Jetzt schon an Weihnachten denken und Geschenke besorgen! Zum Beispiel für eher empfindliche und zartbesaitete Leseratten mein Buch »Gänsehaut und Übelkeit« … damit es mit der Empfindlichkeit mal ein Ende hat und die Saiten etwas gehärtet werden.
Um die Entscheidung leichter zu machen, folgt hier eine Leseprobe. Es handelt sich um einen »ungeschriebenen Aufsatz« von Sandra A., 14 Jahre alt. Was ein ungeschriebener Aufsatz ist? Das kann ich noch schnell vorab erklären:
Wer erinnert sich nicht an die manchmal unsäglichen Themen, die im Deutschunterricht vom Lehrer an die Tafel geschrieben wurden? Da sitzt man dann und versucht, sich etwas Passendes einfallen zu lassen, ohne das Thema zu verfehlen. Meist kommt belangloses Geplänkel dabei heraus.
Was aber würden Schülerinnen und Schüler zu den vom Lehrer gestellten Themen schreiben, wenn sie die Wahrheit schrieben? Ich schlüpfe für solche »ungeschriebenen Aufsätze« in die Haut - oder besser in das Gehirn - der Heranwachsenden und schreibe auf, was sie sich zu schreiben nicht getrauen ...
So. Genug des Vorgeplänkels. Hier die Leseprobe:
Wie ich einmal ins Wasser fiel
Eigentlich wäre ich gar nicht ins Wasser gefallen, wenn mich Martina, meine Freundin, nicht so erschreckt hätte. Sie wollte mich natürlich gar nicht erschrecken - ich war nur so vertieft in mein Experiment, dass ich Martina nicht kommen hörte. Als sie dann plötzlich hinter mir stand und fragte: »Was um Himmels willen ist denn das?«, machten meine Beine ganz von selbst einen Satz und ich landete im Teich.
Ich ärgerte mich in diesem Moment nicht so sehr über das unfreiwillige Bad, sondern es war einfach umständlich, dass ich nun meiner Mutter erklären musste, warum ich völlig durchnässt nach Hause kam und dass noch eine ganze Menge weiterer Auskünfte von mir verlangt würden. Sie kann ganz schön penetrant sein, meine Mutter, wenn sie ein Geheimnis wittert. Und man kann eigentlich Gift darauf nehmen, dass sie es merkt, wenn man ihr etwas verheimlichen möchte. Das hat sie gelernt, schließlich ist sie seit undenklich langen Zeiten bei der Kriminalpolizei.
Die Idee zu meinem Experiment hatte ich aufgrund der Tätigkeit meiner Mutter. Sie erzählt oft und gerne von ihren Erfolgen bei der Verbrechensbekämpfung. Ab und zu stritten wir darüber, ob der Begriff an und für sich passt. Denn bevor meine Mutter und ihre Kollegen tätig werden, ist ja das Verbrechen bereits geschehen, meistens jedenfalls. Sie bekämpft also den Verbrecher, nicht das Verbrechen. Sie sagt dann immer, dass sie durch die Ermittlung und Verhaftung eines Täters schließlich weitere kriminelle Handlungen des betreffenden Menschen vereiteln, und somit eben doch das Verbrechen selbst bekämpfen kann. Mir erscheint das jedoch nicht logisch.
Das perfekte Verbrechen gebe es nicht, sagt sie in jeder zweiten Diskussion. Auch darin war und bin ich anderer Meinung. Wenn nichts auf den Täter hinweist, wie sollte er dann entlarvt werden, solange es sich um einen halbwegs intelligenten Menschen handelt?
Aus solchen Diskussionen wurde mein Experiment geboren. Ich wollte herausfinden, ob die Behauptung meiner Mutter, jeder Verbrecher mache einen Fehler, der schließlich zur Entdeckung führen würde, stimmt.
Ich bereitete mich natürlich gewissenhaft auf mein Experiment vor: Ein altmodisches, aufklappbares Rasiermesser hatte ich seit Wochen mit mir herumgetragen und gelegentlich an einem Regenwurm oder einer verletzten Amsel ausprobiert. Ich wollte wissen, ob es wirklich so scharf war, wie es aussah. Gefunden hatte ich es bei einem Flohmarkt an einem Stand mit allerlei antikem Gerümpel. Der Inhaber des Standes hatte nicht bemerkt, dass das Messer in meine Jeanstasche wanderte, während ich andere Angebote aufmerksam betrachtete. Ein paar Einmalhandschuhe gehörten neben dem Messer zu meiner unverzichtbaren Ausrüstung.
Auf dem Heimweg von der Schule sprach mich dann eines Tages eine Dame mittleren Alters an, die mir völlig unbekannt war. Sie trug eine Einkaufstasche in der linken Hand, in der rechten hielt sie eine Zigarette. Als ich an ihr vorbeigehen wollte, fragte sie mich, ob ich zufällig Feuer für sie hätte.
