Montag, 3. April 2017

Die Kirche liegt im Sterben. Gut so?

Emotional sichtbar sehr bewegt erzählte kürzlich jemand in unserer Gemeinde: »Die Kirche der westlichen Welt liegt im Sterben.« Ich hörte zu und dachte bei mir: Vielleicht ist das ja ganz gut so. Relevant ist sie sowieso nicht mehr.

Nun sollte man nie verallgemeinern. Ohne kirchliche und gemeindliche Aktivitäten gäbe es unzählige Kindergärten, Krankenhäuser, Pflegedienste und soziale Einrichtungen nicht und die gesellschaftliche Not wäre um ein vielfaches schlimmer. In Berlin versorgt zum Beispiel die »Arche«, 1995 gegründet, tausende Kinder und Jugendliche nicht nur mit kostenlosen warmen Mahlzeiten, sondern inzwischen auch mit sinnvollen Freizeitangeboten, Hausaufgabenbetreuung, Lernhilfen und handfester Unterstützung bis in die Familiensituation hinein.

Dennoch stimmt es, dass Gemeinde und Kirche in der klassischen Form, der wöchentlichen Versammlung der Gläubigen zum gemeinsamen Gottesdienst und mit dem Ziel der Gewinnung von »Glaubensfernen« für Christus, im Sterben liegt oder vielerorts bereits gestorben ist. Trotz guten Willens.

Im letzten Jahr ist ein Buch erschienen, das für Kirche und Gemeinde in der westlichen (urbanen) Welt Wege in die Zukunft aufzeigen kann. Ich bin mit meiner Lektüre noch nicht am Ende angelangt, aber doch weit genug fortgeschritten, um meine geschätzten Blogbesucher auf dieses Werk hinweisen zu wollen: Mit Gott in der Stadt von Harald Sommerfeld.

»Welche gut gemeinten [christlichen] Initiativen sind in Ihrer Stadt gescheitert? Woran lag es?« fragt der Autor beispielsweise. Mir fallen gleich eine ganze Menge von frommen Aktivitäten ein, die völlig spurlos an der Stadt (Berlin in meinem Fall) vorbeigegangen sind. Von Großevangelisationen über Haus-zu-Haus-Aktionen bis zu wirkungslosen Nachbarschaftsinitiativen reicht die Bandbreite dessen, was ich an allemal gut gemeinten, aber ohne jeden auch nur annähernd sichtbar gewordenen Erfolg all der Mühe gebliebenen Anstrengungen miterlebt habe.

Harald Sommerfeld stellt in seinem Buch die richtigen Fragen. Ohne, und das ist ihm sehr zugute zu halten, Patentantworten anbieten zu wollen. Vielmehr führt er den Leser zu Hintergründen der Stadt- und Gesellschaftsentwicklung, die wir allzu oft übersehen. Viele Christen bedauern oder bejammern die Gegenwart, ohne sich ernsthaft auf die Suche nach den Ursachen gemacht zu haben. Sie ziehen sich daher immer mehr in ihr frommes Schneckenhaus zurück und sind tieftraurig, dass »die Kirche im Sterben liegt«, wie es die eingangs erwähnte Person ausdrückte. Für alle, die nicht jammern, sondern etwas verändern wollen im Sinne des Evangeliums, ist »Mit Gott in der Stadt« ein hervorragendes Hilfsmittel, um durch die passenden Fragen auf die zukunftsweisenden Spuren zu stoßen.

Ob nun Oberhausen oder Berlin, Kleinstadt oder Metropole, Harald Sommerfeld schildert Entwicklungen und gesellschaftlichen Wandel so, dass man ihn in seiner Zwangsläufigkeit versteht. Dadurch gelingt auch dem Laien wie mir an vielen Stellen die Einsicht, warum die Rezepte von früher heute ins Leere laufen müssen. Und anhand dieser Einsicht findet der interessierte Leser dann tatsächlich praktikable Ansätze für das eigene Umfeld, die ganz persönliche Situation und die Möglichkeiten der jeweiligen Gruppe, Kirche oder Gemeinde, heute und hier das Reich Gottes den Menschen auf eine authentische und zutiefst den biblischen Erzählungen entsprechende Weise vorzustellen.

Das Buch von Harald Sommerfeld lädt vornehmlich das urbane Christentum unserer Tage dazu ein, wieder für die Gesellschaft relevant zu werden. Nicht mit Patentrezepten, sondern anhand von praktischen Erfahrungen und vielen Beispielen aus großen und kleinen Städten. Die Sprache ist, obwohl es sich um ein wissenschaftliches Werk im besten Sinne handelt, immer verständlich. Ich bin kein Theologe und kann dieses Buch dennoch (oder deshalb?) mit großem Gewinn und auch Freude am sprachlichen Ausdruck lesen.

Aber es ist aus meiner Sicht nicht nur ein Buch für Kirche, Gemeinde und fromme Gruppen oder Initiativen. Sondern alles in allem ein nicht nur sachlich, sondern auch sprachlich beeindruckendes Werk eines Autors, dessen Herz für die Stadt und ihre Menschen brennt. Empfehlenswert nicht nur für Christen, sondern für alle, die Gesellschaft und Stadtentwicklung verstehen wollen, um (auch politisch, karitativ oder künstlerisch) an der Gestaltung unserer Zukunft in den Städten mitzuwirken.

Emotional sichtbar sehr bewegt erzählte kürzlich jemand in unserer Gemeinde: »Die Kirche der westlichen Welt liegt im Sterben.« Ich hörte zu und dachte bei mir: Vielleicht ist das ja ganz gut so. Relevant ist sie sowieso nicht mehr. Aber die Gemeinde, von der Jesus Christus sprach, wird nicht sterben. Sondern immer wieder umgestaltet und erneuert, um ihren Auftrag in einer sich ständig entwickelnden und verändernden Welt erfüllen zu können.

Das Buch von Harald Sommerfeld ist überall im Buchhandel (ISBN-10: 3868275797 /// ISBN-13: 978-3868275797) erhältlich oder gleich hier bei Amazon: [http://amzn.to/2nRk3Uq]

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