Es gilt, etwas in Worte zu fassen, was eigentlich nur selbst erlebt werden kann: Das Gefühl, wenn eine unsichtbare, jedoch deshalb nicht weniger drückende Last von den Schultern - von der Seele genommen wird. Das Gefühl, wenn plötzlich das sprichwörtliche »Aha-Erlebnis« stattfindet. Ein Gefühl, ein Empfinden, das mich bei der Lektüre des hier vorgestellten Quadros mehrmals überrascht hat.
Christen sagen, Jesus Christus habe »ihre Schuld auf sich genommen«. Warum gibt es dann kaum jemanden, der mehr unter Schuldgefühlen leidet, als gerade die Christen?
So beginnt der (aus meiner subjektiven Sicht beste) »Monatsbegleiter« aus der Quadro-Serie im Down to Earth Verlag. Ich habe keinen ganzen Monat gebraucht, um die 40 Seiten zu lesen, denn erstens lasse ich mir von einem Buch nicht sagen, in welchem Rhythmus oder Tempo ich es lesen soll, und zweitens wollte ich am Ende jeder Seite sofort wissen, was auf der nächsten auf mich wartet. Noch ein »Ach so!«, ein weiteres »Warum habe ich das in 30 Jahren nicht kapiert?« oder ein »Das habe ich immer so empfunden - jetzt weiß ich auch warum!«
Es geht um den Blues. Nicht den von B. B. King oder Eric Clapton, sondern um den Blues, den viele, viel zu viele Christen mit sich herumtragen und der von den Menschen rings herum keineswegs übersehen wird, der noch dazu das eigene Christenleben schwer macht.
Das allerdings hat Tradition im Christentum:
Während Jesus den Menschen das einfache Evangelium verkündete: »Dir sind deine Sünden vergeben«, hören Menschen, die gläubig werden, von Christen oft etwas anderes.
Zunächst einmal müssen sie einsehen, dass sie Vergebung brauchen, also wird ihnen statt des Zuspruchs der Vergebung ein Spiegel ihres Versagens vorgehalten.
Sobald sie Christen werden, bringt man ihnen bei, dass die Vergebung ein leicht verderbliches Gut sei, das immer nur bis zur Gegenwart reiche. Jeder neue Fehltritt erfordere spezielle Maßnahmen der Tilgung: Beichte, Bekenntnis, Wiedergutmachung oder dergleichen.
Mir hat man seinerzeit (vor rund 35 Jahren) sogar beigebracht, dass ich noch gar nicht »richtig« erlöst sei, da ich ja noch die Beatles, die Rolling Stones und - o weh, o weh! - sogar Led Zeppelin hörte. Erst wenn diese Platten verbrannt seien (und natürlich Buße für den Besitz und das Hören getan war), durfte ich als »erlöst« gelten. Dann stellte sich heraus, dass ich rauchte. Auch das ging natürlich nicht. Und so weiter...
Es gab - und gibt, Gott sei es geklagt - viele solche Fälle wie mich. Einige, die ungefähr zeitgleich mit mir Jesus kennen gelernt hatten, waren einige Monate später nicht mehr am Glauben interessiert. Die tiefe und übersprudelnde Freude, die Jesus in mein und ihr Herz gegeben hatte, wurde gedämpft, sogar erstickt. Christsein wurde zum Leben nach einem unüberschaubaren und sowieso unerfüllbaren Regel- und Gesetzeswerk. Man darf nicht weltliche Musik hören. Man darf nicht nackt baden gehen. Man muss zum Gottesdienst gehen. Man muss beim Gemeindeputz mithelfen. Man muss dieses, man darf nicht jenes.
»No more blues« nennt ein anderes Beispiel, eins, das ich ebenfalls kennen gelernt habe:
Der Blues beginnt oft schon am Tag der Bekehrung. Voller Freude bricht jemand in ein neues Leben mit Jesus auf. Doch schon fällt er einem Mitchristen in die Hände, der ihn wohlmeinend unterweist: Ab heute müsse er täglich in der Bibel lesen.
