Samstag, 19. August 2017

Gastbeitrag Leo Babauta: Loslassen. Kapitel 19

Ich habe, regelmäßige Blogbesucher wissen das bereits, kürzlich ein weiteres Buch aus der Feder des Leo Babauta übersetzt. Das Buch kann man als Taschenbuch oder als E-Book für den Kindle erwerben. Um die Druck-, Vertriebs und Distributionskosten kommen wir nicht herum – daher kostet das Taschenbuch nun einmal fünf Euro und neun Cent und das E-Book zwei Euro und neunundneunzig Cent.

Das Taschenbuch: http://amzn.to/2van3Ar
Das Kindle-Buch: http://amzn.to/2uGrf7C

Loslassen._Eine_einz_Cover_for_KindleDa Leo Babauta sein Buch genau wie die Beiträge auf seinem Blog vom Copyright ausdrücklich ausgenommen hat und zur unentgeltlichen Weiterverbreitung auffordert, stelle ich die einzelnen Kapitel meiner deutschen Übersetzung hier auf dem Blog zur Verfügung.

Wer lieber ein »richtiges« Buch in der Hand hat beim Lesen oder gerne seinen Kindle benutzt, der kann die entsprechende Ausgabe bestellen. Wer kein Geld ausgeben kann oder will, der möge hier auf dem Blog lesen, was Leo Babauta zum Thema Loslassen eingefallen ist.

---

Kapitel 19

Was Loslassen nicht bedeutet

Es gibt eine Menge Missverständnisse und Widerstand gegen die Idee des Loslassens. Vor allem, weil sie unserer normalen Art zu denken so deutlich widerspricht. Wir sind daran gewöhnt, zu versuchen, alles zu kontrollieren. Wir wollen etwas in Gang setzen, für Gerechtigkeit kämpfen, Werte und Moralvorstellungen durchsetzen. Wir versuchen, Menschen zu rücksichtsvollem Handeln und Fairness zu bewegen, wir streben danach, die Welt und uns immer besser zu machen. Das Annehmen des Gegebenen gehört nicht zu dieser Weltsicht. Loslassen ist nicht Teil dieser Weltanschauung.

Emotionen wie Mitgefühl, Liebe, Schmerz und Wut dagegen gehören zu jedem menschlichen Leben. Daher sollten wir das Loslassen und Akzeptieren der Wirklichkeit als Werkzeuge begreifen, um mit solchen Gefühlen umzugehen.

Es ist zum Verständnis der Kunst des Loslassens und ihrer segensreichen Auswirkungen hilfreich, sich klar zu machen, was damit nicht gemeint ist:

1. Loslassen heißt nicht aufgeben. Nehmen wir an, Sie streiten mit jemandem – das Loslassen Ihrer Idealvorstellung fühlt sich an, als würden Sie aufgeben, um den anderen gewinnen zu lassen. Aber eigentlich geht es nicht darum, einen Kampf zu gewinnen, sondern darum, ein Problem zu lösen und die Beziehung zu verbessern. Wenn Sie loslassen können, was Ihre Wut verursacht, können Sie gelassener und sogar einfühlsam reagieren. Sie können vernünftig reden und sagen, was nicht in Ordnung ist (nicht wer schuldig ist!) und wie das Problem behoben werden kann. Sie können auch sensibel über Gefühle sprechen, anstatt wütend auf die andere Person einzudreschen. Es geht nicht um Kapitulation, sondern um die angemessene Lösung eines Problems.

2. Loslassen macht niemanden zum Opfer. Wenn Ihnen jemand etwas Böses antut, ist das natürlich schrecklich. Und natürlich werden Sie verletzt und wütend sein. Daran ist gar nichts verkehrt. Wie bereits mehrfach gesagt, sollte man solche Gefühle zulassen. Aber oft entstehen Rachegelüste, und die sind schädlich für Sie und die andere Person. Denn obwohl es sich vielleicht gut anfühlt, zurückzuschlagen, wird das nichts an der Situation verbessern. Es macht wirklich keinen der Beteiligten glücklicher.
Und was passiert, wenn Sie die andere Person aus irgendeinem Grund gar nicht verletzen können? Ihre Rache läuft ins Leere. So oder so, Sie werden viel länger leiden. Wenn Sie aber (nachdem Sie den natürlichen Schmerz eine Weile zugelassen haben) die Situation loslassen, kann die Heilung beginnen. Ihre eigene Heilung. Das ist doch sicher wertvoller als Rache! Heilung kann Sie wieder glücklich machen, anstatt für den Rest Ihres Lebens an der Untat eines anderen Menschen zu leiden.

