Donnerstag, 20. November 2014

Disziplin oder Motivation?

Fangen wir mal mit dem Ende, der Schlussfolgerung an: Wenn du glaubst, keine Disziplin zu besitzen, dann brauchst du sie auch nicht. Statt dessen solltest du dich so an dein Ziel oder deine Vorstellung binden, dass eine Motivation daraus wird.

Die meisten Menschen sind überzeugt, dass man entweder Disziplin besitzt oder nicht: Das sei eine Charaktereigenschaft, die angeboren ist, oder man hat sie in jungen Jahren durch die Erziehung gelernt. Aus. Vorbei. Im Erwachsenenleben ist kaum noch etwas zu ändern ...

Ist das so? Was ist eigentlich Disziplin?

Disziplin (von lateinisch disciplina ‚Lehre‘, ‚Zucht‘, ‚Schule‘) bezeichnet als Verhalten Selbstdisziplin, eine Form der bewussten Selbstregulierung oder Gehorsam, die Ordnungsregulierung innerhalb eines Befehlsprinzips. -Wikipedia

Wenn ich mich nach der Arbeit trotz Erschöpfung auf den Weg ins Fitness-Studio mache - ist das Disziplin? Es mag für manche Menschen so aussehen. Auch für mich gehört zwar manchmal etwas Überwindung dazu, aber mit Disziplin hat das nichts zu tun. Statt dessen bringt mich eine starke und adäquate Motivation dazu, die Sporttasche zu packen und mich auf den Weg zu machen. Ich verlasse das gerade erreichte gemütliche Heim nicht aus Disziplin gleich wieder, sondern weil ich Sport treiben will.

Disziplin ist eher etwas für Soldaten oder Strafgefangene. Oder für bestimmte Lebensumstände. Zum Beispiel spürte ich zunehmend regelrechten Widerwillen gegen die Medikamente während der Chemotherapie. Es war mir ein Graus, das Gift meinem Körper zuzuführen, der mit all den Nebenwirkungen und Begleiterscheinungen deutlich zeigte, dass ihm Oxaliplatin und Xeloda nicht gerade gut bekamen. Da war meine Motivation, nämlich alles in meiner Macht stehende dazuzutun, dass der Krebs besiegt wird, nur durch Disziplin aufrecht zu erhalten. Das war eine Ordnungsregulierung innerhalb eines Befehlsprinzips, wie Wikipedia es formuliert. Das Befehlsprinzip war die normative Kraft des Faktischen: Die Chemotherapie kann unter Umständen noch im Körper befindliche Krebszellen töten.

Natürlich hatte ich die Wahl. Ich habe mich der Behandlung freiwillig unterzogen. Im Gegensatz zur Disziplin im Gefängnis oder bei der Bundeswehr übte niemand Druck aus, drohte mir niemand mit Strafe. Man könnte also auch sagen, dass ich nicht diszipliniert, sondern besonders stark motiviert war ...

Disziplin ist ein Mysterium. Inwiefern unterscheidet sie sich von Motivation? Man könnte es so ausdrücken: Motivation zieht dich zum Ziel, Disziplin drängelt dich von hinten. Aber auch das trifft es nicht wirklich genau, denn das Ziel, das ich durch Motivation erreiche, ist wirklich mein Ziel. Zum Beispiel stabile Gesundheit. Das Ziel, auf das mich Disziplin zutreibt, ist gar nicht meins. Sondern zum Beispiel der Befehl eines Obersoldaten, dass man um fünf Uhr früh auf dem kalten Kasernenhof anzutreten hat.

Darum ist Disziplin kein gutes Konzept. Wenn es darum geht, bestimmte Dinge zu tun, die erst einmal unangenehm oder ungemütlich sind, zum Beispiel statt sich auf dem Sofa auszustrecken eine Arbeit zu Ende zu bringen, dann gelingt das einem motivierten Menschen wesentlich leichter als einem disziplinierten. Beide werden am Ende ihren Job erledigt haben. Aber der eine fällt erschöpft und missmutig in den Sessel und es graut ihm schon vor dem nächsten Tag, während der andere sich glücklich auf die Schulter klopft und entspannt den Feierabend genießt.

Bild aus meinen Tumblr-AlbenNun mag sich mancher fragen: Wie kann ich denn Disziplin gegen Motivation austauschen?Hier sind ein paar Ideen, die bei mir funktionieren:

