Wer den ersten Teil sucht, wird hier fündig: [Teil 1]
Jetzt wird es etwas kafkaesker...
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Einige Zeit später kam es dann doch zur Anklage gegen Jesus, Nikodemus konnte sich nicht durchsetzen, obwohl er einer der führenden Gelehrten war und blieb. Die religiösen Führer beschlossen schließlich, Jesus mit Hilfe der römischen Besatzer des Landes aus dem Weg zu schaffen.
In den vergangenen Monaten waren einige spektakuläre Wunder berichtet worden, sogar einen Toten hatte Jesus auferweckt, nicht weit von Jerusalem entfernt. Viele Bewohner der Stadt machten sich auf, um Lazarus, den Auferweckten, mit eigenen Augen zu sehen. Der geistlichen Elite entglitt immer mehr die Macht über das Volk. In den Führungszirkeln wurde beratschlagt, ob es nicht besser sei, auch diesen Lazarus zu töten, bevor Jesus noch mehr Zulauf bekam – ihn selbst wollte man auf jeden Fall bei seinem nächsten Auftreten in Jerusalem unschädlich machen.
Es gelang ihnen auch, Jesus mit einer nächtlichen Aktion gefangen zu nehmen und vor das zuständige Gericht zu bringen. Nikodemus hat, den eingangs erwähnten Schriften zufolge, einen genauen Bericht zusammengestellt, für den leitenden Priester und seine Zeitgenossen aufgeschrieben, was sich in der Präfektur des Statthalters Pilatus abgespielt hat. Und damit kommen wir zu den kafkaesken Szenen.
Pilatus war der vom römischen Kaiser eingesetzte Präfekt, er hatte die Aufgabe, in dieser aufrührerischen Provinz für Ordnung zu sorgen. Die Rechtsprechung gehörte zu seinen Pflichten, und wie sich an diesem Prozess zeigte, nahm er seine Aufgabe gewissenhaft wahr. Er gab sich Mühe, nicht irgend ein Urteil zu fällen, sondern Recht zu sprechen.
Um die Ratssitzung abzuhalten, kamen die Hohenpriester und Schriftgelehrten Annas und Kaiphas, Semes, Dathaes und Gamaliel, Judas, Levi und Nephthalim, Alexander und Jairus und weitere führende Juden zu Pilatus, um Jesus wegen vieler Vergehen anzuklagen. Sie trugen ihre Vorwürfe vor: »Wir wissen, dass dieser der Sohn des Zimmermanns Joseph ist, von Maria geboren; trotzdem behauptet er, er sei Sohn Gottes und König. Außerdem schändet er auch den Sabbat, und er will unser väterliches Gesetz abschaffen.«
Pilatus war wenig über die Vorgänge informiert, aber Gesetzlosigkeit war natürlich nicht in seinem Sinne. Er fragte nach: »Was ist es denn, was er tut, dass er es abschaffen will?«
Darauf erklärten die Ankläger: »Wir haben ein Gesetz, dass man am Sabbat keinen heilen darf. Dieser aber hat Lahme und Bucklige, Verdorrte und Blinde und Paralytiker, Taubstumme und Besessene geheilt, und zwar am Sabbat mit üblen Handlungen.«
Pilatus wunderte sich über diese merkwürdige Anschuldigung: »Mit welchen üblen Handlungen?«
Sie entgegneten ihm ausweichend: »Ein Magier ist er und mit Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, treibt er die Dämonen aus, und alles ist ihm untertan.«
Pilatus, dem die jüdischen Dämonenlehren fremd waren, sah sich zum Widerspruch und zum Verweis auf seine Religion genötigt: »Das kann es nicht sein, mit einem unreinen Geist die Dämonen auszutreiben, sondern das kann nur mit dem Gott Asklepios geschehen!«
Der Gott Asklepios hieß bei den Römern Aesculapius, wir kennen in unserer Zeit meist den Namen Äskulap. Sein Stab, um den sich eine Schlange windet, ist bis heute das Symbol des ärztlichen und pharmazeutischen Standes und er ziert auch die Flagge der Weltgesundheitsorganisation. Der Ursprung dieses Symbols hat mit etwas zu tun, was Jesus in seinem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus erwähnt hatte: »Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.«
Nikodemus war natürlich bekannt, worum es bei dieser Begebenheit ging. Zur Zeit des Mose war das Volk von Schlangen angegriffen worden, Mose bat Gott um Erbarmen. Daraufhin sprach Gott zu Mose: »Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.«
Die Schriftgelehrten gingen nun im Prozess auf diese Frage nicht weiter ein, sie vermieden auch eine Antwort darauf, dass nur der Gott Asklepios für wundersame Heilungen zuständig sein konnte, sondern sie sagten zu Pilatus: »Wir bitten deine Hoheit, ihn vor deinen Richterstuhl zu stellen und zu verhören.«
Pilatus hatte die einleitenden Worte der Ankläger noch im Ohr. Er erkannte einen Kompetenzkonflikt und rief sie näher heran. Er fragte in vertraulichem Ton: »Sagt mir! Wie kann ich, der ich Statthalter bin, einen König verhören?«
Sie erklärten: »Wir behaupten nicht, dass er ein König ist, sondern dass er sich dafür ausgibt.«
Das beruhigte den Statthalter ein wenig, aber er blieb vorsichtig. Pilatus rief seinen Läufer und trug ihm auf: »In rücksichtsvoller Weise soll Jesus vorgeführt werden.«
Ein Läufer war ein Dienstbote, ein Nachrichtenüberbringer. Statt Soldaten zu schicken, um den Gefangenen vorzuführen, wie es sich die Ankläger wohl vorgestellt hatten, wählte Pilatus eine eher dezente Einladung als eine Vorladung vor den Richterstuhl.