3. Loslassen heiß nicht, dass sich nichts verbessert. Viele Menschen glauben, dass sie Idealvorstellungen und Wunschbilder brauchen, um ihr Leben und sich selbst zu verbessern. Loslassen scheint zu bedeuten, dass sich nichts ändert. Zunächst: wenn ein Ideal Ihnen hilft, gibt es keine Notwendigkeit, sich davon zu trennen. Nur wenn es Ihnen schadet, sollten Sie versuchen, es loszulassen, auch wenn das schwierig ist. Außerdem brauchen Sie eigentlich nur »Verbesserung«, wenn Sie glauben, nicht gut genug zu sein.
In Wirklichkeit haben Sie aber bereits alles, was Sie brauchen, um jetzt und hier glücklich zu sein. Sie sind gut genug und Sie lernen gerade, unrealistische Wunschträume loszulassen. Sie haben sich selbst akzeptiert, wie Sie sind. Und jetzt, nachdem Sie sich selbst angenommen haben, schaffen Sie neue Gewohnheiten. Nicht in dem Versuch, sich einem Idealbild anzunähern, sondern Sie verbessern sich aus einer sensiblen Einstellung zu sich selbst und anderen heraus.

4. Loslassen heißt nicht, jemandem etwas durchgehen zu lassen. Jawohl, andere Menschen verhalten sich falsch. Und jawohl, Sie möchten das abstellen und korrigieren. Aber wenn Sie herumlaufen und versuchen, in dieser Welt der Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, werden Sie nur immer wütender, anstatt tatsächlich etwas zu ändern. Menschen ändern sich nicht, weil Sie sie anschreien. Sie können sich aber ändern, wenn Sie Ihre Wut loslassen und mitfühlend mit ihnen über ein Problem sprechen. Vielleicht ändert sich jemand trotzdem nicht, aber wie auch immer: Sie sind Ihren Zorn los und viel glücklicher.

5. Loslassen heißt nicht, dass Ihr Haushalt verkommt. Wenn Sie eine klare Vorstellung haben, wie Ihr Haushalt (oder sonst etwas) aussehen sollte, dann kann viel Frust und Verärgerung dadurch entstehen, dass andere Familienmitglieder nicht am gleichen Strang ziehen und helfen, das Haus sauber zu halten. Dann werden Sie den anderen Ihren Ärger deutlich machen. Dies macht weder Sie glücklich, noch ist es gut für Ihre familiären Beziehungen.
Bedeutet das nun etwa, dass Sie Aufräumen und Saubermachen alleine übernehmen müssen? Oder müssen Sie zulassen, dass das Haus in eine Müllhalde verwandelt wird?
Keineswegs. Wenn Sie das Wunschbild, dass alle gemeinsam das Haus sauber halten, loslassen, haben Sie sich schon Ihre Wut und Ihren Groll vom Hals geschafft. Dadurch handeln Sie besonnener. Sie akzeptieren die Mitglieder Ihrer Familie, wie sie sind. Sie besitzen leider die guten Gewohnheiten nicht, die Ihrem Wunsch entgegenkommen würden. Diese Erkenntnis hilft Ihnen, ruhig und sensibel mit der Familie darüber zu reden, wie das Problem gelöst werden kann.
Wenn die anderen das aber gar nicht wollen, was dann? In dem Fall können Sie akzeptieren, dass Sie andere Menschen nicht beherrschen, und sich stattdessen auf das konzentrieren, was Sie tatsächlich beeinflussen können. Sie könnten sich eine Vereinbarung für den Haushalt einfallen lassen, der alle zustimmen. Einen Kompromiss. Die wirksamste aller Methoden: Seien Sie ein Vorbild um zu sehen, ob das Einfluss auf die anderen hat. Sprechen Sie (ruhig) über Ihre Gefühle angesichts von Unordnung und Schmutz in der Hoffnung auf eine Lösung. Was immer Ihnen einfällt, tun Sie es ohne Groll und Wut.

