Stress, Hektik, Leistungsdruck und Ärger sind Blei auf der Seele. Und Risikofaktoren für eine Vielzahl von Krankheiten, dafür gibt es seit Jahrzehnten wissenschaftliche Belege. 2012 konnte eine schottische Forschergruppe anhand von Langzeitausstudien an mehr als 68.200 Menschen auch nachweisen, dass selbst leichte stressbedingte Symptome die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöhen, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Starke stressbedingte Symptome führen, das zeigte diese Studie deutlich, auch zu einer höheren Krebsrate.
Nun ist für mich seit der Diagnose 2012 klar, dass ich alles in meiner Macht stehende tun will, um im Kampf gegen den Krebs siegreich zu sein. Regelmäßiger Ausdauersport ist ein Mittel, das mir zur Verfügung steht. Gesunde, so weit wie irgend möglich schadstoff- und hormon- sowie medikamentenfreie Nahrungsmittel macht die zweite Maßnahme aus, die mir (und so gut wie jedem anderen Menschen) verfügbar ist. Und das dritte was ich beitragen kann, von der Bedeutung gleichgewichtig mit den beiden erstgenannten, ist die Vermeidung und Abwehr von Stress.
Gefahr erkannt – Gefahr gebannt? So leicht ist das nicht, stellt man im Alltag ziemlich schnell fest, wenn man dem Stress den Krieg erklärt hat. Sport treiben – da muss man sich lediglich vom bequemen Sofa erheben, in die Sportklamotten schlüpfen und loslegen. Das kostet am Anfang Überwindung, aber das kleine Opfer an Bequemlichkeit ist der enorme gesundheitliche Gewinn allemal wert.
Gesund ernähren – da muss man nur anfangen, die Etiketten zu lesen, zu recherchieren und dann entsprechend einkaufen. Das ist teurer als bei Lidl & Co einzukaufen, aber auch das ist mir und uns die Gesundheit wert.
Aber der Stress? Wie wird man den los, wenn man doch arbeiten gehen muss und überhaupt im Alltag und Leben bestehen will? Das hat, obwohl es auch einiges kostet, weder etwas mit Bequemlichkeit noch mit dem Geldbeutel zu tun.
Was ist das überhaupt, Stress?
Stress ist nicht nur negativ. Er kann zu Höchstleistungen anspornen, etwa beim Leistungssportler. Als Lampenfieber kann Stress Künstler zu grandiosen Vorstellungen beflügeln. Der so genannte kurze Stress ist eine positive und sinnvolle Reaktion – sie stammt aus der Frühgeschichte der Menschheit, als es darum ging, blitzschnell zwischen Flucht und Angriff zu wählen und dann alle Kräfte zu mobilisieren.
Erst der Dauerstress, die häufige oder gar unaufhörliche Anspannung macht uns krank und behindert oder verhindert sogar die Heilung, weil – anders als bei Flucht oder Angriff – der Stress sich nicht »entladen« kann.
Die häufigsten Folgen von zu viel Stress sind laut einer Untersuchung der Techniker Krankenkasse
- Hoher Blutdruck,
- Verdauungsbeschwerden,
- ein erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt,
- Spannungskopfschmerzen,
- mehr Infektionen,
- Depressionen,
- Migräne,
- Zyklus- und sexuelle Störungen.
Die Techniker Krankenkasse erklärt:
Stress stört die Immunabwehr. In stressigen Zeiten ist man besonders anfällig für Erkältungen und andere Krankheiten. Stress hat Einfluss auf die Arbeit verschiedener Immunzellen. Klar ist: Dauerstress wirkt anders als kurzer Stress.
Ich weiß natürlich, dass ich durch meine Bemühungen (Sport, Ernährung, Stressverhinderung) keine Garantie erlange, dauerhaft vom Krebs geheilt zu bleiben. Aber egal ist es eben auch nicht, ob und wie der Mensch es seinem Körper und Immunsystem leichter macht. Recht anschaulich erklärt die Techniker Krankenkasse die Zusammenhänge:
Das Immunsystem verteidigt den Körper gegen schädliche Eindringlinge oder körpereigene, falsch entwickelte Zellen (Krebszellen). Unser Körper produziert täglich Millionen von Zellen. Dabei passieren auch manchmal Baufehler: Das Erbgut der Zelle mutiert. Körpereigene Reparaturprozesse sorgen dafür, dass kein Schaden entsteht. Sie benötigen dazu bestimmte Enzyme. Unter Stress sind diese Enzyme weniger aktiv. Dadurch entstehen unter Umständen mehr von solchen Zellen, die Krebsgeschwulste ausbilden können.
Außerdem sinkt die Zahl der Immunzellen im Blut bei Dauerstress und diese natürlichen Killerzellen sind weniger aktiv. Die T-Lymphozyten teilen sich langsamer. Erreger haben leichtes Spiel.
Nein sagen
Mein festes Vorhaben, Stress abzuweisen, ist in der Praxis nicht immer so leicht durchzusetzen. Meist stehe ich mir da selbst im Wege. Ich neige nämlich dazu, mich für wichtig, womöglich gar unverzichtbar zu halten. (Ob es den geschätzten Lesern auch so geht, sei dahingestellt.) Ich jedenfalls weiß, dass ich beispielsweise am Arbeitsplatz früher oft so empfunden und gehandelt habe, als bräche alles zusammen, wenn ich nicht da wäre.
