Montag, 1. Februar 2016

Ein Gespräch, hauptsächlich über Jessika


Ich bin, das wissen meine regelmäßigen Blogbesucher, ein »Storyteller« - jemand, der gerne und mit großem Vergnügen Geschichten erzählt. Es lag 2015 nahe, dass ich mich am »Storyteller«-Wettbewerb von Amazon und Focus beteiligte. »Jessika« hat den Wettbewerb nicht gewonnen, mir aber immerhin eine Anerkennung in Form eines Jahresabonnements eines führenden deutschen Nachrichtenmagazins (digital und gedruckte Ausgabe) eingebracht.
Aus diesem Anlass und zur Erinnerung an Jessika für alle, die das Buch noch nicht gelesen haben, heute eine eher seltene, gleichwohl faszinierende literarische Form des »Storytelling«: Ein Interview.

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STORYTELLER: Herr Matthia, Ihr Roman »Jessika« ist zwar nicht als Sieger aus dem Storyteller-Wettbewerb 2015 hervorgegangen, aber er wurde immerhin prämiert. Hatten Sie das erwartet?

G. J. MATTHIA: Wenn ich mich bei einem Wettbewerb beteiligt, hoffe ich natürlich, dass dabei etwas herauskommt. Das wird wohl jedem so gehen. Dass »Jessika« unter den fast 900 Teilnehmern den ersten Preis gewinnt, hatte ich allerdings nicht ernsthaft erhofft.

STORYTELLER: Woran lag das? Sie sind doch sicher vom eigenen Werk überzeugt?

G. J. MATTHIA: Eine Freundin, die das Buch letztes Jahr geschenkt bekam, sagte mir kürzlich, dass sie es nach dem ersten Kapitel erst einmal beiseite gelegt hat, um sich von dem Schock zu erholen. »Jessika« ist keine seichte Unterhaltung und sicherlich nicht für jedermann eine geeignete Lektüre. Das sollte die Erzählung auch gar nicht werden.

STORYTELLER: Liegt das an der namensgebenden Protagonistin, die mit Menschenleben nicht gerade zimperlich umgeht?

G. J. MATTHIA: Jessika ist nicht so einfach gestrickt, wie es auf den ersten Blick scheint, das erschließt sich im Lauf des Buches. Ich habe der erwähnten Freundin Mut gemacht, weiter zu lesen, um Jessika besser kennen zu lernen. Und vielleicht sogar ein wenig zu verstehen, warum sie tut, was sie tut.

STORYTELLER: Können Sie die Handlung des Buches eigentlich in einem Satz zusammenfassen?

G. J. MATTHIA: Nein.

STORYTELLER: In zwei Sätzen?

G. J. MATTHIA: Nein. Auch nicht in drei, glaube ich. Es müssten sehr sehr sehr lange Sätze werden.

STORYTELLER: Also ist es ein kompliziertes Buch.

G. J. MATTHIA: Eher komplex als kompliziert. Bruce Springsteen hat am 19. Januar 2016 bei einem Konzert erzählt, was ihn seinerzeit bewegt hat, als das Album »The River« entstand. Er wollte, so sagte er sinngemäß, möglichst viel von dem hineinpacken, was er selbst gerne verarbeiten oder verstehen wollte. Liebe, Freundschaft, Glaube, Sex, Enttäuschung, Hoffnung, Endlichkeit, Unendlichkeit, Freude, Tränen ... so ähnlich war das mit mir beim Schreiben von »Jessika«. Ich habe einige Themenkomplexe erzählerisch behandelt, um zu sehen, ob ich dabei vielleicht Erkenntnisse gewinnen kann. Ist gut immer gut? Ist böse immer böse? Kann aus Bösem Gutes entstehen? Und umgekehrt?

STORYTELLER: Ist es also ein philsosophisches Buch?