Schon ist die Weiche falsch gestellt. Kein Wunder, dass der Zug bald im Bahnhof der Schuldgefühle einfährt. Was Kür sein sollte, ist zur Pflicht geworden.
Ich versichere dir: »Du musst überhaupt nicht in der Bibel lesen!« Damit sage ich nicht: »Lies nicht in der Bibel!« Wenn du willst, darfst du sie gern lesen. Ich würde mich darüber freuen. Ich weiß, dass sie dir gut tun wird. Ich sage nur: Du musst sie nicht lesen. Jedenfalls nicht, um Gott zu gefallen – du gefällst ihm nämlich schon.
Ich kann das ganz einfach beweisen. 1500 Jahre lang gab es Christen, ohne dass es gedruckte Bibeln gab. Dem normalen Christen waren die existierenden Handschriften entweder nicht zugänglich, oder er konnte nicht lesen. Wie kann Bibellesen da eine Christenpflicht sein? Wie kann ein Christ etwas müssen, was der Mehrheit der Christen über 1500 Jahre gar nicht möglich war?
Der Autor Harald Sommerfeld ist ein Querdenker, der durch das Querdenken so manchen gordischen Knoten durchschlagen hilft. Er umgeht unbequeme Probleme nicht, sondern er lädt mit diesem Buch dazu ein, gerade diese unangenehmen Aspekte des Lebens als Christ aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Und das kann, vorausgesetzt der Leser lässt sich darauf ein, zu den eingangs geschilderten Aha-Erlebnissen führen.
Der Autor verkennt dabei nicht die Tatsache, dass es durchaus Dinge in der persönlichen Historie eines Christen geben mag, bei denen eine »Aufarbeitung« unumgänglich ist, damit sie sich nicht mehr störend auswirken. Zum Beispiel:
Wenn du merkst, dass ein bestimmtes Fehlverhalten dich hartnäckig bedrückt, Schuldgefühle nicht abzuschütteln sind und etwas in dir einfach nicht glauben will, dass die Sache durch Jesus schon erledigt ist, dann kann ein Bekenntnis vor einem anderen dir helfen. Manches kann leichter entmachtet und losgelassen werden, wenn es ausgesprochen wird.
Suche dir einen Menschen, dem du vertraust. Erzähle ihm, was du getan hast, und lass dir von ihm bestätigen und zusprechen, dass die Sache vergeben und erledigt ist. Dann geh fröhlich deines Weges.
»No more Blues« ist ein Mutmacher, aber nicht von der billigen Art, die »alles wird gut« zu suggerieren versucht. Das Quadro ist nicht oberflächlich, sondern es versetzt den Leser in die Lage, unter die Oberfläche des (eigenen) Glaubenslebens zu schauen. Dort sind womöglich Denkmuster und Überzeugungen verborgen, die dafür sorgen, dass Christen zwar sagen, Jesus Christus habe »ihre Schuld auf sich genommen«. Unsere Mitmenschen dagegen fragen sich: »Warum gibt es dann kaum jemanden, der mehr unter Schuldgefühlen leidet, als gerade die Christen?«
Harald Sommerfeld zeigt Wege auf, wie man diese Zustand nachhaltig ändern kann.
Mein Fazit: Eigentlich sollte dieses Heft zur Pflichtlektüre erklärt werden, aber dann würde man ja, falls jemand es
nicht liest, wieder den Blues erzeugen. Viel besser: Neugierig werden, anfangen zu lesen und – wie ich – nicht mehr aufhören wollen.
Und, nicht zu vergessen: Eric Clapton darf man weiter hören und genießen! B.B. King auch. Und sogar Led Zeppelin.
ISBN 978-3-935992-56-5
40 Seiten, 4 Euro
Verlag Down to Earth
P.S.: Das Foto zeigt eine Doppelseite aus dem Quadro, um auch die sehr gelungene Grafikarbeit zu würdigen: Diese Hefte sind auch optisch ein
Highlight. (Man verzeihe mir den Anglizismus, aber da das Quadro einen englischen Titel hat, obwohl es in Deutsch geschrieben wurde, bin ich so frei. Ohne
Blues Schuldgefühle.)
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