Eilig hat er es nie gehabt, der Leonard Cohen. Acht Jahre Abstand zwischen »Dear Heather« und »Old Ideas« ... so lange dauerte es eben. Was nun vorliegt, ist genau die Sorte Album, die ich mir erhofft hatte. Ein in sich ruhender Cohen, der nicht ruhen wird, bis seine irdische Bahn vollendet ist. Lieder mit Melancholie, Humor und Weisheiten ausgestattet, die den Blick auf Gott und die Welt lenken, ohne penetrant zu werden - eben Leonard Cohen, wie wir ihn seit Jahrzehnten kennen und schätzen. Und dennoch bergen die alten Ideen so manche Überraschungen.
Gleich im ersten Lied erfahren wir, was Gott bezüglich dieses Sängers denkt und weiß:
But he does say what I tell him, even though it isn't welcome, he just doesn't have the freedom to refuse.
...
He wants to write a love song, an anthem of forgiving, a manual for living with defeat.
A cry above the suffering, a sacrifice recovering, but that isn't what I need him to complete.
Die Musik passt - leicht beschwingt, Cohens Stimme deutlich im Vordergrund, sparsam instumentiert.
Das zweite Lied, »Amen«, kann ich nur als Antwort auf die göttliche Ansprache im vorigen Text verstehen. Wenn der Sänger keine Wahl hat, sondern das sagen muss, was von ihm verlangt wird, dann möchte er wenigstens gelegentlich von höherer Instanz auch eine Versicherung bekommen, dass das alles so sein muss und seine Richtigkeit hat.
Tell me again that you know what I'm thinking
But vengence belongs to the Lord.
...
Tell me again when the filth of the butcher
Is washed in the blood of the lamb.
Herausragend für mich: Das Amen der weiblichen Stimmen als zaghaftes Echo, als zarter Hintergund stellenweise. Dazu eine gefühlvolle Violine ... Besser geht es wohl nicht bei einem solchen Lied.
In »Show Me The Place« ist die Rede - nein, ist der Gesang - vom Zweifeln des Sängers und von der Hoffnung auf Erinnerung oder Offenbarung, warum und wozu all das gut sein soll. Womöglich auch Sehnsucht nach der endgültigen Ruhe und dem Frieden nach diesem Erdenleben.
Help me roll away the stone ... I can't move this thing alone ...
Show me the place where the word became a man, show me the place where the suffering began.
Ohne Rhythmusinstrumente bekommt das Lied eine besonders intime Note, Jennifer Warnes sorgt bei diesem Lied für die weibliche Ergänzung zu Cohens Gesang, bei den anderen sind die Webb Sisters und Sharon Robinson dabei.
Wenn von der Liebe die Rede war, dann war es bei Leonard Cohen kaum jemals die übersprudelnde, frische, heiße Liebe, die mit Schmetterlingen im Bauch einherzugehen pfegt. So auch auf diesem Album. In »Darkness« erinnert sich der Sänger mit sarkastischem Humor ein eine lang zurückliegende Episode. Da muss ja wohl so einiges schief gegangen sein.
I should have seen it coming, it was right behind your eyes.
You were young and it was summer, I just had to take a dive.
Winning you was easy, but darkness was the price.
Nach einem eingängigen Gitarrenintro geht es hier (für Leonard Cohen zumindest) recht flott zur Sache - ein Klavier tinkelt munter vor sich hin, eine Orgel jubiliert beinahe - so entsteht ein reizvoller Kontrast zwischen Text und Musik.
Manchmal ist das mit der Liebe eine einseitige Geschichte. »Anyhow« beschreibt eine solche Situation.
»Have mercy on me baby, after all I did confess.
Even though you have to hate me: Could you hate me less?
Zunächst gibt es nur die Stimme und ein paar Akkorde vom Keyboard, dann setzen die übrigen Musiker ein. Doch die bleiben so im Hintergrund, dass dieses Lied wieder einen sehr intimen Charakter bekommt - Cohen erlaubt einen Blick ins Innerste. Zumindest wirkt es so, denn wer weiß schon, was wirklich in einem Menschen steckt.
Ach ja, die Liebe. Die beschäftigt den Sänger und uns seit Jahrzehnten, und manchmal muss der Mensch zugeben, dass es dabei nicht immer mit Vernunft zugeht. »Crazy To Love You« erzählt davon.
