puls an ihrem Kinn. Schwach, ganz schwach meinte er, ihn zu spüren, flüchtig nur und sehr langsam. Wieder blies er Luft in ihre Lungen.

Das Motorengeräusch wurde zunehmend lauter. Johannes dachte an die Lederkleidung der beiden Angreifer und sah sich nach dem Messer um, das er hatte fallen lassen. Es lag drei Schritte entfernt im Gras.

Vielleicht kommt Hilfe? Woher denn! Ich habe ja niemanden verständigt. Der Hüne kommt mit Verstärkung zurück, um seinen toten Freund zu rächen. Ich brauche jemanden … ich … jemanden von ihrer Art. Ich brauche Alesia.

Johannes stand wieder auf und holte sich den Dolch. Das Motorrad kam näher. Er überlegte, ob er sich etwas anziehen sollte, doch dazu hätte er sich zu weit von Jessika entfernen müssen. Ich werde dich verteidigen, bis zum letzten Atemzug, selbst wenn du stirbst. Zumindest das bin ich dir schuldig. Johannes starrte auf den Waldrand.

Sekunden später brach eine schwere Maschine durch das Unterholz. Der Fahrer trug einen Helm mit dunklem Visier, hinter ihm saß eine schmächtigere Gestalt auf dem Sitz. Einen Augenblick glaubte Johannes, den riesigen Räuber vor sich zu haben, aber dann sah er, dass der Motorradfahrer nicht so gigantisch war. Er steuerte sein Fahrzeug über die Lichtung und kam neben Jessika und Johannes zum Stehen. Der Motor verstummte. Die kleinere Gestalt sprang vom Motorrad und nahm den Helm ab, bevor der Mann das Gefährt auf den Ständer wuchten konnte.

»Jessika! Ich bin da! Ich bin gekommen!«

Luca warf den Helm beiseite und beugte sich über den leblosen Körper. »O bitte, lass es nicht zu spät sein!« rief er, während er die Decke beiseite zog und hinter sich warf.

Johannes war sprachlos. Woher … wieso …

Als der Fahrer der Maschine den Helm abnahm, erkannte er Giacomo. Dieser nickte ihm kurz zu und fragte dann seinen Sohn: »Was brauchst du?«

Luca zog seine Lederjacke aus und warf sie zur Decke hinter sich. »Mein Blut. Schnell.«

Giacomo griff in seine Jackentasche und brachte ein Rasiermesser zum Vorschein. Er klappte es auf und zog die Klinge ohne zu zögern über den ausgestreckten rechten Unterarm seines Sohnes. Das helle Blut floss schnell und reichlich.

Luca presste die Wunde auf Jessikas Oberarm, direkt auf den klaffenden Schnitt in ihrer Haut. Giacomo sah Johannes an und befahl: »Verbandskasten. Aus dem Auto. Sofort.«

Aus Jessikas Mund kam ein Stöhnen, ihre Augenlider flatterten. Johannes beugte sich zu ihr hinab.

»Subito! Sofort!« schrie Giacomo ihn an.

Johannes erwachte aus seiner Erstarrung und rannte los. Der Verbandskasten lag unter dem Fahrersitz. Er zog ihn hervor und eilte zurück. Giacomo streckte die Hand aus und nahm den Kasten an sich.

Luca war bleich geworden, Jessika öffnete die Augen. »Es ist …«, flüsterte sie.

»Nicht reden«, sagte der Junge. Er hob seinen blutenden Arm, riß sich das T-Shirt vom Leib und legte sich auf Jessikas Körper, schlang den freien linken Arm um sie und presste wieder Wunde auf Wunde. Jessika zitterte kurz, dann legte sie ihren unverletzten Arm um Luca und drückte ihn an sich. Wenige Minuten später sagte sie: »Es ist genug. Danke, Luca.«

»Sicher? Ganz bestimmt?«

»Ja. Hör auf. Lass dich verbinden.«

Giacomo half seinem Sohn beim Aufstehen und presste sofort eine Kompresse auf den Schnitt. Johannes nahm eine Binde und wickelte sie fest um den Unterarm des Jungen. Dann hatte er wieder Augen für Jessika. Sie lächelte. Sie bekam wieder Farbe ins Gesicht. Sie hatte sich aufgesetzt und deutete auf den Verbandskasten, der im Gras lag. »Eine Kompresse, bitte. Nur für ein paar Minuten.«

 

»Luca war es, der deinen Schrei gehört hat«, erklärte Giacomo.

Zu viert saßen sie auf der Terrasse eines Restaurants beim Essen. Jessika trug wieder das rote Kleid von Alesia und Johannes starrte alle paar Minuten auf ihren Arm, der keine Spur der beinahe tödlichen Verletzung mehr zeigte. Nur wenn man wusste, wo die Stelle war, konnte man noch eine leichte Schwellung sehen – oder sich eine solche einbilden. Luca hatte ein schwarzes T-Shirt an, keine Spur von dem Schnitt mit der Rasierklinge war auf seinem Unterarm zu erkennen.

»Ich glaube, dass das alles Einbildung war. Wir sind nicht überfallen worden, Jessika wurde nicht verletzt. Wir haben uns zufällig hier in diesem Restaurant mit Giacomo und Luca getroffen«, murmelte Johannes.

Luca gab zurück: »Und der Mond ist eine Scheibe«

Giacomo ermahnte ihn: »Erst runterschlucken, was du im Mund hast, dann reden. Niemand will die halb zerkaute Pasta auf deiner Zunge bewundern, monello.«

Jessika legte ihren Arm um den Jungen, drückte ihn an sich und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. »Heute darfst du alles«, sagte sie. Luca wurde rot, ließ sich aber auch noch einen Kuss auf die Wange gefallen.

Giacomo schüttelte resignierend den Kopf. »Ah bella! Wie soll man seinen Kindern Anstand beibringen, wenn einem ständig widersprochen wird?«

Johannes griff nach seinem Bierglas und trank einen kräftigen Schluck. Der herbe Geschmack, das kühle Glas – wunderbar real und zweifellos echt, im Gegensatz zu den verworrenen Erinnerungen an den Nachmittag am Lago di Montepulciano. Tiefe Schnittwunden, die innerhalb von Minuten verschwinden – heilen – sich auflösen, was auch immer; und überhaupt: eine merkwürdige Lebensrettungsmethode, die blutende Verletzung des Retters auf die des Opfers zu drücken und sich dabei mit so viel Hautkontakt wie möglich auf den ausgestreckten Körper zu legen …

»Ich sagte dir doch«, unterbrach Jessika seine Grübeleien, »dass wir schnell heilen.«

Johannes runzelte die Stirn und sagte: »Das habe ich bei meinen Recherchen über eure Art auch gelesen, aber so schnell? Und außerdem wärest du beinahe gestorben, nicht wahr? Wo war denn die schnelle Heilung, als sie gebraucht wurde?«

Luca schob den letzten Löffel Pasta in seinen Mund und erklärte: »Schneller ging es nicht. Mama hat uns den Ort beschrieben, an dem wir euch finden, aber fliegen können wir nicht. Papa ist immerhin gefahren wie ein Rennfahrer.«

------ ------ ------

Tja. Und nun?

Luca und Giacomo ...
... brechen alleine auf, zurück nach Hause.
... bleiben noch mit Johannes und Jessika zusammen.
Auswertung
Fortsetzung? Folgt. Wann? Demnächst.

Sonntag, 6. März 2011

Wenn ich heute …

…ein Stündchen Zeit zum Schreiben finde, geht es morgen weiter mit Jessika.

Elf zu sechs zu fünf.

Die Fortsetzung ist größtenteils geschrieben, lediglich die letzte Szene muss noch in eine Frage an die Leser münden.

Freitag, 4. März 2011

Zum Broterwerb …

… übersetze ich auch Bücher.

Nur so nebenbei bemerkt, falls jemand einen Übersetzer suchen sollte.

:-)

Guttenbergismus an Schule in Österreich?

Na na na – wenn da mal nicht ein Schüler oder eine Schülerin in Österreich für den Unterricht einen Aufsatz abzuliefern hat und nun via Google einen Guttenberg machen will …

Klingt sehr nach Aufsatzthema ...

Vorsicht, liebe Schülerin oder lieber Schüler. Vielleicht kennen sich auch die Lehrkräfte mit Suchmaschinen aus?

Spam der Woche mit Doktortitel

Ach so ist das.

Beinahe hätte es die Auszahlung direkt auf mein Girokonto auf Platz 1 geschafft, aber dann hat doch noch die putzige Behauptung Führungskräfte brauchen mehr als einen Doktortitel meinen Privatwettbewerb um die Betreffzeile der Woche im elektronischen Mülleimer gewonnen. Auch nicht schlecht ist natürlich die Tatsache, dass The Spirit gelegentlich eine vorher angekündigte Schulung durchführt und dass man für 31 Euro den Frühling nach Europa holen kann. Wenn wir zusammenlegen – 30 Blogbesucher und ich – kostet uns das Ende des Winters nur je einen Euro. Wie wär’s damit?

Donnerstag, 3. März 2011

Jessika – ein Verhängnis /// Teil 13

Heute ist die Fortsetzung kürzer als gewohnt – dafür wird es mit der nächsten Folge nicht allzu lange dauern. Es wird auch keine Leserentscheidung über den Fortgang geben, denn den habe ich schon im Kopf und zum Teil niedergeschrieben. Ich hätte diesen Teil natürlich durch weiteren Text länger gestalten können, konnte es mir aber nicht verkneifen die geschätzte Leserschaft mal ein paar Tage einem sogenannten cliffhanger auszusetzen. Ein bisschen Qual muss ja ab und zu sein. Ätsch!

