Donnerstag, 14. Juli 2016

Frust macht krank – was tun?

Gibt es zufällig jemanden unter meinen geschätzten Blogbesuchern, der im Laufe eines Tages (oder einer Woche) nie frustriert, gereizt, verärgert reagiert? Dann möge er oder sie mir doch mal das Rezept zukommen lassen, ich wäre sehr neugierig.

Für alle anderen, mich eingeschlossen, gilt: Der Straßenverkehr zerrt an den Nerven, ein Mensch reagiert nicht wie erwartet, jemand sagt uns, wir wären im Irrtum, die Technik funktioniert nicht wie gewünscht, das Abendessen misslingt ... und so weiter und so fort.

Solche Frustrationen können uns unglücklich machen, zu Beziehungsproblemen führen, den Arbeitsplatz vermiesen, Stress erzeugen ... und schließlich explodiert man, anstatt einen kühlen Kopf zu bewahren. Das ist alles andere als hilfreich. Noch schlimmer: Inzwischen zweifelt die Medizin nicht mehr daran, dass Frust ernsthafte und sogar tödliche Erkrankungen begünstigen, womöglich auch herbeiführen kann.

Aber können wir uns denn überhaupt wehren? Müssten wir dazu nicht auf eine einsame Insel ziehen oder uns in einem Kloster verkriechen? Und wer weiß, ob nicht auch dort Verdruss und Enttäuschungen auf uns lauern würden.

Meine Erfahrung: Unsere Blickrichtung können wir selbst bestimmen – und das ist eine Möglichkeit, 
die Folgen solcher Frustrationen zu mildern oder ganz zu vermeiden. Praktizierte Achtsamkeit ist der Schlüssel, den ich aus Erfahrung nur empfehlen kann.

Dabei ist die erste Frage, woher Frustrationen stammen, und wenn wir die beantwortet haben, geht es darum, den Blickwinkel zu ändern.

Frustration bemerken

Wenn sich wieder einmal Frust aufbaut, beobachten Sie sich ganz bewusst. Achten Sie darauf, wenn Sie über etwas oder mit jemandem unzufrieden sind, dass und wie in Ihrem Körper diese Enttäuschung spürbar wird.

Beobachten Sie Ihre Atmung. Entsteht ein Gefühl der Enge in der Brust? Bemerken Sie verspannte Schultern oder eine angespannte Bauchmuskulatur? (Letzteres ist bei mir persönlich das untrügliche Signal.) Was passiert mit Ihren Gesichtszügen? Ballen sich Ihre Hände zu Fäusten?

Finden Sie heraus, wie sich Frustration in ihrem Körper bemerkbar macht. Und dann bleiben Sie mit Ihrer Aufmerksamkeit bei dem Gefühl, nur für ein paar Momente, wenn Sie den Mut dazu aufbringen. Normalerweise tun wir alles andere lieber, als diesen Empfindungen Beachtung zu schenken. Wir versuchen vielmehr, sie schnellstens loszuwerden, indem wir die Situation ändern, Menschen dazu bringen, sich anders zu verhalten, oder indem wir uns ablenken. Aber bleiben Sie einmal ein paar Momente mit Ihrer Aufmerksamkeit bewusst bei ihrer körperlichen Reaktion, wenn Sie es schaffen. Dann fällt es Ihnen nämlich beim nächsten Mal leichter, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen, dass das Fass überläuft.

Sie wissen also jetzt, dass Sie gerade Frustration erleben und was dieser Zustand mit ihrem Körper anstellt. Nun achten Sie darauf, was Sie in diesem Augenblick gerne anders hätten als es ist. Was fehlt Ihnen in diesem frustrierenden Moment? Frust ergibt sich so gut wie immer aus dem, was wir nicht haben.

Haben Sie das schon einmal bemerkt? Es fehlt in solchen Augenblicken etwas. Man wünscht, es wäre vorhanden. Der Mangel frustriert. Ein paar Beispiele:
  • Ihr Kind verhält sich nicht so, wie Sie es erwartet hätten ... was Sie also nicht haben, ist »ideales« Verhalten des Kindes. (Eigentlich ist es Ihr Ideal, nicht das des Kindes.)
  • Ihr Computer stürzt immer wieder ab, und Sie können nicht flüssig arbeiten ... was Sie nicht haben, ist ein Computer, der reibungslos funktioniert.
  • Die Leute reden in einer Weise über Sie, die Sie ärgert ... was Sie nicht habe, sind Menschen, die mit Ihnen einverstanden sind oder die sich so verhalten, wie Sie es wollen.
  • Der Feierabendverkehr wird zum Chaos, Sie kommen nicht voran ... was Sie nicht haben, ist eine stressfreie, ruhige Fahrt nach Hause.

