Manche meiner Blogbesucher wissen, dass ich in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen als Moderator durch die Gottesdienste unserer kleinen und von mir hochgeschätzten Kirchengemeinde führe. Ich hatte vor einer Weile hier fünf meiner Einleitungen dargeboten. Hier folgen anlässlich der bevorstehenden Feiertage weitere fünf aus den letzten Jahren – einschließlich der vom kommenden Ostersonntag. Welche das ist, verrate ich aber nicht. Das ist nämlich leicht zu erraten.
Einführung 1
Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst am vierten Advent.
Bitte mal recht freundlich … (an dieser Stelle machte ich ein Foto der Gemeinde mit meinem mobilen Telefon) … Dankeschön!
So ein mobiles, womöglich auch noch schlaues Telefon ist ja weit mehr als ein Telefon. Man kann damit Bilder aufnehmen, durch fremde Städte navigieren, soziale Netzwerke heimsuchen, sich die Zeit damit vertreiben, auf dem Bildschirm virtuelle Ameisen zu zerquetschen, Musik hören, Predigten oder sonstige Ansprachen aufnehmen, Bücher einkaufen, Nachrichten lesen und sehen, und sogar – man ahnt es kaum – telefonieren!
Nun stell dir einmal vor, du bekommst ein solches Gerät zu Weihnachten geschenkt. Wenn das der Fall ist, dann gibt es mehrere Möglichkeiten, wie du darauf reagierst:
1. Du nimmst es zur Kenntnis – aha, Tante Erna oder Onkel Paul hat mir ein Mobiltelefon geschenkt. Feine Sache. Und dabei belässt du es dann.
2. Du packst das Gerät aus, nimmst es in Betrieb, freust dich daran, dass der Bildschirm so schön bunt aufleuchtet und legst es dann beiseite, um dich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
3. Du machst dich mit dem Geschenk vertraut, beschäftigst dich mit der Anleitung, lernst es richtig kennen und verwendest es fortan als hilfreichen und Freude machenden Begleiter im Alltag.
Nun mag sich mancher frage, ob das hier eine Werberede für ein neues Mobiltelefon werden soll … nein, keine Angst!
Zu Weihnachten feiern wir, dass Gott uns ein Geschenk gemacht hat – er hat seinen Sohn Mensch werden, unter uns Menschen leben und für uns Menschen sterben lassen.
Natürlich hinkt der Vergleich wie alle Vergleiche hinken, aber wir können auch auf dieses Geschenk Gottes verschieden reagieren:
1. Man nimmt es zur Kenntnis – aha, Gott hat seinen Sohn gesandt. Feine Sache. Hat aber nichts mit meinem Leben und mir zu tun.
2. Man nimmt das Geschenk an, freut sich daran, dass Jesus Mensch geworden ist und legt diese Erkenntnis dann gedanklich beiseite, um sich mit anderen Dingen zu beschäftigen.
3. Oder man macht sich mit dem Geschenk vertraut, lernt Jesus richtig kennen, was seine Zeit dauert und auch nicht so ganz einfach gelingt. Aber dadurch wird Jesus zu unserer Hilfe, Freu-de und Hoffnung, zu unserem Begleiter im Alltag.
Ich wünsche uns allen an diesem Morgen, dass Gottes Geschenk uns wieder ganz neu bewusst und wert-voll wird. Ich bin ziemlich sicher, dass wir auch nach Jahren noch neue Facetten des Glaubens entdecken und erleben können. Dann wird es uns nämlich möglich, uns tatsächlich über Weihnachten als Erinnerung an die Geburt Jesu zu freuen, völlig losgelöst von mehr oder weniger kitschigen Liedern, pausbäckigen Engeln oder rot bemantelten weißbärtigen dicken Männern, die alle behaupten, der Weihnachtsmann zu sein, den es – die Kinder halten sich bitte mal kurz die Ohren zu – ja gar nicht gibt.
