So so, da will jemand das Ende lesen? Selbst schuld… – bittesehr.
Wer den Anfang verpasst hat: [Teil 1] --- [Teil 2] --- [Teil 3] .
Genug der Vorrede. Los geht es:
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Die Ernte
Sechs Monate waren seit dem ersten Traum von Peter vergangen. Renate betrachtete, was von der filigranen Blüte und dem zarten Stängel übriggeblieben war. Sie wagte kaum zu atmen, um dem Gewächs nicht noch mehr Schaden zuzufügen.
Endlich hatte sie heute ein Unterpfand mitbringen können aus dem Paradies, und dann hatte sie wohl im Schlaf darauf gelegen. Aber dennoch – die etwas zerdrückte Blume war noch immer von überirdischer Schönheit. Und vor allem – sie war hier. Im Diesseits. In ihrem Schlafzimmer, herübergebracht aus dem Traum. Oder träumte sie noch? Nein, entschied sie, sie war im Diesseits, im Hier und im Jetzt. Aus dem Radiowecker hörte sie aktuelle Nachrichten, neben dem Bett stand eine Plastikflasche mit Mineralwasser, und vor allem war Peter nicht hier. Also träumte sie nicht. Sie atmete tief den Duft der Blüte ein.
Renate legte das kostbare Unterpfand vorsichtig auf dem Nachttisch ab und schloss die Augen. Peter hatte ihr die Blume geschenkt. Sie wollte zurück zu Peter und konnte nicht. Es war sein Abschiedsgeschenk gewesen. Niemals wieder würde sie ihn sehen, fühlen, seine Küsse schmecken, niemals wieder seine lieb gewonnene Stimme hören. Und niemals würden ihre Leiber verschmelzen, denn das Später war ihr versperrt in diesem Leben.
Es sei denn, sie gab alles auf, was sie hatte, es sei denn, sie folgte ihm endgültig und nicht nur im Traum. Das Unterpfand, hatte er gesagt, sollte ihr Gewissheit geben, dass manchmal zwei Welten zu verschmelzen in der Lage waren, dass Peter wirklich auf sie wartete.
Das Licht der Morgensonne schien jetzt auf die Blüte. Renate musste mit ansehen, wie die Blume starb. Die Blütenblätter wurden dunkler, braun, dann schwarz, während sie ihre sanfte Geschmeidigkeit verloren, trocken und brüchig wie Jahrhunderte altes Pergament wurden. Die winzigen Blättchen am Stiel rollten sich ein und fielen vom Stängel ab, der Stil selbst verlor sein sattes Grün und wurde grau. Lebenskraft und Sonne vertrugen sich nicht. Es dauerte nur etwa zwei Minuten, dann genügte ein leichter Hauch, und nichts als Staub blieb auf dem Nachttisch zurück.
Staub, nichts als Staub würde auch von ihr zurückbleiben, aber was war schon dieses Leben als Tauschobjekt gegen eine Ewigkeit mit Peter? Sie hatte die Blume mitgebracht aus dem Paradies, sie hatte ein Unterpfand bekommen dafür, dass sie wirklich dort gewesen war. In dieser Nacht und in all den Nächten zuvor. Was in ihrem Verstand noch daran gezweifelt hatte, war nun überzeugt.
Renate stand auf. Es gab viel zu tun an diesem Tag. Sie zögerte und überlegte nicht mehr. Sie hatte sich entschieden.
Gewissenhaft führte sie die Anweisungen aus, die Peter ihr gegeben hatte, falls sie zu ihm kommen wollte. Das Buch des Pater Petrus Datura Suaveolens und das Verzeichnis mit den sechs mal sechs Gewächsen verstaute sie sorgfältig in dem Koffer, dazu sechs mal sechs Beutel mit jeweils sechs Samenkörnern. Sie hatte inzwischen dank der üppig gediehenen Pflanzen aus dem Garten des Teufels reichlich davon, aber es sollten jeweils sechs sein, keines weniger und keines mehr. Es mochten viele viele Jahre vergehen, bevor jemand diesen Koffer und seinen Inhalt sehen würde. Sie schloss ihn in einen feuer- und hitzebeständigen Metallkoffer ein, diesen wiederum in einen Kunststoffkoffer, luftdicht, wasserdicht, eine Errungenschaft der modernen Technik. Schließlich vergrub sie das Ganze zwei Meter tief unter ihrem Gewächshaus. Die Grube hatte sie bereits in den letzten Tagen ausgehoben, aber noch gezögert, bis sie an diesem Morgen ein Unterpfand in Händen gehabt hatte.
