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Montag, 1. Oktober 2012

Kreatives Schreiben–kann man lernen

»Talent ist billiger als Tafelsalz. Was das talentierte Individuum vom erfolgreichen unterscheidet, ist eine Menge harter Arbeit«, sagt Stephen King, einer der populärsten Erzähler unserer Zeit, der einst mit Horrorgeschichten seine Karriere begann und heute zu den besten Romanschriftstellern weltweit zu zählen ist. Begabt zum Schreiben sind viele Menschen, sie währen auch gewillt, Fleiß und Mühe aufzuwenden, nur wissen sie manchmal nicht, wie sie anfangen sollen, welche Tipps und Tricks es gibt, auf welche Fehler man achten sollte.

Mancher hält sich auch, meist zu Unrecht, für unbegabt. »Schreib wie du sprichst, so schreibst du schön«, riet Gotthold Ephraim Lessing seiner Nichte, die sich nicht traute, etwas zu Papier zu bringen, weil sie sich für völlig untalentiert hielt. Die Nichte folgte nach einigem Zögern dem Rat und siehe da: Es entstanden nach und nach sehr ansehnliche Ergebnisse.

Günter J. Matthia, Autor mehrerer erfolgreicher Bücher, auch als Ghostwriter und Übersetzer aktiv und Verfasser zahlreicher Artikel für diverse Zeitschriften, hat sich vorgenommen, seinen Erfahrungsschatz mit Interessierten zu teilen. »Kreatives Schreiben« soll Schreibwerkstatt, Kurs und Workshop in einem sein, wobei die Betonung auf dem gemeinsamen Arbeiten und Experimentieren liegt. Vorlesungen, Frontalunterricht … nein, so etwas soll nicht aus der Reihe von Veranstaltungen werden. Dem Initiator schwebt vielmehr eine gemeinsame Entdeckungsreise vor, je unterschiedlicher die Teilnehmer sind, desto abwechslungsreicher und spannender wird das Ganze.

Geeignet ist das Angebot für alle, die Lust darauf haben, sich beim Schreiben auszuprobieren. Jugendliche, Erwachsene, Männer, Frauen, mit Schreiberfahrung und ohne … Christen, Moslems, Atheisten, Buddhisten, Hindus … Dicke, Dünne, Dunkle, Helle … Heteros, Schwule, Ambivalente … herzlich willkommen!

Die kostenlose Veranstaltungsreihe findet voraussichtlich ab Januar 2013 jeweils am ersten Mittwoch im Monat um 18 Uhr in Berlin Steglitz (Nähe Schlossstraße) statt. Falls Material benötigt wird, bezahlt jeder selbst seinen Anteil.

Wer Interesse hat, dabei zu sein, melde sich bitte bald, damit die notwendigen Vorbereitungen und Planungen gelingen. Dabei den Absender (E-Mail oder Postadresse) nicht vergessen, damit genauere Informationen für die Interessierten rechtzeitig und richtig ankommen. Kontaktdaten: Günter J. Matthia, Soester Str. 21-23, 12207 Berlin – oder via [E-Mail]

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Freitag, 17. September 2010

Schreibtipp Nummer Zwölf: Bilder provozieren

Heute gibt es - nach langer Pause - mal wieder einen Tipp zum Schreiben. Die Inspiration beschlich mich bei der Lektüre eines »Textertipps« von Herrn Gottschling von der Textakademie. Dort geht es zwar um Marketingformulierungen, aber das Prinzip lässt sich leicht auf das literarische Schreiben übertragen.
Es geht darum, Bilder im Kopf des Lesers entstehen zu lassen. Man könnte, angenommen ein Herr Wegemann geht durch eine Stadt, folgenden Satz schreiben:
Herr Wegemann geht durch die Stadt.
Daran ist nichts falsch. Wenn es aber für das Erzählte von Belang sein sollte, dass im Kopf unserer Leser ein etwas anschaulicheres Bild des Vorganges entsteht, ersetzen wir das Verb »geht« und das Substantiv »Stadt«:
Herr Wegemann schlendert durch die Fußgängerzone.
Herr Wegemann hetzt durch die Einkaufsstraße.
Herr Wegemann stolpert durch Betonschluchten.
Da sieht man den guten Herrn Wegemann schon etwas deutlicher. Wie es ihm dabei ergeht, wissen wir allerdings nicht so recht zu sagen. Das kann man durch das Hinzufügen von Adjektiven anklingen lassen.
Herr Wegemann eilt durch dunkle Betonschluchten.
Herr Wegemann stolpert müde durch das Stadtviertel.
Herr Wegemann schlendert durch anheimelnde Vorstadtstraßen.
Ist das Herr Wegemann?In den meisten Fällen sollte man es dabei belassen, um die Sätze nicht zu überfrachten. Attribute zu den Adjektiven können jedoch in manchen Fällen eine Stimmung noch verstärken:
Herr Wegemann eilt durch bedrohlich dunkle Betonschluchten.
Herr Wegemann stolpert durch ein übermäßig schmuddeliges Stadtviertel.
Herr Wegemann schlendert durch die phantasievoll begrünte Fußgängerzone.
Ob das jeweils notwendig ist, sollte ein Autor sorgfältig abwägen, denn die »dunkle Betonschlucht« reicht meist schon aus um zu wissen, dass da etwas Bedrohliches in der Luft liegt.
Man könnte - ich sage nicht dass man sollte - aber man könnte natürlich noch darüber hinaus gehen:
Herr Wegemann eilt mit gehetztem Blick durch bedrohlich dunkle Betonschluchten.
Herr Wegemann stolpert planlos durch ein übermäßig schmuddeliges Stadtviertel.
Herr Wegemann schlendert vergnügt durch die phantasievoll begrünte Fußgängerzone.
Man könnte. Meist sollte man jedoch nicht. Auch der leckerste Kuchen wird weniger attraktiv, wenn man zehn Stücke hintereinander weg essen soll. Dass Herr Wegemann einen gehetzten Blick hat, beziehungsweise gehetzt ist, kann man in anderen Sätzen drum herum ansiedeln. Am besten so, dass der Leser selbst darauf kommt:
Herr Wegemann eilt durch dunkle Betonschluchten. Seine Augen suchen nach einem Ausweg. Ein Blick zurück - die Verfolger sind nicht zu sehen.
So. Das war es für heute. Der eine oder die andere unter meinen Blogbesuchern will ja nicht immer nur lesen, sondern ist selbst kreativ. Also was schreibst du, lieber Leser, anstelle des folgenden Satzes?
Frau Müller schreibt einen Text.

Samstag, 1. August 2009

Skelett am Computer

Es gab hier schon länger keine Schreibtipps mehr, aber heute kommt wieder mal einer.

hand Lektorieren kann recht amüsant sein. Da las ich in einem aktuellen Projekt folgenden Satz:

Gerade übertönt die Sirene eines Feuerwehrautos mit ihrem schrillen Klang alle anderen Geräusche – sogar das Klappern meiner Finger auf der Tastatur.

Wenn die Finger klappern, dann muss es sich ja um die bloßen Knochen einer jeglichen Fleisches, aller Sehnen, Knorpel und der Haut beraubten Hand handeln, dachte ich, und stellte mir ein Skelett beim Schreiben am Computer vor. Mein Kichern war vernehmlich.

Allerdings handelt es sich bei dem Werk nicht um eine Gruselgeschichte, und der Text soll auch nicht unfreiwillig komisch sein. Also habe ich den Satz etwas anders formuliert:

Plötzlich übertönt die Sirene eines Feuerwehrautos mit ihrem schrillen Klang alle anderen Geräusche – sogar das Klappern meiner Tastatur beim Schreiben.

Das »Plötzlich« musste sein, weil schon zwei Sätze zuvor»gerade« etwas geschieht. Jedenfalls klappert nun ordnungsgemäß die Tastatur, nicht die Finger.

Also daher Schreibtipp Nummer 11: Beim Schreiben immer überlegen, ob die Aussage eines Satzes wirklich so gemeint ist, wie sie da steht.  Sonst lacht der Leser unter Umständen, obwohl der Autor ihm gar keinen Grund zur Heiterkeit geben wollte.