Freuet euch – das wird auf einmal ganz leicht, wenn wir Gottes Geschenk der Menschwerdung bedenken, und diese Freude ist dann unabhängig von unseren womöglich sogar sehr unerfreulichen Umständen.
Einführung 2
Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst in der Wrangelstraße. Dass unsere Gemeinde hier beheimatet ist, dient mir als willkommener Aufhänger für eine kleine Episode aus der Geschichte.
Otto von Bismarck hat in seinem Buch „Gedanken und Erinnerungen“ geschildert, wie ein langjähriges Zerwürfnis in der Beziehung zu seinem alten und väterlichen Freund, Feldmarschall Friedrich von Wrangel, beendet wurde.
Während des Deutsch-Dänischen Krieges hatte Wrangel zunächst den Oberbefehl über die preußisch-österreichischen Truppen. Er wurde im Kriegsverlauf aber auf Betreiben Bismarcks schnell abgelöst, da er eigenmächtig vorging. Wrangel verzögerte nämlich die militärischen Operationen und verbot die Verfolgung der geschlagenen dänischen Truppen.
Der noch immer darüber erboste Bismarck saß dann Jahre später an einer Tafel dem alt geworden Wrangel gegenüber. Die beiden redeten kein Wort miteinander, bis Wrangel zu Bismarck sagte: „Mein Sohn, kannst Du nicht vergessen?“
Bismarck antwortete abweisend: „Nein!“
Dann schwiegen beide wieder lange, bis Wrangel erneut anfing: „Mein Sohn, kannst Du nicht vergeben?“
Da streckte Bismarck ihm die Hand über den Tisch entgegen und sagte: „Von Herzen gern!“
Manchmal fällt es uns sehr schwer, um Vergebung zu bitten, stimmt’s? Es wäre uns viel lieber, wenn unsere Schuld einfach in Vergessenheit geraten würde … anstatt zuzugeben, dass wir schuldig geworden sind. Das passiert im zwischenmenschlichen Bereich und es passiert auch in unserer Beziehung zu Gott.
Daniel, um den es heute in der Predigt noch einmal gehen wird, hat nicht still vor sich hin gehofft, dass Gott die Schuld der Menschen irgendwann einfach vergessen würde. Er sagt statt dessen unter anderem in seinem Gebet: „Ja, wir haben gesündigt, wir sind gottlos gewesen!“
Dazu später mehr in der Schriftlesung. Ich wünsche mir und uns, dass wir öfter wie Wrangel, nach dem die Straße, in der wir uns jeden Sonntag versammeln benannt ist, darauf kommen, dass es möglich ist, um Vergebung zu bitten – und dass Vergebung die Schuld tatsächlich beseitigt.
Einführung 3
Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst.
Wer von euch hat schon einmal Kartoffeln geerntet? Oder Weintrauben, Spargel, Melonen, Weizen …
Wir Berliner gehen ja eher in ein Geschäft und erwerben die benötigten Nahrungsmittel, als selbst zu säen und zu ernten. Wir haben oft noch nicht einmal eine klare Vorstellung, was eigentlich alles notwendig war, bevor die Nahrung in unserer Küche zubereitet oder im Restaurant bestellt werden kann.
Das Motto des heutigen Gottesdienstes und der Predigt ist Bittet den Herrn der Ernte - für eine neue Ernte in Deutschland.
Jesus hat gerne Bilder aus dem Alltag der Menschen verwendet, um geistliche Dinge zu erklären. Eine Ernte, das wussten seine Zeitgenossen, erfordert Arbeit, Mühe, Einsatz, kostet Kraft. Ich habe mal als junger Mensch, mit 17 Jahren etwa, Kartoffeln geerntet, einen Tag lang, und zwar per Hand, nicht mit einer Maschine. Die Rückenschmerzen haben ein vielfaches der Zeit angehalten, die ich auf dem Acker verbracht habe.