Das sind nur Beispiele, aber in allen Fällen wird deutlich, dass etwas fehlt, dass Sie etwas (anderes) haben wollen. Normalerweise haben Sie eine Idealvorstellung, von der die Wirklichkeit abweicht. Also versuchen Sie beim nächsten Frust einmal, das Gefühl in Ihrem Körper bewusst wahrzunehmen und dann festzustellen, was Ihnen fehlt, warum Sie jetzt enttäuscht, verärgert, wütend oder traurig sind. Was passiert da im Kopf?

Wenn wir einen Mangel empfinden, frustriert, gereizt und verärgert sind, dann drehen wir uns oft gedanklich ziemlich im Kreis. »Es ist so ärgerlich, dass er so etwas immer wieder tut« oder »warum kann sie nicht einfach mal so und so sein.«

Wir verhaspeln uns in diesen (völlig nutzlosen!) Überlegungen, bleiben daran kleben, werden schließlich zum Gefangenen der Gedankengänge. Wir wünschen, die Umstände wären anders, die Menschen würden sich nicht so und so verhalten, die Leute würden einsehen, dass wir Recht haben. Es ist leicht, sich darin zu verfangen.

Es ist dagegen nicht so leicht, überhaupt zu bemerken, dass wir in Gefangenschaft geraten, während es passiert. Wenn es Ihnen aber gelingt, diese Verstrickung zu bemerken, dann können Sie sich leichter darüber klar werden, dass Sie gerade eine Phantasiegeschichte bezüglich der Situation entwerfen. Eine Geschichte darüber, wie Sie sich die Umstände anders wünschen, wie andere Menschen nach Ihrer Vorstellung sein und handeln sollten.

Beobachten Sie ruhig einmal, wie Sie sich in dieser Geschichte verfangen. Beobachten Sie, welche Gefühle das in Ihnen auslöst. Wie Ihr Körper reagiert. Sind Ihre Gesichtszüge noch entspannt? Können Sie ruhig und gleichmäßig atmen? Wie fühlen sich Ihre Schultern, Ihr Bauch an? Und dann versuchen Sie sich darüber klar zu werden, dass Ihre Geschichte alles andere als die felsenfeste Wahrheit ist. Sie entspricht nicht der Realität. Sie ist ein Traum, den Sie herbeiwünschen. Kann es die Situation ein wenig aufhellen, wenn Sie die traumhafte Natur Ihrer Geschichte bemerken?

Was ist denn eigentlich vorhanden?

Wenn unsere Konzentration auf das, was wir nicht haben, uns frustriert und letztendlich krank macht  ... dann könnte das Gegenteil uns doch womöglich helfen? Das Gegenmittel zum Frust könnte doch lauten: Zu schätzen wissen, was schon hier, in ausgerechnet diesem Moment vorhanden ist.

In den Augenblicken, in denen die Frustration aufsteigt, dürfte das kaum gelingen, denn wir wollen einfach nur, dass alles so ist, wie wir es uns vorstellen oder wünschen. Die anderen Menschen sollen sich gefälligst so verhalten, wie wir es wollen. Das Leben soll auf den Bahnen verlaufen, die wir uns ausgemalt haben. Leider ist das in der Regel nicht immer der Fall. Manchmal können wir Menschen zwingen, so zu handeln, wie wir wollen, weil wir Macht über sie haben, aber daraus kann keine gute Beziehung zu anderen entstehen, und am Ende werden weder der andere noch man selbst glücklich sein.

Aber ich habe festgestellt, dass es mit etwas Übung möglich ist (und immer leichter wird), mich darauf zu konzentrieren, was ich immer noch und trotz der Umstände zu schätzen weiß, wenn Frust entstanden ist und wenn ich meine Gefangennahme anhand der Symptome bemerke. Lassen Sie uns die Beispiele von oben nehmen:
  • Ihr Kind verhält sich nicht so, wie Sie es erwartet hätten ... aber Sie können tief durchatmen und in diesem Moment so einiges zu schätzen wissen: Ihr Kind ist ein wunderbarer Mensch, der sich zwar nicht ständig perfekt benimmt (wer tut das?), aber Sie haben ein Kind und Ihr Kind ist lebendig, entdeckt die Welt und lernt, sich in ihr zurechtzufinden! Es ist bei Ihnen! Und Sie lieben Ihr Kind.
  • Ihr Computer stürzt immer wieder ab, und Sie können nicht flüssig arbeiten... aber Sie können tief durchatmen und dankbar sein, dass Sie einen Computer haben, dass Sie nicht im Elend leben, dass es Menschen in Ihrem Leben gibt, die Sie lieben. Sie können die Pause, in der das Gerät neu startet oder ein Reparaturprogramm läuft, dazu nutzen, sich zu strecken, in die Natur zu gehen; Sie können fantastische Dinge um sich herum bemerken oder auch einfach nur fünfzehn Minuten auf dem Sofa liegend die Augen schließen und nichts tun müssen.
  • Die Leute reden in einer Weise über Sie, die Sie ärgert ... aber Sie können tief durchatmen und feststellen, dass diese Leute eine abzählbare Schar sind und nicht die ganze Welt! Und Sie sind am Leben und im Leben! Die Menschen sind unterschiedlich, interessant und chaotisch, aber gerade das sorgt für Vielfalt im Leben. Und Sie müssen ja nicht unbedingt mit jedermann bestens zurechtkommen. Schon der Apostel Paulus riet seinen Lesern in Rom: »Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.« Sie werden manche Leute und deren Gerede nicht ändern können. Also wenden Sie sich denen zu, mit denen Sie Frieden haben können.
  • Der Feierabendverkehr wird zum Chaos, Sie kommen nicht voran ...  aber Sie können tief durchatmen und die Tatsache genießen, dass Sie schöne Musik im Auto hören können, dass Sie eine ruhige Übergangszeit zwischen Arbeit und zu Hause haben, in der Sie über das Leben nachdenken können, dass Sie überhaupt ein Zuhause habe, das jetzt vor Ihnen liegt, oder dass Sie Zeit haben, die Architektur oder Landschaft am Rand der Straße in Ruhe zu betrachten.