Der Läufer ging hinaus, und als er Jesus erkannte, erwies er ihm seine Ehrfurcht. Er nahm ein Tuch, das er in seiner Hand hatte, breitete es auf dem Boden aus und sprach zu ihm: »Herr, wandle auf diesem und geh hinein. Denn es ruft dich der Statthalter.«
Als aber die Neugierigen, die im Gericht herumstanden, sahen, was der Läufer tat, schrien sie gegen Pilatus und schimpften: »Weshalb hast du ihn nicht von einem Herold holen lassen statt von dem Läufer?«
Das Verhalten des Läufers war tatsächlich nur dann angebracht, wenn es um einen König ging. Und einen König lud man nicht mit einem normalen Diener zu sich ein, sondern man schickte einen Herold, einen offiziellen, an einen Ehrenkodex gebundenen Gesandten. Heute würden wir das Wort Diplomat wählen. Und einen König, das hatte Pilatus ja eben richtig festgestellt, konnte man nicht vor einen Statthalter laden, um Gericht über ihn zu halten.
Pilatus hörte den Tumult und rief den Läufer zu sich, noch bevor er Jesus in den Gerichtssaal führen konnte. Er fragte: »Weshalb hast du das getan und dein Tuch auf dem Boden ausgebreitet und Jesus darauf wandeln lassen?«
Der Läufer war sich keines Vergehen bewusst, er antwortet: »Herr Statthalter, als du mich neulich nach Jerusalem zu Alexander schicktest, sah ich diesen Jesus auf einem Esel sitzen, und die Kinder der Hebräer hielten Zweige in ihren Händen und schrien; andere aber breiteten ihre Gewänder vor ihm aus, wobei sie ausriefen: Rette doch, der du weilst in den Höhen! Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!«
Da unterbrachen die Schriftgelehrten den Läufer mit lautem Geschrei: »Die Kinder der Hebräer riefen doch auf hebräisch, woher weißt du es auf griechisch?«
Der Läufer erwidert ihnen nüchtern: »Ich fragte einen der Juden: Was ist das, was sie auf hebräisch rufen? Und der Jude hat es mir übersetzt.«
Nun mischte sich Pilatus ein, das wollte er genauer wissen, denn wenn das stimmte, dann hielt das Volk diesen Jesus tatsächlich für einen durch göttliche Vorsehung Auserwählten. Dann hatte er es vielleicht doch mit einem König, zumindest einem zukünftigen König, zu tun. Er fragte: »Was riefen sie denn auf hebräisch?«
Die Juden antworteten mit den geläufigen Worten aus dem Psalm 118, die beim Einzug eines Königs üblich waren: »hôschi'âhnâ' bi-merômin barûch habbâ' be-schem 'adônai.«
Pilatus nickte und verstand kein Wort. Er fragte weiter: »Und das Hosanna und so weiter, wie wird das übersetzt?«
Sie antworteten: »Rette doch, der du weilst in den Höhen! Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!«
Da sagte Pilatus zu ihnen, nicht ohne Sarkasmus in der Stimme: »Wenn ihr die Äußerungen der Kinder bestätigt, was hat dann der Läufer eigentlich falsch gemacht?«
Nun verstummten sie.
