Es war deutlich mehr von der Art und Weise die Rede, wie das 13. Album der Band U2 verteilt wurde, als von der Musik, die darauf enthalten ist. Das ist, schließlich geht es um eine sehr erfolgreiche Gruppe, schon etwas merkwürdig, so überraschend das lukrative Zusammenwirken der vier Iren mit Apple samt der Zwangsbeglückung von Millionen Menschen auch gewesen sein mag.
Ich bin jemand, der U2 fast seit der ersten Stunde, jedenfalls aber seit jenem legendären Rockpalast-Auftritt, gemocht hat. Ich besitze alle vorherigen Alben und höre sie, abgesehen von »Pop«, gerne auch heute noch ab und zu. Das neue Album jedoch macht mir wieder Schwierigkeiten, genau wie es bei »Pop« war. Das ist ja nun nicht schlimm, denn für »Songs of Innocence« habe auch ich keinen Cent bezahlen müssen. Das Album war einfach plötzlich da in der Sammlung auf meinem Apfelcomputer.
Doch darum, wie ich an diese Lieder gekommen bin, soll es hier nicht gehen – sondern um die Musik. Und die fand ich enttäuschend. Finde ich immer noch enttäuschend. Auch nach dem nunmehr dritten Anhören kann ich mich mit dieser Liedersammlung kaum anfreunden.
Es gibt ein paar musikalisch mitreißende und herausragende Augenblicke, aber 75 Prozent der Musik ist zu einem Eintopf zerkocht, der für die Kundenberieselung im Kaufhaus tauglich sein mag, aber nicht dem von U2 gewohnten Musikgenuss dient. Ähnlich wie einst Phil Spector sogar eine Leonard-Cohen-LP mit seinem »Wall of Sound« dermaßen zugerichtet hat, dass sie kaum einmal auf dem Plattenteller landete, wird bei dem aktuellen U2-Album so gut wie alles an musikalischen Ideen und instrumentalem Können mit übermäßigem Hall, verwaschenem Klangbrei, bei dem man nicht weiß ob Gitarre oder Keybord erklingt und viel zu vielen Aaaahhh-oooohhh-uuuuhhh-Kopfstimmen-Gesängen zugekleistert. Ab und zu darf die Gitarrenkunst von The Edge das Ohr erfreuen - aber viel zu kurz. Gelegentlich erklingt Bonos Stimme klar, in normaler Tonlage und sogar verständlich - aber viel zu kurz. Es kommt vor, dass Larry Mullen jr. und Adam Clayton mit Bass und Schlagzeug die Aufmerksamkeit fesseln, weil etwas Spannendes beginnt - aber viel zu kurz.
»Songs of Innocece«, so sagte Bono in einem Interview, bestehe aus »ersten Reisen«. Ich bin nun jemand, der des Englischen durchaus mächtig ist, aber die Gesänge des Albums in dem Wust von überlagernden Klängen zu verstehen ist außerordentlich anstrengend und zeitweise völlig unmöglich. Schade. Womöglich wären die Texte sogar nachdenkenswert?
Ob die Lieder, falls U2 mal wieder auf Tour gehen sollte, auf den Bühnen Charakter gewinnen und sich als musikalische Schätze entpuppen dürfen, bleibt abzuwarten. So, wie sie jetzt in der Apple-Zwangsauslieferung sind, fehlt das Entscheidende: man behält die Lieder nicht im Kopf. Gehört – vergessen – nicht schade drum. Das ging mir so bei U2 noch nie. Selbst klangliche Experimente wie Numb hatten das gewisse Extra. Die aktuelle Sammlung von »Songs of Innocence« reißt nicht mit, macht weder froh noch traurig noch zornig, sie erzeugt schiere Langeweile. Wenn das letzte Lied gehört ist, stellt sich eine gewisse Erleichterung ein: Endlich vorbei. Und das ist sehr sehr schade.
Falls für die CD-Version, die am 10. Oktober erscheinen soll, irgend jemand sich erbarmt und im Studio noch einmal alles abmischt hat, könnte aus dem Album noch etwas werden, was man auch in Zukunft gerne auflegt. Aber die Chancen stehen wohl eher gering.
Mein Fazit: Produziert wurde »Songs of Innocence« von Danger Mouse, Paul Epworth, Ryan Tedder, Declan Gaffney und Flood, liest man bei Amazon. Viele Köche, so der Volksmund, verderben den Brei. Das mag sich hier leider bewahrheitet haben.
Foto: Offizielles Cover bei Amazon
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