Anlässlich des heutigen kostenlosen Mini-Konzertes von U2 am Brandenburger Tor in Berlin, dem beizuwohnen ich die große Freude haben werde, präsentiere ich der geschätzten Leserschaft einen Auszug aus dem Buch »Imagine« von Steve Turner, das ich vor einiger Zeit für den Verlag ins Deutsche übersetzt habe.
In diesem Kapitel macht der Autor am Beispiel der Band U2 deutlich, wie Christen Kunst und Kultur durch ein lebendiges Zeugnis ihres Glaubens prägen können. Am Ende gibt es einen Link zum sehr lesenswerten Buch. Doch zunächst hat Steve Turner das Wort:
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Können wir uns Christen vorstellen, die eher zum Künstler berufen sind als zum Prediger? Die nicht nur in der Kunstrichtung ihrer Wahl Eindruck hinterlassen, sondern dies auch noch so tun, dass sie Aufmerksamkeit für eine Weltanschauung erregen, die anders ist als die ihrer Zeitgenossen, eine Weltanschauung, die zum Gespräch anregt? Könnte es sein, dass Christen tatsächlich etwas zu den großen Debatten dieser Welt beizutragen haben?
Es ist nicht nur möglich, sondern es geschieht sogar. Ich habe ein Beispiel aus der Rockmusik gewählt, zum Teil wegen meiner Kenntnisse im Bereich der Musik, zum Teil, weil ich die beteiligten Personen kenne und ihre Geschichte mit besonderem Interesse verfolgt habe.
Als ich 1970 anfing, über Musik zu schreiben, wusste ich von keinem Christen, der in den höheren Ebenen des Rock gearbeitet hätte, niemand glich einem John Lennon, Jerry Garcia oder Jim Morrison. Es kursierten Gerüchte, Eric Clapton sei zum Herrn gekommen, Keith Richards wäre ein wiedergeborener Gläubiger. Keines der Gerüchte erwies sich als wahr.
Dann änderten sich die Dinge. 1980 erzählte man mir von »dieser Punk-Gruppe aus Dublin«, in der drei der vier Mitglieder Gläubige seien. Bald gab mir jemand die Bandaufnahme einer Session, bei der Bono, der Sänger und Edge, der Gitarrist, einer kleinen Gruppe von Christen ihre Vision für die Rockmusik mitteilten. Es war ziemlich außergewöhnlich. Bono las aus Jesaja 40, 3: »Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg des HERRN! Ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott!« Er empfand, dass dieser Vers das zusammenfasste, wozu er berufen war.
Obwohl auch jeder Fehler, den die Band in den letzten zwanzig Jahren gemacht hat, öffentlich bekannt wurde, hat U2 sachkundig ein Gesamtwerk geschaffen, das aus den besten Traditionen der modernen Musik genährt wurde, etwas Einmaliges hinzutat und das eine Vision in sich trägt, die eindeutig in der Bibel verwurzelt ist. Mehr als jede andere Formation in der Geschichte der Rockmusik haben sie Gott, Jesus, die Bibel und eine christliche Weltanschauung auf die Tagesordnung gezwungen. Rockkritiker konnten in den 1970ern den Jesusrock ignorieren (was sie auch taten), aber sie konnten U2 nicht ignorieren; sie mussten eine Stellungnahme über die Werte, für die U2 stand, abgeben.
Was U2 tat, funktionierte, weil sie sowohl Respekt vor der Kunstform des Rock hatten als auch vor den Inhalten des Christentums. Ihre sich entwickelnde Weltanschauung war in ihre Kunst integriert, weil sie instinktiv wussten, wie zeitlose geistliche Wahrheiten mit jugendlichen Ängsten, Ekstasen und Idealen zusammentreffen können.
Es hatte schon viele große Rocksongs über die Sprachlosigkeit gegeben, aber vor »Gloria« (1981) gab es keinen, der das Thema auf das Gefühl, nicht zu wissen, wie man beten soll, ausgeweitet hatte, auf das »unaussprechliche Seufzen«, von dem Paulus im Römerbrief spricht.
