Leo Babauta, ein amerikanischer Denker und Dichter des einfachen und achtsamen Lebens, hat kürzlich ein Beispiel erzählt:
Vor zehn Jahren geriet ich in einen Regensturm und wurde völlig durchnässt. Zu jener Zeit war ich sowieso schon ausgelaugt und entmutigt, weil ich fast pleite war, meine Arbeit hasste und mit meiner Gesundheit haperte es auch. Mein innerer Zustand glich schon fast einer Depression.So weit das Zitat. Auch in meinem Leben gibt es Dinge, die schlecht sind, und es wäre vollkommen unsinnig, sich über solche Umstände freuen zu wollen oder dankbar dafür zu sein. Aber deshalb muss ich ja nicht all das Gute in meinem Leben aus den Augen verlieren. Das Leben besteht nun einmal aus einer Mischung von positiven und negativen Elementen, das Leben bringt nun einmal auch Herausforderungen und Hindernisse mit sich. Wer immer nur alles hat und bekommt und keinerlei Problemen, gleich welcher Art, begegnet, der endet womöglich wie der biblische König Salomo im Irrsinn.
Mitten im Regenprasseln entschied ich mich, eine mentale Liste von Dingen zu machen, für die ich dankbar sein konnte. Es wurde eine lange Liste. Ich kann mich nicht mehr an alle Details erinnern, aber einige Punkte weiß ich noch:
- Ich bin mit einer liebevollen, unterstützenden und wunderschönen Frau verheiratet.
- Ich habe fünf wunderbare Kinder (damals - heute sind es sechs).
- Ich bin nicht arbeitslos.
- Ich bin zwar übergewichtig und habe deshalb gesundheitliche Probleme, aber keine chronische oder tödliche Krankheit.
- Ich bin am Leben.
- Ich kann köstliche Speisen schmecken, Blumenduft riechen, Kunstwerke betrachten, Musik hören.
- Ich habe Freunde.
- Ich kann mich bewegen.
- Ich kann lieben.
- Ich kann Romane lesen, meine geliebten Romane.
- Ich kann Früchte aus dem eigenen Garten ernten.
- Ich leide keinen Hunger, bin nicht obdachlos, einsam oder von einer Naturkatastrophe betroffen.
- …
Die Liste war ungefähr vier bis fünfmal so lang, aber diese Punkte reichen eigentlich, um den springenden Punkt zu verdeutlichen: Ich war immer noch klatschnass, hatte immer noch keinen Arbeitsplatz, an dem ich mich wohlfühlen konnte und so weiter - aber meine Perspektive war zurechtgerückt. Die negativen Dinge in meinem Leben standen nicht mehr alleine da, sondern als Mischung zusammen mit all den guten Dingen, die letztendlich viel mehr Gewicht hatten.
Ich erlebe es immer wieder, welche transformierende Kraft davon ausgeht, wenn ich mich bewusst an Dinge erinnere, für die ich mit gutem Grund dankbar sein kann. Vor den vierteljährlichen Krebsnachsorgeuntersuchungen verdichten sich die dunklen Wolken der Sorgen und Ängste. Ein kleiner Hustenanfall wird dann gleich in meinen Gedanken zum Lungenkrebs, ein Zwicken im Bauch deutet auf Tumore im Magen hin. In solchen Momenten stelle ich wie Leo Babauta in seinem Regensturm eine mentale Liste zusammen und fange an, ganz bewusst dankbar zu sein. Das ändert nichts daran, dass eine Nachsorgeuntersuchung bevorsteht, das ändert nichts an meiner Angst vor neuen Metastasen. Aber zu den dunklen Wolken gesellt sich eine strahlende Sonne und das ganze Bild wird heller und heller.
Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, mich jeden Tag ganz bewusst und unabhängig von der jeweiligen Situation daran zu erinnern, wofür ich Grund zu danken habe. Die Bereicherung, die ich dadurch erlebe, ist nicht unbeträchtlich. Ich gewinne erheblich an Lebensqualität, Freude und Genuss. Nicht nur in den erwähnten dunklen Gedankenwolken, sondern ganz generell, jeden Tag, auch wenn alles in Ordnung ist. Vielleicht vergisst man ja gerade dann am ehesten, dass man Grund zum Danken hätte? Die biblische Erzählung von den geheilten Leprakranken, von denen nur ein einziger zurückkehrt um sich beim heilenden Jesus von Nazareth zu bedanken, illustriert unsere Vergesslichkeit ganz trefflich. Auch Buddha stellte fest: »Da gibt es zweierlei Personen die schwer in dieser Welt zu finden sind. Welche zwei? Der eine der ungezwungen Güte gibt und der andere, der sich für Güte erkenntlich und dankbar zeigt.«
Vielleicht haben ja meine geschätzten Blogbesucher Lust, das mit der Dankbarkeit auszuprobieren? Hier sind ein paar Tipps zur Praxis, gerade wenn es mal hapert:
- Wenn du auf jemanden wütend bist – versuche mal herauszufinden, wofür du trotz alledem bezüglich dieser Person dankbar sein kannst.
- Wenn ein Projekt kaum vorankommen will und mühsam ist – kannst du immer noch dankbar sein, dass du Arbeit und Aufträge hast und in der Lage bis, an dem Projekt zu arbeiten.
- Wenn du dich verletzt hast oder krank wirst – bist du immer noch am Leben und kannst dafür dankbar sein.
- Wenn du einen guten Freund oder einen Verwandten verlierst – darfst du mit allem Fug und Recht trauern, kannst aber immer noch dankbar sein für die Zeiten, die ihr gemeinsam erleben und genießen durftet.
- Wenn dich jemand kritisiert und herumnörgelt – kannst du dankbar dafür sein, dass Menschen sich mit dir beschäftigen, dich beachten; sozusagen Luft für alle anderen zu sein, wäre eine bittere Strafe.
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Bild: Eigenes FotoListe von Leo Babauta: Eigene Übersetzung – [Quelle]
Du würdest gerne gesünder leben? Du suchst nach Wegen, in dein Leben mehr Ruhe und Frieden zu bringen? Vielleicht kann dir ja auch dieses Buch dabei helfen:
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