Eins habe ich damals verstanden: Die Kartoffeln wandern nicht von selbst in unseren Keller. Man muss sie aus der Erde holen, und das ist Arbeit.
Jesus sagt in unserem heutigen Predigttext unter anderem: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter. Bittet deshalb den Herrn der Ernte, mehr Arbeiter auf seine Felder zu schicken. Geht!
Das ist unangenehm, dass er noch dieses Geht! hinzufügt. Eine Bitte an den Herrn der Ernte, Arbeiter auszusenden, das lässt sich ja noch ohne großen Aufwand machen. Da kann man sogar auf dem Sofa sitzen bleiben. Dumme Sache, dieses Geht!
Ich bin gespannt auf die Predigt, auf den ganzen Gottesdienst und ich wünsche mir, dass es mir, dass es uns gelingt, nicht nur von der Ernte zu reden, sondern sie tatsächlich einzubringen.
Einführung 4
Guten Morgen und herzlich willkommen zu unserem Ostergottesdienst.
In der Predigt am vergangenen Sonntag haben wir unter anderem gehört, wie viel Aufruhr und Aufregung die Auferweckung des Lazarus in Jerusalem ausgelöst hat. Dass jemand von den Toten aufersteht - das ist tatsächlich ein für den menschlichen Verstand kaum fassbares Ereignis, das ist etwas Unglaubliches.
»Als aber Jesus auferstanden war früh am ersten Tag der Woche, erschien er zuerst Maria von Magdala, von der er sieben böse Geister ausgetrieben hatte. Und sie ging hin und verkündete es denen, die mit ihm gewesen waren und Leid trugen und weinten. Und als diese hörten, dass er lebe und sei ihr erschienen, glaubten sie es nicht« heißt es im ältesten uns überlieferten Evangelium, in Markus 16.
Letztes Jahr habe ich zur Einführung in den Ostergottesdienst Margot Käßmann mit ihrer Geschichte vom Pfarrer, der sich auf der Kanzel rasierte, zitiert, um das Unglaubliche am Ostergeschehen zu illustrieren. Dieses Jahr habe ich mir ausgedacht, selbst etwas Unglaubliches zu tun. Allerdings packe ich jetzt keine Utensilien zum Rasieren aus. Aber genau wie der Maria, die vom leeren Grab Jesu kam und berichtete, niemand glauben wollte, wird euch auch kaum jemand glauben, dass heute hier im Gottesdienst zum Ostergeschehen ausgerechnet Friedrich Nitzsche zitiert wurde.
Gelegentlich lese ich klassische Literatur erneut, mit deren Lektüre ich mich in jungen Jahren schon einmal beschäftigt habe. Goethe, Schiller, Ernest Hemingway, Heinrich Böll, Karl May sogar. In den letzten Wochen habe ich mich durch den Wälzer »Also sprach Zarathustra« von Friedrich Nietzsche gearbeitet. Ich fand das Buch schon als Jugendlicher nicht sonderlich gut, jetzt beim erneuten Lesen fiel mein Urteil noch vernichtender aus: Manche Menschen schätzen es hoch, das Buch, und das will ich ihnen auch gar nicht ausreden, aber für mich persönlich gilt, dass das Werk nichts taugt. Es ist immerhin gelegentlich literarisch interessant, aber der Inhalt ist durchgehend hanebüchener Unfug. Dennoch stieß ich ab und zu in all der wirren Pseudophilosophie auf einen oder zwei Sätze, die als Anstoß zum Nachdenken ganz trefflich geeignet sind. Zum Beispiel legt Nietzsche seinem Zarathustra folgendes in den Mund:
Also sprach der Teufel einst zu mir: »Auch Gott hat seine Hölle: das ist seine Liebe zu den Menschen.« Und jüngst hörte ich ihn dieses Wort sagen: »Gott ist tot. An seinem Mitleiden mit den Menschen ist Gott gestorben.«
Das heißt im Grunde genommen nichts anderes, als der uns wohlbekannte Satz: »So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab.« Die Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen hat ihm wirklich eine Hölle verursacht. Sein Sohn musste sterben, weil die Liebe Gottes für den Menschen so übergroß und so überwältigend war. Gott ist in der Person Jesus Christus tatsächlich gestorben, und zwar, wie Nietzsche formuliert, an seinem Mitleiden mit den Menschen.
