Was für ein enttäuschender König. Ein Herrscher, der sich weigert, auf Hass mit Härte zu reagieren. Der Gewalt nicht mit Gewalt vergelten will. Ein Messias, der nach einem bejubelten Einzug in die heilige Stadt Jerusalem nicht als strahlender Held den Thron besteigt. Stattdessen lässt er es bewusst zu, dass ein Freund ihn an die Feinde verrät, er erhebt keinen Finger, als man ihn gefangen nimmt, als alle Freunde ihn verlassen.
Im Brief an die Philipper finden wir einige Zeilen, die diesen König am Karfreitag beschreiben:
Habt diese Gesinnung in euch, die auch in Christus Jesus war, der in Gestalt Gottes war und es nicht für einen Raub hielt, Gott gleich zu sein. Aber er machte sich selbst zu nichts und nahm Knechtsgestalt an, indem er den Menschen gleich geworden ist, und der Gestalt nach wie ein Mensch befunden, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz.
Die Herrlichkeit Gottes strahlt und leuchtet hier nicht, sondern sie blutet. Man findet sie am Kreuz, am Ort der Schande. Das ist heute so anstoßerregend wie vor 2000 Jahren. Ein verletzlicher Gott wird in der sogenannten Karwoche sichtbar, ein über seine Stadt weinender König, einer, dessen Freunde einschlafen, als er sie um Gebet bittet, ein hilfloser und verlassener Herrscher. Dieser Messias ist alles andere als das, was die jubelnden Menschen am Wegesrand erwartet hatten, als sie eine Woche zuvor Palmenzweige und Gewänder auf der Straße ausbreiteten und ihm lauthals zujubelten.
Wer würde sich so etwas ausdenken? Ein solches Ende für die Hauptperson würde niemand ersinnen, der eine Religion, eine Glaubensgemeinschaft gründen will. Das Ende taugt nicht für einen Herrscher, einen König. Das ist abstoßend, unwürdig. Und notwendig: Das Schicksal Jesu in Jerusalem ist sein Eintritt in unseren Tod. In unsere Verletzlichkeit. Anstatt seine Feinde zu zerschmettern wird Gott zum Opfer, dem alles widerfährt, was uns im Leben und Tod geschehen könnte und auch manchen von uns zustößt.
Der Lyriker Wystan Hugh Auden wurde einmal gefragt, warum er Christ sei und nicht Buddhist oder Anhänger des Konfuzius; deren Lehren würden schließlich ähnliche ethische Werte vertreten. »Weil nichts an den Figuren des Buddha oder Konfuzius mich mit dem überwältigenden Bedürfnis erfüllt, kreuzige ihn! zu schreien«, antwortete er. Jesus löste Widerspruch aus, verhielt sich unangemessen, eckte an. Er war zu Gast bei Geächteten, berührte Unreine, pfiff auf religiöse Vorschriften, wenn er einen Menschen in Not sah. Wer ihm heute nachfolgt, hat einen anstößigen Herrn.
Sie sollen die Gesinnung in sich haben, empfiehlt der Autor des Philipperbriefes den Gläubigen, die in Christus Jesus war. Eine Gesinnung, die uns dazu bringt, unsere Rechte, unsere legitimen Ansprüche aufzugeben, den Menschen »zu dienen in einer Knechtsgestalt«. Das ist anstößig, noch heute. Und es gelingt uns nur bedingt, wenn überhaupt. Wir meinen, Erfolg, auch geistlicher Erfolg, habe mit Triumph im Diesseits zu tun, mit dem Wegwischen aller Widerstände und Beschwernisse. Wir möchten uns nicht erniedrigen, wehrlos machen, gehorsam bis zum Kreuz bleiben. Es ist doch viel schöner auf der Sonnenseite des Lebens…
Karfreitag ist eine Herausforderung, auch im Jahr 2010. Zumindest für mich.
P.S.: Inspiriert unter anderem durch eine Predigt von Nadia Bolz-Weber. Bild von WikiCommons