Der Statthalter sprach jetzt wieder mit dem Läufer: »Geh hinaus und, auf welche Art du willst, führe ihn herein!«
Da ging der Läufer hinaus und verfuhr nach der vorigen Weise, indem er wieder ein Tuch wie für einen König auf den Boden legte, und sprach zu Jesus: »Geh hinein! Der Statthalter ruft dich.«
Als Jesus hineinging, während die Standartenträger die Standarten hielten, da verneigten sich die Bilder auf den Standarten und erwiesen Jesus Ehrfurcht. Als die Juden das Verhalten der Standarten sahen, wie sie sich neigten und Jesus Ehrfurcht erwiesen, da schrien sie überlaut und schimpften auf die Standartenträger. Ein Sturm der Entrüstung tobte. Pilatus musste ziemlich energisch werden, bis wieder Ruhe eintrat. Dann fragte er die aufgebrachten Ankläger: »Staunt ihr nicht darüber, wie die Bilder sich neigten und Jesus Ehrfurcht erwiesen?«
Die Standarte war ein an einer Stange gehisstes Feldzeichen, meist ein plastisches Bild, das den Sammlungsort eines Truppenteils in der Schlacht markierte und so zur Insignie dieses Truppenteils wurde. Es könnte sich im Gerichtssaal um die Aquila gehandelt haben, die einen Adler darstellte. Mag sein, dass andere Bilder auf den beiden Standarten waren, jedenfalls waren es Bilder, Gegenstände. So etwas verneigt sich nicht.
Die Schriftgelehrten waren noch immer voller Wut und behaupteten: »Wir sahen, wie die Standartenträger diese neigten und ihm Ehrfurcht erwiesen.«
Der Statthalter hatte nichts derartiges bemerkt, aber er rief die Standartenträger zu sich und stellte sie zur Rede: »Warum habt ihr das getan?«
Sie antworten: »Wir sind griechische Männer und im Tempeldienst. Welchen Anlass sollten wir also haben, ihm Ehrfurcht zu erweisen? Wir hielten die Bilder; diese aber neigten sich von sich aus und erwiesen ihm Ehrfurcht.«
Daraufhin sagte Pilatus zu den Synagogenvorstehern und den Ältesten des Volkes: »Wählt ihr tüchtige und kräftige Männer aus, sie sollen die Standarten halten! Dann wollen wir sehen, ob sie sich von sich aus neigen.«
Das ließen sich die Ältesten der Juden nicht zweimal sagen, sie wählten zwölf tüchtige und kräftige Männer aus und ließen sie jeweils zu sechst die beiden Standarten halten, sie mussten vor dem Richterstuhl des Statthalters Aufstellung nehmen. Die Männer standen felsenfest und hielten die Stangen unbeweglich fest.
Pilatus beauftragte nun den Läufer: »Führe Jesus aus dem Praetorium hinaus und wieder herein, auf welche Art du willst!«
Jesus verließ mit dem Läufer das Praetorium. Pilatus holte derweil die bisherigen Träger der Bilder zu sich und erklärt ihnen halblaut: »Ich habe beim Heil des Kaisers geschworen, wenn die Standarten beim Eintritt Jesu sich jetzt nicht verneigen, dass ich dann euch die Köpfe werde abschneiden lassen.«
Die Männer wurden ziemlich blass, aber sie hatten sich andererseits nichts vorzuwerfen, sie hatten nichts falsch gemacht und schon gar nicht ihre Dienstpflichten verletzt. Sie konnten ja nichts dafür, wenn hier sonderbare Phänomene auftraten. Trotzdem: Ein Kopf rollte damals noch leichter von den Schultern als heutzutage. Die Atmosphäre war recht mulmig.
Pilatus befahl, Jesus solle zum zweiten Mal eintreten, der Läufer verfuhr wie vorher, und inständig forderte er Jesus auf, sein Tuch zu betreten. Jesus betrat es und ging hinein. Als er hineinging, neigten sich wieder die Standarten und erwiesen Jesus ihre Verehrung. Die eigentlichen Standartenträger atmeten hörbar erleichtert auf. Keine Köpfe würden rollen, zumindest nicht ihre.
Pilatus hatte natürlich sehr genau hingeschaut. Als er sah, wie sich die Bilder verneigten, geriet er in Furcht und wollte vom Richterstuhl aufstehen. Das hätte den Abbruch der Verhandlung bedeutet – ein einladend einfacher Ausweg aus diesem Tohuwabohu. Während er noch ans Aufstehen dachte, kam jemand in den Gerichtssaal, den seine Frau zu ihm geschickt hatte. Sie ließ ihrem Mann sagen: »Habe du nichts mit diesem Gerechten zu tun! Denn ich habe in der Nacht viel seinetwegen ausstehen müssen.«
Daraufhin rief Pilatus alle Ankläger herbei und sagte zu ihnen: »Ihr wisst, dass meine Frau gottesfürchtig ist, und mehr noch, sie judaisiert mit euch!«
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Tja. Ist sie nun wirklich gottesfürchtig und judaisiert sich mit dem Volk? Und wird der weise Nikodemus weiter nur zuhören oder auch einmal das Wort ergreifen?
Fortsetzung folgt...