Allerdings ist es nicht dabei geblieben. Heute feiern wir, weil wir uns an die Auferstehung erinnern. Dass Christus auferstanden ist, gibt uns mehr als zweitausend Jahre später noch immer Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Das gibt uns Hoffnung und Kraft. Die Auferstehung von den Toten bleibt aber dennoch dem menschlichen Verstand schwer vorstellbar.
Vielleicht fällt es euren Bekannten, falls ihr von diesem Gottesdienst erzählt, wirklich leichter zu glauben, dass der Nihilist Nietzsche zitiert wurde als dass Jesus Christus tatsächlich an seinem Mitleiden mit uns Menschen gestorben ist, aus Liebe zu den Menschen Höllenqualen auf sich genommen hat und zu unserer Errettung auferstanden ist. Unglaublich oder nicht - der Wahrheit entspricht beides, Nietzsche im Gottesdienst und Auferstehung Christi. Und weil das letztere ein Grund zur Freude ist, feiern wir heute.
Einführung 5
Guten Morgen, und herzlich willkommen zum Gottesdienst.
Wenn der Wind weht, bauen die einen Schutzmauern, die anderen bauen Windmühlen, sagt ein Sprichwort. Wie gehen wir mit Gegenwind, mit Widerständen und Schwierigkeiten in unserem Leben um?
Um diese Frage wird es heute unter anderem in der Predigt gehen. Wir haben eben gesungen »du bist der Herr über Tag und Nacht«, was an einem hellen, sonnigen Frühlingstag leicht über unsere Lippen geht. Aber wenn es dunkel wird, wenn uns Krankheit, Not, Angst überfallen, dann ist es gar nicht mehr so leicht, an solchen Aussagen über Gott festzuhalten.
»Und Israel zog wohlgeordnet aus Ägyptenland« heißt es ein paar Absätze vor dem Text, den wir nachher als Schriftlesung hören. Der Knechtschaft entronnen meinte das Volk, nun schnurstracks in die versprochene Heimat zu ziehen, voller Gottvertrauen und das Lob Gottes auf den Lippen.
Wir wissen, dass die Euphorie von kurzer Dauer war. Auf einmal reden sie dann ganz anders: »Haben wir's dir nicht schon in Ägypten gesagt: Lass uns in Ruhe, wir wollen den Ägyptern dienen? Es wäre besser für uns, den Ägyptern zu dienen, als in der Wüste zu sterben.«
Ich wünsche mir und uns, dass auch dieser Gottesdienst heute dazu beiträgt, uns auf Kraftquellen aufmerksam zu machen, die wir bitter nötig haben, wenn einmal nicht eitel Sonnenschein in unserem Leben herrscht. So angenehm der Zustand auch ist, wenn alles gut und schön und gesund und voller Segen und Sieg ist, aus eigener Erfahrung weiß nicht nur ich, wie schnell und unerwartet plötzlich alles anders aussehen kann. Und dann, wenn das ägyptische Heer am Horizont auftaucht, dann brauchen wir Kraftquellen in der Wüste.
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P.S.: Wer nicht herausbekommen hat, welche Einführung die vom Ostersonntag sein wird, ist wie alle anderen herzlich willkommen um 10:30 zum Gottesdienst der Johannes-Gemeinde in der Wrangelstraße 6 in 12165 Berlin. Dort erfolgt dann die Auflösung.
Foto: [Friedrich Nietzsche / Wikipedia Common License].
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