Es hatte auch schon viele Lieder über den Wunsch nach Veränderung der Welt gegeben, aber kein Song vor »New Year’s Day« (1983) kam als Schlussfolgerung auf Bilder aus dem Matthäusevangelium und der Offenbarung.
In der Frühzeit der Band gab es einen Eifer, der darauf hinwies, dass sie meinten, nur mit einer großen Anzahl von spezifischen Statements über den Glauben in ihren Texten in der Rockwelt tätig sein zu dürfen. Im Hintergrund gab es die Menschen in ihrer charismatischen Gemeinde, die der Meinung waren, dass das Leben eines Rockstars im Widerspruch zum Ruf Christi, demütige Diener zu sein, stand, weil es von seiner Natur her darauf abgelegt ist, Aufmerksamkeit zu erregen. Die Band hat das nicht von vorne herein von sich gewiesen, sondern sie forschten, was Gott von ihnen wollte, während sie Songs für das Album October (1981) schrieben. Das erklärt den Schrei nach Leitung und das Versprechen der Unterordnung in Liedern wie »Gloria« und »Rejoyce«.
Selbst zu dieser Zeit hatte Bono den Hang, Lieder zu schreiben, als wären zwei Gehirne am Werk. Vielleicht war es auch der eine Verstand, der mit zwei Ebenen der Realität beschäftigt war. Er konnte über etwas schreiben, was er im Fernsehen gesehen hatte und plötzlich war er vor dem Grab Christi; oder er schrieb über polnische Arbeiter und sein Geist landete bei der Wiederkunft Christi. In »Surrender« auf dem Album War (1983) scheint er über ein Mädchen auf der Straße zu schreiben, aber dann wird er abgelenkt von einem Stück Theologie des Paulus. »If I want to live, I’ve got to die to myself someday.« (Wenn ich leben möchte, muss ich eines Tages mir selbst sterben) schreibt er.
Diese Schichten haben den Effekt, als blicke man auf eine von diesen Hologrammpostkarten. Mit der normalen Wahrnehmung erkennen wir die glatte Oberfläche, die wir Realität nennen. Wenn wir die Karte drehen, entdecken wir eine andere Dimension, die zwar die ganze Zeit vorhanden, aber für uns unsichtbar war. Bono schaut das Alltägliche an und landet bald in den Bereichen, die nur ein Christ sehen kann. Und dann kehrt er wieder zurück.
Die drei christlichen Mitglieder von U2 (Bono, Edge und Larry Mullen jr.) wussten, dass im Rock Gefahren lauerten, aber sie beschlossen, lieber mit den Widersprüchlichkeiten zu leben, als aufzugeben. Sie entschieden auch, dass ihre Existenz nicht durch die Menge von Evangelium gerechtfertigt war, die sie austeilen konnten. Das Resultat war, dass U2 intensiver wurde und der Glaube natürlicher das Liederschreiben Bonos durchflutete.
Einige Lieder sind Übungen im Sound, oder sie experimentieren mit Worten. Bono nimmt eine Zufallsphrase wie »Hawkmoon 269« »Unforgettable Fire« oder »Shadows and Tall Trees« als Sprungbrett in eine Übung der Selbsterforschung. Der Text zu »Is That All« wurde im Studio improvisiert, nachdem die musikalische Atmosphäre geschaffen worden war.
Besonders der Produzent Brian Eno ermutigte die Band, nichtlineare Methoden der Kreativität auszuprobieren, anstatt vorbereitete Statements zu Songs zu verwandeln. Soundchecks und Jam Sessions wurden aufgenommen, damit neue musikalische Themen erkennbar wurden. Fehler wurden als Hinweise auf unentdeckte Ideen verwendet, anstatt sie wegzuwerfen. Ein Motto von Eno war: Ehre den Fehler als eine versteckte Absicht.
Es gibt eine zweite Gruppe von Liedern, die bewusster konstruiert sind und sich mit gemeinsamen menschlichen Erfahrungen beschäftigen. Es sind Liebeslieder wie »With Or Without You«, Lieder über den Tod wie »One Tree Hill« oder Lieder über Zweifel wie »The First Time«. Sie zeigen nicht immer eine offensichtlich christliche Lösung auf, weil das nicht notwendig ist. Es genügt, dem Publikum mitzuteilen, dass du genau wie die Zuhörer geliebt, Verlust erlitten, gefeiert und getrauert hast.