P.S.: Foto von WikiCommons

Freitag, 23. Januar 2009

Linda 2 und Linda 4

Gelegentlich fragen mich Leser, wann ich denn wisse, dass ein Text »fertig« sei. Die ehrliche Antwort lautet, dass meine Texte nie fertig sind. Irgendwann werden sie den Lesern präsentiert, und fünf Minuten später sehe ich dieses und jenes, was ich hätte anders machen sollen…

Manche Erzählung bleibt jahrelang unveröffentlicht, andere kommen relativ schnell aus der (virtuellen) Schublade, weil meine Bearbeitung mir (zum jeweiligen Zeitpunkt) »fertig« scheint. Und dann wird - manchmal schon Minuten später - doch wieder gefeilt, geschrubbt und poliert...

Nun will ich anlässlich des Erscheinens von »Liebe und Alltag« den geneigten Lesern einen direkten Vergleich zwischen zwei Versionen gestatten, und zwar anhand der kurzen Kneipenszene, die »Linda« heißt, obwohl Linda schon längst weg ist.

Die zweite geschriebene Version stellte ich seinerzeit (auch hier) vor, die vorangegangene erste verdiente es noch nicht, fremden Augen präsentiert zu werden. Nach der Blog- und Forumveröffentlichung gab es mit der dritten Version einen Zwischenstand, und schließlich für das Buch die vierte Version.

Linda - Version 2 vom 15. Dezember 2008

»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelte einer in unser Gruppe am Tresen. »Sie hat eine Pistole in der Handtasche und ist auf dem Weg zu ihrem Verlobten.«
Linda war schon durch den Ausgang der Bar verschwunden. Keiner von uns bewegte sich, obwohl wir wussten, dass wir etwas hätten unternehmen sollen. Oder rechtzeitig den Schnabel halten, aber niemand hatte bemerkt, dass Linda in die Bar gekommen war, und wir plauderten unbekümmert miteinander.
Eigentlich war das Gespräch nur zufällig darauf gekommen, dass Lindas Verlobter mit Jenny geschlafen hatte. Haben sollte. Eventuell. Keiner wußte etwas, alle mutmaßten und ein Wort gab das andere, wie es eben so ist, wenn man an der Bar sitzt und schon ein paar Bierchen intus hat.
Jetzt war Linda wieder weg.
»Er weiß ja noch nicht einmal, dass sie auf dem Weg zu ihm ist«, meinte ich, »sie klopft an die Tür und peng!«
»Was ist nur aus dieser Welt geworden…«, sagte der ältere Herr mit der braunen Mütze, von dem keiner so recht wusste, wer er war. Er saß so gut wie jeden Abend in der Bar, wie wir alle.
Mein Vater hatte mir immer gesagt, dass zwischen Liebe und Hass nur eine hauchdünne Grenze existieren würde. Ist die erst einmal überschritten, gibt es kein zurück mehr. Vielleicht stand ich deshalb nicht auf, um Linda zu folgen, nahm ich deshalb nicht das Telefon in die Hand, um ihren Verlobten zu warnen.
»Früher«, sagte Jack, »gab es noch Treue. Heute gilt das alles nichts mehr. Man kann gar nichts machen.«
»Das geht nicht gut aus«, mutmaßte Paul. Paul meinte immer, er sei eben Realist, wir hielten ihn für einen unverbesserlichen Pessimisten. »Ich habe da ein ganz böses Gefühl, der Typ sollte auf der Hut sein, Linda hat eine Knarre und Linda ist stinksauer.«
Ich entgegnete: »Warum muss er auch mit Jenny rummachen, er hat ja die Kiste der Pandorra selbst geöffnet!«
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelte wieder einer, ich glaube, es war Jack. Seine Stimme klang aber nicht so wie sonst. So, als kämpfte er mit den Tränen. Ausgerechnet unser harter Jack!
Paul meldete sich wieder zu Wort, nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hatte: »Es sind immer die Frauen, die den Männern zum Verhängnis werden.«
»Simson wegen Delilah, Ahab wegen Jezebel, König David wegen Bathseba«, stimte ich zu. Ich gab gerne mit meiner Bildung ein bisschen an. Die anderen kannten das nicht anders.
Paul nickte: »Und steckte nicht auch eine Frau dahinter, als Johannes der Täufer geköpft wurde?«
»Linda hat geweint«, sagte die tränenschwangere Stimme. Es war tatsächlich Jack. »Die ganze Schminke verschmiert, und sie hat sich noch nicht einmal das Gesicht gewaschen, ist einfach losgestürmt. Hat in ihre Handtasche geschaut, die Pistole halb rausgezogen, wieder reingesteckt und weg war sie. Jemand sollte Linda aufhalten!«
Ich ergänzte: »Eine Beretta, sie hat eine Beretta.«
Wir nickten, alle, glaube ich. Der Wirt stellte volle Gläser auf den Tresen.
Ich trank einen großen Schluck.
Sandra quetschte sich zwischen mich und Paul. »Hast du schon was vor?«, fragte sie mich.
»Wie, vorhaben?«
»Na ja, ich würde jetzt nach Hause gehen und bin so alleine.«
»Lass mich noch austrinken, dann gehen wir«, meinte ich und legte ihr den Arm um die Schultern.

Linda - Version 4 vom 21. Dezember 2008

»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelt einer in unser Gruppe am Tresen. »Sie hat eine Pistole in der Tasche und ist auf dem Weg zu ihrem Verlobten.«
Linda ist schon durch den Ausgang der Bar verschwunden. Keiner von uns bewegt sich, obwohl wir wissen, dass wir etwas unternehmen sollten. Wir hätten rechtzeitig den Schnabel halten müssen, aber niemand hatte bemerkt, dass Linda in die Bar gekommen war, und wir plauderten unbekümmert miteinander.
Eigentlich war das Gespräch nur zufällig darauf gekommen, dass Lindas Verlobter mit Jenny geschlafen hatte. Haben sollte. Eventuell. Keiner wusste etwas, alle mutmaßten und ein Wort gab das andere, wie es eben so ist, wenn man an der Bar sitzt und schon ein paar Bierchen intus hat.
Jetzt ist Linda wieder weg.
»Er weiß ja noch nicht einmal, dass sie auf dem Weg zu ihm ist«, meine ich, »sie klopft an die Tür und peng!«
»Was ist nur aus dieser Welt geworden…«, sagt der ältere Herr mit der braunen Mütze, von dem keiner so recht weiß, wer er ist. Er sitzt so gut wie jeden Abend in der Bar, wie wir alle.
Mein Vater hatte mir immer gesagt, dass zwischen Liebe und Hass nur eine hauchdünne Grenze existieren würde. Ist die erst einmal überschritten, gibt es kein zurück mehr. Vielleicht stehe ich deshalb nicht auf, um Linda zu folgen, nehme ich deshalb nicht das Telefon in die Hand, um ihren Verlobten zu warnen.
»Früher«, sagt Jack, »gab es noch Treue. Heute gilt das alles nichts mehr. Man kann gar nichts machen.«
»Das geht nicht gut aus«, mutmaßt Paul. Paul meint immer, er sei eben Realist, wir halten ihn für einen unverbesserlichen Pessimisten. »Ich habe da ein ganz böses Gefühl, der Typ sollte auf der Hut sein, Linda hat eine Knarre und Linda ist stinksauer.«
Ich entgegne: »Warum muss er auch mit Jenny rummachen, er hat ja die Kiste der Pandora selbst geöffnet!«
»Jemand sollte Linda aufhalten«, murmelt wieder einer, ich glaube, es ist Jack. Seine Stimme klingt aber nicht so wie sonst. So, als kämpfte er mit den Tränen. Ausgerechnet unser harter Jack!
Paul meldet sich wieder zu Wort, nachdem er sein Glas in einem Zug geleert hat: »Es sind immer die Frauen, die den Männern zum Verhängnis werden.«
»Simson wegen Delilah, Ahab wegen Jezebel, König David wegen Bathseba«, stimme ich zu. Ich gebe gerne mit meiner Bildung ein bisschen an. Die anderen kennen das nicht anders.
Paul nickt: »Und steckte nicht auch eine Frau dahinter, als Johannes der Täufer geköpft wurde?«
»Linda hat geweint«, sagt die tränenschwangere Stimme. Es ist tatsächlich Jack. »Die ganze Schminke verschmiert, und sie hat sich noch nicht einmal das Gesicht gewaschen, ist einfach losgestürmt. Hat in ihre Handtasche geschaut, die Pistole halb rausgezogen, wieder reingesteckt und weg war sie. Jemand sollte Linda aufhalten!«
Ich ergänze: »Eine Beretta, sie hat eine Beretta.«
Wir nicken. Jack ist jetzt still, aber er atmet heftig. Der Wirt stellt volle Gläser auf den Tresen.
Ich trinke einen großen Schluck.
Sandra quetscht sich zwischen mich und Paul. »Hast du schon was vor?«, fragt sie mich.
»Wie, vorhaben?«
»Na ja, ich würde jetzt nach Hause gehen und bin so alleine.«
»Lass mich noch austrinken, dann gehen wir«, antworte ich und lege ihr sanft den Arm um die Schultern.