6. Loslassen heiß nicht, auf eine bessere Welt verzichten. Die Welt zum Guten zu verändern ist ein großartiges Anliegen. Wenn aber Ihre Vorstellungen darüber, wie die Welt aussehen sollte und wie die Menschen sich verhalten sollten, damit das erreicht wird, dazu führen, dass Sie leiden, dann sollten Sie den Griff lockern. Akzeptieren Sie, dass die Welt nicht ideal ist, aber dennoch etwas Großartiges.
Sobald Sie sich beruhigt haben und die Wirklichkeit anerkennen, wie sie ist, können Sie das Leiden der Menschen immer noch oder sogar erst recht sehen und aus Mitleid aktiv werden, um ihr Leben besser zu machen. Und damit verändern Sie nachhaltig etwas zum Guten.

7. Loslassen heißt nicht, jemandem Recht geben, der im Unrecht ist. Eine der größten Quellen von Frust und Verbitterung liegt darin, dass wir anderen aufzeigen wollen, dass wir im Recht sind, während sie sich irren. Wir werden dann leicht wütend und verbohrt, worauf die anderen genauso verbohrt und wütend reagieren. Das macht uns alle unglücklich und schadet unseren Beziehungen. Stattdessen könnten wir den Wunsch, Recht zu haben, loslassen und einfach akzeptieren, dass eine Meinungsverschiedenheit vorliegt. Wie können wir dann gelassen und besonnen mit dieser Meinungsverschiedenheit umgehen? Ist es wichtig, Ihr Rechthaben der anderen Person an den Kopf zu werfen? Hilft nicht vielmehr eine gute Beziehung als Basis, auf der die beste Lösung erarbeitet werden kann?

8. Loslassen bedeutet nicht Verzicht auf Normen des Anstands in unserer Gesellschaft. Menschen sollten einander mit Anstand und Respekt begegnen. Menschen sollten fair sein und nicht rücksichtslos nur den eigenen Vorteil suchen. Es gibt einige Werte, die in der Gesellschaft gelten – ist das Loslassen solcher Werte ein Verzicht auf Normen das Anstandes und Regeln des Miteinanders? Nein ... es ist nur das Loslassen des Wunschtraums, dass alle diesen Werten jederzeit gerecht werden.
In der Realität verhalten sich viele Menschen verantwortlich und anständig, aber viele verletzen auch die Regeln. Wahrscheinlich leiden sie in irgendeiner Weise, was zwar ihr Fehlverhalten nicht entschuldigt, aber die Erkenntnis kann uns helfen, einfühlsam und wohlwollend mit ihnen umzugehen. Die Einsicht hilft uns, zu verzeihen. Wir können vielleicht manche Menschen über die gesellschaftlichen Werte aufklären, aber nicht immer. Doch wenn wir vergeben, werden wir unseren Frust los. Wir können Gruppendiskussionen über Werte veranstalten und ihnen zustimmen, aber wir wissen auch, dass die Standards nicht vollständig gelebt werden, weder früher, noch heute oder morgen. Und das ist eben die Wirklichkeit.

Es gibt noch viele andere Schlussfolgerungen, die mit Loslassen nichts zu tun haben. Sie können sicher den roten Faden erkennen: es beginnt mit Loslassen und Akzeptanz der Wirklichkeit, damit wir entsprechend reagieren und nicht länger leiden als unumgänglich.

Und das ist eine gewaltige Veränderung des Lebensstils, den die meisten Menschen Tag für Tag pflegen. Der Unterschied ist so bedeutend, dass sich ein wenig tägliche Übung lohnt.

---

Fortsetzung folgt.

.