Das Erdreich war schnell aufgefüllt und mit einer Walze eingeebnet. Dann zog Renate gerade Furchen in das Rechteck, pflanzte junge Datura Suaveolens hinein, beschriftete das neue Beet ordentlich mit einem Steckschildchen und betrachtete zufrieden ihr Werk. Ein frisches Beet, mehr nicht.
Sie ging hinüber in den Anbau, verstaute sorgfältig die dort vorhandenen Gewächse in Holzkisten, lud sie in ihr Auto und fuhr los. Überall in der Stadt verteilte sie die Pflanzen aus dem Garten des Teufels. Auf Spielplätzen, in öffentlichen Parks, auf Brachflächen, in Kleingartenkolonien. Niemand wunderte sich oder sprach sie gar an. In ihrer grünen Gärtnerinnenkleidung, mit den Kisten voll Pflanzen und dem professionellen Werkzeug hielt man sie für beauftragt und befugt, ihrer Arbeit nachzugehen. Kein Mensch fragt ja auch den Mann, der die kleinen Steine in den Gehweg hämmert, ob er das denn dürfe.
Renate wusste, was sie tat. Sie wusste, dass sie mit den Pflanzen das Böse verteilte. Es ging um weit mehr als um Gifte oder Heilkräfte. Aber das war nicht ihre Sorge, und auf dieser Welt würde sie sowieso niemand mehr zur Rechenschaft ziehen können.
Am frühen Nachmittag war sie fertig. Sie fuhr noch einmal an ihrem Geschäft vorbei, es war ordentlich verschlossen, die Lichtschutzjalousien heruntergelassen. Vielleicht würde man am nächsten Tag einige Pflanzen dort herausholen und retten, vielleicht auch nicht. Sie hatte keine Erben, das Geld hatte sie in gleichen Teilen zwei Kinderhilfswerken vermacht. Ihr Steuer- und Finanzberater würde alles ordnungsgemäß abwickeln. Sie dachte an die Millionenbeträge und lächelte bei dem Gedanken, dass man ihr vermutlich ein Denkmal setzen würde.
Renate fuhr zurück zum Gewächshaus. Sie schlenderte durch die Reihen der Pflanzen, betrachtete liebevoll Abschied nehmend die Vielfalt der Gewächse. Dann schnitt sie die schönste der Ananasblüten ab, für Peter. Sie trat in den Anbau und vergewisserte sich, dass nichts aus dem Garten des Teufels hier zurückgeblieben war.
Neben dem Vorrat an Tongefäßen hatte sie eine Liege vorbereitet, Kissen und Decke bereitgelegt. Dort würde sie schlafen. Auf einem Tischchen stand das Getränk, das sie nach einem Rezept aus Pater Petrus Datura Suaveolens Buch bereitet hatte. Sie würde schnell und schmerzlos hinüberwechseln. Um 22:00 Uhr der Trunk, dann hatte sie noch etwa zehn Minuten ungetrübten Bewusstseins, in denen sie sich auf ihre Liege zur Ruhe begeben konnte. Um 22:15 spätestens würde sie bewusstlos und um 22:30 tot sein.
Für die Polizei würde es nach einem alltäglichen Selbstmord aussehen: Eine reiche, alleinstehende Floristin, des Lebens wohl überdrüssig, an ihrer Einsamkeit zugrunde gegangen, oder woran auch immer. Es war fraglich, ob das Gift analysiert werden konnte, aber das kümmerte Renate nicht. Nichts würde sie jemals mehr kümmern, ging sich doch zu ihrem Peter.
Renate sah ihn schon von weitem am Eingang seiner Villa stehen, den Kopf unter dem Hut gesenkt. Sie eilte ihm entgegen. Als sie zwei Schritte vor ihm war, hob er seine Augen. Renates Schrei des Entsetzens war im Diesseits nicht zu hören.
»Das muss ein sehr schreckliches Ende gewesen sein«, meinte der Gerichtsmediziner am nächsten Tag, als er in das verzerrte Gesicht der toten Floristin blickte. »Als hätte sie etwas Grauenhaftes gesehen oder gefühlt in ihren letzten Sekunden.«
Ein verliebter Jüngling zupfte verstohlen eine Blume aus einem Beet im Stadtpark. Niemand beobachtete ihn. Er war auf dem Weg zu seiner Freundin und fand, dass er nicht mit leeren Händen kommen sollte. Er hatte keine Ahnung, was für eine Blume das sein mochte, aber sie hatte ihn geradezu angelockt mit ihrer exotisch anmutenden Blüte. Und dieser Duft, den er einsog …
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Nachbemerkung? Och nö.