Aufmerksame Leser dürften die kleinen Korrekturen bemerken, die der Text erfahren hat. Inzwischen gibt es eine fünfte Version...

Freitag, 10. Oktober 2008

Recht hat er!

Wenn man einen Literaturkritiker fragt, was nur ein Romanautor wissen kann, ist er dann in Verlegenheit? Keineswegs, wenn es sich um Marcel Reich-Ranicki handelt. Ein gewisser Manfred Bourgeois aus Aachen stellte diese Frage:
Ist ein Roman im Kopf eines Autors bereits fertig, bevor er zu schreiben beginnt, oder entsteht das Werk erst allmählich Satz für Satz, indem der Autor sich während der Abfassung des Textes von seiner Spontaneität, Intuition und Phantasie tragen oder gar treiben lässt?
Marcel Reich-Ranicki antwortete:
Sie sprechen von zwei verschiedenen Möglichkeiten der Entstehung eines literarischen Werks. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten, das „Entweder - Oder“ ist bestimmt nicht richtig.
Tolstoi hatte keineswegs die Absicht, die Geschichte seiner Anna Karenina mit ihrem Selbstmord abzuschließen. Erst während der Arbeit an diesem Roman sah er, dass er ihn mit einer Verzweiflungstat, mit ihrem Tod beenden musste. Warum „musste“? Anna habe ihn, bemerkte er gelegentlich, dazu gezwungen. Man könnte sagen, ihr Tod auf den Gleisen der Eisenbahn war nicht seine, vielmehr ihre Entscheidung.
Auch das Verhältnis anderer Autoren zu ihren Figuren hat sich oft während der Arbeit am jeweiligen Werk deutlich geändert. Ein berühmtes Beispiel aus der deutschen Literatur: Goethe und seine schöne Intrigantin und Giftmischerin Adelheid von Walldorf im „Götz von Berlichingen“. In „Dichtung und Wahrheit“ heißt es: „Ich hatte mich, indem ich Adelheid liebenswürdig zu schildern trachtete, selbst in sie verliebt . . .“
Schön für mich, das zu lesen. Weiß ich mich doch nun mit Goethe und Tolstoi vereinigt, da es mir mit meinen Figuren in Roman oder Kurzgeschichte, Erzählung oder Fragment oft genug nicht anders geht.

Mein Tipp für schreibende Zeitgenossen: Den Figuren ihren Willen lassen, die wissen manchmal besser, was sie wollen, als der Autor.

Mehr kluge, poltende oder begeisterte Antworten auf manchmal nicht ganz so kluge Fragen gibt Marcel Reich-Ranicki regelmäßig in der F.A.Z., auch im Internet nachzulesen: Fragen Sie Reich-Ranicki

Foto: Wikipedia

Dienstag, 22. Juli 2008

Wie kann ich eigentlich Zeit, die gerade ist, umarmen?

Blöde Frage, oder? Völlig sinnlos formuliert, auf so etwas kann man nicht antworten. Jedoch: Solcher Unfug wird uns dauernd angeboten.

Da liest man: »...umarmen Widersprüche in der Bibel.« Toll. Wie das geht, wird unsereinem in der Regel nicht erklärt. Sucht man einen Widerspruch und sagt dann zu ihm: »Lieber Widerspruch, darf ich dich mal herzlich drücken?« Und wenn er dann den Kopf schüttelt, der Widerspruch, was dann? Gewalt anwenden? Oder einen Kollegen des Widerspruches suchen?

Man liest auch: »Jetzt ist die Zeit!« - eine überwältigende Erkenntnis! Gestern war sie noch nicht, die Zeit, heute ist sie plötzlich. Sie muss irgendwie erschaffen worden sein, so über Nacht, oder sie hat sich per Evolution aus der Vorzeit über die Halbzeit zur Zeit entwickelt. Jedenfalls ist sie jetzt, die Zeit. Eine ganz famose Erkenntnis.

»Du kannst einen Unterschied machen!«, ruft gelegentlich einer den Zuhörern zu. Okay. Man nehme einen Ter, eine Portion Ed, vergesse das Schi nicht und füge eine passende Portion Un hinzu. Schon hat man ihn gemacht, den Unterschied. Gar nicht schwer. Eigentlich kinderleicht, kann jeder, nicht nur die junge Generation, der das so oft bescheinigt wird.
Auf ähnliche Weise funktioniert es übrigens, »Sinn zu machen«. Die Zutaten sind sogar übersichtlicher: Ein Nn und ein Si.

Nicht ganz so leicht ist es offenbar, fremde Sprachen zu verstehen und sie dann auch noch ins Deutsche zu übertragen. Sich gar die Mühe zu machen, etwas nachzusschlagen, was irgendwie »keinen Sinn macht«, wäre zu viel verlangt...
  • »To embrace« - das heißt eben nicht nur umarmen, sondern hat je nach Zusammenhang viele weitere Bedeutungen.
  • »Now is the time« - da formuliert man »Es ist an der Zeit...« oder »Der Zeitpunkt ist da...«.
  • »To make sense« heißt schlicht und einfach »sinnvoll sein«. Die Verneinung, »to make no sense«, bedeutet, dass etwas keinen Sinn ergibt.
Aber nein, lieber nicht nachdenken, was man so von sich gibt. Womöglich umarmt man andernfalls noch die deutsche Sprache und fängt an, einen Unterschied zu machen im Ausdruck. Es ist nicht die Zeit, das zu tun!

Donnerstag, 15. Mai 2008

Über das Schreiben 7: Ohne Fleiß kein Preis

In einem literarischen Zirkel plauderten wir kürzlich über die Entstehungs- und Überarbeitungszeiten, die manches Stück Literatur verlangt. Einige Stimmen zeigten sich außerordentlich überrascht, dass ich allein in die letzte Bearbeitung meines Romanes »Sabrinas Geheimnis«, der elf Jahre reifen durfte, bisher runde 80 Stunden inverstiert habe und noch nicht fertig bin.

Nun ja. Das liegt eben an den Details. Zwar hat die beste aller Ehefrauen schon mit geschultem Auge Zeile für Zeile inspiziert und eine ganze Menge Fehler gefunden, guten Rat gegeben und Mangelhaftes bemängelt, aber dennoch fallen mir ein paar Verbesserungen erst jetzt ein. Zum Beispiel:
Ich wollte nicht wieder in ungebremsten Alkoholkonsum und bodenlose Depressionen hinein rutschen wie nach Esthers Tod. Man kann den Kummer verdrängen, indem man sich in die Arbeit stürzt, dachte ich, doch ich stellte bald fest, dass man ihm auch so nicht entrinnt. Er kam immer wieder an die Oberfläche wie der Zigarettenstummel im Toilettenbecken.
Daraus wurde jetzt:
Ich wollte nicht wieder in ungebremsten Alkoholkonsum und bodenlose Depressionen hinein rutschen wie nach Esthers Tod. Man kann den Kummer, statt ihn vergeblich ertränken zu wollen, vielleicht verdrängen, indem man sich in die Arbeit stürzt, dachte ich. Doch ich stellte bald fest, dass man ihm auch so nicht entrinnt. Er kommt immer wieder an die Oberfläche wie der Zigarettenstummel im Toilettenbecken.
Details nur, aber mir als Autor sind sie wichtig. Denn der Text muss sich für mich »richtig anfühlen«.