Das aber noch zuvor: Die vorangegangenen Teile: [Teil 1] /// [Teil 2] /// [Teil 3] /// [Teil 4] /// [Teil 5] /// [Teil 6] /// [Teil 7] /// [Teil 8] /// [Teil 9] /// [Teil 10] /// [Teil 11] /// [Teil 12]

------ ------ ------

Au weia.Schließlich, es schien eine Ewigkeit zu dauern, schwanden die Kräfte des Mannes. Er stolperte, sank auf die Knie, ließ das Messer fallen und griff mit beiden Händen nach Jessikas Arm, um den Würgegriff zu lösen. Seine Fingernägel gruben sich in ihr Fleisch. Sie ließ nicht locker, auch als er sich nicht mehr auf den Knien halten konnte und umfiel, hielt sie unerbittlich fest.

Johannes stand zwei Meter entfernt, den blutverschmierten Dolch in der rechten Hand, in der linken ein Handtuch. Er konnte nicht sagen, ob Jessikas Arm von ihrem eigenen Blut verschmiert war oder von dem des Räubers, aber notfalls wollte er die Wunde abbinden können.

»So. Das reicht dir wohl«, sagte Jessika endlich und ließ los. Sie stand, etwas schwankend, auf und schaute Johannes an. »Lass den Dolch fallen.«

Er tat es. Er brauchte keine Waffe mehr. Er wollte Jessika in die Arme nehmen, zum ersten Mal, sie trösten, falls sie Trost brauchte, sie beruhigen, falls sie aufgewühlt war. Wie ein Vater seine Tochter, die gerade Schlimmes durchgemacht hat. Er atmete tief durch und fragte: »Bist du verletzt?«

Jessika nickte. »Er hat mich mit der Klinge erwischt. Aber das macht nichts. Wir heilen schnell, anders als ihr normalen Menschen.«

Johannes ging die zwei Schritte zu ihr hin. Der Stich hatte sich tief in den Oberarm gebohrt, unaufhörlich quoll das Blut. Vorsichtig drückte Johannes das Handtuch auf die Wunde. Er versuchte, sich an den längst vergessenen Unterricht in Erster Hilfe zu erinnern, da war es auch um einen Druckverband gegangen. Einen Knoten musste man machen, und mit einem Stock dann irgendwie den Stoff spannen. Es fiel ihm nicht ein, wie das gehen sollte. Es fiel ihm auch nicht ein, dass er im Auto einen ordnungsgemäß ausgerüsteten Verbandskasten hatte. Das Handtuch färbte sich zügig rot, die Blutung hielt unvermindert an.

»Tut es sehr weh?«

»Ja.« Ihre Stimme war ungewohnt schwach.

»Du musst zu einem Arzt.«

»Nein.«

»Jessika, bitte. Sei nicht unvernünftig. Das ist ein tiefer Stich und du blutest unaufhörlich.«

Sie griff mit ihrer rechten Hand nach dem Handtuch, presste es auf die Verletzung, stöhnte, presste noch stärker, biss sich auf die Lippen und bat dann: »Nimm mich in die Arme.«

Hätte es Zuschauer gegeben, wäre der Begriff Liebespaar das erste gewesen, was ihnen beim Anblick der beiden in den Sinn gekommen wäre. Zwei nackte Menschen, eng umschlungen, die Frau geborgen in den Armen des Mannes. Lediglich das Blut, mit dem sie mittlerweile beide verschmiert waren, störte das romantische Bild.

Abgesehen von einem Händedruck in Parma war dies sie erste körperliche Berührung der beiden. Johannes fühlte ihr Zittern, hielt sie fest, strich ihr über den Rücken. Sie atmete tief, schien schwächer zu werden, wankte auf unsicheren Beinen. Das blutdurchtränkte Handtuch fiel zu Boden, ihre Arme hingen kraftlos herab. Er hielt sie fest, als sie ihm zu entgleiten drohte. Johannes überlegte, ob er sie zu den Decken hinübertragen, hinlegen und Hilfe holen sollte. Das Telefon lag im Handschuhfach. Als er zu dem Schluss gekommen war, dass ihm nichts anderes übrig blieb, kam ein Laut aus ihrer Kehle, der kaum menschlich klang, ein Klang wie aus der Verzweiflung einer geschundenen Kreatur geboren, die ihren Peinigern nicht entrinnen kann.

Unvermittelt wurde es, obwohl der Sonnenuntergang noch fern war, dunkel. Ein tiefer Schatten fiel auf die Lichtung, hüllte die beiden ein. Als sei das Feuer der Sonne plötzlich erloschen. Dunkelheit und Kälte, von einem Augenblick zum nächsten. Eine uralte Dunkelheit, die nicht hierher gehörte. Und in der Finsternis war jemand. Etwas.