Im dritten Bereich sind die Songs, die ein biblisch erwecktes Bewusstsein zeigen. Christus zeigte sich besonders besorgt um die Schwachen, Armen, Beraubten, Entfremdeten, Ausgebeuteten und den an den Rand Gedrängten. Man kann erwarten, dass sich diese Sorge auch in der Kunst seiner Nachfolger widerspiegelt.
Die Auswirkungen dessen, was U2 über den persönlichen Glauben gesagt hat, wäre empfindlich gemindert worden, wenn sie nicht diese Gebote ausgelebt hätten. Ich bin überzeugt, dass ein großer Teil des Respekts, der ihnen jetzt entgegengebracht wird, dadurch entstanden ist, dass sie als Menschen angesehen werden, die zu ihrem Wort stehen. Das Evangelium erscheint den Menschen sinnvoller, wenn sie es gelebt sehen anstatt es nur als Worte zu hören.
U2 war Vorreiter der Einbindung von Rockmusik in globale Themen seit 1985, als sie bei Live Aid auftraten, ein Benefizkonzert für die Menschen in Äthiopien. Neben Bonos persönlichen Besuchen an Brennpunkten der Not und der Beteiligung der gesamten Band an Organisationen wie Amnesty International, Greenpeace und Jubilee 2000 hat U2 zahlreiche kraftvolle Songs veröffentlicht, die darauf abzielen, die traurige Lage der Unterdrückten und Zerbrochenen auf dieser Welt zu verstehen.
»Silver and Gold« war eine Reflektion über die Apartheid, »Red Hill Mining Town« trat in die Gedankenwelt einer Britischen Bergbaubevölkerung ein, deren Gruben geschlossen wurden. »Mothers of the Disappeared« erhob die Stimme für die Argentinier, die ihre Kinder während der Herrschaft der Militärjunta verloren hatten. Natürlich hätte jedes dieser Lieder von einem Ungläubigen geschrieben werden können. Aber obwohl Mitleid nicht exklusiv dem Christentum gehört, hat U2 richtig gehandelt, indem die Band diese Sorgen zu einem integralen Teil ihres Werkes gemacht hat.
Dann kommen wir zum Bereich, in dem wir Lieder vorfinden, die eine klare christliche Ausprägung haben, aber nicht alle losen Fäden verknüpfen. Manchmal benutzt Bono, wie schon erklärt, eine sich verschiebende Perspektive, so dass der aufmerksame Zuhörer mit etwas sehr irdischem angesprochen und dann plötzlich in etwas viel größeres hineingezogen wird.
Der Song »Mysterious Ways« zum Beispiel beginnt damit, dass Johnny spazieren geht. Johnny ist seit Chuck Berry der Rock-Jedermann. In diesem Song ist aber seine Schwester der Mond. (Anmerkung des Übersetzers: Im Deutschen ist der Mond männlich, im Englischen funktioniert das besser: His sister, the moon.) Dies mag uns an Franz von Assisi erinnern und sein Gebet »An den Bruder Sohn und die Schwester Mond«. Wir wissen aber auf jeden Fall, dass es nicht um Johnny B. Goode geht, und dass sein Ziel nicht die Erfüllung in Hollywood ist. Dann kommen die Zeilen: »If you want to kiss the sky / you better learn how to kneel« (Wenn du den Himmel küssen willst / dann lernst zu besser, zu knien). In »Purple Haze« hatte Jimi Hendrix die Zeile »Excuse me, while I kiss the sky!« (Entschuldige mich, solange ich den Himmel küsse.) - was als wilde psychedelische Phantasie interpretiert worden war. Könnte Bono andeuten, dass man für das ultimative transzendentale Erlebnis tatsächlich in Buße und Gebet auf die Knie gehen muss?
Dann kommt der Chorus, »She moves in mysterious ways« (Sie bewegt sich auf geheimnisvolle Weise), was sich auf die »Schwester Mond« zu beziehen scheint. Der Ausdruck »mysterious ways« ist jedoch ein Bezug auf die Hymne des calvinistischen Poeten aus dem 18ten Jahrhundert William Cowper: »God moves in mysterious ways / His wonders to perform« (Gott bewegt sich auf geheimnisvolle Weise, um Seine Wunder zu tun). Diese Anspielung scheint durch den Schlußchorus bestätigt zu werden: »We move through miracle days / Spirit moves in mysterious ways« (Wir bewegen uns durch Tage der Wunder / der Geist bewegt sich auf geheimnisvolle Weise).
In einem Interview bestätigte Bono, dass der Song mehr als eine Ebene hat. »Es ist ein Lied über Frauen oder eine Frau«, sagte er einerseits. An anderer Stelle sagte er, dass das Lied etwas mit seinem Glauben zu tun hat, »der Heilige Geist habe feminine Eigenschaften«. In der Vorstellungskraft eines Christen deutet das Sichtbare auf das Unsichtbare.
Manchmal scheint Bono in einem bestimmten Kapitel oder Buch der Bibel förmlich zu baden, um dann ein Rock-Update zu schreiben. Das Lied »40« ist beinahe wörtlich aus dem Psalm 40 übernommen, »Fire« nimmt seine Bildersprache aus der Offenbarung. »With a Shout« lässt die Schlacht um Jericho wieder auferstehen und »The Wanderer«, gesungen von Johnny Cash (einem angemessen vom Leben gesättigten Gläubigen) auf dem Album Zooropa (1993) war Bonos Fünf-Minuten-Version des Buches Prediger, ursprünglich unter dem Titel »The Preacher« geschrieben.
Nicht alles biblisch inspirierte Material ist erbaulich. Eine der Lektionen, die Bono aus den Psalmen gelernt hat, ist die, dass es zulässig ist, mit Gott zu streiten. Es gibt Zeiten, in denen sich der Christ genauso niedergeschlagen fühlt wie jeder andere Mensch, aber anstatt sich umzubringen oder zu betrinken, schreit er zu Gott, in dem Bewusstsein, dass Gott die Angewohnheit hat, zurück zu schreien.
Manchmal scheint dieses Streitgespräch in Bonos eigener Stimme aufzutauchen - der Christ, der nach einer Erklärung ruft - manchmal erscheint es mit der Stimme verschiedener desillusionierter und verletzter Menschen. Lieder wie »If God Will Send His Angel« (Wenn Gott seinen Engel schicken wird), in dem es heißt »God has got his phone off the hook babe / Would he pick it up if he could?« (Gott hat seinen Telefonhörer nicht aufgelegt / würde er den Anruf entgegennehmen, wenn er könnte?) und »mofo«, in dem es heißt »Lookin’ for to fill that God shaped hole« (Ich versuche, dass gottförmige Loch zu füllen) sind wie Psalmen der Straße, Gebete von Menschen, die kaum wissen, wie man betet.
»Drowning Man«, ein Lied aus dem Album War, dreht den Prozess um. Es schreit kein Mensch nach Gott, sondern Gott ruft nach dem Menschen, bietet eine Hand der Freundschaft an.
Die überzeugendste Anziehungskraft des Christentums war für Bono als Teenager die Vorstellung, dass Gott an ihm interessiert war. Nicht ein Gott, sondern Gott. »Worauf sollen wir diese Beziehung gründen?«, fragte er. »Die Beziehung muss mit dem Vater anfangen und dann mit Christus bestehen, dem Sohn des Vaters.«
Durch das Album All That You Can’t Leave Behind zieht sich ein Thema, das den Ewigkeitstest besteht: Was bleibt zurück, wenn wir sterben, und was können wir mit uns nehmen? Das Albumcover zeigt die vier Mitglieder der Gruppe stehend im Flughafengebäude. Es wird ein Gefühl erweckt, das uns überkommt, wenn wir fliegen und - wie flüchtig auch immer - mit dem Gedanken spielen: Was wäre, wenn dies unser letzter Flug ist? Auf die CD ist ein Bild von einer Frau und einem Kind gedruckt, auf dem Cover aus der Entfernung zu sehen, verwischt und eine Reminiszenz an Kinobilder von todesnahen Erfahrungen, von Menschen, die in eine unbekannte Zukunft gehen.
Das Lied »Walk On«, aus dem der Albumtitel stammt, scheint sich auf 1. Korinther 13 und die Lehre, dass von allen Gaben, die wir besitzen, nur die Liebe über den Tod hinaus bestehen wird, zu beziehen. »The only baggage you can bring is all that you can’t leave behind.« (Das einzige Gepäck, das du mitnehmen kannst ist all das, was zu nicht zurücklassen kannst.)
Auf dem gleichen Album dreht sich der Song »Grace« um das, was der Titel (Gnade) vermuten lässt: Ein »Gedanke, der die Welt verändert hat«, wie der Text erklärt. Bono malt ein Bild der Gnade als eine weibliche Person, die »Schönheit aus hässlichen Dingen macht«. »Grace, she takes the blame, she covers the shame, removes the stain. It could be her name.« (Gnade, sie nimmt die Schuld, sie bedeckt die Schande, entfernt den Fleck. Es könnte ihr Name sein.)
Das bringt uns zu dem Bereich der Lieder, die eine offensichtliche Botschaft haben. Wie geht eine Rockband mit dem völlig unmodernen Thema des Kreuzes um? Es scheint, dass U2 wegen der aufregenden Musik und der Stärke ihrer Vision in der Lage war, Dinge zu erreichen, die schwächere, weniger phantasievolle Künstler niemals hätten schaffen können.
»Sunday Bloody Sunday« (der Titel »Sonntag, blutiger Sonntag« bezieht sich auf den Tod von Irischen Demonstranten durch britische Truppen im Jahr 1972) bewegt sich von einigen generellen Grübeleien über gewalttätige Konflikte zu den Ursachen (the trenches dug within our hearts - die Schützengräben, die in unseren Herzen ausgehoben wurden) und dann zur letztendlichen Lösung (The real battle just begun to claim the victory Jesus won on Sunday bloody Sunday - Der wahre Kampf hat erst begonnen, den Sieg in Anspruch zu nehmen, den Jesus gewonnen hat am Sonntag, blutigen Sonntag). So wird in diesem Lied aus dem Blut das Blut Christi und der Sonntag wird zum Ostersonntag.
»Pride (In the Name of Love)« endet mit der Ermordung von Martin Luther King jr., aber der Anfang dreht sich um Jesus Christus. Wen sonst kennen wir, der im Namen der Liebe kam, der kam, um gerecht zu machen, der sich der Gewalt entgegenstellte und mit einem Kuss betrogen wurde? Die Verbindung mit King illustriert die Kontinuität der friedlichen Revolution und den mächtigen Schatten, den Christus über die Geschichte geworfen hat.
Die Kompositionen der Gruppe sind reifer geworden und die Anknüpfungspunkte wurden feiner. »Until the End of the World« könnte in einer Bar handeln, wenn man nicht aufmerksam zuhört; tatsächlich spielt die Handlung in Gethsemane. Es ist ein Lied, das in der Stimme des Judas Ischariot geschrieben ist, irgendwo zwischen seinem Verrat und seinem Selbstmord.
»When Love Comes to Town«, ein Experiment mit dem Blues, fängt konventionell genug an, aber am Schluss wissen wir, dass die Liebe, die da in die Stadt kommt (oder gekommen ist) die Liebe Christi ist. Der Erzähler im letzten Vers ist ein Römischer Soldat, der um die Kleider Christi gewürfelt hat und der »gesehen hat, wie die Liebe den tiefen Spalt überwunden hat«.
»I Still Haven’t Found What I’m Looking For« ist ein bewusstes Gegengift gegen die Sorte selbstzufriedener Kunst, die behauptet, alles in unserem Leben könne durch ein schnelles Gebet des Glaubens in Ordnung gebracht werden. Wir leben zwischen zwei großen Ereignissen - dem Kreuz und dem Kommen des Reiches Gottes - und als solche leben wir in einem Spannungsfeld. Wir sind nicht mehr so kaputt wie wir vorher waren, aber wir sind noch nicht so in Ordnung, wie wir sein werden. Das Lied ist kompromisslos über das, was Christus bereits bewirkt hat:
»You broke the bonds, loosed the chains, carried the cross, of my shame, you know I believe it.« (Du hast die Fesseln zerbrochen, die Ketten gelöst, das Kreuz meiner Schande getragen, du weißt, dass ich es glaube.)
Über das, was Christus eines Tages bewirken wird, ist das Lied auch eindeutig: »I believe in the kingdom come, when all the colours will bleed into one.« (Ich glaube an das Kommen des Königreiches, wenn alle Farben in eine zusammenlaufen werden.)
Aber gleichzeitig ist sich Bono der Widersprüche und Kompromisse bewusst. Er kann mit der Zunge eines Engels reden und trotzdem noch die Hand eines Teufels ergreifen. Er ist am Gipfel angekommen, aber er rennt immer noch.
Bono: »Die Leute erwarten, dass du als Gläubiger alle Antworten hast, wenn du in Wirklichkeit nichts hast außer einer neuen Menge Fragen... Ich glaube, dass der Erfolg von »I Still Haven’t Found What I’m Looking For« daran liegt, dass es nicht bejahend im traditionellen Sinne eines Gospelsongs ist. Es ist ruhelos, aber dennoch ist da irgendwo reine Freude enthalten.«
U2s Einfluss war und ist beachtlich. Die Band hat nicht nur Einfluss auf die Entwicklung der Rockmusik gehabt, sondern sie war auch eine führende Kraft in der jungen Renaissance der Irischen Kultur. Bonos persönliche Kraft, die für einen Rockstar ungewöhnlich ist, erstreckt sich weit über die Grenzen des Rock hinaus. Als der frisch bekehrte 20jährige im Jahr 1980 der kleinen charismatischen Gemeinde seine Vision mitteilte, hätte er sich nicht träumen lassen, dass man ihn eines Tages bitten würde, das Vorwort für eine Taschenbuchausgabe der Psalmen zu schreiben, und dass man ihn rufen würde, den Papst zu überreden, eine Rolle beim Schuldenerlass für die Dritte Welt zu übernehmen, oder dass er den Jahreswechsel mit dem amerikanischen Präsidenten feiern würde.
Die ursprüngliche Vision der Band war, »einen Weg für den Herrn zu bereiten«, und ich glaube, dass ihnen das gelungen ist, indem sie wichtige Anliegen des Christentums auf die Tagesordnung der Welt gesetzt haben. Sie sind nicht nur zu einem Vorbild für christliche Künstler, die sich nicht auf den engen Markt der christlichen Musiklandschaft beschränken wollen, geworden, sondern sie haben es für jedermann in der Rockmusik akzeptabel gemacht, über Gott, Jesus und die Erlösung zu reden und zu singen.
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Im Buch »Imagine« geht es nicht nur um Musiker, sondern Steve Turner erlaubt Einblicke in viele Bereiche der Kunst, von Malerei über Schriftstellerei, Tanz und andere bis zur Filmkunst. Mehr zum Buch und Bestellmöglichkeit hier: Steve Turner – Imagine, Verlag Down to Earth
P.S.: Bilder von U2.com
3 Kommentare:
Mein Güte, hier hat aber ein Fanboy mal so richtig vom Leder ziehen dürfen... U2 und Christen, da ist es wieder. Ich werds nicht verstehen. Viel Spass jedefalls beim Konzert.
Hallo Trupedo_Glastic (hübscher Name!),
Steve Turner ist Musikjournalist, schreibt unter anderem für den Rolling Stone, hat die Biographie Johnny Cash verfasst... - ist das wirklich ein Fanboy?
Anyway: Viel Spaß beim Konzert werde ich haben!
Klasse Beitrag! U2 gab und gibt mir - neben Gänsehaut wegen famoser Musik - immer wieder die Gewissheit, dass unsere Botschaften als Christen durchaus wahr- und ernst genommen werden, wenn sie authentisch, professionell und in der Sprache der Menschen von heute kundgetan werden. U2 hat (neben Adrian Plass und Philipp Yancey) viel dazu beigetragen, mich nicht am Christentum verzweifeln zu lassen...
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