Das soll nun nicht heißen, dass wir nur positive Gedanken denken sollen ... ganz im Gegenteil. Unsere negativen Gedanken zu bemerken und bei ihnen zu bleiben, ist wichtig. Wir können die frustrierenden Begegnungen und Geschehnisse nicht vermeiden, aber wir können uns bewusst machen, dass das nicht alles ist – und diese bewusste Achtsamkeit auf das, was gerade geschieht und was es darüber hinaus noch gibt, kann sehr hilfreich sein.

Wenn wir nämlich nicht mit unseren Frustrationen umgehen können, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, aus der Wut heraus und mit Gewalt zu reagieren, und das ist nicht sinnvoll. Weder für uns selbst, noch für die Situation, in der wir stecken.

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P.S.: Hilfreiches zum Thema steht auch in diesen beiden Büchern:


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Dienstag, 5. Juli 2016

Wer ist eigentlich arm dran?


»Geld«, sagte mir kürzlich jemand, als wir über den vorgezogenen Ruhestand sprachen, »Geld ist ja nicht das Problem. Aber ich wüsste nicht, was ich dann den ganzen Tag mit mir anfangen sollte.«

Irgendwie tut er mir leid. Ich habe mich nach langem Abwägen und hin und her Rechnen dafür entschieden, mit dem 30. September 2016 vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen, obwohl das eine deutlich spürbare finanzielle Einbuße bedeuten wird. Meinen Beruf habe ich gerne ausgeübt, lediglich das Arbeitsumfeld wurde mir in den letzten Jahren mehr und mehr zur gesundheitlichen Belastung. Da eine Änderung der Umstände nicht absehbar war und ein solcher Verlust an Lebensqualität und Gesundheit mit Geld nicht aufzuwiegen ist, war dann der Ausstieg die vernünftigste Variante. Wenn ich wie mein oben erwähnter Gesprächspartner über Geld wie Heu verfügen würde, wäre mir der Schritt noch leichter gefallen.

Aber eigentlich ist ja er arm dran, nicht ich. Es gibt doch so vieles zu entdecken, auszuprobieren, zu erleben und zu genießen! Bücher lesen, Musik hören, Texte schreiben, selbst musizieren, mit der Kamera hinaus ins Grüne oder ins urbane Leben, Konzerte und Ausstellungen besuchen, in der Wohnung dies und das renovieren und reparieren, neue Hobbies ausprobieren, fantasievolle Mahlzeiten zubereiten, Fahrradtouren und Wanderungen unternehmen … mir fallen schier unerschöpflich viele Aktivitäten und Unternehmungen ein, die kein oder nicht viel Geld kosten. Außerdem gibt es zahllose Möglichkeiten, sich ehrenamtlich, politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, falls das alles nicht reichen sollte. Ganz abgesehen davon, dass auch das gelegentliche Nichtstun eine Wohltat für Körper, Seele und Geist ist.

Liebe geschätzte Blogbesucher, ich hoffe, dass unter Ihnen nicht allzu viele sind, deren beinahe einziger Lebensinhalt die Arbeit ist. Falls das aber zutreffen sollte, rate ich Ihnen dringend, dass Sie beizeiten ausprobieren, was Ihnen Spaß machen würde und wofür Sie sich begeistern könnten, wenn Sie plötzlich viel Zeit (und womöglich deutlich weniger Geld) zur Verfügung hätten.

Keiner von uns weiß, wie lange das Leben währt. Bitter wäre es, am Ende festzustellen, dass das, was man für das Stimmen der Instrumente gehalten hat, schon das Konzert war.
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P.S.: Bild von [Free Stock Fotos]
P.P.S..: Hilfreiches zum Thema steht auch in diesen beiden Büchern:
Entschleunigung und Achtsamkeit (Günter J. Matthia)

Das kleine Buch über die Zufriedenheit (Leo Babauta)