Außerdem habe ich, das verzögert die Fertigstellung auch, ein ganzes Kapitel aus dem Roman entfernt, denn es war ein Fremdkörper, der da nichts zu suchen hatte. Das wusste ich schon vorher, aber ich wollte doch sehen, ob ich es an Eva »vorbeimogeln« kann. Sie hat es natürlich sofort bemängelt. Mit Recht. Daher musste ich die Operationsstelle vernähen, damit kein Loch in der Handlung bleibt und ergänze nun hier und dort ein paar Zeilen, um wieder auf eine Länge zu kommen, die den Titel »Roman« rechtfertigt. Zum Beispiel so:
In der Boutique brachte mich Sabrina in Verlegenheit, indem sie mich fragte, welche der drei Seidenblusen, die in die engere Auswahl gekommen waren, ihr am besten stehen würde. Ich muss zugeben, dass mein Geschmack, was Kleidung betrifft, nicht gerade treffsicher ist. Ich bringe es fertig, zu einem blauen Hemd eine Krawatte mit Grüntönen und eine braune Hose zu tragen, ohne dass ich selbst mich daran stören würde. Wenn ich jemanden sehe, der gut gekleidet ist, nehme ich dies zwar zur Kenntnis, es gelingt mir jedoch selten, mir selbst bei der Kombination von Kleidungsstücken das zueinander Passende auszusuchen.
Auch kann ich nie mit Bestimmtheit sagen, warum ich jemanden als gut gekleidet bezeichnen würde, welche Details dazu beitragen. Ich könnte auch nie sagen, welcher Farbton nun besser mit jemandes Haaren, Teint, Augenfarbe oder Make-up harmoniert. Entweder ich finde mein Gegenüber gut aussehend oder eher durchschnittlich, mit allen erdenklichen Abstufungen.
Sabrina sah entzückend aus, und zwar in jeder der drei Blusen. Ich hätte sie in allen anderen, die schon bei der Vorauswahl beiseite gelegt worden waren, genauso bezaubernd gefunden. Aber offensichtlich erwartete sie von mir eine Antwort, also sagte ich kurz entschlossen: »Diese hier, das leichte Orange steht Ihnen sehr gut.«
Sie lachte und erklärte: »Lachs, nicht Orange. Ich hätte sogar passende Ohrringe dazu.«
»Gut, dann nehmen wir den Lachs«, grinste ich, nahm die Bluse und strebte der Kasse zu. Sabrina blieb zurück und stöberte noch durch eine für mich erdrückende Vielfalt von Pullovern.
Daraus wurde:
In der Boutique brachte mich Sabrina in Verlegenheit, indem sie mich fragte, welche der drei Seidenblusen, die in die engere Auswahl gekommen waren, ihr am besten stehen würde. Ich muss zugeben, dass mein Geschmack, was Kleidung betrifft, nicht gerade treffsicher ist. Nie treffsicher war. Ich bringe es fertig, zu einem blauen Hemd eine Krawatte mit Grüntönen und eine braune Hose zu tragen, ohne dass ich selbst mich daran stören würde.
Auch kann ich nie mit Bestimmtheit sagen, warum ich jemanden als gut gekleidet bezeichnen würde, welche Details dazu beitragen. Ich könnte auch kein Urteil fällen, welcher Farbton nun besser mit jemandes Haaren, Teint, Augenfarbe oder Make-up harmoniert. Entweder ich finde mein Gegenüber gut aussehend oder eher durchschnittlich, mit allen erdenklichen Abstufungen.
Wenn ich jemanden sehe, der gut gekleidet ist, nehme ich dies zwar zur Kenntnis, es gelingt mir jedoch selten, jedenfalls meinten das sowohl Esther als auch Sabrina mit gewisser Regelmäßigkeit, mir selbst bei der Kombination von Kleidungsstücken das zueinander Passende auszusuchen.
»Mon Chéri, so gehst du nie!«, hielt mich Esther dann und wann auf, wenn ich die Wohnung verlassen wollte.
»Was ist verkehrt?«
»Du kannst doch nicht diese Krawatte zu diesem Jackett tragen. Du siehst ja aus wie ein Clown.«
»Ein Clown hat eine rote runde Nase und ist weiß geschminkt.«
»Oder er sieht aus wie mon amour, wenn mon amour sich aus dem Kleiderschrank bedient.«
Diese Gespräche endeten regelmäßig damit, dass sie mich erstens liebevoll küsste und zweitens entweder eine alternative Krawatte oder ein anderes Jackett, bei Bedarf auch ein passenderes Hemd, mit erstaunlicher Treffsicherheit aus dem Schrank fischte.
Und nun sollte ich Sabrina sagen, welche der drei Blusen ihr am besten stand. Sie sah entzückend aus, und zwar in jeder der drei Blusen. Ich hätte sie in allen anderen, die schon bei der Vorauswahl beiseite gelegt worden waren, genauso bezaubernd gefunden. Aber offensichtlich erwartete sie von mir eine Antwort, also sagte ich kurz entschlossen: »Diese hier, das leichte Orange steht Ihnen sehr gut.«
Sie lachte und erklärte: »Lachs, nicht Orange. Ich hätte sogar passende Ohrringe dazu...«
»Gut, dann nehmen wir den Lachs«, grinste ich, nahm die Bluse und strebte der Kasse entgegen. Sabrina blieb zurück und stöberte noch durch eine für mich erdrückende Vielfalt von Pullovern.
Nebenbei bemerkt: Die beste aller Ehefrauen nennt mich zwar nicht französisch »mon amour«, aber die Situation, die mit dem kurzen Dialog oben geschildert wird, ist uns nicht fremd. Eva meint dann: »You aren't going like this, are you?«

Ich halte es, was das Schreiben betrifft, mit Ror Wolf: »Das allerhübscheste Talent nützt nichts, wenn der Autor nicht in der Lage ist, sich an den Tisch zu setzen und sehr entschlossen dort sitzenzubleiben.«

Mein Schreibtipp Nummer 7: So lange am Schreibtisch sitzen bleiben und die Details in Augenschein nehmen, bis »das Gefühl« für den Text «stimmt«. Ohne Fleiß kein Preis. Oder nur ab und zu, aber der wäre dann nicht wirklich verdient...

Donnerstag, 8. Mai 2008

Über das Schreiben 6: Überrumpelt

Es sind die schlechtesten Autoren nicht, die sich von ihren Figuren gelegentlich überrumpeln lassen.
Diesen Satz las ich gestern der besten aller Ehefrauen aus der F.A.Z. vor, ohne zu sagen, von wem er stammt. Ich fragte, wer das wohl so trefflich formuliert haben könnte, und ihre erste Vermutung traf ins Schwarze: Marcel Reich-Ranicki. Wäre ich ein Jüngling, würde ich jetzt formulieren: Yeah! Eva rulez! Statt dessen bekenne ich: Sie ist unvergleichlich, denn sie versteht mich und kennt mich, und liebt mich trotzdem...

Ich schweife ab? Na wenn schon. Nun gut, zurück zum Thema. Ich habe schon manch ungläubig-zweifelnden Blick geerntet, wenn ich im Gespräch erzählte, dass meine Erzählungen gelegentlich eine Richtung einschlagen, die ich weder geplant, noch geahnt habe. Es gibt Autoren, die entwerfen ihre Texte bis ins Detail, bevor sie anfangen, zu schreiben. Ich zähle mich nicht zu ihnen.

