In dem hier betrachteten Buch geht es um Glauben, den Glauben an einen Gott, der sich kümmert und einmischt. Einen Gott, der persönlich erfahrbar ist. Kerstin Hack, die Autorin, machte sich für eine knappe Woche auf in eine fremde Stadt, um Gott zu begegnen. Sie hatte ihn in den Monaten und Jahren vor dieser Reise aus den Augen - oder aus dem Empfinden? - verloren. Das Buch beschreibt die sechs Tage ihrer Suche und was sie dabei gefunden hat.
Wer sich um Doktrinen sorgt oder jeglichen Zweifel an diesem Gott für unverzeihlich hält, der wird Anstoß an dem Buch nehmen. Wer erwartet, eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Begegnung mit Gott zu erhalten, wird enttäuscht sein. Wer meint, unerschütterliche Antworten auf große Glaubensfragen erwarten zu dürfen, muss am Ende feststellen, dass es auch in diesem Buch keine gibt.
Dennoch – oder gerade deshalb – empfehle ich die Lektüre.
- Warum will Gott, dass ich ihn um etwas bitte, wenn er das Gebet dann doch nicht erhört?
- Warum spricht Gott und sagt mir Dinge zu, wenn er sie dann doch nicht erfüllt?
- Wie kann ich ihm wieder neu vertrauen?
Diese Fragen bewegen (mit gutem Grund) die Autorin, ihnen spürt sie nach in Antwerpen. Allerdings nicht in einer Hütte, wie der Titel des Buches vermuten lässt, sondern in der Wohnung von Freunden.
Es sei zur ihrer Ehrenrettung der Autorin zugestanden, dass der Roman »Die Hütte« von William P. Young ihr offensichtlich bei der Suche nach einer Begegnung mit Gott hilfreich war, sie zitiert aus ihm, zieht Parallelen zwischen ihrer Woche in Antwerpen und dem im Roman geschilderten Wochenende. Letztendlich mag die Lektüre der Erzählung von Young überhaupt erst die Resultate ihrer persönlichen Gottsuche ermöglicht haben. Die Hütte darf als Symbol für einen Ort der Begegnung gelten, auch wenn dieser Ort ganz anders aussieht.
Dennoch verursacht mir der Titel »Die Hütte und ich« Stirnrunzeln, da die Reise eben keineswegs in eine Hütte geht, ein Anhängen an die Erfolgswelle des Romans von Young scheint mir unübersehbar. Der Untertitel »Gott neu vertrauen - eine Reise« ist da schon treffender und hätte meinem Geschmack nach dem Buch besser gestanden. Doch sei es, wie es ist, wir alle wissen ja: Don't judge a book by its cover!
Entscheidend ist der Inhalt: Kerstin Hack hat ein ehrliches Buch geschrieben. Sie schildert ihre Erfahrungen mit nicht erhörten Gebeten, mit nicht eingetroffenen Verheißungen, mit einem Gott, der sich nicht einmischt in den Alltag des Menschen, obwohl der Mensch Grund zu haben meint, das erwarten zu dürfen.
Dieser Zustand kann den meisten Menschen, die sich ernsthaft Gedanken über ihren Glauben machen, nicht fremd sein.
Nick Cave hat den Zwiespalt in einem Lied so ausgedrückt: I don't believe in an interventionalist God. But if I did, I would kneel down and pray... Es gibt vieles, worum er Gott gerne bitten würde, aber er zweifelt an dessen Interesse, auf die Bitten auch zu reagieren. Er zweifelt nicht an Gott selbst, sondern an Gottes Einmischung in unsere hiesigen Belange, auch wenn wir genau darum bitten würden.
In dem Roman »Die Hütte« geht es um das gleiche Dilemma: Die Tochter des Protagonisten Mack wird ermordet; Gott greift nicht bewahrend ein. Mack will dennoch gläubig bleiben, er weiß bloß nicht, was er von diesem unbeteiligten Gott halten, wie er mit seinem nunmehr zerstörten religiösen Weltbild zurechtkommen kann. Wie der Mann im Song von Nick Cave glaubt er nicht mehr an einen interventionalist God.
Und Kerstin Hack? Auch sie will an einen persönlichen Gott glauben, einen, der eingreift, sich kümmert, der nicht nur von Liebe redet, sondern sie praktiziert - und hat doch der Tatsache ins Auge zu sehen, dass klar formulierte Zusagen nicht eingetroffen sind. Wie sie damit umgegangen ist und nach der Woche in Antwerpen künftig umgehen will, das erzählt sie in diesem Buch.
Glaubwürdig wird die Beschreibung der sechs Tage für mich dadurch, dass es am Ende keine endgültigen Antworten oder wundersamen Wendungen des Schicksals gibt. Die Situation ist die gleiche wie am Anfang, gewandelt hat sich lediglich die Sicht der Autorin auf die schmerzhaften Fragen in ihrem Leben und Glauben - so wie Mack am Ende des Romans von Young noch immer damit leben muss, dass seine Tochter brutal ermordet wurde.
Kerstin Hack schreibt zwar am Schluß »ich fand Antworten auf meine drei großen Fragen. Gott ist mir begegnet und hat mir in der Begegnung mit ihm Antworten gegeben, die weit über meine Fragen hinausgingen«, aber das ist eben eine ganz subjektive Interpretation ihrer Woche in Antwerpen. Der Leser mag einen anderen Eindruck gewinnen, die »Antworten« als ungenügend empfinden. So ging es mir beim Lesen, aber ich konnte nachvollziehen, dass für die Autorin die Antworten tatsächlich gültig und hilfreich waren.
»Die Hütte und ich« regt dazu an, sich eigenen offenen Fragen zu stellen. Was die Autorin schildert, ist, wie sie selbst sehr deutlich schreibt, nicht zum Nachmachen gedacht, sondern als Anregung für den eigenen Weg zu einer Begegnung mit Gott.
Kersin Hack halfen Träume und innere Dialoge, Zeiten der Besinnung und Gespräche mit Menschen, sogar Kunst und Kultur bei ihrer Suche. Das ermutigt, eigene Versuche zu unternehmen, sich dem unbeteiligten, fernen Gott persönlich (wieder) zu nähern. Dass solche Versuche erfolgreich sein werden, kann dieses Buch nicht versprechen, will es gar nicht versprechen. Aber wie so oft im Leben mag das Beispiel eines fremden Erlebens die Tür zum eigenen Entdecken aufstoßen. Dieses Potential hat das Buch.
Mein Fazit: Eine lohnende Lektüre für alle, die in ihrem Glaubensleben auf Tatsachen gestoßen sind, welche nun dem Vertrauen auf einen eingreifenden, beteiligten Gott im Wege stehen. Wahrscheinlich findet der Leser nicht die erhoffte Aufklärung bezüglich seiner Enttäuschungen und Krisen, aber er kann miterleben, wie die Autorin mit ihren offenen Fragen umzugehen lernt. Vielleicht macht das Mut, eigene Wege zu suchen.
Und das ist allemal besser als billige Rezepte, die nur zu tieferer Enttäuschung führen würden.
Das Buch gibt es für 12,80 Euro direkt beim Verlag: Die Hütte und ich - Gott neu vertrauen