So etwas wird natürlich ausgenutzt: »Herr Matthia, könnten Sie noch schnell ...« - »Machen Sie mir doch mal eben ...« - »Ich brauche noch dringend ...« »Aber bitte zeitnah!« Und immer wieder und unermüdlich und egal wie spät es war habe ich dann selbstverständlich gemacht und erledigt und getan. Ob es nun zu meinen eigentlichen Aufgaben, für die ich bezahlt werde, gehörte oder nicht. Meist waren solche Anforderungen sowieso nicht in meinen Aufgabenbereich angesiedelt. Auf die Idee, einfach »nein« zu sagen, kam ich seinerzeit so gut wie nie.
Als ich dann im März 2012 völlig unvorbereitet aus dem Berufsleben gerissen wurde, stellte sich heraus, dass es auch ohne mich ging. Zwar rief mein Chef sogar noch an, als ich auf der Intensivstation lag, weil er mit manchen Dingen nicht alleine zurecht kam, aber die Firma nahm keinen Schaden und die Welt drehte sich auch ohne mich weiter. Meine Illusion, unverzichtbar zu sein, war ich los geworden und das war und ist auch gut so.
Dass es uns schwer fällt, ein klares Nein zu sagen, hat seine Gründe. Bereits in der Kindheit lernen wir, dass wir gemocht werden, wenn wir »nützlich« sind, wenn wir tun, was man uns aufträgt. Das Geschirr in die Küche bringen, beim Abwasch oder Saubermachen helfen, den Müll vor die Tür tragen … schon ernten wir Lob und Lächeln der Eltern, womöglich sogar eine materielle Belohnung. Natürlich ist es richtig und keineswegs zu tadeln, wenn Kinder nach und nach Aufgaben im Haushalt übernehmen. Aber wenn sie nur dann Liebe und Zuneigung und Aufmerksamkeit bekommen, so lange sie »funktionieren«, dann prägt sich ein: Ich muss alles dafür tun, gemocht zu werden. Ich muss etwas leisten, um geliebt zu werden. Es reicht nicht aus, dass ich einfach ich selbst bin.
In der Schule ist es nicht anders. Gute Leistung spiegelt sich in guten Noten – und gute Noten ebnen den Weg ins Berufsleben. Wer nicht ständig etwas für den Erfolg tut, wer nicht auf Freizeit verzichtet um zu lernen, wird das ein Leben lang bereuen, weil er höchstens zweit- oder drittklassige Jobs bekommt, wenn überhaupt.
Gegen derartige Prägungen, auch wenn sie nur abgemildert vorliegen (meine Mutter hat mich immer wissen lassen, dass sie mich als Person liebt, unabhängig von meinem Verhalten) muss man sich bewusst entscheiden.
Bei meiner Rückkehr an den Arbeitsplatz nach der Darmkrebsoperation und Chemotherapie hatte ich mir vorgenommen: Ich erledige meine Aufgaben so gut und vollständig wie möglich, darüber hinausgehende Dinge nur dann, wenn ich noch Zeit und Kraft übrig habe. Wer mich nicht mag, weil ich ihm nicht dauernd seinen Mist abnehme, der soll es eben bleiben lassen.
Die Angst vor beruflichen Konsequenzen war mir abhanden gekommen. Ich hatte im März 2012 die Schwelle zum Tod vor Augen, und dadurch ändern sich Werte und Prioritäten im Leben nachhaltig. Ich arbeite, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, damit wir uns dieses und jenes leisten können … aber ich lebe nicht, um zu arbeiten.
Auch ein Ja ist möglich
Natürlich will ich hier nicht zur Leichtsinnigkeit raten. Ein »Nein« kann schon Konflikte auslösen und einen hundert Prozent sicheren Arbeitsplatz hat kaum jemand. Man muss die eigene berufliche Situation schon möglichst objektiv und realistisch abwägen. Manchmal empfiehlt sich ein Ja, zweifellos. Übrigens ist auch gar nichts daran verkehrt, hilfsbereit, entgegenkommend, freundlich zu sein. Es gibt Menschen, die schnorren und betteln sich wie selbstverständlich durchs Leben; zu denen habe ich nie gehört und das soll auch nicht so werden. Ich helfe gerne und unterstütze andere, wo es mir möglich ist, aber ich weiß inzwischen Grenzen zu ziehen. Mir selbst. Und anderen. Ich versuche zu unterscheiden, wo wirklich Hilfe gebraucht wird und wo es sich um reines Ausnützen meiner Gutmütigkeit handelt.
Ich bin also kein hundertprozentiger Neinsager. Ich sage auch aus Überzeugung und gerne ja. Jedoch nicht aus dem Grund, Konflikte unbedingt zu vermeiden und auch nicht ständig und immer und jederzeit. Wer nämlich das eigene Tun und Lassen ausschließlich anhand der möglichen oder tatsächlichen Reaktionen von Kollegen und Vorgesetzten ausrichtet, tut sich keinen Gefallen sondern öffnet der Manipulation durch die Anderen so weit die Tür, dass er letztendlich wo immer es geht ausgenutzt wird. Und das hat gesundheitliche Konsequenzen. Unausweichlich sogar.
Ich bin nicht unverzichtbar. Das Ego flüstert gerne: »Ohne dich geht es nicht weiter. Wenn du jetzt nein sagst, bist du ein Versager.« Ich flüstere zurück: »Irrtum. Ich sage nein – und gerade das macht mich zum Sieger.«
Quelle der Zitate, Zahlen und weiterer Informationen: [Techniker Krankenkasse]
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