Manchmal ist da nur ein Bild, wenn ich die ersten Worte zusammensetze, oder eine Empfindung. Ich weiß noch nicht, ob überhaupt etwas daraus werden wird, oder wann, oder wie. Aber meine Figuren haben grundsätzlich die Freiheit, mich zu überraschen, zu überrumpeln. Sie dürfen leben, während ich sie niederschreibe. Sie dürfen auch sterben. Sich anständig benehmen oder über die Stränge schlagen. Ich lege ihnen keine Zügel an.

Ich kam einmal in einen Hausflur mit eigentümlichem Odeur. Nach starken Putzmitteln, Salmiak, Zitrone... Doch unter diesem Geruch lauerte etwas, was fast überdeckt war, aber eben nur beinahe. Etwas Fauliges, Blutiges womöglich gar?
Ich erinnerte mich, während ich die Treppe empor stieg, an die Kindheit: Einige Jahre lebte ich in dörflicher Umgebung am Rande einer Kleinstadt. Die Nachbarn zur Linken und zur Rechten waren Landwirte, es wurde bei ihnen auch geschlachtet. Genau der Geruch, der nach einem solchen Ereignis dem Bauernhof noch tagelang entströmte, fand sich Jahrzehnte später in jenem Hauflur wieder. Beinahe zugedeckt von Ajax oder Meister Proper. Oder einer anderen Reinigungssubstanz, diesbezüglich bin ich kein Experte.
Am gleichen Abend begann ich zu schreiben, und es wurde eine meiner berüchtigtsten Kurzgeschichten daraus: Jessika. Ein harmloses, hilfsbereites Mädchen, das der mörderischen Hausmeisterin auf die Schliche kommt. Dass Jessika am Schluss der Erzählung in einem ganz anderen Licht erscheint, ahnte ich nicht, als ich schrieb. Ich war eigentlich dabei, sie in den letzten Sätzen umzubringen. Aber Jessika wollte nicht hinterrücks erdolcht werden. Sie hatte andere Pläne. Jessika hat mich überrumpelt.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen. Ob nun Liebesgeschichte (wie das Fragment) oder Grausiges wie die erwähnte Jessika - ich lasse mich gerne auf Abenteuer ein, wenn ich schreibe. Manche Texte werden nie fertig, bleiben Entwürfe, unvollendete Bruchstücke. Die liest in der Regel niemand außer mir.
Andere wachsen und gedeihen in erstaunlichem Tempo, in wenigen Stunden, zur Reife und dürfen sich dem Publikum präsentieren.
Es gibt auch Manuskripte, die über zehn oder mehr Jahre immer wieder aufgenommen, bearbeitet und beiseite gelegt werden, bevor ich sie dann dem Leser zugänglich machen möchte.
Manche Figuren tun, was ich will, andere tun, was sie wollen. So wird das Schreiben für mich nie langweilig. Und für das Publikum - so hofft wohl jeder Autor - auch nicht die Lektüre.

Mein Tipp Nummer 6 für alle, die (erzählend) schreiben (wollen): Nicht warten, bis ein Entwurf im Kopf »vollkommen« ist, sondern einfach anfangen und sich gelegentlich selbst überraschen lassen.

P.S.: Das Zitat von MRR stammt aus diesem wunderbaren Text, den er über Siegfried Lenz und dessen neues Buch geschrieben hat: Bettgeschichten hatten für ihn nie Beweisqualität

P.P.S.: Nachdem ich gestern (Dienstag) diesen Beitrag geschrieben hatte, fand ich heute (Mittwoch) ein Video, in dem Stephen King bezeugt, dass er mitunter ähnlich arbeitet.
My attitude as a writer is: If something is working, just stand aside and let it work itself out. And that's what I did. Stephen King on writing Duma Key

Mittwoch, 2. April 2008

300 - mitten in der Arbeit!

Dies ist der 300ste Beitrag auf diesem Blog - na so was. Da hört sich doch alles auf, was habe ich da bloß alles für Sinn und Unsinn von mir gegeben?

Es sei an dieser Stelle angesichts des Jubiläums mal ganz herzlich und aufrichtig den treuen Leserinnen und Lesern gedankt, die mit ihren Kommentaren (allen voran eine gewisse Barbara aus Lübeck-Travemünde) diesen Blog so lebendig machen und dafür sorgen, dass er keine Einbahnstraße vom Blogger ins Nirgendwo ist. All Euch stummen Lesern sei versichert: Nur Mut, das Ding beißt nicht, wenn man einen Kommentar schreiben will. Das einzig doofe ist diese Sicherheitsabfrage, aber ohne landet hier wirklich zu viel als Kommentar getarnter Müll. Also seid ermutigt: Ich lese jeden Kommentar und schaffe es in der Regel auch, innerhalb von ein paar Tagen (bei Bedarf) zu reagieren. Und ihr wisst doch, dass in der Bibel steht: »Einen fröhlichen Kommentator hat Gott lieb.« Oder so ähnlich.

So, genug lobgehudelt, jetzt zur Arbeit:

Mich haben einige liebe Menschen schon im Lauf der Jahre gefragt, was das Geheimnis sei, wenn man ein Buch veröffentlichen will. Ich habe keine Ahnung. Aber ich weiß: Ohne Mühe und Arbeit am Text geht es nicht. Ich lese in einem Forum so manchen Text von Autorinnen und Autoren, die sich nicht einmal die Mühe machen, die deutsche Grammatik und Rechtschreibung zu erlernen und sich gleichzeitig fragen, wie sie wohl zu Bestsellerautoren werden können. The naked truth is: No way, Joze!

Die Sache mit dem Schreiben ist wie bei einem Koch. Erst wenn ihm selbst die Suppe schmeckt, darf er andere einladen, sie zu kosten. Wenn sie den anderen nicht schmeckt, muss er an den Zutaten arbeiten, erneut kosten, erneut einladen, abschmecken, nachwürzen, und - wer weiß - erneut einen Reinfall erleben. Der Koch aber liebt seine Tätigkeit und bleibt dran. (Wenn jemand unbedingt ein Geheimnis braucht - da ist es!) Er gibt nicht auf. Und selbst wenn es Jahre dauern mag - irgendwann wird er die Suppe so komponiert haben, dass sie ihm und den Gästen schmeckt. Er erntet Applaus und zufriedene Gesichter. Und unverzüglich macht er sich daran eine zweite Suppe zu kreieren...

Was meinen nächsten Roman betrifft, so bin ich dabei, nachdem die grundlegenden Zutaten fest stehen, die Raffinesse der Gewürze auszubalancieren. Zum Beispiel:

Der Notarztwagen, der sich am Stau vorbei in Richtung Unfallstelle gequält hatte, stand auf der Fahrbahn, die hinteren Türen offen. Gestalten beugten sich über einen Körper.

Sabrina!

Man ließ mich nicht zu ihr. Mit sanfter Gewalt hinderte mich ein uniformierter Mann daran, redete beruhigend auf mich ein, appellierte an meine Einsicht, dass ich mir den Anblick ersparen sollte. Ich tobte und wollte mich losreißen.

Schließlich sagte mir ein dem Polizisten zur Hilfe kommender Arzt unumwunden, dass der Kopf meiner Frau bei dem Aufprall zwischen Auto und Glascontainer am Straßenrand geraten war und überzeugte mich davon, Sabrina lieber so in Erinnerung zu behalten, wie ich sie gekannt hatte.

Das war die gestrige Fassung. Heute steht im Manuskript statt dessen:

Der Notarztwagen, der sich am Stau vorbei in Richtung Unfallstelle gequält hatte, stand auf der Fahrbahn, die hinteren Türen offen. Gestalten beugten sich über einen Körper. Ich erkannte Sabrinas neues Kleid im Neonlicht, und noch etwas fiel mir auf, aber das drang nicht bis in mein Bewusstsein vor – es sollte noch Monate dauern, bis mir dieses Detail gewärtig wurde. Dort auf der Straße hatte ich nur einen Gedanken: Sabrina!

