Wir sind ausgesperrt, gehören nicht dazu, Fremdkörper sind wir und wollen gar nichts daran ändern, denn es ist gut so, wie es ist. Ihr Gehabe ist uns fremd, unangenehm mitunter. Nicht, dass wir es für unecht halten, nein! Es mag schon wahrhaft so empfunden sein, was sie uns als Normalzustand beschreiben, ohne es doch wirklich zu erläutern. Sie schwelgen, schweben in emotionalen Höhenflügen über uns hinweg, sind ganz verzückt, sind überwältigt, stöhnen, weinen, schmachten, jubeln, jauchzen und fallen überwältigt auf den Boden.
Wir haben das schon hundert mal gesehen, gelesen, gehört. Wir schämen uns mitunter fremd, wenn sie im Überschwang das eine oder andere der Welt entgegenjubeln. Doch können sie ja wohl daran nichts ändern, sind so entrückt, dass wir und unsere Wirklichkeit ihrem Blick schon weit entzogen wurden.
Wir sind für sie nicht wirklich echt genug. Sie pflegen sich gerne mit Vokabeln zu schmücken, die beschreiben, dass sie weiter, tiefer, weiser, erleuchteter und eben dadurch irgendwie auch besser sind: »Wiedergeboren«, »geisterfüllt« oder »geistgetauft«, als wären Geist und Rettung ihnen vorbehalten. Sie nennen sich auch »bibeltreu« und kennen doch in weiten Teilen nicht einmal das Buch, dem treu zu sein sie sich so ernst geschworen haben. Sie halten ihre frommen Übungen peinlich genau ein, am Morgen eine »Stille Zeit« mit ausgelosten Häppchen aus der Bibel, den sonntäglichen Gottesdienst versäumen sie auf keinen Fall, im wöchentlichen Hauskreis dürfen sie höchstens bei schwerer Krankheit fehlen. Und sind sie krank, dann plagt schon das Gewissen, weil ganz offenbar der Glaube an die Heilung fehlt.
Sie sind schon eine ganz besondere Rasse, der so manches eigentümlich ist, was uns die Stirn in Falten legt. Der Herr hat ihnen Arbeitsplätze oder Wohnungen versprochen - und wohl so gut versteckt, dass sie nur schwer zu finden sind. Der Herr schenkt ihrem Sommerfest bestimmt das beste Wetter, weshalb sie keine Regenschirme oder überdachte Plätze brauchen. Der Herr wird ihnen ganz bestimmt das Konto mit genügend Euros füllen, weil sie ja treu den »Zehnten« in die Opfersammlung legen.
Und doch gehören wir zusammen, allemal. Wir teilen nicht den Überschwang der Emotionen, doch sind wir gleichermaßen Gottes Kinder. Wir schauen uns den gleichen Jesus an und kommen wohl zu anderen Erkenntnissen, doch ist und bleibt der Nazarener ungeteilt. Wir brauchen kein Gemeindezentrum, finanzieren keine Institution, und sind doch gerne mal zu Gast in einem Gotteshaus, obwohl uns Gott auch sonst ganz nahe ist, meist außerhalb sakraler Räume. Wir hören keine Stimmen, die uns Arbeitsplatz und Wohlstand zusagen, wir mühen uns statt dessen selbst, das Leben zu bestreiten. Wir fühlen keine Salbungswellen über uns zusammenschwappen, und doch sind Geist und Friede uns zu eigen, in unserer Seele, mitten im Sturm des Lebens. Wir wollen nicht die Welt in unsere Gemeinden holen, statt dessen sind wir den Menschen zugewandt, um nachzuahmen, was von Jesus überliefert ist. Wir singen nicht mit hoch gestreckten Händen sieben mal die gleiche Strophe, und dennoch klingt in unseren Herzen manche frohe Weise, die dem Allerhöchsten dankt.
Haben wir Recht? Haben sie Recht? Ja und ja. So unterschiedlich, wie wir Menschen sind, so ganz verschieden darf sich auch gebärden, wie wir und sie und alle anderen dem einen Gott zu folgen sich anschicken. Im Überschwang Zentimeter über dem Boden schwebend der eine, ernsthaft und still in sich gekehrt der andere. Und würden wir gar eines Tages damit aufhören, den anderen so formen zu wollen wie wir selber sind, dann könnten wir womöglich gar begreifen, dass wir zusammen gehören.