Had to be crazy to love you, had to let everything fall.
Had to be people I hated, had to be no one at all.
Der Musik ist anzuhören, dass es mit dem crazy sein so schlimm nicht gewesen ist, die Melodie kommt wieder leicht beschwingt daher und Cohen wagt sich an höhere Töne als sonst. Sieh da - das kann er also auch noch.
So manche wunderbar vertonte Gebete hat uns Leonard Cohne in den vergangenen Jahrzehnten schon geschenkt. Wer würde »If it be Your Will« je vergessen können, oder das monumentale »Hallelujah«. Auf dieser CD folgt mit »Come Healing« ein Gebet um Heilung für Seele, Herz, Körper, Geist.
Behold the gates of mercy in arbitary space,
And none of us deserving the cruelty of the grace.
...
O let the heavens falter, and let the earth proclaim:
Come healing of the Altar, come healing of the Name.
Die Webb Sisters eröffnen mit ihrem unvergleichlichen Harmoniegesang, den ich bei der letzten Cohen Tournee so genossen habe, dass ich versucht war, nach CDs der Damen zu suchen. Cohen stimmt mit ein, es entsteht ein faszinierendes Klanggemälde. Ohne Hast, aber eindringlich.
Manchmal blitzt bei Leonard Cohen ja so etwas wie kindliches Vergnügen an Dingen, die Erwachsenen eher gleichgültig sein dürften, auf. Ab und zu. Selten. Aber immerhin. Auf dem neuen Album zum Beispiel in »Banjo«.
There's something that I'm watching, means a lot to me.
It's a broken banjo bobbing on the dark infested sea.
Natürlich darf ein Banjo nicht fehlen, es trägt uns munter durch diese Humoreske. Das ganze kommt so locker luftig leicht daher, dass man das kaputte Banjo auf den Wellen schaukeln sieht.
Schlaflieder dürfen (und sollten) durchaus ebenfalls heiter sein. »Lullaby« war bei den Konzerten der letzten Tournee schon zu hören, allerdings mit zum Teil abweichenden Textpassagen als nun auf der CD. Auch das ist ja für Leonard Cohen nicht ungewöhnlich, seine Lieder leben nach (und offenbar vor) der Aufnahme, manche Verse tauchen auf, andere verschwinden, manchmal auch nur eine Zeile oder zwei. Dieses kleine Schlaflied jedenfalls macht mir viel Vergnügen, weil so viel in Zungen geredet wird; das garantiert gute Träume.
Well the mouse ate the crumb and the cat ate the crust.
Now they've fallen in love. They're talking in toungues.
...
Sleep baby, sleep. There's a morning to come.
The wind in the trees is talking in toungues.
Die Musik ist genial arrangiert, ein kleines bisschen Country, ein wenig Folk, eine Prise Pop, ein Rhythmus, der einlullt und die Damen singen sanft die glossolieträchtigen Träume herbei. Eine wahre Freude, nicht nur zur guten Nacht.
Zum Schluss der CD gibt es eines der Lieder, deren Refrain man spätestens beim zweiten Anhören mitsingt, weil Melodie, Instrumentierung, Text und Stimmung einfach dazu verführen. »Different Sides« handelt vom Konflikt, der nicht aufzulösen ist. So etwas gibt es. Im Lied und im wirklichen Leben.
I to my side call the meek and the mild, you to your side call the Word.
By virtue of suffering I claim to have won. You claim to have never been heard.
Both of us say there are laws to obey, but frankly, I don't like your tone.
You want to change the way I make love, I want to leave it alone.
Hier bekommen wir noch mal einen kräftigeren Rhythmus und volle Instrumentierung zum Schluss. Und ich könnte wetten, dass man an Cohens Stimme ein Lächeln hört. Ein überlegenes, befreites, in sich ruhendes Lächeln.
Das Begleitheft zur CD ist mit den komplett abgedruckten Texten sowie zahlreichen Zeichnungen, Skizzen, und Bildern liebevoll gestaltet, besonders gefällt mir die unbekleidete Dame, die auch auf dem CD-Lable verträumt nach unten schaut.
Rundum ein ganz und gar gelungenes Album von Leonard Cohen, das nur einen Fehler hat: Es ist wie immer bei solchen rundum guten CDs nach rund 42 Minuten zu schnell vorbei. Aber dann kann man ja von vorne anfangen. Und immer wieder ...
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