Man ließ mich nicht zu ihr. Mit sanfter Gewalt hinderte mich ein uniformierter Mann daran, redete beruhigend auf mich ein, appellierte an meine Einsicht, dass ich mir den Anblick ersparen sollte. Ich tobte und wollte mich losreißen.

Schließlich sagte mir ein dem Polizisten zur Hilfe kommender Arzt unumwunden, dass der Kopf meiner Frau bei dem Aufprall zwischen Auto und Glascontainer am Straßenrand geraten war und überzeugte mich davon, Sabrina lieber so in Erinnerung zu behalten, wie ich sie gekannt hatte.

»Aber der…« fing ich an, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Mein Unterbewusstsein hatte etwas aufgeschnappt und behielt es für sich wie ein trotziges Kind den letzten Keks in der Blechdose. »Der… - ich meine – ich…«

Der Arzt fragte mich, ob ich ein Beruhigungsmittel wollte, aber ich lehnte ab. Ich wollte Sabrina zurückhaben, und wenn das unmöglich war, gar nichts mehr.

So verfeinert man ein Süppchen nach und nach, bis es dem Koch und dann - wirklich erst dann - hoffentlich den Gästen schmeckt.

Mittwoch, 13. Februar 2008

Über das Schreiben 4

Wenn jemand »Feuer gefangen hat«, »den Hafen der Ehe ansteuert« oder sich »in die Nesseln setzt«, schalten wir als Autoren im Kopf unserer Leser den Projektor ein und lassen unsere Texte lebendiger werden. Je nach der Herkunft einer Metapher kann Kraft entfaltet, wahlweise farbenfrohe oder triste Stimmung erzeugt oder ein eher langweilig klingender Sachverhalt für den Leser interessant gemacht werden.

Metaphern gestatten dem Leser den Blick durch eine Brille. Wenn wir »zu neuen Ufern aufbrechen«, »auf Kurs bleiben« oder etwas »aus dem Ruder laufen« lassen, bieten wir die Brille der Seefahrt an. Wenn etwas »Hand und Fuß« hat, ist es die Brille der Anatomie. Wenn unser Held wieder einmal »aus dem letzten Loch pfeift«, betrachten wir mangelnde Leistungsfähigkeit durch die Brille der Musik, genauso wie es der Fall ist, wenn jemand »Misstöne verbreitet«.

Metaphern sind ein spannendes und kreatives Werkzeug. Man besitzt mit ihnen ein Mittel, das durch die richtige Wahl des Bildes bewusst machen kann, was sonst umständlich beschrieben werden muss. Metaphern helfen auch, durch vertraute Bilder Fremdes und Unbekanntes leichter erfassbar zu schildern. Manche Metapher ist übrigens schon so tief in unserem Wortschatz verwurzelt, dass wir sie gar nicht mehr als Bildersprache erkennen. Vom »Handschuh« über den »Lebensabend« bis zum königlichen »Schloß« (letzteres ist ursprünglich eine Burg gewesen, die ein Tal »abschließt«.)

Man darf allerdings einen Text weder überfrachten, noch gar zur falschen Metapher greifen. Vieles, was man in den Zeitungen oder auch in Büchern liest, ist unfreiwillig komisch oder gar peinlich. Der Zusammenhang, aus dem eine Metapher stammt, muss schon zu dem passen, was geschildert – bebildert - werden soll.

Wenn wir Begriffswelten nutzen, geben sie ein Oberthema vor und vermitteln ein griffiges Bild, das im Gehirn des Lesers die Richtung vorgibt. Oft ist die bildhafte Sprache ein wichtiges Mittel, um die Aufmerksamkeit eines Lesers schnell zu »fesseln«. Schon der »Einstieg« mit einem gelungenen Bild kann Neugier »wecken« und zum Weiterlesen anregen.

Stimmt jedoch die Begriffswelt nicht mit dem Sachverhalt überein, sieht der Leser falsche oder schiefe Bilder. Der Lesefluss gerät »ins Stocken«.

Metaphern »auf Biegen und Brechen« in jedem zweiten Satz unterbringen zu wollen wirkt so gut wie immer lächerlich, übertrieben, fehl am Platze. Es mag Literaturgattungen geben, denen eine »Überfrachtung« gut tut, aber die sind nicht meine Welt. Zuggegeben: In früheren Zeiten war es manchem Autor verwehrt, sich klar auszudrücken, weil das dermaßen gegen Sitte und Moral verstoßen hätte, dass es schlicht undenkbar war, Sachverhalte anders niederzuschreiben als in kaum durchdringbaren Bilderwelten so gut versteckt, dass die verborgene Botschaft fast schon unkenntlich wurde. Das biblische »Hohelied« gehört zweifellos zu dieser Gattung, und Sprachwissenschaftler rätseln noch heute daran herum, welche Spielarten der Sexualität an welchen Stellen in welchen Bildern geschildert wurden.

Wahrheit klopfte an die Tür der Menschen
und niemand machte auf
da sie zu nackt war.

Parabel fand Wahrheit allein und frierend
und nahm sie mit nach Hause.
Dort zog sie Wahrheit eine Geschichte an.

Als Wahrheit wieder bei den Leuten klopfte
öffneten sie die Türen
und saßen abends noch am Feuer zusammen.

(Volksmund)

Manchmal ist es sinnvoll, bei einer Begriffswelt zu bleiben. Will ich Weite, Frische, Dynamik ausdrücken, dann mag die Seefahrt gut geeignet sein: Man kann den „Anker lichten“, die „Segel hissen“, „alle Mann an Bord haben“ und „zu neuen Ufern aufbrechen“, aber Vorsicht: Lieber nicht übertreiben. Die Theaterwelt eignet sich wieder für andere Bilder, wenn sich »der Vorhang hebt« oder jemand »ins Scheinwerferlicht tritt«, dann ist der Leser hoffentlich gespannt, erwartet Neues, Unterhaltsames. Bilder aus der Natur sind für die Vermittlung von Empfindungen recht hilfreich, vom »drohenden Gewitter« bis zum »Säuseln« eines Windes. Die Tierwelt bietet vielerlei, von der »Spürnase« über die »leichte Beute« bis zum Personifizierung von Tieren. Wird eine Figur als »Chamäleon« bezeichnet, ist dem Leser klar, dass er es mit einer Person zu tun hat, die nicht unbedingt ist, was sie zu sein vorgibt.

Manchmal ist aber das Verweilen in einer Begriffswelt öde, oder die Bildersprache wird zu sehr strapaziert. Dann kann der Autor dafür sorgen, dass sein Text »Fahrt aufnimmt« oder »Rückenwind bekommt«, indem er sich die jeweils passende Metapher aus beliebigen Begriffswelten heraussucht.

Mein Tipp Nummer 4 zum Schreiben also: Metaphern, wohl dosiert und gut gewählt, eignen sich für fast jede Textgattung, um den Leser zu »ködern« und zu »fesseln«.

Einmal »geködert« und »gefesselt« ist der Leser unserem sträflichen Tun ausgeliefert. Wir Autoren sind ja bekanntlich »Branstifter«. Wir wollen nämlich, dass unser Leser »Feuer fängt«.

Mittwoch, 26. September 2007

Über das Schreiben 3

Gut finde ich diesen Text:

Ich weiche einer Gruppe jugendlicher Fahrradfahrer aus, die waghalsig ihren Slalom um die Passanten veranstalten, verfolgt von zwei Hirtenhunden, die fröhlich kläffen. Ich bin fast an der zweigeteilten Brücke, auf der Zoobesucher und Tiergartenspaziergänger getrennt das Wasser überqueren können.


Das hier aber habe ich veröffentlicht:

Harald weicht einer Gruppe jugendlicher Fahrradfahrer aus, die waghalsig ihren Slalom um die Passanten veranstalten, verfolgt von zwei Hirtenhunden, die fröhlich kläffen. Er ist fast an der zweigeteilten Brücke, auf der Zoobesucher und Tiergartenspaziergänger getrennt das Wasser überqueren können.