»Nein, tut mir Leid«, antwortete ich höflich, »ich rauche nicht.«
»Das ist gar nicht verkehrt. Wenn man erst einmal anfängt, ist es schwer, wieder aufzuhören.«
Ich lächelte sie freundlich an und meinte beiläufig: »Oh, das ist gar kein Problem. Ich kenne eine todsichere Methode. Man raucht nie wieder eine einzige Zigarette.«
»Ach, tatsächlich? Wie geht das denn?«
Ich erklärte der Dame, dass ich ihr das Verfahren gerne zeigen würde, dazu müsse sie aber mit mir in den nahe gelegenen Stadtpark gehen, da man Ruhe brauche und ungestört sein müsse. Da sie nichts Eiliges vorhatte, willigte sie ein. Sie steckte die Zigarette zurück in die Schachtel, wir spazierten in den Park und setzten uns am Teich auf eine Bank.
Die Einkaufstasche stellte die Frau neben sich und holte zwei knackige rote Äpfel heraus. Sie bot mir einen an, was ich gerne akzeptierte. Wir aßen das Obst, während sie mich ein wenig ausfragte, wo ich wohnte, was meine Eltern täten und so weiter. Mir machte es nichts aus, zu antworten, da die Wahrscheinlichkeit, dass meine Gesprächspartnerin mit irgendjemandem darüber reden konnte, gleich Null war.
Das Kerngehäuse warf ich nicht in den Papierkorb neben der Bank. Wegen der Speichelspuren hätte ich ihn später wieder heraussuchen müssen. So wickelte ich den Rest des Apfels in ein Taschentuch und erklärte: »Für mein Meerschweinchen Susi.«
»Ach Gott, wie süß! Ich hatte früher auch eins.«
Wir plauderten ein paar Minuten über Haustiere. Schließlich sagte ich: »Also, Sie müssen jetzt die Augen schließen. Dann stelle ich mich hinter die Bank und begehe eine Handlung. Anschließend werden Sie nie wieder eine Zigarette rauchen.«
»Ist das ein magischer Trick?«, fragte sie mit einem amüsierten Zwinkern.
»Nein, ein absolut natürlicher Vorgang, der nichts Übernatürliches an sich hat. Ich garantiere für den Erfolg.«
Sie schloss die Augen, ich ging um die Bank herum und stellte mich hinter sie. Ein letzter Blick in die Runde: es waren keine Spaziergänger in Sicht. Dann schnitt ich die Kehle der Frau durch, ein ganz tiefer Schnitt von links nach rechts.
Die Dame, die nun tatsächlich nie wieder rauchen würde, machte ein etwas unangenehmes, gurgelndes Geräusch, so wie ein verstopfter Abfluss, wenn man mit dem Gummistopfer daran arbeitet. Es floss unheimlich viel Blut, auch deshalb hatte ich mich ja hinter den Körper gestellt. Ich wollte nichts davon auf meine Kleidung bekommen. Der Kopf sackte nach vorne und die tote Frau kippte von der Bank.
Ich zog die Einmalhandschuhe an und schleifte die Leiche erst mal ins Gebüsch, damit sie außer Sicht war. Dann holte ich die Einkaufstasche und versenkte sie im Teich. Anschließend zog ich auch die Frau ans Wasser. Mit der Spitze meines Schuhs gab ich ihr einen Schubs und sie kullerte die kurze Böschung herunter, es gab einen recht lauten Platscher - und ausgerechnet in diesem Moment tauchte Martina hinter mir auf und fragte: »Was um Himmels willen ist denn das?«
So fiel ich also ins Wasser und landete neben der Leiche.
Ich dachte geschwind nach und wusste auch gleich, wie ich sowohl meiner Mutter die nassen Kleidungsstücke erklären als auch die prekäre Situation entschärfen konnte. Eine Eliminierung meiner Freundin kam überhaupt nicht in Frage.
»Hilf mir mal, Martina«, rief ich, »vielleicht kann man sie noch retten!« Während dessen zog ich unter Wasser die Handschuhe aus und stopfte sie in meine Jeanstasche.
Martina schüttelte den Kopf und meinte: »Nee, schau doch mal den Hals an. Der ist ja durchgeschnitten. Die ist tot!«
Ich tat so, als bemerkte ich die Verletzung erst jetzt und quiekte so entsetzt wie möglich.
Nun erst schien Martina wirklich zu begreifen, was sie da vor Augen hatte: Ein frisches Mordopfer, so frisch wie die Krabben im Fischladen an der Ecke. Sie begann zu kreischen und wild mit den Armen zu fuchteln, dann rannte sie davon in Richtung Straße. Ich hörte sie noch aus weiter Ferne aus vollem Hals brüllen: »Hilfe! Hilfe! Sie ist tot! Hilfe!«
Ziemlich schnell versammelten sich zahlreiche Menschen am Ufer.
Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Meine Zeugenaussage war nicht sehr ergiebig. Ich erzählte, dass ich beim Bummeln im Park das Blut bei der Bank gesehen hatte, neugierig war, was man einem Teenager leicht abnimmt, die Frau im Wasser entdeckte und hineinsprang, um womöglich zu helfen, was man mir als Heldentat hoch anrechnete. Ich hatte niemanden gesehen, der als Mörder in Frage kam und wusste sonst nichts zu berichten.
Meine Mutter sorgte dafür, dass ich nach dieser Aussage nicht weiter behelligt wurde, sie schleppte mich zu einem Psychiater, der meinen Schock, den ich so gut wie möglich simulierte, zu behandeln versuchte, und im Lauf der Zeit geriet der Mord im Park in Vergessenheit.
Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Ich gehe davon aus, dass mein Experiment gelungen ist: Man kann den perfekten Mord begehen.
Quod erat demonstrandum.
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