Jessika hing wie tot in seinen Armen, Johannes hielt sie fest, sonst wäre sie auf der Erde gelandet. Atmete sie noch? Er drückte sie an sich, versuchte, sie vor der Dunkelheit zu schützen. Oder eher vor dem, was in der Dunkelheit verborgen war. Ihre Haut war warm, noch war sie warm. Es war sinnlos, um Hilfe zu rufen, es war sinnlos, weglaufen zu wollen. Diese Finsternis war nicht von dieser Welt, wohl auch nicht auf dieser Welt. Sie waren in der Finsternis gefangen.

Johannes starrte ins Leere. So etwas wie ein unwirklich graues Schimmern war verblieben, ohne Ursprung; nur vage Schemen der Bäume um die Lichtung waren auszumachen, obwohl die Augen sich schnell an die fehlende Sonne gewöhnten. Er sah nichts, aber er spürte, dass sich näherte, was in diesem Todesschatten wohnte.

------ ------ ------

Wie angekündigt geht es nun nicht um den Fortgang der Geschichte. Aber diese Frage ist nicht unwichtig, womöglich hängt von der Abstimmung das Ende der Erzählung ab. 

Wie geht es den geschätzten Lesern mit Jessika?
Inzwischen mag ich sie.
Keine angenehme Zeitgenossin.
Wer ist Jessika?
Auswertung

Fortsetzung sehr bald an dieser Stelle.

Dienstag, 1. März 2011

Gute Idee: Zur Wahrheit stehen.

Die evangelische Kirche in Deutschland hat ihre traditionelle Fastenaktion »Sieben Wochen ohne« in diesem Jahr unter ein Motto gestellt, das für manche Menschen schwieriger zu bewältigen sein dürfte als der Verzicht auf Fleisch oder Alkohol oder sonst etwas Äußerliches: »Ich war’s! Sieben Wochen ohne Ausreden.«

Wie hilfreich im Miteinander sind doch Ausreden, meinen wir oft. »Ich habe verschlafen – daher bin ich zu spät im Büro.« Wer würde das gerne sagen, wenn sich doch auf der Autobahn so häufig ein Stau entwickelt? »Entschuldigung, ich habe vergessen Ihre Rechnung zu bezahlen.« Wie viel bequemer scheint es doch zu sein, zu behaupten, dass der Brief wohl auf dem Postweg verloren gegangen sein muss …

Aber ist das wirklich bequemer und angenehmer? Auf den ersten Blick vielleicht. Jedoch: Wer lügt (schummelt / verschweigt / umschreibt / schönredet …) braucht ein gutes Gedächtnis. Sonst verheddert er sich früher oder später in Widersprüche. Selbst bei gutem Erinnerungsvermögen kann eine längst vergangene Schummelei sogar einen Bundesminister irgendwann einholen.

»Ich war’s! Ich habe kopiert und eingefügt und das Ergebnis dann als meine Doktorarbeit abgegeben.« Ein solcher Satz hätte dem Ertappten wohl mehr Respekt eingebracht als wochenlange Ausreden und Ausflüchte und Versuche, vom Betrug abzulenken. Selbst dieses Eingeständnis hätte zumindest Achtung vor der Aufrichtigkeit zur Folge gehabt: »Ich war’s! Ich habe mir die Doktorarbeit schreiben lassen und sie dann nicht auf Plagiate überprüft, weil ich dem Ghostwriter vertraut habe.«

Nun ist es immer ein Leichtes, mit dem ausgestreckten Finger auf jemanden zu zeigen, der ertappt worden ist, sei es ein prominenter Minister, sei es Lieschen Müller von nebenan. Wie leicht erkennt man doch den Splitter im Auge eines anderen Menschen, und wie schwer fällt es, den Balken im eigenen Auge einzugestehen.

Es mag schwer fallen, aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es der bessere Weg ist, ein Fehlverhalten einzugestehen, anstatt Ausflüchte zu suchen. Wer zugibt, dass er einen Fehler gemacht hat, kann eher damit rechnen, dass man ihm eine zweite Chance einräumt als jemand, dem man sein Fehlverhalten nachweisen muss, während er es noch leugnet und die Schuld von sich zu weisen versucht.

»Ich war’s! Sieben Wochen ohne Ausreden.« Vielleicht kommt der eine oder andere, der sich auf dieses Experiment der evangelischen Kirche einlässt auf den Geschmack und macht nach den sieben Wochen weiter? Dazu muss man weder evangelisch sein noch muss man bis zum offiziellen Beginn der Fastenaktion am 13. März warten. Damit kann man schon heute anfangen, als Moslem, als Christ, als Atheist …

.