Die endgültige Version meiner Kurzgeschichte Ein ganz normaler Tag blieb nicht in der Ich-Perspektive, die sie in einem Zwischenstadium gehabt hatte. Nach einigen Experimenten habe ich mich für einen Harald entschieden, anstatt mir selbst in die Hosen zu machen.

Kluge Leser haben es bereits bemerkt: In der kleinen Reihe über das Schreiben geht es heute um die Ich-Erzählung. Diese hat Vor- und Nachteile.

Wer in der ersten Person Singular erzählt, beschränkt sich auf eine einzige Perspektive, es sei denn, er geht das Wagnis ein, von Kapitel zu Kapitel zu wechseln. Das ist ungeheuer schwierig, wenn das Ergebnis lesenswert sein soll; ich würde es mir nicht zutrauen.

Normalerweise wird man also, wenn man als Ich-Erzähler schreibt, Wahrnehmung und Wissen auf das beschränken müssen, was der Protagonist nach menschlichem Ermessen wahrnehmen und wissen kann. Er weiß eben nicht, was der Gesprächspartner für Gedanken hat, ob um die Ecke schon das Unheil lauert oder die große Liebe hereinbrechen wird, was 2 oder 200 Kilometer entfernt gerade vor sich geht. Man ist also, das ist der Nachteil, erheblich eingeschränkt.

Die Ich-Perspektive hat aber auch Vorteile. Die Erzählung wird für den Leser viel persönlicher, es fällt ihm leichter, sich mit den Protagonisten zu freuen, zu fürchten, zu feiern und zu leiden. Einblicke in Gefühlswelten wirken authentischer, subjektives Empfinden glaubhafter. Es entsteht Nähe, Vertrautheit, der Leser identifiziert sich eher mit einem Ich als mit einem Harald oder einer Sophia.

Ein Beispiel dazu, aus einem bisher unveröffentlichten Roman:

Diese Augen. Dieser Strudel des Lebens, der in ihnen wirbelte. Die unendliche Tiefe, in die ihr Blick mich hineinzog. „Fenster der Seele“ hatte mal ein kluger Mensch die Augen des Menschen genannt, aber Angelinas Augen waren mehr. Ich konnte in ihnen versinken. Ich wollte in ihnen versinken. Und wenn ich dort ertrank... konnte es ein angenehmeres Ende des irdischen Daseins geben?


In der dritten Person erzählt fände ich den Einstieg in den Roman weniger wirkungsvoll:

Diese Augen. Dieser Strudel des Lebens, der in ihnen wirbelte. Die unendliche Tiefe, in die ihr Blick ihn hineinzog. „Fenster der Seele“ hatte mal ein kluger Mensch die Augen des Menschen genannt, aber Angelinas Augen waren mehr. Gerhard konnte in ihnen versinken. Er wollte in ihnen versinken. Und wenn er dort ertrank... konnte es ein angenehmeres Ende des irdischen Daseins geben?


Im von mir in dieser Reihe über das Schreiben schon erwähnten Forum wurde letztes Jahr unter anderem die Erzählperspektive diskutiert. Da schrieb jemand:

Ich denke, es kommt darauf an, was ich mit meiner Geschichte ausdrücken will. Will ich den Leser ganz nah an den Protagonisten heranführen, ihn fühlen lassen, was er fühlt, ist zweifelsohne die Ich-Perspektive sehr klug.


Sehr richtig. In dem Roman, aus dem ich oben zitiert habe, will ich meinen zukünftigen Leser durch eine Bandbreite von Empfindungen führen, und zwar so, dass er (als Mann) Angelina genauso liebt wie Gerhard, beziehungsweise als Leserin sich einen Gerhard wünscht, der so empfindsam in die Seele einer Frau zu blicken vermag.

Es gibt jedoch eine Gefahr: Schlichte Gemüter unter den Lesern verwechseln den Protagonisten schnell mit dem Autor - eine für diesen nicht immer angenehme oder wünschenswerte Schlussfolgerung. Wenn jemand liest...

Mir fiel nur die blödeste Anmache ein, die es gibt. „Darf ich Sie zu einem Drink einladen?“, rief ich hinüber. Sie würdigte mich keines Blickes, ignorierte mein Angebot und meine Anwesenheit. Die Musik war nicht so laut, dass sie mich nicht gehört hatte. Es war offenbar viel interessanter, die Rücklichter des vor ihr schleichenden Opel zu betrachten.

„Bitte, oder haben Sie keine Zeit?“, versuchte ich es erneut.

„Komm, steig ein“, meinte sie mit einem kurzen Blick, der mich frösteln ließ. Lodernder Hass und Wut funkelten mir aus ihren großen Augen entgegen, aber ich folgte ihrer Aufforderung und stieg ein. Das war so einfach nicht, da sie die Fahrt kein bisschen für mich verlangsamte. Etwas unbeholfen plumpste ich auf den Sitz und zog die Tür wieder zu. „Danke“, sagte ich. Höflichkeit ist der wirkliche Adel eines Menschen, pflegte meine Mutter mir schon als Kind einzutrichtern.


...dann könnte eine kleine Zahl von Lesern mich für jemanden halten, der fremde Frauen anspricht, wenn sie Augen haben, in deren Strudel ich versinken möchte. Man könnte mir, denn in dem Roman wird auch allerlei Ungutes passieren, unterstellen, dass ich in ähnliche Begebenheiten verstrickt sei. Natürlich ist das Unfug. Und die meisten Leser wissen durchaus zu trennen zwischen einem Autor und seinen Figuren. Mit solchen Reaktion muss aber eher rechnen, wer in der ersten Person erzählt.

Ich empfehle Schreibwilligen, beides auszuprobieren, sich nicht auf eine Form zu beschränken. Wie gesagt, Ein ganz normaler Tag hat gegen Ende des Entstehens die Perspektive gewechselt. Es war mir als Ich-Erzähler unmöglich, das Ausmaß des Grauens zu schildern, das die Berliner Innenstadt heimsucht. Mit Angelina (Arbeitstitel) war es umgekehrt. Schon beim Schreiben der ersten Kapitel bemerkte ich, wie sehr diese Frau es verdient, dass der Erzähler seine Leser ganz persönlich miterleben lässt, in welche ungeahnten Welten sie zu führen vermag.

Der Tipp für heute: Die Perspektive wählen, mit der man sich beim Erzählen selbst am besten in die Situation hineinfindet. Dann wird es für den Leser am ehesten nachvollziehbar.

Samstag, 15. September 2007

Über das Schreiben 2

Vor kurzem habe ich als Beteiligung an einer Ausschreibung einen Auszug aus einem Buch übersetzt, das ich freiwillig nicht lesen würde. Das Genre war mir fremd und meine Frau kommentierte meine Übersetzung sinngemäß so:

Du schreibst auf einem zu hohen sprachlichen Niveau. Du musst beim Übersetzen an BZ und Bild-Zeitung denken, wer solche Bücher liest, ist mit Literatur überfordert.


Eva hatte recht, wie immer, sie ist meine beste Kritikerin. Die Vorlage war ein lupenreiner Schundroman, sogenannte Frauenliteratur mit dem niedrigsten Niveau, das denkbar ist – nein, ohne jegliches Niveau. Ich wäre der falsche Übersetzer für solche Texte gewesen, das hat wohl auch der betreffende Verlag festgestellt und den Auftrag anderweitig vergeben. Ich bin überhaupt nicht böse darüber, im Gegenteil, jetzt muss ich mir nicht die übrigen 150 Seiten antun...

Damit sind wir beim zweiten Thema der Serie über das Schreiben:

Herausfinden, was man kann

Ich ernte nicht ungern Lob für meine Arbeiten und freue mich über zahlreiche Leser. Ob das Narzissmus ist, darüber schreibe ich demnächst eine Glosse, der Titel steht schon fest: Ein Narzisstenstrauß. Da geht es dann den Bloggern an den Kragen, und ich bin ein solcher. Mir schwant schon Schlimmes...
Doch zurück zum Thema dieser Zeilen. Eine angehende Autorin erklärte kürzlich zu einer misslungenen Kurzgeschichte:

Ich versuche rauszufinden, was ich überhaupt schreiben kann. Bei Krimis sollte immer eine Portion Sex drin sein, hat mal irgendwer gesagt. Ich komme aus Norddeutschland, da macht man das zwar, aber man spricht nicht drüber.


Ganz abgesehen davon, dass auch ein Krimi ohne eine Portion Sex die Leser durchaus fesseln kann, wenn er gut geschrieben ist, macht sie genau das Richtige: Sie testet sich, indem sie schreibt und das Ergebnis der kritischen Betrachtung von Fremden aussetzt. Nur so kann man besser werden und herausfinden, was man kann und was man lieber sein lassen sollte.

Ich habe viel hilfreiche Kritik in einem Kurzgeschichtenforum bekommen. Von sachlichen Hinweisen (vertauschte Namen im Lauf der Erzählung, Unmöglichkeiten auf der Zeitachse, Irrtümer geographischer Natur) bis zu der Erkenntnis, dass manche Kurzgeschichte misslungen war. Wenn ich nämlich den Lesern die Handlung hinterher erklären muss, dann taugt die Geschichte einfach nichts. Sie muss neu geschrieben oder verworfen werden.
Wer es ernsthaft mit Kurzgeschichten, ob nun Liebesgeschichte, Krimi oder sonst ein genre, versuchen möchte, dem kann ich das Forum und die zugehörige Geschichtensammlung nur empfehlen. Hier die Homepage mit Hinweisen, wie man eine Geschichte einreicht, dort das Forum, wo die Kritiker sich tummeln. Angemerkt sei lediglich, dass manche Mitglieder im Forum wirklich fundiert kritisieren, andere dagegen kaum Hilfreiches beizutragen wissen und trotzdem ihren Senf beisteuern. Wie im richtigen Leben eben.

Nach einer gewissen Probierphase kommt eigentlich jeder Autor bei sich selbst an. Das soll heißen, dass er seinen Stil und seine Inhalte findet, sich darin wohlfühlt und dann – fortgesetzte Belehrbarkeit vorausgesetzt - immer sicherer wird. Das heißt nicht, dass er sich künftig auf ein einziges Gebiet beschränkt, sondern dass er aus seinen eigenen schlechten Geschichten gelernt hat. Kreative Menschen werden immer wieder Neues ausprobieren.
Ich habe mit Science Fiction experimentiert und festgestellt, dass ich da nichts Ansehnliches zustande bringe. Auch kafkaeske Szenen liegen mir nicht. Anderes gelingt mir besser und macht mir Freude.

Mein Tipp Nummer 2 zum Schreiben: Verschiedenes Ausprobieren!

Man weiß nur, ob etwas gelingt, wenn man es ausprobiert hat. Wer nicht wagt, kann weder gewinnen noch verlieren.

Frage vornehmlich an die Leser, die selbst Autoren sind: Schon mal was ausprobiert und grandios gescheitert? Nichtautoren dürfen natürlich ebenfalls antworten, sie können ja über das grandiose Scheitern von Autoren plaudern...

Dienstag, 11. September 2007

Über das Schreiben 1

Mit diesem Beitrag starte ich eine kleine Serie über das Schreiben, in der ich häufig gestellte Fragen aufgreife. Das erste Thema:

Außen pfui, innen hui?

Am Sonntag nach dem Gottesdienst saßen meine Frau und ich so lange mit einer Autorin beim Kaffee, dass die Kinder unserer Gesprächspartnerin trotz Limonade und Süßigkeiten ungeduldig wurden. Wir waren ins Gespräch gekommen, weil ich eine Neuerscheinung aus einem Verlag auf dem Tisch liegen hatte, der permanent inhaltlich gute Bücher herausbringt, die sich durch handwerkliche Mängel auszeichnen. Das ist, mit Verlaub, leider bei frommen Publikationen häufig der Fall.

Nicole B., so heißt die Autorin, hat das an einem eigenen Werk erlebt. Daraus ein winziges Beispiel von leider sehr vielen:

Diese Lasten abzuwerfen, das ist es , was die Seele begehrt.

Dass es zwischen Wort und Satzzeichen in der deutschen Sprache unter keinen Umständen ein Leerzeichen gibt, egal ob Komma, Doppelpunkt, Semikolon, Ausrufe- oder Fragezeichen, sollte ein Verleger (oder zumindest sein Lektor) wissen. Und er sollte darauf achten, dass sich solche Schlampereien nicht in Büchern aus seinem Verlag finden lassen.

Nicole erzählte, dass sie keine Datei, sondern Papier abgeliefert habe. Sie beherrscht die deutsche Sprache. Irgendjemand, der das offenbar nicht von sich sagen kann, hat das Manuskript abgetippt und dabei den Text mit zahlreichen Fehlern garniert: Abstände zwischen Wort und Satzzeichen, Zeilenwechsel, wo keine hingehören, allerlei falsch geschriebene Worte... Sie bekam keine Gelegenheit, das Buch vor dem Druck noch einmal in Augenschein zu nehmen und war entsetzt, als sie das Ergebnis in Händen hielt.

Inzwischen publiziert sie über einen anderen Verlag und hat beachtliche Verkaufserfolge, eine eigene Radiosendung und viele künftige Projekte im Kopf.


Wir unterhielten uns über die Frage, ob guter Inhalt schlechte Form rechtfertigt beziehungsweise entschuldigt. Wir waren der gleichen Meinung: Nein. Ein gedrucktes Buch ist kein schnell mal eben hingetippter Beitrag in einem Internet-Forum oder Blog, und ein gedrucktes Buch, dessen Autor evangelistische Intentionen verfolgt, sollte erst recht ansprechend und handwerklich einwandfrei sein. Andernfalls wird ein Leser von vorne herein mit der Botschaft konfrontiert: Wir geben uns keine Mühe, ordentlich zu arbeiten, möchten aber, dass Du dich trotzdem für unseren Glauben interessierst.

Natürlich kostet mehr Qualität mehr Geld. Einen ehrenamtlichen Lektor, der Rechtschreibung und Ausdruck beherrscht, wird man mit der Lupe suchen müssen. Einen Layoutexperten, der auf Gestaltung und ansprechende Form achtet, muss man in der Regel entlohnen. Und angesichts leerer Kassen in christlichen Verlagen ist das oft nicht finanzierbar.

Also opfert man die Qualität, um überhaupt etwas publizieren zu können. Und daraus folgt der schlechte Ruf, den „fromme“ Produktionen zumindest bei denjenigen haben, denen es nicht egal ist, auf welche Weise ihnen der Inhalt präsentiert wird.

Es gibt bei aller Sparsamkeit jedoch Abhilfe. Je fehlerfreier der abgelieferte Text ist, desto entbehrlicher werden Korrekturen. (Nicole hat zwar ihr fehlerfreies Manuskript nicht geholfen, weil die Fehler alle vom Verlag stammten, aber sie hat daraus gelernt, darauf zu bestehen, dass sie persönlich vor dem Druck eines Textes die Freigabe erteilt.)

Mir unterlaufen Tippfehler, keine Frage. Ich bin dankbar, wenn Leser mich darauf hinweisen, denn ich bin daran interessiert, möglichst gute Qualität anzubieten. Manchen Fehler sieht man einfach selbst nicht, und wenn man den eigenen Text fünfmal liest. Einem Leser fällt dann sofort ins Auge, was der Aufmerksamkeit des Autors entgangen ist.

Daher mein Tipp Nummer 1 zum Schreiben: Lesen lassen!

Das beinhaltet, Kritik zu suchen und anzunehmen. Man sollte die Testleser ausdrücklich darum bitten, auf formale und inhaltliche Mängel zu achten und diese auch zu nennen, statt aus Angst, der Autor könne verletzt sein, nur Lobeshymnen anzustimmen.


Frage vornehmlich an die Leser, die selbst keine Autoren sind: Entschuldigt guter Inhalt schlechte Ausführung? Autoren dürfen natürlich ebenfalls antworten.