  • Buchführen über Erfolge und Etappen. Ich benutze zum Beispiel für die Dokumentation sportlicher Aktivitäten Runtastic. Draußen zeichnet mein Mobiltelefon die Läufe auf, wenn ich im Sportstudio renne, trage ich die Ergebnisse via Internet ein. Natürlich entsteht nicht bei jedem Lauf eine Bestleistung. Aber jedes Mal weiß ich, dass ich meine Gesundheit gefördert habe.
  • Realistische Ziele aufstellen. Wenn du in der Fernsehzeitschrift liest, dass du in zwei Wochen zehn Kilogramm abnehmen kannst - dann gönne der Anzeige ein mitleidiges Lächeln und blättere weiter.
  • Einfach anfangen. Wenn man auf den perfekten Tag wartet oder gar die perfekte Stunde, um sich auf den Weg zum Ziel zu machen, dann kann es sein, dass man letztendlich nie losgehen wird. Wer aber den ersten Schritt tut, auch wenn die Umstände vielleicht morgen besser sein könnten, der ist schon auf dem Weg, während andere nicht vom Fleck kommen.
  • Vergnügen ins Spiel bringen. Das geht nicht immer und überall, aber wo es geht - warum nicht? Beim Joggen auf dem Laufband höre ich gerne Musik und singe dabei innerlich mit, wenn es liebgewonnene ältere Stücke sind. Oder ich höre mir ein bisher unbekanntes Album an, dank Spotify ist das ja heutzutage ohne finanziellen Aufwand möglich. Natürlich ist die Tonqualität bei Spotify nicht gerade erstklassig, aber auf dem Laufband - wen stört das da? Mich nicht.
  • Geduld mitbringen. Das hat mit realistischen Zielen (siehe oben) zu tun. Du kannst zehn Kilogramm Körpergewicht abbauen, falls du so viel Übergewicht hast. Aber eben nicht in zwei Wochen. Wie wäre es mit einem Kilogramm in zwei Wochen, dann kommt das nächste Kilogramm dran, dann das dritte ...
  • Zwischenziele definieren. Auch das hat mit Realismus und Geduld zu tun. Als ich nach der Darmoperation wieder anfing zu laufen, hatte ich mir vorgenommen, zehn Minuten ohne Pause zu schaffen. Langsam. Ob ich dabei einen Kilometer schaffte oder nicht, war mir egal. Die zehn Minuten waren das Ziel. Als das erreicht war, legte ich fünf Minuten drauf ... heute schaffe ich die Stunde ohne Probleme, manches mal, wenn es draußen besonders viel Spaß macht, laufe ich auch länger.
  • Belohnungen sind richtig und wichtig. Du hast die unangenehme Arbeit noch erledigt, bevor du den Feierabend einläutest? Dann hast du dir - je nach Geschmack und Vorliebe - Haribo Lakritzkonfekt oder BIO-Schoko-Coockies verdient. Oder ein Glas Wein. Oder - na, dir fällt bestimmt was ein.
  • Erinnern an die Gründe. Warum willst du eigentlich dieses und jenes Ziel erreichen? Hast du gute Gründe dafür? Sind diese Gründe wirklich deine eigenen? Oder sind das fremdbestimmte Ziele? Damit wären wir nämlich wieder bei der Disziplin auf dem Kasernenhof oder in der Gefängniszelle. Aber selbst wenn das Ziel, zum Beispiel pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen, fremdbestimmt ist: Du kannst eine Motivation aus der Disziplin machen, wenn du dir klarmachst, wie viel Stress auf dem Weg und Ärger mit dem verpassten Bus du dir ersparen kannst, wenn du auch nur fünf Minuten früher aufstehst. Wie viel Gelassenheit und Lebensqualität du dadurch gewinnst. Wie der ganze Tag angenehmer verläuft, wenn er ohne Hektik und Stress beginnt. Ich stehe zum Beispiel an Werktagen um 5:55 Uhr auf, obwohl ich erst nach 6:45 das Haus verlasse.
  • Ein Tagebuch kann helfen. Mein Tagebuch ist virtuell, es sind Blogbeiträge, meine Aktivitätschronik bei Runtastic und kurze Facebook-Meldungen. Gelegentlich blättere ich auf der Zeitschiene zurück und freue mich über a) Durchgehaltenes, b) Erreichtes und auf c) noch zu Bewältigendes. Man kann aber natürlich auch das gute alte Tagebuch in Papierform benutzen. Oder in einen Jahreskalender kleine Einträge machen. Hauptsache, der Erinnerung an die Ziele und den bereits geschafften Weg wird auf die Sprünge geholfen - vor allem dann, wenn die Motivation mal schwinden will.
  • Positiv denken und reden. Achte darauf, was du denkst und redest. Wenn ich heute »nur« 40 Minuten Dauerlauf schaffe, dann könnte ich sagen: Mist, ich bin ein Versager, ich schaffe nichts mehr ... - oder ich sage: Heute klappt das nicht wie gewohnt, aber immerhin bin ich 40 Minuten gelaufen! Statt auf dem Sofa zu sitzen. Ich habe 40 Minuten Sauerstoff getankt und vom Alltagsstress abgeschaltet. Ich habe mich aufgerafft und bin losgegangen! Dafür braucht man keine Disziplin. Dafür muss man lediglich motiviert sein.

Und damit bin ich am Ende dieses Beitrages angekommen, bei der Schlussfolgerung vom Beginn des Textes: Wenn du glaubst, keine Disziplin zu besitzen, dann brauchst du sie auch nicht. Statt dessen solltest du dich innerlich so an dein Ziel oder deine Vorstellung binden, dass eine Motivation daraus wird.

  • P.S.: Ähnliche und weitere Tipps in diesem Beitrag: [Auf das Ziel zu]
  • Foto: Aus meinen Tumblr-Alben, Ich beim Laufen, aufgenommen von meinem Sohn Sam.
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