Die Sache hat mich zu Recherchen angestachelt. Was mir noch bekannt war aus längst vergangenen Schultagen, ist die mythologisch-literarische Seite. Rainer Maria Rilkes »Die Dame mit dem Einhorn«, »Das tapfere Schneiderlein« der Gebrüder Grimm, die griechische Mythologie um Zeus, der aus einer Ziege mit ziemlicher Gewaltanwendung ein Einhorn machte, die indischen Ursprünge des Fabeltiers...
Allerdings ist das nicht alles. Bei meinen Recherchen stieß ich darauf, dass auch in der Lutherbibel einst das Einhorn Gastrecht genossen hat.
Aber meyn horn wird erhöhet werden wie eyns eynhornshießt es in Psalm 92. Und in Psalm 29 konnte man damals lesen:
Und werde begossen mit frisschem öle
Und macht sie lecken wie eyn kalbIm Buch Hiob fragte in der ursprünglichen Übersetzung Gott:
Libanon und Sirion wie eyn iungs eynhorn
Weynstu das eynhorn werde dyr dienen, und werde bleyben an deyner krippen?Im Buch Numeri, Kapitel 24, übersetzte Luther:
kanstu yhm das ioch an knupffen ynn deynen furchen, das er hynder dyr pfluge ynn grunden
Gott hat in aus Egypten gefüret, Seine freidigkeit ist wie eins Einhorns. Er wird die Heiden, seine Verfolger, fressen, und ire gebeine zumalmen, und mit seinen pfeylen zu schmettern.Es gibt zahlreiche weitere solche Fundstellen in der Lutherbibel. Der Reformator hatte kein theologisches Problem mit diesem Wesen.
Heutzutage allerdings wurde das Einhorn durch andere Tiere ersetzt, in modernen Übersetzungen taucht es nicht mehr auf. Zu finden ist es aber dennoch allerorten. So halten Löwe und Einhorn das britische Staatswappen, es gibt etliche Einhorn-Apotheken und im Juni 2008 fand und fotografierte man in der Toskana gar ein lebendes Exemplar. Das allerdings entpuppt sich als Rehbock mit ungewöhnlichem Stirnschmuck. Hieronymus Bosch hat sowohl im »Garten Eden« als auch im »Garten der Lüste«, nach neueren Deutungen eher als »Garten der Liebe« zu verstehen, seines berühmten Triptychon das Einhorn angesiedelt.
Wenn also ein Pastor ein Einhorn sieht, braucht man nicht gleich nach der Glaubenspolizei rufen. Selbst dann nicht, wenn es Flügel hat. Und auch dann noch nicht, wenn der Pastor sagt, dieses Mischwesen aus Pegasus und Einhorn repräsentiere Jesus.
Bildersprache ist nichts ungewöhnliches bei geistlichen Eindrücken und was für den einen keine Bedeutung hat, kann einem anderen eine ganze Menge zu sagen haben. In der Bibel wimmelt es von allerlei merkwürdigen Wesen, mit allerlei Köpfen und Flügeln und Kronen und Klauen. Die Bibel ist kein Biologiebuch und unsere Phantasie wird nicht dadurch ausgeschaltet, dass wir gläubig werden. Wenn jemand eine geistliche Bewandnis dadurch begreift, dass er ein Senfkorn oder einen Feigenbaum als Bild nimmt, warum dann nicht ein anderer mal ein Einhorn?
- Mehr über das scheue Wesen bei Wikipedia: Einhorn
- Mehr über die alte Lutherbibel und das inzwischen ausgemerzte Tier: Einhörner in der Bibel
- Gedanken über den Leviathan, ein anderes schwer zu identifizierendes Wesen, macht sich gerade die Bloggergemeinde bei einem anderen Pastor: Storch und das Meeresungeheuer