G. J. MATTHIA: In erster Linie soll der Roman unterhalten. Ich versuche, den Leser auf den ersten Seiten gefangen zu nehmen und so spannend zu erzählen, dass er bis zum Schluss dran bleibt. Bei der besagten Freundin ist das nicht gelungen - man braucht wohl schon starke Nerven. Aber wer die hat, das habe ich von anderen Lesern erfahren, bleibt tatsächlich bis zur letzten Seite atemlos dabei. Eine spannende Geschichte kann aber sehr wohl Themen aufgreifen, die in unserem wirklichen Leben und für die Philosophen von Bedeutung sind.

STORYTELLER: Hat der Roman eine Botschaft an die Leser?

G. J. MATTHIA: Ich will niemanden belehren oder bekehren. Ich erzähle eine Geschichte. Das Buch stellt anhand von Jessikas Herkunft, Entwicklung und Widersprüchlichkeit unsere menschliche Tendenz zum schnellen Urteil in Frage - wenn das beim Leser hängen bleibt, finde ich das prima. Jessika scheint zunächst nur abgrundtief böse zu sein. Noch böser, als die männermordende Penissammlerin, der sie im ersten Kapitel auf die Schliche kommt. Aber in den nächsten Kapiteln stellt sich immer wieder die Frage, ob Jessika nicht eigentlich etwas Gutes tut ...

STORYTELLER: Wir wollen in diesem Gespräch nicht zu viel vom Inhalt verraten ...

G. J. MATTHIA: Nein, das wollen wir nicht. Und ich bin ja nicht der erste oder einzige, der diese Frage in einem erzählenden Text bewegt. Sie ist beinahe so alt wie die Menschheit. Die Geschichte mit dem Verrat des Judas zum Beispiel - wie hätte Jesus ohne Judas den Weg gehen können, der ihm bestimmt war? Hätte ihn ein anderer Jünger an die Machthaber verkauft? Hatte Judas überhaupt eine Wahl?

STORYTELLER: Ja, die Bibel birgt viele Rätsel und interessante Geschichten. In Ihrem Buch tauchen einige Nephilim auf. Wie kamen Sie darauf?

G. J. MATTHIA: Die Nephilim, die durch Sex zwischen Menschenfrauen und Engeln entstanden sind, wurden in der biblischen Erzählung mit der Sintflut ausgerottet. Allerdings ist die Bibel da nicht ganz konsequent. Das ist bei den vielen Autoren und der Zeitspanne, in der die Texte entstanden, nicht verwunderlich. Die Nephilim werden deutlich später, lange nach der Sintflut, wieder als existierende Lebensform erwähnt. Das hat mich darauf gebracht, mir auszumalen, was wohl wäre, wenn sie heute noch leben würden. Nicht irgendwo in einem unentdeckten Dschungel, sondern mitten unter uns.

STORYTELLER: Was dann wäre, zeigt uns Ihr Roman sehr plastisch und drastisch. Wir gratulieren jedenfalls zur Prämierung und wünschen »Jessika« noch viele möglichst atemlose Leserinnen und Leser. Abschließend noch ein Blick in die Zukunft. Worum geht es in Ihrem nächsten Buch, vorausgesetzt, Sie schreiben weiter?

G. J. MATTHIA: Es gibt ein Projekt, in dem meine Frau und ich von unserem Leben und Empfinden seit der Krebsdiagnose im März 2012 berichten wollen. Wann und ob daraus ein Buch wird, kann ich momentan aber nicht sagen. Solange ich noch zum Broterwerb meiner Arbeit in einem Industriebetrieb nachgehen muss, fällt es mir schwer, die notwendigen Stunden für das Schreiben zu finden, zumal ich seit der Krebserkrankung durch das Fatigue-Syndrom deutlich eingeschränkt bin, was meine Leistungsfähigkeit betrifft. Das Thema lässt sich nicht so nebenbei und zwischendurch bearbeiten.

STORYTELLER: Das ist verständlich - wir wünschen Ihnen weiter anhaltende Gesundheit, hoffen auf künftige spannende Bücher aus Ihrer Feder und danken für das Gespräch.

G. J. MATTHIA: Vielen Dank meinerseits an die Veranstalter des Wettbewerbes und besonders alle Leser meiner Bücher!

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Das Buch, um das es geht, bekommt man hier: